Einer der Erfahrung hat ist besser als einer der viel weiß.
(Aus Eritrea)
Reisejahr 2018 | Lesezeit 13 Minuten
Die Einreiseschalter am Flughafen von Eritreas Hauptstadt Asmara wirken provisorisch, die Computer erinnern eher an die Ära des Pentium Pro, entsprechend zieht sich die Abfertigung.
Gegen Morgen erreichen wir endlich unser Hotel und sinken erschöpft in die Betten einer Hotelsuite, die zwar muffig riecht und deren Inventar auseinanderzufallen droht, aber immerhin warmes Wasser hat. An Schlaf ist dennoch nicht zu denken: Der Fahrstuhl rattert unablässig die Etagen auf und ab. Nach dem Aufstehen wechseln wir in ein kleineres Zimmer, das kaum weniger müffelt, aber angeblich ruhiger liegt.
Land der strengen Regeln
Eritrea gilt als das „Nordkorea Afrikas“. Der medienscheue Präsident Isayas Afewerki, einst Rebellenführer und Held der Unabhängigkeit, regiert das Land seit Jahrzehnten mit eiserner Hand.
Für Touristen gelten Regeln, die sich willkürlich ändern. Das Reisen in verschiedene, von der Regierung ausgewählte Orte ist nur mit einem Permit möglich. Dabei ist unsere Wunschliste bescheiden: Massawa, Keren, der Panzerfriedhof von Asmara, und – wenn es der Zufall will – eine Fahrt mit der historischen Schmalspurbahn in den Ort Nefasit. Um die Chancen auf die Erteilung einer Reiseerlaubnis zu erhöhen, beauftragen wir ein örtliches Reisebüro.
Italienisches Flair in Asmara
Asmara trägt das Antlitz einer italienischen Stadt, nur versetzt nach Afrika. 1889 besetzt, 1900 zur Kolonialhauptstadt erklärt, war die Stadt das Sprungbrett für Mussolinis Krieg gegen Äthiopien (1935-1936). Damit es den Besatzern an nichts fehle, wurden in der Stadt vier große Kinos, ein Opernhaus, Fabriken und etliche Hotels in unterschiedlichen modernistischen Stilrichtungen erbaut. Wahrzeichen ist bis heute die Tankstelle „Fiat Tagliero“, ein Betonflugzeug im Dauerstart. 2017 erhob die UNESCO die Stadt in den Rang des Welterbes.
Bemerkenswert sind nicht nur die Bauten aus der Kolonialzeit. Ungewöhnlich für Afrika ist vor allem die Sauberkeit in den Straßen trotz fehlender Abfallbehälter. Noch auffälliger ist die Abwesenheit von Machtgesten: keine Plakate, keine Losungen, kein übergroßes Konterfei des Präsidenten.
Die Hauptstraße lädt zum Flanieren ein: Boutiquen mit italienischer Mode, Cafés mit Eis und Espresso, Palmen, die römisch-katholische Kathedrale und das Kino Imperio. In einem Supermarkt sitzen die Verkäuferinnen am Boden und essen Injerra. „Setz dich zu uns und iss mit!“ laden sie mich freundlich ein. Ich bin müde und durstig, jedoch nicht hungrig und lehne ab.
Derweil hüpfen auf dem Nachbargrundstück die Kinder aus dem kirchlichen Kindergarten der Kathedrale in weißen langen Gewändern fröhlich über das Gelände, während Studenten aus dem theologischen Seminar aus den Fenstern auf die Spielenden hinabblicken.
Ein verfallener Bau zieht meinen Blick an. Krankenhaus, denke ich. Falsch gedacht: Es ist die Oper. In ihrem Innern ist von der maroden Außenansicht nichts zu sehen. Der Zuschauerraum bietet auf drei Ebenen Platz für 750 Besucher, an der Decke prangt ein gut erhaltenes Gemälde im Jugendstil, ein Keyboard steht unterhalb der Bühne. Während ein Techniker fotografiert, singt Marc vor dem modernen Bühnenbild – eine bunte Häuserschlucht – eine Arie aus der „Walküre“. Die Bühnenarbeiter lauschen begeistert und applaudieren.
Kulinarische Durststrecke
Asmara ist reich an Cafés, doch Restaurants sind rar. Viele Betreiber scheuen die teuren Lizenzen. So bleiben die meisten Lokale geschlossen. Auf Nachfrage in der Tourismuszentrale erhalten wir immerhin einen Hinweis auf ein geöffnetes Hotelrestaurant.
Auch die Nacht bleibt anstrengend. In dem „ruhigen“ Zimmer werden wir mit Lärm aus dem unter uns befindlichen Restaurant in Baustellenlautstärke beschallt. Es reicht. Am Morgen ziehen wir ins teuerste Hotel der Stadt. Es kostet zwar 165 Dollar pro Nacht, aber wir haben endlich Ruhe.
Der Panzerfriedhof von Asmara
Die Genehmigung für den Besuch des Panzerfriedhofs trifft ein. Meterhoch stapelt sich dort alles, was sich einmal bewegen ließ: Panzer, Flugzeuge, Gangways, mobile Sendeeinheiten, ausgeschlachtete Busse und Autos. Ampullen knirschen unter den Füßen, kleinere metallene Bruchstücke liegen verteilt über das Gelände. Die meisten Relikte stammen aus dem Krieg mit Äthiopien (1998–2000).
Den Krieg beendete ein Waffenstillstandsabkommen, jedoch sind die eritreisch-äthiopischen Beziehungen weiterhin gespannt. Frauen und Männer von 18 bis 50 Jahren sind zum Militärdienst verpflichtet, der regulär 18 Monate dauert. Bereits das zwölfte Schuljahr wird in einem Ausbildungslager der Armee absolviert. Nach der militärischen Grundausbildung folgen der Militärdienst und der Nationaldienst zum Wiederaufbau des Landes, die ohne Angabe von Gründen auf unbestimmte Zeit verlängert werden können.
Viele Eritreer fliehen davor ins Ausland, wobei die eritreische Regierung die Grenzen nicht streng überwacht. Entschieden handelt sie nur beim Eintreiben der zwei Prozent „Aufbausteuer“ die Eritreer, die im Exil leben, zahlen sollen.
Nachtrag: 2018 haben Äthiopien und Eritrea wieder diplomatischer Beziehungen aufgenommen.
An einem Schrottberg lehnt fast unsichtbar eine Bleibe aus Altmetall. Bunte Wäsche hängt davor auf einer Leine und macht sie erst sichtbar. Weitere Hütten aus Blech und Lehm stehen hinter einem von Schiffscontainern abgeriegelten Gelände.
Stadtbummel
In Asmara soll es einen Zoo geben. Unsere Begleiter sehen einen Besuch trotz fehlender Genehmigung für unproblematisch an.
Die Anlage befindet sich neben einem Friedhof für gefallene Italiener. Ein Uniformierter stoppt den Wagen: „Der Zoo ist Militärgelände und für Besucher geschlossen.“ Unsere Begleiter sind überrascht. Wir machen Witze. Vielleicht ist er zur militärischen Versorgungsstation umfunktioniert worden?
An der koptischen Kirche Sankt Marien lassen wir uns absetzen, bummeln am Obst- und Gemüsemarkt entlang und rätseln über die Leute, die in langen Schlangen wartend, nach etwas Unsichtbarem anstehen.
In einer Seitenstraße entdecken wir ein geöffnetes Restaurant. Auf der Speisekarte stehen Pizza und Pasta, die Preise sind denen in Deutschland sehr ähnlich. Die Oma des Hauses kocht ausgezeichnet und wir sind froh, etwas gefunden zu haben.
Zum Abschluss des Tages holen wir das endlich ausgestellte Permit für die Fahrten nach Massawa und Keren vom Reisebüro ab.
Mit dem Bus ans Rote Meer
Am Busbahnhof steht gerade ein klappriges Gefährt nach Massawa bereit, ist jedoch schon voll besetzt. Stehplätze gibt es nicht. Die Reihe wartender Menschen ist sehr lang und sieht der Warteschlange ins Unsichtbare, die wir gestern sahen, sehr ähnlich.
Tickets gibt es erst zu kaufen, wenn man einen Platz im Bus hat. Ein junger Mann winkt uns nach vorn: „Wenn der Bus abgefahren ist, kommt gleich der nächste.“ Jedoch, der Bus fährt und fährt nicht. Als er endlich weg ist, passiert lange Zeit nichts. Genervt hocken wir im Abgasqualm. Zwei Stunden später sitzen wir endlich in einem wackeligen Bus.
Massawa – zwei Inseln, eine Stadt
Massawa verteilt sich über das Festland und die Inseln Taulud und Batse, die durch jeweils einen Erdwall miteinander verbunden sind. Am Damm erinnert ein Kriegsdenkmal an die Schlachten von 1977 und 1990 um die Stadt Massawa. Hinter den Panzerrohren sind die Kreuze der koptischen Kirche St. Mary zu sehen.
Nach der langen Busfahrt haben wir uns ein „besseres“ Hotel auf der Insel Taulud gegönnt. Doch statt der gebuchten zwei Nächte halten wir es wieder nur eine Nacht lang aus: Aus der gegenüberliegenden Altstadt auf der Insel Batse tönt ohrenbetäubende Musik bis in die frühen Morgenstunden herüber.
Der erste Gang am Morgen ist also wieder einmal die Suche nach einer ruhigen Unterkunft. In einer Querstraße finden wir ein Hotel, dessen Zimmer weit genug vom nächsten Restaurant liegen, sodass auch laute Musik nicht zu hören sein dürfte.
Hafen und Altstadt auf der Insel Batse
Nach unserem Umzug machen wir uns auf den Weg in die Altstadt. Dabei folgen wir dem Schienenstrang der Bahnstrecke Asmara-Massawa bis zu seinem Ende am bedeutendsten Tiefseehafen des Roten Meeres.
Während am Hafen träge Ruhe herrscht, geht es in der in unmittelbarer Nähe gelegenen Altstadt lebendiger zu. Im Gegensatz zum italienisch geprägten Asmara erinnern die Gebäude hier an die Zeit der Kolonialherrschaft der Türken und Ägypter (16. bis 19. Jahrhundert). Der größte Teil der Häuser hat jedoch schwere Schäden aus dem Unabhängigkeitskrieg zwischen Eritrea und Äthiopien, der 1977 in Massawa begann. Trotzdem ist kein Gebäude so sehr Ruine, als das nicht darin gewohnt werden würde. In jedem Raum, der noch vier selbstständig stehende Wände hat, finden sich klapprige Metallbetten.
Wir besuchen die 500 Jahre alte Scheich-Hanafi-Moschee. Als wir uns ihr nähern, eilt der Imam herbei und öffnet die Tore. Auf das übliche Trinkgeld für das Öffnen der Moschee legt er keinen Wert. Wenige Schritte weiter serviert uns eine junge Frau mit einer traditionellen Zeremonie zwei Tässchen Kaffee, ebenfalls ohne Bezahlung. Später winkt uns ein altes Ehepaar zu: „Kommt her.“ Wir gesellen uns zu ihnen auf die Bank, die im Schatten eines großen Baumes steht und lauschen ihren Erzählungen über das Leben in der Altstadt.
Am Wasser entlang bummeln wir vorbei an der Ruine des Kaiserpalastes zum Festland. Schiffswracks liegen vor Anker, die, bis sie auseinanderbrechen bewohnt werden, Ruinen mit unzähligen Satellitenschüsseln an der Hauswand, schlichte Kirchen und neu gebaute Häuser stehen in den staubigen Straßen. In den Vierteln der Ärmsten drängen sich Wellblechhütten, kleine Moscheen und Verschläge, aus denen heraus Lebensmittel in Tassenportionen verkauft werden, aneinander.
Rückkehr nach Asmara
Aus der ruhigen Nacht ist wieder nichts geworden. Das Hotel hat seine Bar auf dem Dach und natürlich lief Musik dröhnend laut bis in den Morgen. Müde fahren wir zum Busbahnhof.
Dort steht ein Minibus nach Asmara bereit, der tatsächlich eine halbe Stunde später abfährt. Wir sind erleichtert über den unverhofften Komfort gegenüber unserer Hinfahrt. Aber bereits nach den ersten Kilometern Fahrt wird die Musikanlage voll aufgedreht.
Silvester in Asmara
Es ist Silvesterabend. Die Straßen Asmaras sind voll mit feierlich gekleideten Leuten aller Altersgruppen. In den Cafés und vor den Eisläden sind lange Schlangen, einige der bisher geschlossenen Restaurants haben geöffnet. In den Bars startet das Nachtprogramm bereits am Nachmittag.
Ein angetrunkener Mann läuft mir hinterher: „In Eritrea haben wir immer Urlaub, keine Arbeit und trinken viel Alkohol.“ So viel Aufdringlichkeit ist ungewöhnlich. Die Leute waren bisher immer freundlich-distanziert, Bettler nirgendwo zu sehen und die wenigen Obdachlosen campieren still an den Häuserwänden.
Vor der Kathedrale haben sich viele Leute versammelt und warten auf das Feuerwerk um Mitternacht. Zehn Minuten vor Beginn des neuen Jahres fährt plötzlich Polizei vor und treibt die Leute, die auf den Stufen der Kathedrale sitzen, mit Knüppeln und Peitschen auseinander. Die Geschlagenen wirken nicht überrascht. Vereinzelt setzen sie sich wieder auf die Stufen oder stehen in Gruppen zusammen. Sofort erscheint die Polizei und vertreibt sie erneut. Nur wer in Bewegung bleibt, wird nicht behelligt.
Das Feuerwerk fällt zum ersten Mal seit Jahren aus. Die Straßen leeren sich schnell. Zurück bleibt die gewohnte Stille, ohne sichtbare Polizei, ohne Militär.
Zum Kamelmarkt nach Keren
Nach Keren fahren wir aus Zeitgründen mit einem Taxi. Kleine Dörfer mit Rundhütten und massiven Häuschen, verrostete Panzer, die als Kinderspielplatz dienen und Felder – 80 Prozent der Bevölkerung leben von der Subsistenzlandwirtschaft – formen die Landschaft. Unter einer Kurve steht ein zerbeulter Pkw, der von einem Lkw von der serpentinenreichen Straße geschoben wurde.
Keren ist die zweitgrößte Stadt Eritreas, in der jeden Montag ein großer Viehmarkt abgehalten wird. Kamele, Esel, Rinder und Ziegen stehen zum Verkauf. Ein Kamel kostet zwischen 500 und 1000 Euro, ein Esel um die 200 Euro. Passenderweise liegen Stricke zum Kauf bereit, um den Erwerb nach Hause transportieren zu können; Ziegen werden am Ohr hinterhergezogen.
Ein 500 Jahre alter Baobab zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. In seinem Stamm befindet sich ein Marien-Schrein, Pilgerziel und Hochzeitsort zugleich. Nur drei Besucher passen hinein. Frauen müssen das Haar bedecken, andernfalls, so heißt es, wird es ihnen abgeschnitten. Marc setzt mir vorsorglich seinen Sonnenhut auf.
Rückkehr nach Asmara und Weiterreise
Nach der Rückkehr aus Keren haben wir noch ein paar Stunden Zeit bis zum Abflug. Um noch ein wenig zu ruhen, haben wir ein Zimmer gemietet. Kaum liegen wir im Bett, beginnt wieder einmal Partylärm.
Die Abflughalle auf dem Flughafen von Asmara wirkt nicht so provisorisch wie die Ankunftshalle. Die Abfertigung geht schneller als gedacht. Wir freuen uns auf Kuwait, ein Land ohne schlafraubendes Nachtleben.