Bergkarabach

Die international nicht anerkannte Republik Bergkarabach ist ein 4.400 Quadratkilometer großer Zankapfel zwischen Aserbaidschan und Armenien. Unter Stalins Herrschaft wurde die Region der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik als autonomes Gebiet zugeteilt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärte die armenische Bevölkerungsmehrheit 1991 die „Republik Bergkarabach“ für unabhängig von Aserbaidschan. Die Folge war ein Bürgerkrieg, in dem bis zu 25.000 Menschen starben und eine Million vertrieben wurden. 1994 beendete ein Waffenstillstandsabkommen den Krieg, jedoch dauert der Bergkarabachkonflikt noch immer an.

Nachtrag: Im September 2023 hat Aserbaidschan durch eine Blitzoffensive die Kontrolle über Bergkarabach gewonnen. Daraufhin kündigte die Regierung der armenischen Enklave ihre Auflösung zum 1. Januar 2024 an.

Kloster Dadivank

Grenzlinien und Waffenstillstandslinien laufen kreuz und quer auf unserer Straßenkarte. Unmöglich sich daran zu orientieren. Wir folgen einem Hinweis zum Kloster Dadivank. Die Piste dorthin ist wegen ihrer vielen Schlaglöcher eine Herausforderung, jedoch ist die außergewöhnliche Lage des Klosters am Rand einer Schlucht die Mühe wert.

Sodk Pass in Bergkarabach
Sodk Pass
Kloster Dadivank in Armenien
Kloster Dadivank

An einem Tisch sitzen Schüler und Lehrer beim Picknick zusammen. Als wir den Klosterkomplex verlassen, laden sie uns ein. Vorher muss jedoch eine Runde Volleyball gespielt werden. Marc befördert den Ball mit einem kräftigen Schlag den Hang hinab und schon sitzen wir an der Tafel und werden bewirtet. Gegrilltes und Süßes landen auf unseren Tellern. Aus einer Mineralwasserflasche wird eingegossen. Wir nehmen einen tiefen Schluck aus den halb gefüllten Bechern. Brennen im Hals. Statt Wasser wurde uns ein Wässerchen (russisch Wodka) eingeschenkt. Zum Nachspülen gibt es Brause, die in Farbe und Süße an Gummibären erinnert. Der restliche Wodka fliegt ins Gebüsch und armenischer Weinbrand wird nachgeschenkt.

„Kennt ihr den Fußballer Henrikh Mkhitaryan?“, werden wir gefragt. Als wir bejahen, – er spielte bis 2016 bei Borussia Dortmund, – ist die Begeisterung groß. Zum Abschied erhalten wir noch eine Provianttüte mit Obst und Schokoriegeln.

In Armenien liegt die Grenze für Alkohol am Steuer bei 0,0 Promille. Bisher gab es nie Straßenverkehrskontrollen und wir hoffen, dass es auch weiterhin keine geben wird.

Nach wenigen Kilometern Fahrt steht ein Streifenwagen an einer Kreuzung. Polizisten winken Autofahrer aus dem fließenden Verkehr. Ausgerechnet jetzt, wo wir versehentlich Wodka getrunken haben! Als sie erkennen, dass wir einen Mietwagen fahren, dürfen wir ungehindert passieren. Ohne Zwischenfälle erreichen wir Stepanakert, die Hauptstadt Bergkarabachs.

Stepanakert

Der erste Weg am Morgen führt uns zum Auswärtigen Amt, um Visum und Reisegenehmigung zu erhalten. Die Formalitäten sind schnell erledigt, ein sehenswertes Visum ziert die Pässe. Erlaubt ist uns die Reise in die Umgebung von Vank, Tigranakart und Shusha. Die Zustimmung für eine Fahrt zum Kloster Dadiwank benötigen wir nicht mehr, da wir bereits dort waren und für die Besichtigung weiterer Orte in Bergkarabach gibt es keine Genehmigung.

Wäsche flattert im Wind an einem Hochhaus in Stepanakert
Tatik und Papik in Bergkarabach
Tatik und Papik: „Wir sind unsere Berge“, repräsentiert die armenischen Wurzeln von Bergkarabach.

Marc geht es nicht gut. Wir müssen zurück ins Hotel. Es wird nicht besser und wir lassen einen Arzt rufen. Zehn Minuten später parkt ein militärgrüner UAZ-Bus vor dem Hotel. Zwei burschikose Frauen fordern uns auf, mit ins Krankenhaus zu kommen.

Das Untersuchungszimmer ist sehr spartanisch eingerichtet. Ein Fieberthermometer, ein Blutdruckmessgerät und ein Infusionsständer scheinen die einzigen medizinischen Gerätschaften im Krankenhaus zu sein. Niemand spricht englisch. Ein Bett wird bezogen, eine Heizspirale besorgt und eingeschaltet. Die Heizkörper im Zimmer funktionieren längst nicht mehr. Eine Ärztin, die englisch spricht, betritt den Raum. Als sie meinen Blick über die zerlöcherte Bettwäsche und die maroden Betten schweifen sieht, versichert sie, dass alles sauber sei.

Marc soll über Nacht bleiben. Wir protestieren und bekommen kurz darauf mitgeteilt, dass ihn ein Ambulanzfahrzeug in ein besseres Krankenhaus bringen wird. Tatsächlich steht kurz darauf ein medizinisch ausgerüsteter Krankenwagen vor der Tür und bringt ihn in eine moderne, gut ausgestatte Klinik.

Englisch spricht aber auch hier niemand. Erst als eine Angestellte ihre Tochter anruft, kommt es zu einer Verständigung. Nach einer Stunde Behandlung ist Marc wieder fit für die Rückkehr ins Hotel. Dort werden wir freudig begrüßt und erhalten einen Rabatt auf die verbrachten Nächte.

Geisterstadt Agdam

Bevor wir nach Vank weiter fahren, wollen wir noch einen Abstecher in das 26 Kilometer von Stepanakert entfernte Agdam unternehmen.

Agdam ist eine zerstörte Stadt direkt an der Frontlinie zu Aserbaidshan. Damit wir nicht so auffallen, stellen wir den Lada in einer Seitenstraße ab und suchen ein altes unauffälliges Taxi. Ausgerechnet heute stehen nur neue westliche Wagen hintereinander aufgereiht an der Straße. Nach etwas Suchen finden wir eines, das etwas abseits steht.

„Wir wollen nach Agdam.“ Der Fahrer zögert kurz: „Dorthin zu fahren ist verboten.“ Das Geschäft will er sich aber nicht entgehen lassen und verlangt sogar einen Preis, der niedriger als erwartet ist.

Unweit von Stepanakert entfernt zweigt von der Hauptstraße eine unbefestigte Piste ab. Die ersten Ruinen von Agdam, in dem einst über 40.000 Menschen lebten, tauchen auf. Dazwischen liegen kleine bewirtschaftete Flächen, ein paar einsame Kühe und Schafe grasen zwischen den Trümmern.

Der Fahrer hält. Fragend sieht er uns an: „Weiterfahren?“ Wir nicken. Mein Handy wechselt ins aserbaidschanische Netz. Die Minarette der Moschee, dem einzigen nicht zerstörten Gebäude, schimmern hell unter dem grauen Himmel. Sie ist unser Ziel. Der Fahrer hält an einer Kreuzung: „Weiter fahre ich nicht. Dort hinten ist das Militär. Geht zu Fuß, ich warte hier.“

Agdam in Bergkarabach
Autowrack vor Häuserruinen in Agdam
Ein Mann reitet auf die Moschee zu

Eine Straße führt direkt zur Moschee. Ruhe und Ruinen umgeben uns. Bewirtschaftete Flächen und weidende Tiere gibt es hier nicht. Plötzlich durchbrechen polternde Geräusche die Stille. Ausgerechnet vor der Moschee beladen Armeeangehörige einen Lkw mit Steinen. Ärgerlich. Kurz zögern wir, gehen dann aber doch zum Auto zurück. 

Wieder in Stepanakert besuchen wir noch das in einem Wohnhaus untergebrachte Museum für die Gefallenen und schlendern am Parlament vorbei zu Tatik und Papik, zwei Figuren aus massiven rötlichen Steinquadern, die das Wahrzeichen von Bergkarabach sind.

Vank und das Kloster Gandzasar

Nach dem Stadtbummel fahren wir weiter nach Vank. Unser Hotel finden wir ohne Hilfe des Navis. Groß, bunt und etwas kitschig erhebt sich das Gebäude in Form eines Schiffes am Fluss. Über dem Dorf thront das Kloster Gandzasar, welches wie kein anderes Kloster die jahrhundertealte Präsenz der Armenier in Bergkarabach symbolisiert.

Das Kloster Gandzasar ist bekannt für seine bemerkenswerten geschnitzten Fresken und Sitz des Erzbischofs der Diözese Arzach, die traditionelle Bezeichnung der armenisch-apostolischen Kirche für Bergkarabach. Nach seiner Besichtigung stellen wir fest, dass wir klostermüde werden. Unser Interesse gilt eher dem Zoo von Vank.

Vor den Tiergehegen stehen Männer mit einem frisch geschlachteten Schaf. Sie winken uns heran. Schnaps und ein Stück Fettiges werden uns gereicht. Ich würge es herunter und bin ganz froh, dass es Wodka zum Nachspülen gibt.

Die Tiere scheinen zu einer Privatsammlung zu gehören. Ein Löwenpaar, vier Bären, drei Wölfe, ein Luchs, ein Schakal und zwei Mufflons bewohnen die eng beieinanderstehenden Käfige. Der Luchs faucht angriffslustig, die Bären reiben sich am Gitter, gerade so, als wollten sie gestreichelt werden, die Löwin knurrt, als wir ihr zu nahe kommen. Dennoch sind wir erstaunt, wie gepflegt die Tiere aussehen.

Übers Land

Wegen einer Geburtstagsparty am Vorabend gibt es im Hotel kein Frühstück. Ohne Guten-Morgen-Getränk fahren wir los, kommen jedoch schneller als gedacht zu einer Morgenmahlzeit: In einem kleinen Lebensmittelgeschäft an einer Kreuzung im Nichts stellen wir uns ein Wunschessen zusammen. Die Verkäuferin kocht und serviert anschließend das Essen in einem Raum, in den gerade so ein Tisch und sechs Stühle hineinpassen.

Munter geworden von Tee und Kaffee fahren wir auf der leidlich befestigten Straße weiter. Wenige Kilometer später wird die Hauptstraße zu einem unbefestigten Waldweg, der mit tiefen Schlaglöchern übersät ist, die mit dem Regenwasser der vergangenen Nacht gut gefüllt sind. Hat das Navi sich geirrt?

Über die Dörfer
Mahnmal

Nach einer Fahrt durch die abgeschiedene Landschaft sind wir froh, als es endlich wieder Gegenverkehr gibt. Ein Minibus rumpelt vorbei, Schulkinder mit ihren Müttern und Großmüttern kommen uns entgegen.

Wir erreichen eine befestigte Fahrbahn. Häuserruinen säumen die Straße. Auf einer schmalen Piste gelangen wir zur Kirche Vankasar. Ein Geschützstand vor dem Kirchlein und der weite Blick ins Land und über zerschossene Häuser hinweg erinnern an den schwelenden Konflikt.

Kirche Vankasar in Bergkarabach
Kirche Vankasar
Häuserruinen erinnern an den Konflikt mit Aserbaidshan

An der aufwendig rekonstruierten Festung Tigranakert aus dem 17. Jahrhundert halten wir als Nächstes. Als einzige Gäste bekommen wir eine exklusive Führung über das Gelände.

Agdam – der zweite Versuch

Wir erreichen den Abzweig nach Agdam. Den Besuch der Moschee, den wir wegen der Militärpräsenz abgebrochen haben, wollen wir nachholen. Unbehelligt fahren wir an einigen Soldaten vorbei. Kinderrufe sind zu hören. Zwischen den Ruinen sind vereinzelt Häuser so weit instand gesetzt worden, dass sie bewohnbar sind.

Das Auto parken wir in der Nähe zur Moschee. Der Eingang zu einem der Minarette ist offen. Oben wird das eigentliche Ausmaß der Zerstörung deutlich. Die Kamera hinter den Rücken von Marc haltend, mache ich ein paar Fotos mit dem Teleobjektiv. Derweil verfolgen armenische Soldaten unser Treiben von einem Wachturm aus.

Agdam in Bergkarabach
Moschee von Agdam
Blick von der Moschee über Agdam
Blick von der Moschee über Agdam

Ungehindert fahren wir nach Stepanakert weiter, besuchen noch das Staatsmuseum und fahren ins zehn Kilometer entfernte Shusha.

Umkämpftes Shusha

Je höher wir kommen, desto dichter wird der Nebel. In Shusha liegt die Sicht unter fünf Metern, das anvisierte Hotel hat geschlossen, ein weiteres ebenfalls. Laut Reiseführer gibt es noch eine Unterkunft mit mittelmäßigen Bewertungen, die das Navi aber nicht findet. Wir beschließen, zurück nach Stepanakert zu fahren.

Plötzlich taucht das mittelmäßige Hotel vor uns aus dem Nebel auf. Drinnen brennt Licht. Das lässt darauf hoffen, dass es geöffnet ist. Wir lassen uns ein Zimmer zeigen. Die Einrichtung hat schon bessere Zeiten gesehen, aber es ist warm und sauber und an der Rezeption wird englisch gesprochen. Nur das dazu gehörige Restaurant hat aus Mangel an Gästen geschlossen. Uns wird geraten, für ein gutes Essen ins Restaurant Omik zu gehen.

Das Omik ist ein kahler Raum, in dem drei alte Tische stehen. Ein Zettel in armenischer Schrift klebt an der Wand. Wir entdecken die Tür zum Innenhof. Dort lodert einladend ein Feuer in einem Holzofen.

Nach einem „Hallo“ öffnet sich die Tür eines der umstehenden Gebäude. Eine ältere Frau winkt uns in einen Raum mit Tisch, acht Stühlen und Bibel auf einem Regalbrett. Damit wir nicht frieren, schaltet sie den Heizlüfter an.

Mit den Händen gestikulierend bestellen wir ein Gericht vom Grill. Obwohl das Essen ausgezeichnet schmeckt und die Heizung auf vollen Touren läuft, bleiben wir wegen der alles durchdringenden Kälte nicht lange.

Über Nacht ist der Nebel noch dichter geworden. Unsere geplanten Wanderausflüge müssen wir streichen. Aber da das Hotel Matratzen hat, auf denen es sich sehr gut schlafen lässt, warmes Wasser und eine funktionierende Heizung, können wir den Tag auch so genießen.

Gazanchi-Kirche in Schuscha
Stadtansicht
Ofenrohre hängen zum Fenster raus
Alt und Neu

Nachmittags lichtet sich der Nebel, sodass sich ein Stadtbummel lohnt. Shusha wurde bereits im Sommer 1992 durch armenische Truppen eingenommen. Die Kriegsfolgen sind noch immer zu sehen: Ruinen, unbenutzbare Moscheen, verfallene Plattenbauten, die unbewohnbar aussehen, aus deren Fenstern jedoch Ofenrohre ragen, aus denen Rauch quillt. Dazwischen stehen neu gebaute Wohnblöcke. Baukräne überragen die Häuser. Ein Bauarbeiter spricht mich auf Deutsch an. „Deutschland? Gutes Land. Bist du in dem Hotel da vorne?“ Ich nicke. „Guter Platz. Dort gibt es Duschen, stimmt‘s?“

Am nächsten Morgen hat sich der Nebel vollständig verzogen. Vom Hotelfenster haben wir einen ungeahnt tollen Blick auf schneebedeckte Gipfel. Die Zeit, die wir für Bergkarabach haben, ist jedoch vorbei und wir kehren zurück nach Armenien.

Serpentinen über Serpentinen. Eine Baustelle zieht sich über drei Kurven, einspurig, ohne Signalgeber. Nach der gesammelten Erfahrung der letzten zwei Wochen ist das allerdings kein Hindernis mehr für uns.

Am Grenzübergang müssen wir die Reisegenehmigung abgeben. Der Beamte wirft einen kurzen Blick darauf, dann dürfen wir weiter reisen.

 Zurück nach Armenien

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