Tag 5: Von Tarkeghyang nach Sermathang
Kalte, feuchte Luft zieht durch das winzige Fenster der Lodge in Tarkeghyang im Helambu. Eingerollt in dicke Schlafsäcke haben wir keine Lust aufzustehen. Erst als ein Sonnenstrahl die Holzwände des kleinen Zimmers in mildes Licht taucht, schälen wir uns aus den warmen Hüllen und stehen zehn Minuten später mit gepacktem Rucksack im Gemeinschaftsraum. Zum Frühstück gibt es Tee, Porridge und Chiapati.
Außer uns zwei Wanderern, Guide und Porter ist niemand hier. Es ist Monsunzeit. Angesichts der Gefahr von Erdrutschen, glitschigen Wegen und heftigen Regenfällen verirren sich selten Touristen in dieser Jahreszeit in das Helambu.
Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, die Wege sind trocken. Vor dem Start gehen wir in das Kloster im Dorf. Trommeln und Trompeten sind schon von Weitem zu hören. Wir verweilen eine kurze Zeit vor dem Kloster und hören den Mönchen zu.
Die Sonne verschwindet hinter den Wolken. Nebelschwaden ziehen über die Wege und durch den Dschungel. Wir tauchen ein in das wunderschöne Spiel zwischen Sonne und Wolken.
Auf einer Bergwiese leuchten Blumen gelb in der Sonne. Im dahinterliegenden Dschungel umhüllt uns Nebel, der jedes Geräusch schluckt. Die Farben der Gebetsfahnen, die den Weg markieren, sind kaum zu erkennen. Aus dem Nichts taucht ein Haus auf. Etwas Magisches liegt über allem.
Rutschen, fallen, aufstehen. Der Weg verwandelt sich in einen Bach, wird wieder zu einem Weg. Ein großer Schritt. Mein Fuß landet auf zwei durchweichten Blättern – endlich Halt unter den Sohlen.
Hundegebell ist zu hören. Ein Dorf taucht aus dem Nebel auf. Frierend stehen wir auf einer schmalen Straße, umgeben von zweistöckigen Häusern. Ein heißer Tee würde guttun.
Vor dem Dorfcafé sitzt ein Junge. Seine Faust drückt er gegen die kleinen Hörner eines schwarzen Lammes. Armdrücken auf Lämmerart. Außer dem Jungen ist niemand zu sehen. Also wird es keinen Tee geben.
Der Nebel wird immer dichter. Moosbedeckte Stupas erscheinen und werden sofort wieder unsichtbar. Baumwurzeln wachsen aus der Erde und bilden ein undurchdringliches Dickicht. Wasser rauscht über Kaskaden ins Tal. Der schmale Pfad führt direkt hindurch. Wir zögern. Das Wasser fließt schnell und steil bergab, aber einen anderen Weg gibt es nicht.
Zur Freude unzähliger Blutegel ziehen wir die Schuhe aus und krempeln die Hosenbeine hoch. Mussten sie sich bisher durch Schnürsenkelösen, Knopflöcher und offene Ärmel vorarbeiten, stehen wir nun bissfertig da. Eine Gelegenheit, die sie ausgiebig nutzen.
Das Wasser ist sehr kalt, die Steine zum Teil spitz, der Pfad schmal. Wie schön wäre es, eine dicke Schicht Hornhaut unter den Fußsohlen zu haben. Erst auf der anderen Seite des Flusses können wir den Blick zurück zum Wasserfall genießen.
Plötzlich wird es hell. Eine Lichtung? Ein frischer Erdrutsch hat eine Schneise im Dschungel hinterlassen. Vom Weg ließ er einen Trampelpfad übrig. Zügig laufen wir an der Abbruchstelle vorbei. Der Pfad fühlt sich fest an unter den Füßen.
Regen. Als Schutz gegen die senkrecht fallenden Tropfen ist ein Schirm das Beste. Den haben wir jedoch nicht dabei und schwitzen unter dem Regenponcho.
So plötzlich, wie der Regen begann, so plötzlich ist er vorbei. Das Cape tropft von innen mehr als von außen. Die Sachen trocknen nur langsam.
Der Wald liegt hinter uns. Immer öfter führt der Weg an Hütten aus Stein mit vernagelten Fenstern vorbei. Zwei Kühe beäugen uns erstaunt.
Das Sherpa Dorf Sermathang taucht zwischen den Bergen auf. Wir sind am Ziel. Im Gästehaus beziehen wir ein großes Zimmer. Der Gastgeber wohnt mit seiner Familie auf der anderen Straßenseite. Die Küche, ein großer gemütlicher Raum, liegt in seinem Haus im ersten Stock. Ein Feuer zum Wärmen und Kochen wird angezündet und Tee serviert. Der Sohn macht in einer Ecke der Küche seine Hausaufgaben.
Wir sollen uns entscheiden, was wir abends essen möchten. Es gibt zu unserem Erstaunen eine kleine Speisekarte. Trotz des angebotenen Currys ist uns die Karte zu touristisch.
„Wir möchten gerne auf dem Tisch haben, was die Leute auf dem Land essen.“ Kamal, der Guide, sieht uns ungläubig an: „Wollt ihr das wirklich? Dann müsst ihr auch so essen, wie es üblich ist. Mit den Fingern.“
Und wieder fehlt die Hornhaut; dieses Mal an den Fingern. Der Maisbrei will nicht abkühlen, das Gemüse schon eher. Kaum leert sich der Teller, gibt es Nachschlag. Den gibt es so lange, bis man abwinkt und beteuert, wirklich satt zu sein.