Für den nächsten Tag bin ich wieder mit Kourosh auf dem Imam-Platz verabredet. Die Mittagssonne brennt herab, ein schattiges Plätzchen gibt es nicht und meine Verabredung kommt mit iranischer Pünktlichkeit.
Wir gehen in die Imam-Moschee, in der gerade Renovierungsarbeiten stattfinden, setzen uns in den hinteren Teil und sehen uns die Bilder von meiner Tour zu den Nomaden an. Plötzlich umarmt mich Kourosh: „Meine Mutter mag deine Haarfarbe und ich auch.“ Im selben Moment schlendert ein junger Mann vorbei und sagt: „15 Minuten sind um.“
Gemeint ist, dass die Moschee schließt. Da mir nach der unerwarteten Umarmung ohnehin nicht so wohl ist, nutze ich die Gelegenheit und verabschiede mich so schnell von Kourosh, dass er auf die Einladung zum Dinner, die er gestern ausgesprochen hatte, nicht mehr zurückkommen kann.
Ein Ziel habe ich noch, die Vank-Kirche, ein armenisch-apostolisches Gotteshaus. Während ich die prachtvollen Fresken bewundere, erreicht mich eine Nachricht mit einer Einladung zum Dinner bei der Familie vom Imam-Platz.
Ein Familienmitglied sammelt mich am frühen Abend vor dem Hotel ein. Als ich in der Wohnung ankomme, werde ich herzlich von zehn Leuten begrüßt. In der Küche wird noch gekocht. Die Mutter sitzt auf einem Stuhl und liest leise vor sich hin murmelnd im Koran. Für einen Teil ihrer Kinder ist das undenkbar. Wieder wechseln die Gespräche zwischen Spaß: „Der Iraner isst viel, redet viel und kann kein Englisch“ und Politik: „Wir leben hier wie im europäischen Mittelalter.“
Der al-Quds-Tag
Im Iran ist der letzte Freitag im Ramadan der al-Quds-Tag, an dem die Iraner gegen die Besetzung Jerusalems durch Israel demonstrieren. Schon vor Tagen wurde damit begonnen, auf dem Imam-Platz Transparente mit dem Doppelporträt der Revolutionsführer Chomeini und Chamene’i sowie antiisraelischen Losungen aufzustellen.
Am Morgen sind die Straßen in der City aus Sicherheitsgründen abgesperrt. Eine aggressive Stimmung ist zu spüren und ich trage den Schal nicht so lässig über den Kopf geworfen wie sonst.
Ich habe mir einen Fahrer für einen Ausflug nach Abyaneh und Kashan organisiert und hoffe, dass er nicht an der Demonstration teilnehmen will.
Abyaneh: das rote Dorf
Pünktlich stehen Fahrer und Auto vor dem Hotel. Mit Vollgas fahren wir nach Abyaneh. An der Straße tauchen die getarnten Flakgeschütze der Uranaufbereitungsanlage Natanz auf.
In Abyaneh erhalte ich eine halbe Stunde Zeit zur Besichtigung des alten Dorfes. „Wir sind schon zu lange unterwegs. Ich muss noch in ein Restaurant gehen und etwas zum Mittag essen. Ich bin heute dein Gast und du lädst mich ein“, drängelt der Fahrer. Ich sehe ihn sprachlos an.
Das aus rotem Lehm erbaute Bergdorf Abyaneh ist verfallen. Wie überall auf dem Land sind die jungen Leute weggezogen. Nur ein paar alte Frauen mit ihren traditionellen weißen, mit Blumenmustern bedruckten Kopftüchern sind in den Gassen unterwegs.
Kaschan im zentralen Hochland
Mit Vollgas geht es weiter nach Kaschan. In der Stadt am Rand der Wüste haben jedoch wegen des Ramadans nur der luxuriöse Hamam des Sultans, die alte Moschee und das sehr gut erhaltene Anwesen eines reichen Kaufmannes geöffnet.
Auf dem Rückweg nach Isfahan lädt mich der Fahrer zum Dinner mit seiner Familie ein. Ich sage ihm, dass ich bereits eine Einladung habe. „Dann habe ich eine Überraschung für dich, bevor du morgen abreist. Ein Freund von mir ist Teppichhändler und er zeigt dir seine Teppiche.“ Dazu fällt mir nichts mehr ein.
Das letzte Dinner in Isfahan
Fünfzehn Minuten nach meiner Ankunft in Isfahan bin ich auf dem Weg zum Dinner. Meine Gastgeber haben den ganzen Abend gegrillt und gekocht. Zum Dessert gibt es etwas ganz Besonderes – Blüten in Gelee. Das riesige, auf dem Boden ausgebreitete Tischtuch ist viel zu klein für all die Leckereien.
Einer der Männer betet. Es ist jedem seine Entscheidung, praktizierender Muslim zu sein. Schwierigkeiten gibt es dann, wenn man eine Arbeit sucht oder an einer Universität aufgenommen werden möchte. „Lügen, du musst lügen, in der Öffentlichkeit als gläubiger Muslim auftreten, ein Doppelleben führen.“
Von dem im letzten Jahr gewählten Präsidenten Hassan Rohani erhoffen sich vor allem die Frauen eine Liberalisierung der strikten Verhaltensregeln, die Männer halten ihn dagegen für genauso reformunwillig und aggressiv wie seinen Vorgänger. „Die Trennung von Staat und Religion ist in diesem System nicht möglich“, sind sich alle einig.
Schiras: Stadt der Literatur
Am nächsten Tag geht die Reise weiter nach Schiras. Die Landschaft verändert sich. Inmitten von Trockenheit, Hitze und wasserlosen Flussbetten leuchten grün einige Reisfelder.
Am Busbahnhof in Schiras gibt es einen zentralen Taxistand. Dort wird vorab bezahlt. Dabei stelle ich fest, dass Taxi fahren im Iran auch preiswert sein kann.
Am Abend beginnt das bunte Treiben. Die Läden sind zwar größtenteils geschlossen, dafür bevölkern fliegende Händler die Gehwege. Polizisten sind auf Fahrrädern unterwegs, um das Treiben zu überwachen.
Meinen letzten Tag in Schiras nutze ich für eine Tour zur Nekropole Naqsch-e Rostam und zu den Ruinen der ehemaligen Residenzstädte Persepolis und Pasargadae, bummle über den Basar von Schiras, in dem sich Karawansereien, Badehäuser und prächtige Innenhöfe befinden und besuche die Medrese Khan, eine traditionelle theologische Hochschule.
An der Vakil-Moschee treffe ich einen Mann, der mir unbedingt die Stadt zeigen und dabei sein Englisch trainieren möchte. Er fragt mich nach den beiden berühmten iranischen Dichtern Hafis und Saadi aus, die in Schiras begraben sind. Ich muss passen, was er sehr bedauert. Dafür ist der Stadtbummel dann untermalt mit Versen der beiden Poeten.
Am Heiligtum für Shah Cheragh, einem Bruder Imam Rezas, wird er still. Ich nutze die Chance und frage ihn, ob er mir behilflich ist, in das Heiligtum zu gelangen. Nicht-Muslime dürfen zwar den Innenhof besichtigen, der Besuch des drittheiligsten Schreins im Iran ist nicht erlaubt.
„Das ist meine Frau. Sie ist das erste Mal im Iran und sie möchte zum Grab von Shah Cheragh“, erzählt mein Begleiter den Frauen am Eingang. Sie nicken freundlich und schon bin ich in der komplett mit Spiegelmosaiken ausgestatteten Halle mit dem Sarkophag.
Am nächsten Morgen verlasse ich die Stadt der ehrlichen Taxifahrer, um mit dem Bus nach Yazd zu fahren. Diesmal habe ich einen der schlechteren Plätze vorne im Zigarettenqualm des Fahrers erwischt. Außerdem liegen auf meinen Armlehnen die Füße der Frau, die hinter mir sitzt. Auf der LED-Anzeige im Bus läuft die Bitte, das Volk Mohammeds zu respektieren.
Yazd: Stadt der Windtürme
Es ist der erste Tag nach Ende des Ramadan, und da dieser ein Feiertag ist, sind abends so gut wie alle Läden geschlossen. Beim Bummel durch die überdachten Gassen der Altstadt von Yazd finde ich jedoch einen Bäcker und mache es mir an der Freitagsmoschee gemütlich.
Gemeinsam mit drei Reisenden geht es am nächsten Tag in das beeindruckende, langsam verfallene Lehmdorf Kharanagh. Auf dem Weg passieren wir ein sich durch die Wüste ziehendes Bewässerungssystem, das Quanat, das aus 2100 Brunnen besteht, die wie Mondkrater aussehen. Die in den Bergen liegende zarathustrische Pilgerstätte Chak Chak, die ihren Namen dem Wasser, welches ständig in die Höhle tropft – chak chak – verdankt, ist das nächste Ziel. Am Nachmittag erreichen wir dann Maybod, besichtigen die alte Festung aus Lehm, den Taubenturm und den Eisturm.
Am nächsten Tag erlaufe ich mir trotz der Hitze die Altstadt mit den Windtürmen und überdachten Gassen, die Freitagsmoschee mit den höchsten Minaretten im Iran und den Basar.
Müde vom langen Fußmarsch beschließe ich, für eine Pause in das Hotel zu gehen. Aus einem Durchgang ruft es „Hey.“ Ein Mann winkt mich heran und sagt auf Persisch „Wasser“. Ich zeige auf meine Wasserflasche. Er schüttelt den Kopf, geht zu einem Wasserhahn, probiert und bedeutet mir, dass ich ihm folgen soll. Wir laufen über die Straße und er verschwindet in einem Haus. Kurz darauf halte ich einen Becher mit eisgekühltem Zuckerwasser in der Hand. Ich bedanke mich und will gehen. „Du musst noch mehr trinken“ und schon ist der Becher nachgefüllt.
Am Stadtrand von Yazd stehen auf getrennten Hügeln zwei Schweigetürme, einer für Frauen und einer für Männer. Bis 1970 fand dort das zoroastrische Bestattungsritual statt: Die Leichen wurden in den Türmen beigesetzt und den Geiern überlassen. Waren nur noch die blanken Knochen übrig, wurden diese anschließend in einer Vertiefung in der Mitte des Turmes abgelegt.
Teheran und eine Wanderung im Elburs-Gebirge
Neun Stunden dauert die Fahrt durch die endlose Wüstenlandschaft nach Teheran. Am Busbahnhof werden mir sofort Hoteladresse und Rucksack von selbst ernannten Taxifahrern entrissen. Ich nehme meine Sachen und suche mir ein offizielles Taxi.
Um 22 Uhr bin ich endlich im Quartier. Am nächsten Tag soll die Gebirgstour durch das Elburs-Gebirge starten und Diyar, der Bergführer, hat schon mehrmals beunruhigt im Hotel angerufen. Wir telefonieren und verabreden uns zu 9 Uhr.
Am nächsten Morgen holt er mich mit einem Taxi ab. Wegen der hohen Luftverschmutzung dürfen nur Taxis und Autos mit einer Sondererlaubnis im Stadtzentrum fahren. Außerhalb des Zentrums steigen wir in einen Jeep um.
Die Fahrt durch die karge, trockene Bergwelt ist faszinierend. Mittendrin leuchten hier und da grüne Reis-und weiße Salzfelder. Bevor wir das Ziel Garmarud erreichen, legen wir für eine kleine Wanderung zur Festungsruine Alamut im gleichnamigen Ort eine Pause ein.
Nach der Ankunft in Garmarud bummele ich noch ein wenig durch das Dorf. Mein Name und die familiären Verhältnisse haben sich längst im Ort herumgesprochen. Bereits nach 200 Metern werde ich angesprochen und zu Tee und Gebäck eingeladen.
Zum Abendessen bin ich zurück bei der Gastfamilie. Da die Frauen in der Küche essen, sitze ich alleine mit den Männern vor der Tischdecke. Auch für den immer als Letztes servierten Tee kommt keine der Frauen aus der Küche heraus.
Die Nacht verlief nicht so gut. Ohne Matratze auf den Teppichen zu liegen, ist sehr unbequem und nur meine Arme schliefen immer wieder ein. Zum Frühstück wird die Tischdecke, in die das übrig gebliebene Brot vom Vorabend eingewickelt ist, ausgebreitet. So hart wie der Boden, so hart ist auch das Brot.
Bevor wir aufbrechen, erklärt mir Diyar, dass wir auf ein Auto warten. Ein Auto? Ich fürchte um meine Wanderung und werde misslaunig. Wir fahren jedoch nur bis zum Beginn des Wanderweges.
Anfangs liegen die Pfade noch im kühlen Schatten. Je höher wir kommen, desto heißer wird es. Kopftuch und Mantel verschwinden im Rucksack.
Ein paar Höhenmeter unter uns stehen bunte Farbtupfer in der rauen Bergwelt. Es sind Bienenstöcke und ich bin voller Hoffnung, etwas Honig kaufen zu können, aber ausgerechnet jetzt fällt mir das persische Wort für Honig nicht mehr ein. Mit Händen und Füßen versuche ich, meinen Wunsch zu beschreiben und bekomme Wasser angeboten.
In dem kleinen Dorf Pichbon stoppt Diyar einen der blauen Pick-ups, die gerne als Nahverkehrsmittel genutzt werden. Auf der Ladefläche ist viel Platz und der Fahrtwind kühlt angenehm. Erfrischt steigen wir an einer alten Karawanserei aus, legen eine Teepause ein und laufen steil bergab in den nächsten Ort.
Am frühen Nachmittag kommen wir am Ziel, einem winzigen Bergdorf an. Inmitten der Hütten befindet sich ein Ein-Raum-Haus: das Gästehaus. Diyar legt sich schlafen, ich starte zu einem Rundgang.
Nach ein paar Schritten werde ich in ein Haus eingeladen. Sofort stehen Melone, Gebäck, Reis und Käse vor mir. Schnell werden zwei junge Frauen geweckt, die etwas englisch sprechen. Immer mehr Leute kommen aus einem kleinen Nebenraum und tischen Berge von Essen auf. Eine der Frauen sagt: „Im Iran wird viel gegessen, stimmt’s? Eine Portion, zwei, drei Portionen.“ Lachen. Mit Nachdruck werde ich aufgefordert, Kopftuch und Mantel abzulegen: „Mach es symbolisch für uns.“ Das Kopftuch lege ich ab, unter dem Mantel trage ich jedoch eine durchsichtige Bluse und behalte ihn an.
Die Großfamilie ist nur im Sommer in den kühlen Bergen. Wir unterhalten uns über den Alltag der einzelnen Familien. Ich erfahre, dass die Oma fünf ihrer acht Kinder im Iran-Irak Krieg verloren hat.
Eine Frau betritt das Haus: „Du wirst gesucht.“ Draußen steht Diyar. Ein wenig setzt er sich zu den Großeltern des Hauses, unterhält sich und geht wieder. Wir bummeln derweil zum Schrein, einer weiß angestrichenen Rotunde, die über dem Dorf steht.
Auf dem Rückweg wollen die Frauen schnell noch Chips im Supermarkt kaufen. Der winzige Laden befindet sich in einem Wohnhaus, an dem gerade gebaut wird. Gegenüber steht der Hamam des Dorfes: ein riesiger Wassertank vor einem schlichten Flachbau.
„Komm zum Dinner zu uns“, wünschen sich die Frauen. Diyar, der gerade vorbeikommt, lehnt ab. „Dinner ist in einer anderen Familie.“
Der letzte Wandertag
Um 6.30 Uhr kräht ein Hahn direkt vor der Tür. Zum Frühstück bringt eine Dorfbewohnerin Fladenbrot und gesüßten Käse vorbei. Ich bekomme das Zeug nicht hinunter. Diyar bemerkt es und packt Datteln und Kekse aus.
Auf Eselspfaden schlängelt sich der Weg auf die andere Seite des Elburs-Gebirges. Dort wachsen Blumen, gibt es Wasser und grüne Berghänge. In einem Apfelgarten bekommen wir ein paar der knackigen Früchte geschenkt.
Als wir das Tal erreichen, macht sich Diyar auf die Suche nach einem Auto, das nach Tonekabon fährt. Derweil kommt aus den Bergen eine Wandergruppe von zwölf Iranern. Sie warten auf ihren Pick-up. „Kommt mit“, laden sie uns ein. Kurz darauf ist das Auto da. Die Männertruppe klettert auf die Ladefläche, ich muss vorne einsteigen.
Am Busbahnhof von Tonekabon enden die Autofahrt und auch mein Ausflug in die Berge. Allerdings sind die Fahrkarten für die Busse nach Teheran ausverkauft. Jedoch erwische ich noch ein Ticket für ein Sammeltaxi. Bis zur Abfahrt unterhalte ich mich mit einem Lehrer. Er versichert sich, dass ich über das Gesprochene nur mit Freunden in Deutschland reden werde. „Ich wünschte, wir würden in einem progressiven Land leben“, flüstert er leise.