Wer etwas durcheinander bringt, muss wissen, wie er wieder Ordnung schafft.
(Sprichwort der Temne aus Sierra-Leone)
Guinea – Liberia – Sierra-Leone: Kenema – Freetown
Natürlich gibt es auch an der Grenze zu Sierra Leone einige Büros zu besuchen: Die Preise steigen, die Wartezeit auch.
Die Polizisten werden gesprächig. Auf die Frage, ob sie lieber in Liberia leben würden, ist eine abwertende Handbewegung die Antwort: „Zu viel UN-Präsenz, Guinea wäre gut.“
Drei Stunden später fahren wir auf der Nationalstraße, einer Lehmpiste mit achterbahnartigen Bodenwellen und tiefen Löchern weiter.
Die nächste Polizeikontrolle lässt nicht lange auf sich warten. Ein übellaunig blickender Polizist kontrolliert die Pässe und gibt die Piste für eine gebührenfreie Weiterfahrt frei.
Zimni, eine größere Stadt, ist nur wenige Kilometer entfernt. Natürlich gibt es auch hier eine Passkontrolle. Drei Büros gehören zur Polizeistation. Zeit, um auszusteigen. Am Gebäude klebt ein Plakat, das über den Ebolavirus aufklärt. Das Erste und Einzige auf der Reise, dass ich trotz aktueller Ebolaepidemie zu sehen bekomme.
Die Architektur in den Dörfern verändert sich. Mit Lehm ausgefüllte Bambusgerüste bilden die Wände der Häuser. Bänke aus Bambus stehen davor.
Die Straße schlängelt sich durch den Gola-Nationalpark. In einem Dorf laden zwei Bänke im Schatten eines Mangobaumes zu einem Picknick ein. Zuerst muss jedoch der Dorfälteste um Zustimmung gefragt werden. Er bejaht. Brot und Ölsardinen werden ausgepackt und unter der Beobachtung von vier paar Augen verspeist.
Im Dorf ist es sehr ruhig. Die Männer sind auf dem Feld, die Kinder begleiten uns mit Begeisterung und wollen Fotos sehen. Vor einem Haus sitzen junge Frauen mit ihren Kleinkindern. Zwei der Kleinen fangen an zu weinen. Sie haben Angst.
An einem der folgenden Kontrollpunkte gibt es einen kreativen Polizisten. Er verlangt Geld, weil wir nicht angeschnallt sind. Unterdessen saust ein Motorrad, auf dem vier Leute sitzen und ein Pkw mit sechs Leuten auf der Rückbank an ihm vorbei. Wir reisen weiter, ohne zu zahlen.
Kenema: Zentrum des Diamantenabbaus
Kenema, eines der Zentren für den Diamantenabbau, erreichen wir am späten Nachmittag. Müde von der Fahrt unternehmen wir nichts mehr.
Am nächsten Tag besuchen wir eine Diamantenmine. Mitten durchs Grün zieht sich ein langer schlammiger Streifen. Männer stehen in den Wassertümpeln, graben und sieben. Auf den trockenen Stellen balancierend laufen wir durch die Mine. Ein Foto, ein Schritt zur Seite – knietief stecke ich im Matsch. Boureima zieht mich heraus, meine Flip-Flops bleiben stecken. Einer ist noch greifbar. Ein Minenarbeiter buddelt nach dem anderen Schuh. Das Loch wird immer tiefer – kein Schuh. Er tastet sich durch den Matsch, findet ihn, spült die Schuhe ab und bringt mir einen Eimer Wasser zum Waschen.
Auf der anderen Straßenseite befindet sich eine weitere Mine. Sie ist schon älter und es wird nur noch an einer Stelle geschürft. Wir erfahren, dass die Minenarbeiter einen Lohn erhalten, auch wenn sie nichts finden. Das Minengelände ist, wenn es wieder verlassen wird, landwirtschaftlich nutzbar, da keine Chemikalien zum Einsatz kommen.
Am späten Vormittag sind wir zurück in Kenema. Was tun? Wir besuchen einen der vielen Diamantenhändler, die hier ihre Büros haben: Vier Männer sitzen im Schatten eines Baumes. Wir fragen nach dem aktuellen Goldpreis. Alle vier stehen sofort auf und durch eine Tresortür betreten wir das Büro. Einer fragt, ob ich Diamanten mag. Im selben Augenblick liegt schon ein kleiner Edelstein in meiner Hand und die Verhandlungen über den Preis beginnen. Schnell bemerken die Händler jedoch, dass wir nur mal schauen wollen. Gemeinsam lachend verabschieden wir uns.
Am Stadtrand gibt es einen kleinen Gemüsemarkt. Die Atmosphäre ist hier eine andere als in der City. Misstrauisch werden wir gemustert. Erst als ich einen großen Keks erwerbe, lockert die Stimmung auf.
In einem Laden möchte ich drei kleine Tüten Wasser kaufen. Der Preis, den der Verkäufer nennt, ist erstaunlich hoch. Ich bin jedoch so durstig, dass ich ihn akzeptiere. Daraufhin drückt er mir ein Paket mit 20 kleinen Tüten Wasser darin in die Hand.
Pünktlich zum Beginn des Spieles Bayern gegen Arsenal sitzen wir zum Abendessen in einer Halle, in der mehrere Fernseher laufen. Es ist rappelvoll, die Stimmung großartig. Bayern genießt eindeutig nicht die Sympathien der Zuschauer. Bei einer Schiedsrichterfehlentscheidung zugunsten von Arsenal heben jedoch alle den Zeigefinger, schütteln die Köpfe und sagen „No, No.“
Auf dem Weg nach Freetown
Die letzte Etappe. Noch bevor wir Kenema verlassen können, müssen wir vor einer Polizeistation anhalten und aussteigen. Wie so oft sind die Autopapiere angeblich nicht vollständig. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Kontrollen sind Ton und Gangart härter. Boureima sagt gleich, dass er kein Geld habe. Diesmal hilft das nicht. 20 Minuten lang wird hart diskutiert und dann gezahlt.
In Bo, der alten Hauptstadt von Sierra Leone, legen wir eine kurze Pause ein. Vor der Stadt haben Chinesen ein Fußballstadion gebaut, das kurz vor der Eröffnung steht. Niemand weiß, wer darin spielen soll.
Auf dem Markt in Bo kaufen wir Kolanüsse. Die Nüsse haben eine besondere kulturelle Bedeutung: Die Eltern eines Mannes gehen mit drei Nüssen zu den Eltern seiner Angebeteten. Werden die Nüsse von den Eltern angenommen, wird es eine Hochzeit geben. Ein bis zwei Monate später kaufen die Eltern mehrere Kilogramm Nüsse und verteilen sie im Dorf oder Stadtviertel. Dann weiß jeder, dass die beiden ein Paar sind.
Ich probiere eine Nuss. Sie schmeckt bitter und die ihr nachgesagte Wirkung des Wachhaltens will sich auch nicht einstellen.
In einer kleinen Stadt halten wir vor einer Straßenküche. Noch bevor wir aussteigen können, steht ein Polizist neben dem Auto. Gerne würde er die Papiere kontrollieren. Boureima reagiert ungehalten: „Wir wollen hier nur essen.“ Er geht.
Es ist der letzte Versuch eines Polizisten, zu Geld zu kommen. Bis Freetown werden wir an keiner Polizeikontrolle mehr angehalten.
Strandweise nähern wir uns Freetown. In Tokeh legen wir die erste Strandpause ein, baden im überraschend warmen Atlantik und vertreiben uns die Zeit mit den Kindern der Fischer. Am River No. 2 ist der nächste Strandstopp. Ein belebter und beliebter Ort mit Verkaufsständen, Liegestühlen und Bar, an dem Eintritt gezahlt werden muss.
Das Tacugama-Schimpansenprojekt
Der letzte Urlaubstag beginnt. Den Vormittag verbringen wir außerhalb von Freetown im Tacugama-Schimpansenprojekt für Waisen und gerettete Tiere. Gebetsmühlenartig trägt der unvermeidliche Guide einen Text vor, der wortgetreu auf jedem Schild steht. Ein Schimpanse zielt mit einem Batzen Sand auf eine Touristin und verfehlt sie nur knapp.
Danach läuft uns im Stau nach Freetown die Zeit davon. Nach einem Abstecher zum Hafen, um Tickets für die Fähre Richtung Flughafen zu kaufen, wollen wir eigentlich die Stadt besichtigen.
Am Hafen erfahren wir, dass die nächste Fähre eine halbe Stunde vor unserem Abflug abgehen soll. Zu spät. Boureima kümmert sich um ein Boot und wir müssen sofort einsteigen. 100 USD soll die kurze Überfahrt in dem kleinen Kajütboot kosten. Als es ablegt, steigt schnell noch ein Mann ein. Das ist nicht abgemacht, diskutieren zwecklos.
Am anderen Ufer greifen sofort Hände nach unserem Gepäck und tragen es zum drei Meter entfernt stehenden Taxi. Nach dem Aushandeln eines Preises und dessen Zahlung wird es in den Kofferraum gelegt.
Währenddessen laufen lautstark die Verhandlungen mit dem Taxifahrer über den Preis für eine Fahrt zum Flughafen.
Der Preis steht fest. Jedoch nur einen Kilometer weit. Der Fahrer dreht sich um und verlangt mehr Geld. Wieder wird laut und heftig diskutiert.
Vor dem Flughafengelände steigen wir aus dem Auto aus, durchqueren eine Kontrolle und steigen für zehn Meter Fahrt wieder ein. Dann geht alles ganz schnell. Wir verabschieden uns kurz, bekommen die Bordkarten in die Hand und den Ausreisestempel in den Pass gedrückt und sitzen auch schon im Warteraum.