Kolumbien

Die Worte bewegen, aber das Beispiel überzeugt und nimmt mit.
(Aus Kolumbien)

Reisejahr 2018 | Lesezeit 9 Minuten

BogotáMedellinEcuador Panama

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„Herzlich willkommen!“: diese Worte klingen einem tatsächlich in den Ohren, sobald man in Kolumbien landet. Alle Schalter sind geöffnet, und obwohl die Schlange lang ist, bleibt kaum Zeit, den Pass aus dem Rucksack zu kramen. Der freundliche Grenzbeamte gibt uns noch Tipps zu Taxipreisen und erinnert uns daran, dass im Land ausschließlich mit Pesos bezahlt wird.

Es ist spät, als wir unser gemietetes Apartment erreichen. Kaum im Bett, fallen wir in tiefen Schlaf. Doch die Kälte der Nacht weckt uns trotz siebenstündiger Zeitverschiebung schon um sechs Uhr morgens. Eine Heizung? Fehlanzeige. Also brechen wir früh auf, um den Tag zu nutzen.

Ausflug nach Zipaquirá

Es ist Sonntag, und nur am Wochenende fährt ein Zug in knapp vier Stunden – die Busse brauchen halb so lang – zur berühmten Salzkathedrale von Zipaquirá, etwa 48 Kilometer nördlich von Bogotá. Um noch Tickets für die begehrte Fahrt zu bekommen, winken wir ein Taxi heran. Der gut gelaunte Fahrer nimmt einen kleinen Umweg und fährt zu unserem Erstaunen durch das Rotlichtviertel. Unser erstes, wenn auch etwas skurriles, Highlight der Stadt.

Die Salzkathedrale

Dunkel und kühl ist der Weg zur Salzkathedrale hinab in den Salzbergwerkstollen. Ein Hauch von Schwefel liegt in der Luft. Erst auf dem Kreuzweg Jesu Christi verschwindet er. Farbiges Licht und riesige, aus Salz gemeißelte Kreuze markieren die 14 Stationen des Weges. An seinem Ende öffnet sich eine 120 Meter lange, dreischiffige Kathedrale, deren Herzstück ein 16 Meter hohes, aus Salz gehauenes Kreuz ist. Madonnen und Engel aus Kristall leuchten im diffusen Licht. Wir setzen uns auf eine der Kirchenbänke und atmen tief ein. Schließlich soll die salzhaltige Luft heilsam sein.

Kreuz aus Salz auf dem Kreuzweg
Kreuz aus Salz auf dem Kreuzweg
Kathedrale mit einem 16 Meter hohem Kreuz aus Salz. in Kolumbien
Kathedrale mit einem 16 Meter hohem Kreuz aus Salz

Ein verzweigtes Tunnelsystem führt weiter. In manchen Gängen ist es so eng, dass man nur langsam vorankommt. Eine unachtsame Bewegung, und der Fels hinterlässt eine bleibende Erinnerung. In meinem Fall eine kleine Schramme, ein eher rustikales Souvenir.

Bogotá und der Cerro de Monserrate

Wir bleiben noch einen Tag in Bogotá. Mit über 370 Kilometern Radwegen gilt die Stadt als eine der fahrradfreundlichsten Metropolen Südamerikas. Das Straßensystem für den Autoverkehr ist logisch aufgebaut und mittels eines durchdachten Einbahnstraßensystems kommt man ohne Stau an sein Ziel. Für Touristen hat es den Vorteil, dass eine Taxifahrt durch die Stadt gleichzeitig eine Sightseeingtour ist.

Für den Start in den Tag kaufen wir frisch gepressten Orangensaft. Der Saft schmeckt ausgezeichnet; wir holen einen Nachschlag. Die Bezahlung des zweiten Bechers lehnt der Verkäufer ab: „Willkommen in Kolumbien.“

Über der Stadt thront der Cerro de Monserrate. Den Gipfel erreicht man entweder über 1500 Stufen – mit erhöhtem Risiko, überfallen zu werden – oder bequem mit der Standseilbahn. Wir wählen die sichere Variante. Nebel und Kälte empfangen uns oben. Entlang eines Kreuzweges erreichen wir eine weiß durch den Dunst schimmernde Kirche. Neben dem Gotteshaus überbieten sich die Besitzer zahlreicher Souvenirstände und Restaurants mit Sonderangeboten. Erst als wir den Gipfel verlassen wollen, reißt die Wolkendecke kurzzeitig auf und gibt einen eindrucksvollen Blick über die Stadt frei.

Blick vom Cerro de Monserrate auf Bogota
Blick vom Cerro de Monserrate auf Bogota
Bunte Häuserfassaden in der Altstadt
Bunte Häuserfassaden in der Altstadt

Die letzten Stunden des Tages verbringen wir in der Altstadt. Wir schlendern über Kopfsteinpflaster, vorbei an bunten Holzhäusern, bergauf und bergab bis zur Plaza de Bolívar. Der Platz, bevölkert von zahllosen Tauben, ist von historischen Gebäuden wie der Kathedrale gesäumt.

Händlerinnen und Tauben auf dem Plaza de Bolívar in Bogota in Kolumbien
Händlerinnen und Tauben auf dem Plaza de Bolívar
Kathedrale in Bogota
Kathedrale

Die Kathedrale mit einer schönen alten Fassade enttäuscht uns beim Betreten mit einem sehr modernen, kühlen Kirchenschiff. Dagegen sind die Franziskus-Kirche mit einem vergoldeten Altargemälde und die prächtig dekorierte Kirche Santa Clara sehr sehenswert.

Bei einer fliegenden Händlerin probieren wir geröstete „Fettarsch-Ameisen“: ein überteuerter Snack mit schokoladenem Abgang.

Medellin: Ankunft und erste Eindrücke

Am Abend fliegen wir nach Medellín. Mitten in der Nacht beziehen wir ein modernes Apartment in einer von hohen Bäumen gesäumten Straße. Zufrieden über die Unterkunft sinken wir ins Bett. Drei Stunden später ist klar, dass wie ein neues Quartier brauchen. Die vermeintlich ruhige Straße entpuppt sich am frühen Morgen als Hauptverkehrsader. Das Zimmer liegt direkt an einer Straßenkreuzung, die Fenster sind einfach verglast, teilweise gibt es nur offene Lamellen.

Pablo Escobar-Tour

Die Stadt hatte jahrelang eine Schlüsselposition im internationalen Drogenhandel inne und galt als Drogenhauptstadt der Welt. Verantwortlich dafür war Pablo Escobar, der Begründer des Medellin-Kartells.

Bevor wir umziehen, schließen wir uns einer Escobar-Tour an. Unser Guide Wilson ist, wie viele Einheimische ein glühender Verehrer des „Patrón“.

Kathedrale
Friedhöfe sind gepflegte Rasenflächen mit bunten Blumensträußen als Farbtupfer

Der Ausflug beginnt am Friedhof. Begräbnisstätten in Kolumbien sind gepflegte Rasenflächen mit ebenerdigen Grabsteinen und bunten Blumen als Farbtupfer.

Das Familiengrab der Escobars ist leicht zu finden: Der niedergetrampelte Rasen weist den Weg. Wilson erzählt lachend, dass manche Besucher dort Joints rauchen oder gar eine „Linie“ ziehen.

Auf dem Weg zu La Catedral, Escobars selbst erbautem Gefängnis auf einem Hügel, hören wir Geschichten über seine Abneigung gegen die FARC (kolumbianische Guerillabewegung), seine mutmaßliche Zusammenarbeit mit dem damaligen Staatschef Uribe und den blutigen Machtkampf zwischen den Kartellen von Medellín und Cali.

Obwohl Wilson ausführlich von den guten Taten Escobars wie den Bau von Krankenhäusern – ihn nervten die Bittsteller, die um Geld für die Behandlung Angehöriger baten – Schulen, Fußballplätzen und Weihnachtsgeschenken für Kinder erzählt, durchzieht ein Motto alle Anekdoten: Plata o plomo – „Geld oder Tod“.

La Catedral, das selbst erbaute Gefängnis Escobars in Kolumbien
La Catedral, das selbst erbaute Gefängnis Escobars
Hubschrauberlandeplatz
Hubschrauberlandeplatz

La Catedral gleicht eher einem Luxushotel: mit Hubschrauberlandeplatz, Swimmingpool und Panoramablick. Heute dient es als Altenheim. Als wir ankommen, machen die Bewohner gerade Morgengymnastik. Nach der sportlichen Einlage verschwinden die Alten und das Gelände wirkt verlassen.

Immer wieder schimpft Wilson über die Netflixserie „Narcos“, in der 90 Prozent Hollywooderfindungen seien. Auf Schritt und Tritt korrigiert er die Serie, zeigt uns die Pfade, die Escobar ging, wenn er sein „Gefängnis“ verlassen wollte und wo die bestochenen Bewacher saßen, um die „geheimen“ Wege nicht zu sehen.

Die nächste Station der Tour ist das ehemalige Wohnhaus Escobars in der Stadt, das im Januar 2019 gesprengt werden soll. Auch hierzu hat Wilson zwei Erzählungen parat: Escobar wohnte in der obersten Etage. Besucher wurden im Erdgeschoss empfangen. Kam Escobar von seinen Räumen hinunter und empfand den Besuch als lästig, überlebte mancher Gast das Treffen nicht. Und als ihm der exklusive Golfclub im Haus gegenüber die Mitgliedschaft verweigerte, weil sie ihn nicht für integer hielten, ließ er trotzig seinen Namen riesengroß auf die Hauswand malen, sodass die Mitglieder des Golfklubs ihn ständig vor Augen hatten.

Zum Abschluss halten wir an dem Haus, in dem er sich aufhielt, als die Polizei ihn aufspürte und er auf der Flucht sich selbst erschoss oder erschossen wurde. Welche Variante der Wahrheit entspricht, entscheiden Anhänger und Verfolger jeder für sich.

Medellín

Medellín besitzt keinen klassischen Stadtkern, sondern besteht aus mehreren zusammengewachsenen Gemeinden. Lauter, voller und chaotischer als Bogotá, bietet die Stadt wenig Sehenswürdigkeiten, abgesehen von der Kathedrale, dem größten Lehmziegelbau der Welt, die allerdings geschlossen ist.

Im Zoo dagegen erleben wir tierische Gelassenheit: Leguane liegen wie Stolperfallen auf den Wegen, einer döst auf einer Mauer und lässt sich widerstandslos streicheln. Vor dem Affengehege hat sich eine Menschentraube gebildet. Ein junges Mädchen ist zu dicht an das Gitter gegangen und wurde von flinken Affenhänden um ihre Chipstüte erleichtert.

Ein Leguan ruht auf einer kleinen Mauer im Zoo von Medellin in Kolumbien
Ein Leguan ruht auf einer kleinen Mauer
Affenhände verlangen Futter im Zoo von Medellin in Kolumbien
Affenhände verlangen Futter
Besuch bei Roberto Escobar

Auf einem Hügel über Medellín lebt Roberto Escobar, der Bruder von Pablo Escobar und ehemalige Finanzchef des Kartells. Jeder Taxifahrer kennt den Weg.

Am Ende einer unbefestigten Straße versperren zwei kameraüberwachte Tore den Weg. Der Taxifahrer klingelt; die Tore öffnen sich; auf dem Parkplatz stehen Bodyguards und Roberto Escobar. Gegen ein Entgelt führt uns eine Enkelin über das Grundstück und durch die untere Etage des zweistöckigen Hauses.

Das Auftreten der jungen Frau lässt keinen Widerspruch zu. Schon zu Beginn schimpft auch sie über Narcos: „97 Prozent der Serie sind Hollywoodschrott!“

Drei Fahrzeuge aus dem ehemaligen Fuhrpark sind noch im Eigentum der Familie: ein blauer Wartburg, ein nachgebautes Polizeiauto, ein roter Pick-up mit Nagelwerfer und Ölsprühdüse an der Ladefläche sowie Einschusslöchern in der Fahrerkabine, die die siebenfache Verglasung der Scheiben nicht vollständig durchdrungen haben.

Wartburg und Polizeiauto
Versteck im Wohnzimmer

Auch im Haus selbst sind Einschusslöcher zu sehen. Sie entstanden beim Überfall eines rivalisierenden Clans. In der Küche steht die Kücheneinrichtung aus dem Haus, in dem Escobar aufgespürt wurde; an der Wand hängt das Gemälde seines Lieblingspferdes, das er, nachdem es von Feinden schwer verletzt wurde, klonen ließ.

Im Wohnzimmer nehmen wir Platz vor dem Schreibtisch, von dem aus er einst Geld an Bittsteller verteilte. Die junge Frau zeigt mit verächtlichem Blick ein paar Dollarnoten, auf denen Besucher Wünsche für und an Escobar geschrieben haben. Hinter einem Regal befindet sich ein Versteck mit Sauerstoffflaschen.

In den Fluren hängen Familienfotos und Bilder von Roberto Escobar als Radprofi. Sein Rennrad mit vergoldeter Lenkergabel lehnt an der Wand.

Ein Poster zeigt Pablo Escobar mit seinem Sohn vor dem Weißen Haus in Washington zu einer Zeit, in der er bereits steckbrieflich gesucht wurde: In Cartagena, im Norden Kolumbiens lagen seine zwei U-Boote und so konnte er trotz des auf ihn ausgesetzten Kopfgeldes von 10 Millionen USD einen Abstecher in die USA machen.

Auf dem Fahndungsplakat vermissen wir Popeye, seinen Auftragskiller. Mit tiefster Verachtung in der Stimme erklärt uns die junge Frau, dass Popeye nur zwei Jahre dabei war und ein Lügner und Aufschneider sei.

Im Garten zeigt sie verärgert auf Hochhäuser, die jede Sicht versperren. „Früher hatten wir hier einen unverstellten Blick auf die Stadt und den Flugplatz. Pablo konnte Start und Landung seiner Flugzeuge zusehen.“

Für ein Foto mit Roberto werden wir gebeten, Geld für die Speisung der Alten und Armen zu spenden. Roberto zeigt sich als Gentleman, reicht mir seinen Arm, um mich eine kleine Stufe hinunter zu geleiten. Wir trinken noch einen Kaffee und verlassen das Anwesen Richtung Flughafen, für die Weiterreise nach Ecuador.

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