Gott muss bei ziemlich guter Laune gewesen sein, als er die kleinen Inseln der Malediven im Indischen Ozean verstreute.
(Sprichwort von den Malediven)
Reisejahr 2019
Indien – Malediven – Ari-Atoll: Inseln Feridhoo und Bodufolhudhoo – Indien
Das Kopfkino vom beeindruckenden Anflug auf Male, der Hauptstadt der Malediven, mit Blick über die im Ozean verstreut liegenden Inseln bleibt so dunkel wie die Nacht, die uns bei der Landung umgibt.
Die Malediven bestehen aus mehr als tausend Koralleninseln, von denen ungefähr 220 Inseln bewohnt sind. Von den über zwanzig ringförmigen Atollen, über die sich die Inseln verteilen, haben wir uns für zwei Inseln im Ari-Atoll als Ausgleich und Muße nach den Tagen in Indien entschieden.
Das Ari-Atoll erstreckt sich von Nord nach Süd über 80 Kilometer, hat eine Breite von 30 Kilometern und 81 Inseln von denen 18 bewohnt sind.
Von den 18 bewohnten Inseln haben wir uns die im Nordosten des Ari-Atolls liegenden Inseln Feridhoo und Bodufolhudhoo ausgesucht.
Zwischen den Inseln des Atolls verkehren täglich einfache Fähren. Nach Male der Hauptinsel der Malediven, jedoch nur an bestimmten Wochentagen. Alternativ steuern täglich außer freitags Speedboote, auf denen ein Platz reserviert werden muss, die Inseln an.
Unser Gastgeber auf Feridhoo, Bilal, hat Plätze auf einem Speedboot reserviert. Zwei Stunden sind wir unterwegs, inklusive umsteigen auf der Insel Bodufolhudhoo in Bilals Motorboot.
Bereits nach einer Stunde Fahrt sehnen sich außer mir noch einige Fahrgäste sichtlich nach einem Ende des Holperns über die Wellen. Erst die Fahrt mit Bilals Boot nach Feridhoo lässt Urlaubsfreude aufkommen. Delfine und ein Hai schwimmen dem Boot entgegen. Auf einer Sandbank mitten im Meer stehen Sonnenschirm, Tisch und Stühle: Ein Pärchen genießt ein Picknick.
Insel Feridhoo
Feridhoo hat 500 Einwohner. Bilal zeigt uns die Insel. Das Gästehaus steht nah an einem schmalen Strand. Der Bikini Beach liegt zehn Minuten zu Fuß entfernt auf der anderen Inselseite. Jedes Gästehaus hat dort ein paar Liegen stehen. Das gibt dieser kleinen Insel mit ihrer Handvoll Touristen ein Mallorcafeeling.
Am Ufer liegt ein Bündel leerer Wasserflaschen. Bilal nimmt sie und wirft sie in das Gebüsch hinter dem Strand. Unrat schwimmt auch im Hafenbecken, der Strand der Bewohner ist völlig vermüllt.
Spätestens zwei Stunden vor der gewünschten Zeit muss das Abendessen im Gästehaus bestellt werden. Die Entscheidung fällt für ein Fisch-Barbecue, schließlich sind wir mitten im Indischen Ozean. Der Hausherr schüttelt den Kopf: „Fisch gibt es heute nicht, vielleicht morgen wieder. Wählt was anderes aus.“ Irritiert blicken wir uns an, eine Entscheidung wollen wir indes erst nach dem Schnorcheln treffen.
Das Gästehaus liegt 20 Meter vom Strand und dem Hausriff entfernt. Erwartungsvoll tauchen wir ab ins türkisfarbene, klare Wasser. Als Erstes habe ich eine Wasserflasche im Blickfeld, Marc eine Getränkedose. Ein paar bunte Fische schwimmen zwischen ausgeblichenen Korallen, der Hingucker ist eine Muschel mit königsblauem Rand. Etwas enttäuscht schnorchle ich zurück zum Strand. Als ich auftauche, steht eine Frau mit ihrem kleinen Sohn am Ufer und leert einen Mülleimer aus. Windeln und Abfallbeutel liegen verteilt auf dem hellen Sand. Krähen stürzen sich auf den Müll und zerpflücken ihn. Nach und nach spülen die Wellen den Dreck ins Meer. Mir ist die Lust auf weitere Schnorcheltouren vorerst vergangen.
Hunger haben wir trotzdem; zwei Stunden auf ein bestelltes Essen im Gästehaus warten wollen wir nicht, also suchen wir eine der zwei Möglichkeiten, die es auf der Insel zum Essengehen gibt auf. Zuerst steuern wir das Café, in dem die Einheimischen verkehren, an. Auf der kleinen Menükarte, einem handgeschriebenen Zettel, der auf der Rückseite des Tresens klebt, stehen drei Gerichte: Hühnchen mit Reis, Thunfisch mit Reis und Thunfisch mit zerschnittenem Fladenbrot. Wir tippen auf Thunfisch mit Reis. Reis hätte er keinen mehr, teilt uns der Eigentümer des Cafés mit. Bleibt nur Thunfisch mit Fladenbrot.
Serviert wird ein undefinierbarer Pamps. Irgendwo auf dem Teller sind winzige Thunfischbröckchen vergraben. Der Hunger treibt das Essen rein.
Unzufrieden machen wir uns auf die Suche nach dem Inselrestaurant. Dort gibt es tatsächlich eine gute Karte. Nur das Essen muss zwei Stunden vorher bestellt werden. Verdrossen ziehen wir ab, kaufen im Dorfladen ein paar Kekse und freuen uns auf das Frühstück am nächsten Tag.
Im Gästehaus werden verschiedene Schnorcheltouren angeboten. Eine Tour zu den Walhaien hat unser Interesse geweckt. Der Spot liegt vor der Insel Maamigili am südlichen Ende des Ari-Atolls – ein Acht-Stunden-Trip.
Statt ausschlafen, heißt es früh aufstehen. Außer Marc und mir sind nur Bilal und der Bootsführer an Bord des Motorbootes. Fliegende Fische bilden die Eskorte.
Am Walhaispot ist viel los. Touristenboote mit bis zu 30 Gästen an Bord kurven auf der Suche nach dem Walhai durch den Ozean. Ein Boot gibt plötzlich Gas. In seinem Fahrwasser prescht unseres hinterher. Ein Walhai wurde entdeckt. Als wir vier Minuten später ins Wasser springen, ist er gerade verschwunden. Die Suche geht weiter. Ein Pfiff ertönt. Taucher haben ihn wieder gesichtet. Diesmal sind wir dicht dran und stürzen ins Wasser.
Ruhig zieht der vier Meter lange Fisch unter uns seine Bahn. Ganze zwei Minuten können wir den Anblick genießen. Weitere Boote sind am Spot angekommen, Schwimmflossen wirbeln das Wasser auf, der Walhai taucht ab.
Unser Boot dreht, auf der Suche nach dem nächsten Exemplar, weitere Runden über das Wasser. Nach und nach lichtet sich der Kreis der Suchenden. Unser Bootsführer fährt in den Hafen von Maamigili. „Wollt ihr die Insel besichtigen?“, fragt er. „Nein, wir wollen schnorcheln.“
Er stutzt kurz und fährt zurück aufs Meer. Die Boote sind mittlerweile alle verschwunden, die Walhaie für heute auch. Als letzte Ausbeute entdecken wir einen Riffhai und eine Moräne.
Mit Vollgas geht es zurück nach Feridhoo. Wind ist aufgekommen. Das Boot setzt hart auf den Wellen auf. Mein Nacken schmerzt und wird immer unbeweglicher. Feridhoo kommt und kommt nicht in Sicht.
In Sichtweite rauschen wir an etlichen Inselchen, auf denen Urlaubsresorts gebaut werden, vorbei. Die Malediven setzen unübersehbar auf Massentourismus. Nicht nur unbewohnte Inseln werden zu Resorts ausgebaut. Auf den bewohnten Inseln entsteht ebenfalls auf jedem freien Fleckchen ein Gästehaus. Auf Feridhoo werden gerade die fünfte und sechste Herberge fertiggestellt.
Die Rückenschmerzen beim harten Aufsetzen des Bootes auf den Wellen lassen sich leidlich durch Aufstehen – bei größeren Wellen – und wieder setzen abmildern. Durch den zusätzlichen Sport wird der Hunger immer größer.
Für den Abend ist im Gästehaus bereits das Fisch-Barbecue bestellt. Wieder werden wir enttäuscht. Fisch im Ganzen war auch heute nicht aufzutreiben, immerhin landet ein Stück Fischfilet auf unseren Tellern.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg nach Bodufolhudhoo. Zwischen den beiden Inseln liegen nur 16 Kilometer Wasserweg. Die Distanz ist gering genug, um statt dem Speedboot die gemächlich schaukelnde Fähre zu nehmen.
Das Holzboot für 82 Passagiere kann nur dank der Manövrierkunst des Bootsführers im Hafenbecken wenden. Kaum hat sie den Hafen verlassen, werden die ersten Passagiere – alles Einheimische – blass.
Ankunft auf Bodufolhudhoo
Bodufolhudhoo ist die sauberste und kleinste bewohnte Insel im Ari-Atoll. Es gibt eine Schule, Gesundheitsstützpunkt, zwei Moscheen und eine Mülltonne an jeder Straßenecke. Flughunde hängen in den Bäumen, der Muezzin ruft zum Gebet.
Das Gästehaus hat vier Zimmer, Terrasse mit Liegestühlen, Hängematten zwischen den Bäumen und einen durch Hecken abgetrennten Essbereich im Garten. Statt brauner Erde liegt weißer Sand auf dem gesamten Grundstück.
Unser größtes Interesse gilt vorerst jedoch den angebotenen Schnorcheltouren. Für den Nachmittag buchen wir einen Haischnorcheltrip. Bis es so weit ist, erkunden wir das Hausriff.
Das Riff ist größer als das auf Feridhoo, hat eine größere Fischvielfalt, im Wasser liegt „nur“ das Skelett eines Sonnenschirms, Müll liegt im Grün hinter dem Strand. Trotzdem gilt die Insel als die sauberste des Atolls.
Bevor der Haitrip startet, werden unsere Erwartungen gedämpft. Die Wahrscheinlichkeit, Haie zu sehen, liegt bei 50 Prozent. Mehrmals wiederholt Hassan, der Guide, seine Worte. Er scheint große Sorge vor verärgerten Gästen zu haben.
Die Fahrt auf der leicht rauen See ist kurz. An einem von Haifischen bevorzugten Platz gehen wir im offenen Meer ins Wasser. Einen Hai sehen wir nicht.
Einen zweiten Versuch an einem Riff gibt es noch. Hassan erteilt die Order, dass nur innerhalb des Riffs geschnorchelt werden darf. Im Wasser spüren wir den Grund, die Strömung zieht uns aufs Meer hinaus. Zum ersten Mal erlebe ich schnorcheln als anstrengend. Haie gibt es auch hier nicht zu sehen, dafür viele bunte Fische. Hoffentlich haben wir mehr Glück bei der morgigen Mantarochen-Tour.
Wieder heißt es viel zu früh aufstehen. Müde hängen wir auf dem Boot. Erst Hassans Ruf „Manta“ macht uns schlagartig munter. Wir stürzen ins Wasser und sehen tatsächlich einen kleinen Rochen unter uns entlang ziehen. Allerdings nicht erwartet majestätisch, sondern zügig.
„Wo ein Manta schnell schwimmt, kommen immer mehrere hinterher“, ruft Hassan und winkt uns zum Boot zurück. Er hat recht. Beim zweiten Sprung ins Wasser ziehen einige Riesenmantas zum Greifen nah vorbei. Majestätisch schweben sie durch den Ozean. Nur leicht mit den Schwimmflossen wedelnd, versuchen wir mit zu schweben. Ein wenig unheimlich wird es, als die Tiere mit ihren vier Metern Spannweite immer näher an die Oberfläche kommen. Einem blicke ich direkt in die von Kopfflossen umgebene Kiemenreuse.
Auf dem Rückweg hadere ich noch eine Weile mit der Tatsache, dass ich die Kamera im Zimmer habe liegen lassen. Aber das tolle Erlebnis und die Delfine, die das Boot begleiten, sorgen schnell für beste Laune.
Im Gästehaus wartet bereits das Frühstück. Wie jeden Tag und auf unseren Wunsch gibt es das klassische Frühstück der Malediver: Thunfischsalat mit Zwiebeln und Kokosraspeln serviert mit Fladenbrot.
Müde sinken wir nach dem Mahl in die Liegestühle und bequemen uns erst am frühen Nachmittag wieder hoch, um über die Insel zu wandern.
Am Strand hängen Hängematten zwischen vertrockneten Bäumen direkt am Wasser. An den Straßenecken stehen große Müllbehälter, Teile der Schule erhalten gerade einen neuen Anstrich, in Hafennähe gibt es ein Gesundheitszentrum. Der Souvenirshop öffnet gerade. Wir haben viel Zeit und sehen uns im Laden um. „Alles auf der Insel hergestellt“, meint der Verkäufer. Amüsiert blicken wir uns an. Die Kartons mit chinesischen Schriftzeichen stapeln sich in den untersten Regalreihen, darin Rochen und anderes Getier aus Holz.
Den Nachmittag verbringen wir mit unserer Lieblingsbeschäftigung – schnorcheln im Hausriff. Die dort von anderen Gästen gesichteten Riffhaie und Schildkröten bekommen wir zwar nicht zu sehen, dafür haben wir viel Vergnügen beim Dirigieren der Stichlingsschwärme und beim Beobachten der Versteckmanöver der Fische, wenn sich unsere Schatten nähern.
Den letzten Tag auf Bodufolhudhoo verleben wir entspannt zwischen Liegestuhl und Hausriff. Ein letztes Mal dirigieren wir Stichlingsschwärme, nähern uns mit den Händen Korallen und freuen uns über die herausstiebenden Fische, sitzen auf Korallen fest und warten auf die nächste Welle, die uns über die scharfkantigen Gewächse hinwegspült, und entdecken bunte Fische, die wir noch nicht gesehen haben. Rundum zufrieden verlassen wir den Strand.
Den Wermutstropfen gibt es zum Abendessen: Beißender Geruch nach verbrennendem Plastik zieht durch die Luft. Auf den Inseln ist es üblich, den Müll zu verbrennen.
Mehrere Starkregenschauer wecken uns nachts. Trotz des anhaltend schlechten Wetters ist das Speedboot nach Male am Morgen nur wenig verspätet. Noch einmal fahren wir an etlichen Inseln vorbei, auf denen eifrig Resorts gebaut werden.
Im Moloch Male
Male kommt in Sicht. Die Skyline, deren Lichter im Dunkeln eine Stadt vorgaukeln, entpuppt sich als kleinstädtische Uferbebauung.
Der Verkehr in Male wird von einer unüberschaubaren Masse an Mopeds dominiert. Dicht aufgereiht stehen sie an jeder Straße oder drängeln sich durch die engen Gassen der Altstadt. Für die Spezies Fußgänger gibt es nur wenig Raum.
Die Sehenswürdigkeiten sind sehr übersichtlich verteilt. Auf dem Fischmarkt gibt es eine bescheidene Fischauswahl, eine Kugel Eis hat europäische Preise, die von Saudi Arabien gesponserte neue, moderne Freitagsmoschee ist ein schmuckloser Betonklotz.
Hinter der neuen Freitagsmoschee steht in Form eines Halbrunds ein Denkmal für die 14 Opfer eines Terroranschlags vom 3. November 1988, als tamilische Guerillas die politische Macht auf den Malediven ergreifen wollten. Vom Präsidenten zu Hilfe gerufene indische Fallschirmjäger stellten die Machtverhältnisse innerhalb von 24 Stunden wieder her.
Males größte Sehenswürdigkeit ist die aus Korallenstein erbaute und im Innenraum mit Holzschnitzereien reich verzierte alte Freitagsmoschee. Zur Hälfte ist sie von einem Friedhof umgeben. Kleine Mausoleen stehen zwischen Grabsteinen, deren Form verrät, ob darunter eine Frau oder ein Mann begraben liegt. Ein spitzer Abschluss steht für einen Mann, ein abgerundeter Abschluss für eine Frau. Wer eine goldene Inschrift auf seinem Grabstein hat, war einst ein Sultan gewesen.
Ein wenig streifen wir noch umher auf der Suche nach einem Fischrestaurant. Wenigstens am letzten Abend soll Fisch auf den Tisch. Aber wie schon auf den Inseln ist es ein schwieriges Unterfangen. Letztendlich stillen wir den Hunger mit Burger und Hähnchenbrust.
Am Morgen trennen sich unsere Wege. Marc fliegt nach Deutschland und ich kehre nach Indien zurück.