Bolivien

Ein Streit ist wie Buttermilch, je mehr man drin rührt, desto saurer wird er.
(Sprichwort aus Bolivien)

Reisejahr 2008 | Lesezeit 8 Minuten

Peru – Copacabana – La PazUyuni Potosi – Sucre – La Paz – Puno – Peru

An der Grenze zwischen Peru und Bolivien am Titicacasee geht es entspannt zu: Ausreisestempel abholen, ein paar Meter laufen, Einreisestempel abholen, fertig. Ein Bus fährt von der Grenze ins acht Kilometer entfernte Copacabana.

Copacabana ist der bedeutendste Wallfahrtsort Boliviens. Familien aus dem ganzen Land und Peru reisen hierher, um ihre bunt geschmückten Autos segnen zu lassen.

Copacabana-Bolivien
Copacabana
Copacabana-Bolivien
Kirche in Copacabana
Copacabana-Bolivien
Gesegnete Autos

Wir versuchen, den 3966 Meter hohen Hausberg zu erklimmen, geben jedoch auf der Hälfte des Weges auf: Die Sonne scheint zu heiß und ohne Koka-Blätter macht uns die Höhe zu sehr zu schaffen.

Ein Boot bringt uns zur Insel Isla del Sol (Sonneninsel). Der Legende nach erblickte dort die Sonne das Licht der Welt und ließ der Sonnengott Inti das erste Inka-Paar zur Erde. Wir versuchen die höchste Erhebung (4075 Höhenmeter) zu erklimmen. Der Aufstieg gestaltet sich etwas mühselig. Zum Glück kommen wir an einer Quelle mit drei Zuflüssen vorbei. Einer davon soll ein Jungbrunnen sein; wir trinken davon und stehen einige Zeit später auf dem höchsten Punkt der Insel.

La Paz: der höchstgelegene Regierungssitz der Welt

Zurück vom Inseltrip steigen wir in den Bus nach La Paz. Ein paar Kilometer rumpelt das in die Jahre gekommene Gefährt durch die trockene Landschaft, ehe an einem See ohne Brücke die Fahrt vorerst endet. Während der Bus auf einem Floß geparkt wird, besteigen wir ein Motorboot und folgen dem lustig auf den Wellen schaukelnden Bus ans andere Ufer.

La Paz liegt begrenzt von schneebedeckten Gipfeln in einem riesigen Talkessel. Wir beziehen ein Zimmer in einer Fußgängerzone. Was wir nicht wissen, am Abend wird aus der ruhigen Zone eine Straße mit viel Verkehr.

La-Paz-Bolivien
La Paz
La-Paz-Bolivien
La Paz
La-Paz-Bolivien
La Paz

Den geplanten Stadtbummel müssen wir weitestgehend wegen der Höhe, der Hitze, der Abgase und den überall statfindenden Demonstrationen ausfallen lassen.

Ruhig ist es nur in den kleinen Gassen mit ihrer Vielzahl an Läden und dem Coca-Museum, das im Rahmen eines Präventionsprogramms entstand. In der Zaubergasse und auf dem Hexenmarkt gibt es getrocknete Lamaföten, Schlangenfleisch und andere Ingredienzen, die auch die ausgefallensten Wünsche erfüllen und dem Schicksal der Kunden auf die Sprünge helfen.

Uyuni: die Salzwüste Boliviens

La Paz verlassen wir mit einem superbequemen Nachtbus. Der Service an Bord ist noch besser als in Peru, nur die Straßen sind schlechter. Am Morgen begrüßt uns Uyuni, ein erdfarbenes staubiges Dorf, durch das ständig ein kalter Wind weht, mit Temperaturen knapp über 0 Grad.

Uyuni-Bolivien
Uyuni
Uyuni-Bolivien
Uyuni
Uyuni-Bolivien
Kirche in Uyuni

In Uyuni machen wir uns startklar für eine dreitägige Tour über den Salar de Uyuni, den größten Salzsee der Welt.

Die Tour beginnt am „Friedhof der Züge“. Mitten in der grell-weißen Landschaft stehen ausrangierte Lokomotiven und rosten bis zur Auflösung vor sich hin. Ein Schienenstrang Richtung Chile zieht sich bis zum Horizont und zeugt von der Zeit als Uyuni ein bedeutender Knotenpunkt für den Gütertransport war.

In Colchani, einem Dorf, das wegen der Salzgewinnung entstand, sehen wir der archaisch anmutenden Salzgewinnung zu. Das in mühevoller Handarbeit zu Speisesalz verarbeitete Gewürz kann auf dem Markt gekauft werden.

Kurz darauf rollt das Auto auf die surrealistisch wirkende, gleißend helle Salzfläche des 12 000 Quadratkilometer großen Salar de Uyuni. Kleinere und größere Salzhaufen stapeln sich auf der Fläche. Ab und an ist die Salzdecke von Wasseraugen, die bräunlich schimmern, unterbrochen.

Salar-de-Uyuni-Lokfriedhof
Friedhof der Züge
Salar-de-Uyuni-Salzhotel
Salzhotel
Salar-de-Uyuni-Isla-Incuahasi
Isla Incuahasi

Inmitten des Sees liegt die fischförmige Insel Isla Incuahasi (Haus des Inka). Ein bizarrer Anblick. Meterhohe uralte Kakteen stehen über die gesamte Insel verteilt. Der älteste Kaktus ist 1200 Jahre alt.

In einem kleinen Dorf übernachten wir in einer schlichten Herberge und reisen am nächsten Tag weiter zum Salar de Chiguana. Vorbei an verschiedenen Lagunen und dem steinernen Baum, einem Felsen, der vom Wind geformt wurde, fahren wir quer durch Südbolivien bis zu der auf 4300 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Laguna Colorado.

Weißes Salz liegt am Ufer der Lagune, rosa Flamingos stehen im dunkelroten Wasser, bunte Berge im Hintergrund runden das surreale Bild ab. Die Intensität der Farben wird durch die starke Leuchtkraft der Sonne noch gesteigert. Eisiger, scharf wehender Wind durchdringt Jacken und Pullover. Es ist unmöglich, am See zu wandern und das Naturschauspiel zu genießen.

Unweit des Sees steht eine einfache gemauerte Baracke: das Quartier für die Nacht. Auf steinernen Betten liegen Matratzen, in den Räumen ist es nicht viel wärmer als unter dem freien Himmel, nur der Wind bleibt draußen.

Am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen. Es ist noch dunkel. Draußen sind Minus 20 Grad Celsius. Agostino – Reiseleiter, Fahrer, Koch und Automechaniker in einer Person – versucht, den Motor aufzutauen. Mithilfe des Gaskochers gelingt es, nach einer längeren Zeit den Motor zu starten. Eile ist angesagt. Das erste Tagesziel, der Geysir Sol de Mañana ist nur früh aktiv.

Durchgefroren erreichen wir die „Marslandschaft“ auf 4850 Meter. Der Geysir ist noch aktiv. Wir halten unsere klammen Finger in die zehn Meter hohe Dampffahne. Bei einem Spaziergang über das Geysirfeld mit seinen brodelnden Schlammlöchern wärmen wir uns auf.

Durchgewärmt lässt uns die Aussicht, in den auf 4200 Meter Höhe befindlichen Thermalquellen zu baden, kalt.

Die Fahrt geht weiter durch extreme, atemberaubende Landschaften in Richtung chilenische Grenze. Eisiger Wind, gleißende Sonne und Flamingos an den Lagunen sind unsere Begleiter. Erstaunlich, wie die klapperdürren Vögel auf solcher Höhe überleben können. Derweil pustet der Vulkan Ollague weiße Rauchwolken in den blauen Himmel.

Plötzlich bleibt das Auto stehen. Das Kühlwasser kocht. Wir sitzen fest. Agostino bastelt und bastelt. Jeder, der vorbeikommt, versucht zu helfen. Das Auto ist vor Ort jedoch nicht mehr zu reparieren. Agostino versucht, ein Auto zu stoppen, das uns mit nach Uyuni nimmt.

Die Zeit vergeht. Die Autos, die hier entlang fahren, sind voll besetzt. Es werden immer weniger. Endlich hält ein Auto, in dem noch zwei Plätze frei sind. Die Fahrer diskutieren. Es geht um die Mahlzeiten für den Rest des Tages. Jeder Fahrer hat nur so viel Lebensmittel an Bord, wie er für seine Gäste benötigt. Agostino hat jeden Tag gekocht, der andere Fahrer hat keine frischen Lebensmittel dabei. Seine Gäste bekommen Fertiggerichte und die sind abgezählt. Wir versprechen, keinen Hunger zu bekommen.

Die französischen Sportler, in deren Auto wir sitzen, wollen zur Laguna Verde, ein See, der auch bei Minusgraden nicht zufriert. Das Wasser der Lagune färbt sich je nach Windstärke grün bis türkis. Die Farbe erhält der See durch seinen hohen Gehalt an Blei, Schwefel und Kalzium. In seinem grünblauen Wasser spiegeln sich die Gipfel der 6000 Meter hohen Berge.

Laguna-Colorado-Bolivien
Laguna Colorado
Vulkan-Ollague
Vulkan Ollague
Laguna-Verde-Bolivien
Laguna Verde

Auf der Rückfahrt nach Uyuni, holt der Fahrer alles aus dem Auto raus. Einziger Stopp ist eine Essenspause. Bis das Mahl aufgewärmt ist, wird Fußball gespielt. Statt dem geplanten Besuch der Salvador-Dali-Wüste treiben wir Sport auf 4000 Höhenmetern.

Jetzt haben wir doch Hunger. Aber auch das ist kein Problem. Es wird so viel aufgetischt, dass wir für die nächsten Tage satt sind.

Nach der Rückkehr übernachten wir noch einmal in Uyuni. Am Morgen schallen statt des Weckers Salven und Musik einer Militärkapelle durch das Zimmer. Es ist der 6. August, der Tag der Unabhängigkeit von Spanien. Einen kleinen Umzug sehen wir noch auf der Straße, dann naht auch schon der Bus nach Potosi.

Potosi: die am höchsten gelegene Großstadt der Welt

Sechs Stunden nach dem Aufbruch aus Uyuni kommen wir nach einer beeindruckenden Fahrt im Schritttempo über den Altiplano und seinen in engen Serpentinen verlaufenen Sandpisten in Potosi an.

Prächtige Kolonialbauten aus dem 17. und 18. Jahrhundert bilden das Zentrum der Stadt. Der 4800 Meter hohe Berg Cerro Rico ist der Schicksalsberg von Potosi. Sein Silberreichtum machte die Stadt im 17. Jahrhundert zu einer der größten der Welt. Im Zuge des Silberabbaus kamen auch Bergexperten aus Annaberg hierher. Sie brachten das Annaberger Bergrecht von 1509 mit.

Noch heute lebt Potosí vom Bergbau. Abgebaut werden hauptsächlich Zinn und Zink. Die Zwangsarbeit ist der Arbeit in Kooperativen gewichen. Das Annaberger Bergrecht gilt nach wie vor. Auch die Arbeitsbedingungen und Abbaumethoden haben sich kaum geändert. Noch immer stirbt im Durchschnitt ein Minenarbeiter pro Tag: der größte Teil an einer Staublunge, ein Drittel an Unfällen innerhalb der Minen, zum Beispiel durch Explosionen. Die meisten Arbeiter haben außer einem Helm keine Schutzkleidung.

In den Minen von Potosi

Ausgestattet mit Gummistiefeln, Hose und Jacke zum Schutz gegen Dreck sowie Helm mit Stirnlampe, gehen wir auf dem ‚Mercado de los Mineros‘, dem Markt der Minenarbeiter, Gastgeschenke kaufen. Coca-Blätter und 95-prozentiger Alkohol landen zuerst in unseren Taschen. Die Entscheidung, welchen Sprengstoff wir mitnehmen sollen, fällt schon schwerer. Wir entscheiden uns für große und kleine Dynamitstangen.

Hunderte Mineneingänge führen in den Berg, der zerlöchert ist wie ein Schweizer Käse. Der Eingang zur Mine ist ein mannshoher Schlund. Der erste Weg im Berg führt zu El Tio, dem Eigentümer aller Mineralien.

Minen am Cerro Rico in Potosi
Minen am Cerro Rico
Mineningang
Sprengung

Der Teufel sitzt in einem Raum, ist behängt mit Papierschlangen, hält eine Zigarette im Mund, Coca-Blätter liegen über seinen Körper verteilt, Flaschen mit Hochprozentigem lagern zu seinen Füßen. Auch wir geben ihm Coca-Blätter und bitten um seinen Schutz.

Schutz vor Staub und giftigen Gasen soll ein Tuch vor Mund und Nase bieten. Lange befindet es sich nicht an diesem Platz. Die Gefahr, giftige Gase wie Grubengas oder Arsen- und Schwefeldämpfe einzuatmen, lassen wir unbeachtet. Zu stickig, staubig und sauerstoffarm ist die Luft.

Im Schnitt verbringt ein Arbeiter acht Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche im Berg. Meist ist er allein in den endlosen Stollen. Nur das Geräusch der Hämmer dringt geisterhaft durch die Dunkelheit. Eine kurze Strecke im Dunkeln laufend, folgen wir dem Geräusch. Ein schwaches Licht taucht aus der staubigen Luft auf. Ein Minenarbeiter bereitet eine Sprengung vor. Er meißelt Löcher ins Gestein. In seiner Wange hat er eine Kugel Coca-Blätter. Nur so lassen sich Hunger, Müdigkeit und die Härte der Arbeit verdrängen. Wir geben ihm Blätter und die passenden Dynamitstangen.

Überall ist Staub. Auf dem Boden, in der Luft, in den Lungen, in jeder Pore. Über wacklige Leitern, denen ein Teil der Sprossen fehlen, geht es durch enge Löcher eine Ebene tiefer. Der Schacht ist eng, nur einen knappen Meter niedrig. Dafür steigen die Temperaturen. Unfassbar, dass ein Minenarbeiter 20 Kilogramm Gestein auf dem Rücken ans Tageslicht befördert.

Das dumpfe Dröhnen von Sprengungen ist zu hören. Gestein versperrt den Weg. Ein älterer Einsturz.

Unverhofft dringt ein heller Schimmer durch den Staub. Schräg über uns leuchtet durch ein kleines Loch strahlend blau der Himmel. Die letzten Meter ans Tageslicht führen in einem 80-Grad-Winkel nach oben. Das Gestein bietet zwar nicht viel Halt, die Motivation, endlich wieder in der Sonne zu stehen und Sauerstoff zu atmen, ist jedoch so hoch, dass auch die Kletterei kein Problem ist.

Als ich wieder an der Oberfläche bin, habe ich das Gefühl, in der frischen Luft zu ersticken. Die Lungen sind voller Staub. Die ersten Minuten vergehen mit Husten, dann kann ich endlich wieder richtig Luft holen.

Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Minenarbeiters beträgt 40-50 Jahre. Nach 10 Jahren regelmäßiger Arbeit im Berg erkranken die meisten tödlich. Der jüngste Bergarbeiter ist 14 Jahre alt.

Sucre: die „Weiße Stadt“

Am nächsten Tag reisen wir weiter nach Sucre. Drei Stunden benötigt der Bus von der Minenstadt bis Sucre, der konstitutionellen Hauptstadt Boliviens. Gefühlt sind wir in einem anderen Bolivien angekommen: Das Klima ist mild, die Häuser im Kolonialstil sind weiß angestrichen und die Parkanlagen gepflegt. Von dem Konflikt zwischen dem armen Andenhochland im Westen Boliviens, in dem sich die politische Macht konzentriert, und dem reichen Tiefland, in dem sich die wirtschaftliche Macht ballt ist in Sucre im Gegensatz zu La Paz nichts zu spüren.

La Paz zum Zweiten

Ein Flieger bringt uns zurück nach La Paz. Dank des optimalen Flugwetters können wir den Altiplano in seiner vollen Schönheit bewundern: zum Greifen nahe schneebedeckte Gipfel, Andendörfer, die sich in Felsspalten drängen, schmale Pisten, die sich um Felsen winden.

Bei unserer Ankunft in der Stadt reiben wir uns die Augen. Die letztens noch überfüllten Straßen sind leer, weder Autos noch Menschen sind unterwegs. Wir erfahren, dass die Politik von Präsident Evo Morales, der mit umfassenden Reformen die rechtliche und wirtschaftliche Stellung der indigenen Bevölkerungsmehrheit deutlich stärken will, nun in einer Volksabstimmung klar bestätigt wurde.

Wir laufen zur Gefängnisstadt San Pedro. Freundliche Wachhabende lassen unsere neugierigen Blicke in die Gefangenenstadt zu. Die Stadt in der Stadt teilt sich in Viertel für die Armen, in denen sich mehrere Gefangene eine Zelle teilen und Viertel, in denen die Insassen ein kleines Zimmer bewohnen. Viele Frauen und Kinder leben bei den inhaftierten Vätern, verlassen jedoch tagsüber das Gefängnis, um zur Schule zu gehen. Kleinere Kinder besuchen den Kindergarten auf dem Gelände. An Marktständen und in kleinen Läden gibt es Essbares und Alltagswaren zu kaufen; tägliches Geschäft sind jedoch die Herstellung und der Verkauf von Drogen.

Von La Paz wollen wir nach Cusco weiter reisen. Um die Fahrt nicht zu lang werden zu lassen, und wegen der nicht voraussehbaren Wartezeit an der Grenze zu Peru, übernachten wir noch einmal in Puno.

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