Jede dunkle Nacht hat ein helles Ende.
(Aus dem Iran)
Tabris – Kandovan – Hamadan – Khorramabad – Isfahan (Nomaden – Abyaneh – Kaschan) Schiras – Yazd – Teheran – Elburs-Gebirge – Teheran – Maschhad –Teheran – Zugfahrt nach Sari – Ebrahimsara (Fuman, Masuleh)
Der Grenzübergang zwischen Ostanatolien und dem Iran sieht von Weitem wie eine Mautstation aus. Der Bus hält davor. Ich folge den Mitfahrern bis zu einem Gebäude mit dem Schild Supermarkt. Verdutzt bleibe ich stehen und blicke mich um. Zu sehen sind jedoch keine weiteren Gebäude, in denen Ausreiseschalter sein könnten.
Tatsächlich gibt es im Supermarkt den gesuchten Schalter. Ich erhalte meinen Ausreisestempel. Ein paar Meter weiter, unter dem Schild Iran, binde ich mir meinen Schal um den Kopf und ziehe den Mantel über.
Am Einreiseschalter stehen fünf Leute, zwei unterhalten sich und ich verstehe Tabris – mein Tagesziel. „Ihr wollt nach Tabris?“ Die zwei nicken. „Willst du mit uns kommen?“ Ich sage „Ja“ und nachdem ich völlig unkompliziert meinen Einreisestempel erhalten habe, reisen wir zu dritt weiter.
Auf iranischer Seite warten bereits die Geldwechsler. Ihre Wunschreihenfolge für Fremdwährungen ist Lira, Dollar, Euro. Um bis Tabris zu kommen, tausche ich etwas Geld zu einem viel zu niedrigen Kurs. Meine Begleiter, ein Iraner und ein Afghane, sind bereits auf der Suche nach einem Auto.
Ein Taxi bringt uns nach Bazargan, ein weiteres nach Maku. In Bazargan gibt es heftigen Streit um den Fahrpreis. Die Rucksäcke, die bereits in einem Taxi liegen, fliegen auf die Straße. Sofort steht ein anderer Fahrer bereit und bringt uns zu einem akzeptablen Fahrpreis nach Maku. Dort müssen wir zwei Stunden auf den Bus nach Tabris warten. Als ich eine Fahrkarte kaufen will, wehrt der Iraner ab: „Du bist Gast in meinem Land.“
In Tabris besteht er darauf, mich zum Hotel zu bringen. Nach den Tagen in Ostanatolien bin ich überrascht von der Stadt: Kein Tschador ist zu sehen, die Straßen sind auch zur Gebetszeit bevölkert, einen Muezzin höre ich nicht rufen.
In den Bergen bei Tabris
Für den kommenden Tag habe ich mir einen Ausflug in Richtung Norden organisiert. Die Tagestour beginnt mit der Fahrt zur Burg Babak, einer Festungsruine, die auf einer Bergspitze steht. Für den Aufstieg sind zwei Stunden eingeplant, für den Abstieg eine Stunde. Bei der Hitze und auf den steilen Ziegenpfaden und Treppen benötige ich jedoch mehr als vier Stunden.
Viel zu spät bin ich zurück am Auto. „Du wolltest noch zum Kloster Sankt Stephanos“, der Fahrer rast mit dem Auto auf drei Spuren gleichzeitig die Straße am Fluss Aras entlang. Auf der anderen Flussseite liegen Armenien und Aserbaidschan. Die Wachtürme, die auf beiden Seiten des Flusses stehen, sind nicht besetzt. Nur die Grenzen zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie Iran und Aserbaidschan werden bewacht.
Die gebirgige Uferlandschaft des Flusses ist faszinierend. Kurz vor dem Kloster, einer armenischen Kirche, die in den Bergen steht, taucht ein Grenzposten auf. Der Fahrer zeigt mir, dass ich das Kopftuch umbinden soll. Nach dem Grenzposten sagt er nur „finish“, das Tuch liegt wieder auf den Schultern.
Abstecher nach Kandovan
Vor der Weiterfahrt nach Hamadan mache ich noch einen Abstecher in das Höhlendorf Kandovan. Es ist früh am Morgen und für die Bewohner beginnt der Tag gerade. Die Tiere werden aus den Ställen, die unterhalb der Höhlenwohnungen liegen, getrieben; die Läden sind jedoch noch geschlossen und so kann ich ungestört über steile Treppen und Wege durch das Dorf bummeln.
Mit dem Bus reisen braucht Übung
Für die Fahrt nach Hamadan wird mir geraten, mit dem Bus nach Zanjan zu fahren, um dort in einen Bus nach Hamadan umzusteigen.
Obwohl die Fenster geöffnet sind, ist es stickig im Bus. Die Außentemperaturanzeige steigt kontinuierlich. Bei 39 Grad Celsius werde ich an einer Mautstation abgesetzt. Meine erste Lektion in Sachen Busreise im Iran: Busse fahren nur an den Endstationen den Busbahnhof an. Zwischendurch halten sie an den Mautstationen außerhalb der Ortschaften. Dort steigt man um, oder fährt mit einem der Taxis, die dort warten, in den Ort.
Ich nehme ein Taxi, um mich zum Busbahnhof bringen zu lassen. Der Fahrer fragt immer wieder, in welches Hotel ich möchte. Mir fällt ein, dass Türkisch und Farsi Ähnlichkeit miteinander haben sollen. Tatsächlich, als ich auf Türkisch das Wort Busbahnhof sage, versteht er mich. Von dort fährt jedoch kein Bus nach Hamadan. Mir wird geraten, bis Korestan zu fahren und dort umzusteigen. Sicherheitshalber wird bei einem Busfahrer nachgefragt. Der schüttelt den Kopf: „Fahr in Richtung Teheran bis Qazvin und wechsel dort den Bus“, rät er.
Kurz darauf sitze ich im Bus Richtung Teheran. An der Mautstation in Qazvin werde ich abgesetzt. Der Fahrer zeigt auf die andere Straßenseite: „Von dort fährt der Bus nach Hamadan.“ Sechs viel befahrene Fahrspuren liegen dazwischen.
An jeder Mautstation steht als Mahnmal ein Auto mit Totalschaden: Iran hat weltweit die meisten Verkehrstoten. Ich komme lebend auf der anderen Straßenseite an.
Nach einer halben Stunde sind wir schon fünf, die auf den Bus nach Hamadan warten. Dann muss er ja bald kommen, denke ich. Ein Bus nach dem anderen hält; nach Hamadan fährt keiner. Drei Stunden später kommt endlich ein Bus, der an Hamadan vorbei fährt.
Imbisspause. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Ein junger Mann spricht mich an: „Woher kommst du? Wohin fährst du? Hast du keine Angst, alleine zu reisen? Warum fliegst du nicht lieber? Die Straßen sind gefährlich. Wir werden erst mitten in der Nacht ankommen.“ Wir reden eine Weile. Er ist Ingenieur und verdient gut, jedoch zu wenig, um in das Ausland zu gehen. Wir unterhalten uns über die ökonomischen Probleme des Landes. „An der Spitze im Iran stehen Leute ohne Bildung, deshalb geht es uns nicht gut.“ Als ich ihm seine Frage beantworte, wie lange man in Deutschland arbeiten muss, um Rente zu bekommen, ist die Antwort: „Dann ist man im Iran schon gestorben. Wir müssen bei leichter Tätigkeit 25 Jahre arbeiten, bei schwerer Arbeit 20 Jahre. Dann erhalten wir 70 Prozent Rente.“
Hamadan: Irans älteste Stadt
Obwohl erst spät in der Nacht angekommen, zieht es mich am frühen Vormittag in die Ali-Sadr-Höhle, der weltweit größten Wasserhöhle in der Nähe von Hamadan. Auf dem Stadtplan ist der Minibus-Haltepunkt für die Abfahrten zur Höhle fußläufig zum Hotel eingezeichnet. Ich mache mich auf den Weg.
Der Stadtplan muss wohl älteren Datums sein, der Haltepunkt ist jedenfalls nicht dort, wo er eingezeichnet ist. Zum wiederholten Mal frage ich bei einem Passanten nach. Wie alle anderen Gefragten zuvor weiß er angeblich nicht, wo der Haltepunkt ist, wenn ich mich aber von ihm fahren lasse, würde er den Weg finden. „Gib mir 10.000 Rial (2 Euro).“ Bei der Hitze habe ich keine Lust mehr zu laufen und steige in sein Auto ein. Der Typ fährt eine Schleife und hält auf der anderen Straßenseite. Obwohl es mich ärgert, gebe ich ihm die 10.000 Rial.
Der gesuchte Minibus fährt gerade ab. Der Typ aus dem Auto stoppt ihn. Außer zwei Frauen sitzen nur Männer darin. Überrascht schauen sie auf mich. Ein Platz zwischen den Männern auf der Rückbank ist noch frei. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, setze ich mich auf den Hocker im Gang. Sofort springen zwei Männer auf und bieten mir ihren Platz an.
An der Endhaltestelle winkt ein junger Mann, der in dieselbe Richtung will, ein Auto heran. Wir steigen ein, und ehe ich nachdenken kann, habe ich seinen Anteil an den Fahrtkosten mit bezahlt. Er bietet mir Datteln an und gibt mir zu verstehen, dass ich mein Gepäck immer schön festhalten soll. „Im Iran wird man schnell betrogen.“
Ali-Sadr-Höhle und die erste Einladung
Hunderte von Sitzen für Wartende – allesamt leer – ziehen sich in der Ali-Sadr-Höhle den Gang zum Anleger entlang. An der Anlegestelle sitzen zwei Familien. Wir werden auf drei Boote verteilt. Von einem Tretboot gezogen, beginnt die Fahrt durch das Höhlensystem. Der Kontakt zu einer der Familien ist schnell hergestellt. Ihre Begeisterung von dem Höhlensystem ist ansteckend. Stellenweise erinnert die Höhlendecke an Adlerkrallen, später an Blumenkohl, Steine an der Wand bilden ein Krokodil, grenzenlos kann die Fantasie schweifen. Über Pontons laufen wir zu einem riesigen Stalagmiten. Wegen seiner phallischen Form macht außer mir keiner ein Foto von ihm.
Für den Rückweg nach Hamadan suche ich nach einem Taxi. Eine Familie aus dem Boot kommt auf mich zu und spricht mich auf Englisch an: „Komm, wir würden uns sehr freuen, wenn wir dich zum Essen einladen dürfen.“ Etwas zögere ich. Bevor eine Einladung nicht dreimal ausgesprochen wird, gilt sie im Iran nur als eine Höflichkeitsfloskel.
Im Restaurant gibt es Reis und Kebab. Während des Essens bekomme ich eine Einladung in ihr Haus: „Nur für eine Nacht. Bitte.“ Ich möchte schon, aber sie wohnen weiter weg, von Hamadan habe ich noch nichts gesehen und am nächsten Tag will ich nach Isfahan weiter reisen. „Dann komme doch noch mit uns mit in die Berge.“ Das Auto wird geholt, ich steige mit ein. Am Hausberg von Hamadan halten wir an und kühlen uns als Erstes an einem Wasserfall ab. Ein Junge kommt auf mich zu und stellt die obligatorische Frage: „What is your idea about Iran?“
Eine Seilbahn bringt uns auf die Bergspitze. Wieder werde ich gebeten, zu ihnen nach Khorramabad zu kommen. Ich nehme die Einladung an. Als die Entscheidung gefallen ist, freuen wir uns gemeinsam.
Bevor es losgeht, wird noch mein Gepäck aus dem Hotel geholt. Auf der Ausfallstraße von Hamadan halten wir; die Kinder schlafen; eine Decke wird auf dem schmalen Stück Rasen am Straßenrand ausgebreitet; Tee, Melone und Gebäck darauf verteilt.
Khorramabad
In Khorramabad erwartet uns ein Teil der Großfamilie im Haus der Eltern. Der Empfang ist sehr herzlich, das Abendessen schon vorbereitet. Eine Tischdecke aus Kunststoff wird auf dem Boden ausgebreitet und gedeckt. Nur die Frauen essen, die Männer sitzen an der Wand, beten oder unterhalten sich. Nach dem Essen machen wir es uns ebenfalls gemütlich. Süßes und Tee werden herumgereicht. Nach einem Plausch verschwinden die jungen Frauen, um einige Zeit später frisch geschminkt zur Citytour zu starten.
Mit mehreren Autos und der Familie samt Oma aber ohne Opa fahren wir zum Dach von Khorramabad. In den Straßen ist viel los, das Abendgebet beginnt. Vor der Moschee steht Polizei. Der Gesang der Gläubigen ist bis auf den Hausberg zu hören. Meine Gastgeberin zeigt auf den Fluss: „Unser Rhein“ sagt sie auf Englisch. Lachen.
Aus dem Auto wird ein alter Teppich für alle, die nicht mehr stehen wollen, geholt. Die Oma der Familie zeigt auf ihren Tschador. Ich schüttele den Kopf. Nein, ich habe keinen. Ich frage die Enkelin, ob sie einen Tschador hat. Sie lacht: „Nein, das ist für alte Leute. Wer einen Tschador trägt, hat sich dafür entschieden.“ Nur ihre Schwester hat einen, weil sie als Lehrerin in der Schule einen tragen muss.
Wir fahren zu meiner Gastgeberin. Die Häuser und Wohnungen scheinen alle gleich aufgeteilt zu sein: ein großer Wohnraum, den man sofort betritt, amerikanische Küche, Toilette, Bad und noch zwei weitere Räume. Im großen Raum liegen die berühmten Teppiche. Wir reden noch kurz miteinander; Matten werden auf den Teppichen im Wohnraum ausgerollt; dazu gibt es eine dicke Decke. Bis auf Kopftuch und Mantel behalten alle ihre Sachen an und so gehen wir schlafen.
Mein Gastgeber steht früh auf. Leise schleicht er zur Arbeit. Zwei Stunden später wird meine Gastgeberin kurz wach, sagt „Hallo“ und schläft weiter. Dann werden die Kinder munter, Frühstück wird zubereitet und ich versuche heraus zu finden, wann ein Bus nach Isfahan fährt. Es soll nur einen Nachtbus geben. Nach mehreren Telefonaten findet sich ein Bus, der um 13 Uhr abfährt. Bis dahin ist Zeit zum Sitzen und reden: Facebook ist verboten, aber jeder hat es; in der Schule wird nur selten englisch unterrichtet – es fehlt an Lehrern; einen Pass zu bekommen ist schwierig und teuer; für junge Leute ist das Leben hart, aber sie umgehen die Regeln, wo sie können. Meine Gesprächspartnerin möchte gerne nach Italien gehen: „Ich hoffe, dort nicht als Iranerin erkannt zu werden. Bestimmt halten die Leute mich sonst für eine Terroristin.“
Mittags kommt mein Gastgeber von der Arbeit. Er wünscht sich, dass ich noch eine Nacht lang bleibe. Ich bin hin und her gerissen. Gerne würde ich noch bleiben, bin aber in Teheran mit einem Guide zu einer dreitägigen Tour durch das Elburz-Gebirge verabredet.
12.30 Uhr. Ich will aufbrechen. „Ohne Mittagessen kannst Du nicht gehen. Du hast noch genug Zeit.“ Schnell esse ich ein wenig Gemüse. Es wird 12.54 Uhr und ich immer unruhiger. „Mach dir keine Sorgen, den Bus bekommst du auf jeden Fall.“ Endlich kommt das Taxi und um 13.10 Uhr bin ich am Busbahnhof und habe meine nächste Lektion gelernt. Busse sind im Iran zuverlässig unpünktlich.
Isfahan: Stadt aus 1001 Nacht
Gegen Abend erreiche ich Isfahan. Der Imam-Platz, einer der größten Plätze der Welt, ist nur fünf Minuten vom Hotel entfernt: Theoretisch – praktisch muss ich, um dorthin zu gelangen, eine Straße überqueren. Mir fehlte noch die Übung für den dafür notwendigen Slalomlauf zwischen schnell fahrenden Autos und plötzlich überholenden Motorrädern. Das ist nur im Windschatten eines Geübten möglich.
Der Imam-Platz ist ein geschlossenes Ensemble. An den Seiten hat er als Mittelpunkte Königspalast, Moschee und Basar; in der Mitte eine parkartige Grünanlage mit einem großen Wasserbecken und Springbrunnen.
Es ist bereits dunkel, auf den Rasenflächen sitzen Familien und Freunde zusammen, essen und trinken. Ich laufe um den Platz herum. Kurz bevor ich ihn wieder verlasse, stoppt mich eine junge Frau, die auf ihren Inlinern unterwegs ist: woher, wohin? Ihre Familie picknickt hier und sie lädt mich ein.
Mit einem fröhlichen „Hallo“ werde ich begrüßt. Oma, Onkel, Tanten, Geschwister, Eltern sitzen essend und plaudernd auf dem Rasen. Noch bevor ich im Kreis Platz genommen habe, weiß ich bereits, dass sie das Kopftuch leid sind.
Kaum sitze ich, steht schon ein Tee da. Schnell sind wir im Gespräch: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, in jeder Familie gibt es jemanden, der im Ausland lebt, meist in den USA, der Alltag wird von einer ideologischen Aggressivität bestimmt, man muss vorsichtig sein. Nebenbei scherzen und lachen wir.
„Hast du schon etwas gegessen?“, werde ich gefragt. „Nein.“ Schon steht Ash, eine persische dicke Suppe in drei Variationen vor mir. Ich probiere und küre Ash zu meinem Lieblingsessen.
Mitternacht. Der Platz leert sich langsam. Die Familie will sich am kommenden Abend wieder zum Dinner treffen und wir verabreden uns zu 21 Uhr am selben Ort.
Am Morgen gehe ich noch einmal zum Imam-Platz. Ein junger Mann spricht mich an: „Ich möchte dir die Stadt zeigen.“ Anfangs erzählt Kourosh über die Sehenswürdigkeiten, die wir besichtigen. Dann nimmt unser Gespräch einen unerwarteten Verlauf. Wir unterhalten uns über Homosexualität im Iran und über die harten Strafen. Er meint, solange alles hinter verschlossenen Türen geschieht, interessiert es niemanden. Was ihn viel mehr beschäftigt: „Männer können ja auch Sex miteinander haben. Aber bei Frauen ist das unmöglich.“ Auf meine klärende Antwort folgt Schweigen.
Zurück am Imam-Platz setzen wir uns zum Kühlen der Füße an das Wasserbecken. Kourosh sprüht mir Wasser über die Beine. Wir unterhalten uns darüber, wie viel Nähe erlaubt ist – keine. Nach zehn Minuten wird er plötzlich hektisch: „Lass uns gehen. Ich habe das Gefühl, dass die Polizei kommt.“
Es ist ohnehin Zeit für das Gebet. Ich begleite ihn zu einer Koranschule und wir verabreden uns für den Nachmittag. Er ist der Erste, den ich treffe, der sich an den Ramadan hält und regelmäßig in die Moschee geht. Aus seiner Sympathie für die Regierung macht er kein Geheimnis.
Anderthalb Stunden später treffen wir uns wieder. Auf seinen Mittagsschlaf, den er normalerweise wie so viele andere in den kühlen Räumen einer Moschee hält, hat er verzichtet.
Wir besuchen den Āli-Qāpu-Palast, eines der Gebäude am Imam-Platz. Nach einer kurzen Erklärung zum Palast und den Räumen sind wir beim Thema Nudismus angekommen. Er hat von Nacktbadestränden in Deutschland gehört. Da er meinen Antworten nicht so recht glaubt, fragt er immer wieder nach. Dass die FKK-Strände nicht getrennt nach Männern und Frauen sind, ist für ihn unfassbar: „Da würde ich nicht hingehen, eine nackte Frau würde mir reichen. Und das wäre die Frau, die ich zu Hause hätte.“
In der Zwischenzeit ist mir der Schal unbemerkt auf die Schultern gerutscht. Vorsichtig zieht Kourosh ihn über meinen Kopf: „Gott hat es gesagt.“
Auf dem Weg vom Imam-Platz zur Kaju-Brücke kommen wir an einem Café vorbei: „Möchtest du einen Kaffee trinken?“ Und wie ich möchte. Vor lauter Freude frage ich nicht nach dem Preis, dafür werde ich gefragt, wie viel ein Kaffee in Deutschland kostet. Zufällig ist dann der Preis für diesen Kaffee identisch mit dem von mir genannten Betrag.
Das breite Flussbett, über das sich die Brücke spannt, ist trocken. Das Wasser wird von der Verwaltung in die Wüstenstadt Yazd verkauft. Erschöpft legt sich Kourosh auf den Boden und schläft sofort ein. Ramadan und der fehlende Nachmittagsschlaf zehren an seinen Kräften.
Lange schläft er nicht, die Sonne brennt zu heiß. Wir setzen uns unter die Brückenbögen und sehen den alten Männern zu, die dort sitzen, Tee trinken und sich über Neuigkeiten austauschen.
Ich frage, ob er nicht lieber nach Hause gehen wolle. Erleichtert nickt er – ja ein wenig schlafen. Wir verabreden uns für den übernächsten Tag. Für den übernächsten Abend bekomme ich eine Einladung zum Dinner.
Abends treffe ich mich mit der Familie von gestern auf dem Imam-Platz. Es gibt viel und sehr gutes Essen. Die Gespräche wechseln zwischen Politik –„Wir brauchen Zeit, noch eine Revolution wird es im Iran so schnell nicht geben“ – und Spaß – „Guck mal in Deutschland nach drei Männern für uns“ – hin und her. Nach dem Essen erhalte ich eine Einladung zum Übernachten in einer ihrer Wohnungen.
Ungern lehne ich ab. Ich bin jedoch am nächsten Morgen zu einer Tour in die Berge verabredet. „Okay, dann kommst du aber zum Dinner in drei Tagen zu uns“, lädt mich das Familienoberhaupt ein.
Ausflug zu den Nomaden
Ramin, der Fahrer, mit dem ich verabredet bin, kommt eine Stunde später als verabredet. Es ärgert mich, da der Weg zu den Nomaden weit ist. 200 Kilometer hinter Isfahan biegen wir von der Hauptstraße ab und fahren durch staubige Dörfer in die Berge. „Are you happy?“, fragt Ramin immer wieder. Er hat Sorge um sein Auto, das für die Pisten nicht geeignet ist.
Bunte Bienenkästen tauchen mitten in der trockenen Gebirgswelt auf. Vor einem Zelt stehen Vater und Sohn, die mit ihren Bienenvölkern im Sommer in den Bergen leben, im Winter am Persischen Golf. Sie laden uns zum Lunch ein. Da die Einladung aber nicht dreimal ausgesprochen wird, fahren wir weiter.
Ein ausgetrocknetes Flussbett querend und einige Kilometer tiefer in den Bergen sehen wir endlich Nomadenzelte stehen. Ramin parkt das Auto, ich gehe schon los. Mit einem „Hey“ werde ich zu einem Zelt gerufen. Mutter und Sohn warten davor: „Money“ ist alles, was sie sagen.
Nun kommt auch Ramin am Zelt an und die Lage entspannt sich. Mit Wasser verdünnter Joghurt macht die Runde. Wir ziehen weiter zu einem anderen Zelt. Der Junge kommt mit und gibt nicht auf: „Money“.
Am nächsten Zelt wird eine Tischdecke auf den Steinen ausgebreitet und Fladenbrot sowie verschiedene Joghurts angeboten. Es schmeckt. Wie so oft auf der Reise durch den Iran fragen die Männer, ob ich denn keine Angst vor ihnen habe: „Bestimmt denkst du, dass wir Taliban sind.“ Über die Taliban kommen wir auf die Regierung zu sprechen. Eine eindeutige Handbewegung in Richtung Hals beendet das Thema.
Zum Abschied probiere ich noch eine Ziege zu melken, was mir ein paar mitleidige Blicke einbringt. Um sicher zu sein, dass wir auch wirklich abfahren und Mitbringsel da lassen, begleiten uns zwei Männer zum Auto und erhalten als Geschenk mehrere Kilo Zucker und ein Kilo Tee.
Auf dem Rückweg versuche ich, Honig bei den Imkern in den Bergen zu kaufen. Nach drei Versuchen gebe ich auf. Alle Imker sind gerade in der nächsten Stadt unterwegs.
In Isfahan verlangt Ramin auf einmal das Doppelte der abgemachten Summe: „Die Straße war so schlecht gewesen. Wer weiß, was mein Auto jetzt alles für Schäden hat.“ Nach einer längeren Diskussion drehe ich mich um und gehe.