Nach einem Tee am nächsten Morgen gehen wir in die Geburtskirche. Der Eingang ist so klein, dass wir ihn fast übersehen hätten. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die ursprüngliche Pforte zu einem niedrigen Einlass verkleinert, sodass jeder, der die Kirche betritt, sich bücken und dadurch demutsvoll geben muss.
Der Hauptaltar ist zwar eingerüstet, aber dennoch gut zu sehen. Stufen führen hinunter in die Geburtsgrotte, in der sich unter dem Geburtsaltar die Geburtsstelle, markiert durch einen silbernen Stern befindet. Gläubige liegen auf dem Boden, um den Stern zu küssen. Einige weinen.
Wir beschließen, das AIDA-Flüchtlingscamp zu besuchen. Das Camp liegt im Schatten der acht Meter hohen Sperranlagen, die mit Graffiti besprüht sind, die politischen Protest und sozialkritische Kunst zeigen. Ein Schlüsselloch mit einem darüber liegenden, neun Meter langen und eine Tonne schweren Schlüssel, dem “Key of Return”, der das Rückkehrrecht der Palästinenser in ihre Häuser symbolisiert, ist der Eingang.
Kaum haben wir die Siedlung betreten, müssen wir fliegenden Steinen ausweichen. Wir sind unversehens in eine Gruppe spielender Kinder geraten, die sich zurückziehen, als sie uns sehen. Ein Stück laufen wir an der Sperranlage entlang: schwarze Wachtürme, die dem Betongrau der Mauer noch mehr Düsternis verleihen, Müllberge, soweit das Auge reicht. An einer Autowerkstatt spricht uns ein Mann an „Woher seid ihr?“ Als er Deutschland hört, strahlen seine Augen. „Mein Sohn ist zum Studium gerade nach Deutschland gereist.“
Von etlichen Häusern weht die Flagge der Fatah. In den Straßen ist nicht viel los, ein paar Kinder kommen und wollen mit meiner Kamera Fotos schießen, in einer Imbissbude stehen Erwachsene und diskutieren. Ein mit Obst und Gemüse beladener Pkw, der über Megafon seine Waren anbietet, fährt mehrmals an uns vorbei. Auf einer Mauer im Camp sind UN-Resolutionen und Bilder von Bewohnern, die im Kampf für die Freiheit Palästinas ums Leben kamen, abgebildet.
Jericho, Qumran und das Tote Meer
Mit einem Sammeltaxi fahren wir weiter nach Jericho. Diesmal sitzen wir zwei Stunden im Auto, ehe es sich füllt. Als dann immer noch ein Platz unbesetzt bleibt, zahlen wir 15 Schekel (4 Euro) zusätzlich und fahren endlich los.
Jericho, die angeblich älteste Stadt der Welt, ist überschaubar und staubig. Das Sommerhaus einer arabischen Kaufmannsfamilie aus Jerusalem, in dem wir ein Zimmer gemietet haben, liegt an einem Berghang, ruhig und in klarer Luft.
Ein Taxi bringt uns nach Qumran am Westufer des Toten Meeres. In den Höhlen des Ortes fanden Hirtenjungen 1947 Tonkrüge mit antiken Schriftrollen. Auch wenn diese im Museum in Jerusalem liegen, der Ort, wo sie gefunden wurden, interessiert uns. Der Anstieg hinauf zu einer der Höhlen ist steil und belohnt uns mit einer guten Sicht zum Toten Meer und einem Blick über die ausgegrabenen Ruinen der Siedlung aus antiker Zeit.
Die Sonne scheint, der Wind weht kalt. Von den 27 Grad Lufttemperatur ist nichts zu spüren. Trotzdem machen wir uns auf den Weg zum Toten Meer. Das baden wird wegen des Wellenganges jedoch zu einem schmerzhaften Unterfangen: Der Meeresboden ist steinig und scharfkantige Felsen liegen im Wasser. Trotz aller Vorsicht hat Marc ein paar Schürfwunden am Bein und mir fliegen meine nassen Haarspitzen in die Augen, was höllisch brennt und mich für einen Augenblick blind werden lässt. Nach drei Stunden reicht es uns und wir kehren zurück in die Herberge.
Wandern im Wadi Quelt
Von Jericho bis Jerusalem zieht sich das Wadi Quelt durch die Wüste. An einer Felswand über dem trockenen Flussbett klebt malerisch das Kloster St. Georg. Der Eintritt in das Kloster ist für Frauen nur mit Kleid oder langem Rock erlaubt. Ich habe Hosen an. Marc gibt mir sein Hemd, das er als Sonnenschutz trägt. Ich wickele das Hemd um die Hüften, verknote die Ärmel und schon habe ich einen Rock an, der akzeptiert wird.
Ein schmaler Hirtenpfad zieht sich vom Kloster durch das Wadi nach Jericho. In einem Felsen befinden sich zwei Fenster und eine Veranda, von der ein Korb herabhängt, mit dem Waren hochgezogen werden. Eine Leiter führt in mehreren Abschnitten zu der Felsenwohnung.
Zwischen den Felswänden taucht Jericho auf. Die Stadt selbst hat den Charme arabischer Städte und so gehen wir weiter zum Berg der Versuchung, an dem Jesus während seiner 40-tägigen Fastenzeit den Versuchungen des Teufels widerstand und fahren mit der Seilbahn hinauf. Gerade noch rechtzeitig vor der Schließung betreten wir das an einem Hang gelegene griechisch-orthodoxe Kloster Deir al-Quruntul. Diesmal wird meine lange Hose akzeptiert. Vom Balkon des Klosters wandern unsere Blicke über die Stadt bis zum Toten Meer. Am Horizont leuchten in der Abendsonne die Berge von
Jordanien.
Am Grenzübergang nach Jordanien gibt es zwei Abfertigungsgebäude: eines für Palästinenser und eines für Touristen und Palästinenser aus Ostjerusalem. Vor dem Gebäude für Palästinenser reiht sich kilometerlang Auto an Minibus. Es ist Donnerstag und viele sind auf Pilgerreise nach Jordanien. Wir hoffen, dass es am anderen Terminal entspannter zugeht.
Als Touristen dürfen wir mit einem Taxi direkt zum israelischen Abfertigungsgebäude fahren. Der reguläre Preis beträgt 50 Schekel (11 Euro). Der Fahrer, der uns in Jericho eingesammelt hat, stoppt an einem für diesen Zubringerdienst zugelassenen Auto. Mürrisch kurbelt der Taxifahrer das Fenster herunter. Mürrisch blickend wirft er unsere Rucksäcke in den Kofferraum. Dann verlangt er 100 Schekel (22 Euro). Das wollen wir nicht zahlen. Daraufhin wirft er wütend die Rucksäcke aus dem Auto. Sofort ist ein Soldat da, nimmt ihm seine Papiere ab und verschwindet damit.
Wir fahren zu einem anderen Taxi-Stellplatz, zahlen 50 Schekel, beantworten an einem israelischen Posten die obligatorische Frage nach Bomben oder Waffen im Gepäck und die eher seltene Frage in welcher Beziehung wir zueinander stehen und werden fünf Minuten später am israelischen Terminal abgesetzt. Dort zahlen wir jeder 50 US Dollar an Ausreisegebühr und steigen in einen Shuttlebus, der uns zur jordanischen Grenze bringt. Den Jordaniern reicht ein Blick in die Pässe und wir können einreisen.
Von Amman zur Felsenstadt Petra
Um nach Amman zu kommen, müssen wir ein Taxi nehmen. An der Altstadt von Amman hält der Fahrer. Weiter dürfe er nicht fahren, erklärt er uns, lässt uns aber nicht, wie befürchtet, einfach stehen, sondern bringt uns zu Fuß bis zum Hotel. Das liegt nur wenige Gehminuten vom römischen Amphitheater und der Moschee entfernt. Nach einer Besichtigungstour und einem Glas Orangensaft kehren wir zurück in die Unterkunft.
Sturm und Regen lassen uns nicht schlafen. Um 8.30 Uhr klopft es an der Tür: Das Frühstück wird serviert. Gemütlich ist es im Hotel und wir haben keine Lust abzureisen. Aber wir müssen los, wenn wir unser Ziel Petra noch erreichen wollen. Es ist Freitag und Minibusse fahren nur wenige an diesem Tag. Letztendlich sitzen wir bis zur Abfahrt zweieinhalb Stunden im Bus. Vier Stunden und 245 Wüstenkilometer später kommen wir in Petra an.
Wadi Rum: Filmkulisse für den Film „Lawrence von Arabien“
Den Besuch der alten Nabatäerstadt Petra verschieben wir wegen des miesen Wetters. Stattdessen kreuzen wir am nächsten Tag mit Jeep und Fahrer durch das Wadi Rum. Dort scheint die Sonne und lässt Berge und Wüstensand im bunten Licht schimmern. Bizarre Felsformationen laden zum Klettern ein, von Sanddünen genießen wir atemberaubende Blicke durch das breite Tal. Abwechselnd fahren auch wir mit dem Jeep durch die fantastische Landschaft. Zum Abschluss halten wir an der Filmkulisse für den Film „Lawrence von Arabien“.
Felsenstadt Petra
Kein Regen und angenehme Temperaturen überraschen uns am nächsten Tag. Das Wetter ist ideal zum Besuch der Felsenstadt Petra. Zur alten Nabatäerstadt verläuft der Weg durch einen Siq, einer 800 Meter langen und 200 Meter hohen Felsspalte, die durch tektonische Verschiebungen entstand. Als wir um die letzte Kurve biegen, leuchtet uns das von der Sonne herrlich angestrahlte, 40 Meter hohe und 25 Meter breite Schatzhaus entgegen.
Wir folgen dem Weg in die Stadt. Monumentale Grabtempel und Wohnhöhlen reihen sich in den Felswänden aneinander. Nach einem etwas mühevollen Aufstieg über 756 Stufen erreichen wir den Opferplatz. Ruhig ist es hier oben. Eigentlich. Wenn da nur nicht ein Asiat mit seinem am Rucksack baumelnden, lautstark plärrenden Radio wäre.
Vorbei am Römischen Theater, der Königswand mit Urnengrab, Korinthischem Grab und Palastgrab nehmen wir die nächsten 800 Stufen in Angriff, die bergauf zum Felsentempel ad-Deir führen. Wieder taucht der Asiat mit seinem Radio auf. Marc eilt die Stufen hinauf, um dem Lärm zu entkommen.
39 Meter hoch und 47 Meter breit steht der Felsentempel vor uns. Bei arabischem Kaffee, frisch gepresstem Orangensaft und einem Sandwich, das hart gegen hungrige Katzen verteidigt werden muss, lassen wir die Gedanken in die nabatäische Vergangenheit schweifen.
Am nächsten Morgen verlassen wir Jordanien und kehren zurück nach
Israel.
Am Grenzübergang in Akaba herrscht gähnende Leere. Es scheint eine schnelle Ausreise zu werden. Wir zahlen 20 JOD (27 Euro) Ausreisegebühr, dann hakelt es doch noch. Der Einreisestempel fehlt. Irgendwo im Rucksack finde ich noch die Quittung über die israelische Ausreisegebühr. Auf ihr ist der Grenzübergang vermerkt und wir bekommen Ein- und Ausreise gleichzeitig in den Pass gestempelt. Alles hat wieder seine Richtigkeit.
Ein Schild heißt uns in Israel willkommen. Die Rucksäcke werden gescannt. Marc muss seinen Tagesrucksack auspacken. Als er die in Jerusalem erstandene Weihnachtskrippe auswickelt, fängt sie an „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu spielen. Sekundenlang ist es still, bis der Grenzer zu lachen anfängt und Marc einreisen lässt. Nun wird mein großer Rucksack gefilzt. Mehr und mehr wird ausgepackt, der Rucksack erneut durch den Scanner geschoben, weiter ausgepackt, bis er – nun schon leer – ein letztes Mal durchgeschoben wird. In der Hand der Grenzer bleiben sämtliche Printmedien und Ausdrucke, die ich dabei habe. Vor allem die Pilgerurkunde aus Bethlehem sorgt für Ärger. „Was steht hier?“, werde ich unfreundlich gefragt. Eine Vorgesetzte wird geholt. Die ist zum Glück entspannt und lässt sich kurz die Bedeutung der Urkunden erklären. Dann nickt sie freundlich und wir dürfen einreisen.
Ein Taxi bringt uns zum Busbahnhof nach Eilat. Der Bus nach Tel Aviv steht gerade zur Abfahrt bereit und nach fünf Stunden Fahrt durch die Negev steigen wir in Tel Aviv aus.
Tel Aviv: jung und modern
Die letzten zwei Tage verbringen wir bei herrlichem Sonnenschein in Tel Aviv, laufen am Strand entlang in den alten arabischen Stadtteil Jaffa, vertiefen uns in die Geschichte Israels bei Besuchen von Etzel-Museum und IDF-Museum (Israel Defense Forces) und schlendern über den Carmel Markt, dem größten Obst- und Gemüsemarkt der Stadt.
Um Mitternacht brechen wir auf zum Flughafen. Auf dem Bahnhof erklingen Klaviertöne. Beschallung für unruhige Wartende, denken wir. Ein Irrtum. Auf dem Weg zum Bahnsteig steht ein Flügel und jeder, der kann oder will, spielt darauf ein paar Noten.
Die Abfertigung am Flughafen verläuft schnell. Ich stelle mich neben jemanden, der offensichtlich wichtig ist. Ein Interviewer – ohne Interview gibt es keine Abfertigung am Schalter – gibt dem Mann neben mir ohne Kommentar ein Bändchen, das ihn zur Ausreise berechtigt und mir gleich mit. Schneller und unkomplizierter hätte es nicht laufen können.