Prächtige Kolonialbauten aus dem 17. und 18. Jahrhundert bilden das Zentrum von Potosi. Am Fuß des 4800 Meter hohen Berges Cerro Rico erbaut, gehört der Ort zu den höchstgelegenen Städten der Welt.
Cerro Rico ist der Schicksalsberg von Potosi. Sein Silberreichtum machte die Stadt im 17. Jahrhundert zu einer der größten der Welt. Im Zuge des Silberabbaus kamen auch Bergexperten aus Annaberg hierher. Sie brachten das Annaberger Bergrecht von 1509 mit.
Den Reichtum bezahlten acht Millionen indianische Zwangsarbeiter mit ihrem Leben.
Noch heute lebt Potosí vom Bergbau. Abgebaut werden hauptsächlich Zinn und Zink. Die Zwangsarbeit ist der Arbeit in Kooperativen gewichen. Das Annaberger Bergrecht gilt nach wie vor. Auch die Arbeitsbedingungen und Abbaumethoden haben sich kaum geändert. Noch immer stirbt im Durchschnitt ein Minenarbeiter pro Tag: der größte Teil an einer Staublunge, ein Drittel an Unfällen innerhalb der Minen, zum Beispiel durch Explosionen. Die meisten Arbeiter haben außer einem Helm keine Schutzkleidung.
Ausgestattet mit Gummistiefeln, Hose und Jacke zum Schutz gegen Dreck sowie Helm mit Stirnlampe, gehen wir auf dem ‚Mercado de los Mineros‘, dem Markt der Minenarbeiter, Gastgeschenke kaufen. Coca-Blätter und 95-prozentiger Alkohol landen zuerst in unseren Taschen. Die Entscheidung, welchen Sprengstoff wir mitnehmen sollen, fällt schon schwerer. Wir entscheiden uns für große und kleine Dynamitstangen.
Hunderte Mineneingänge führen in den Berg, der zerlöchert ist wie ein Schweizer Käse. Der Eingang zur Mine ist ein mannshoher Schlund. Der erste Weg im Berg führt zu El Tio, dem Eigentümer aller Mineralien.
Der Teufel sitzt in einem Raum, ist behängt mit Papierschlangen, hält eine Zigarette im Mund, Coca-Blätter liegen über seinen Körper verteilt, Flaschen mit Hochprozentigem lagern zu seinen Füßen. Auch wir geben ihm Coca-Blätter und bitten um seinen Schutz.
Schutz vor Staub und giftigen Gasen soll ein Tuch vor Mund und Nase bieten. Lange befindet es sich nicht an diesem Platz. Die Gefahr, giftige Gase wie Grubengas oder Arsen- und Schwefeldämpfe einzuatmen, lassen wir unbeachtet. Zu stickig, staubig und sauerstoffarm ist die Luft.
Im Schnitt verbringt ein Arbeiter acht Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche im Berg. Meist ist er allein in den endlosen Stollen. Nur das Geräusch der Hämmer dringt geisterhaft durch die Dunkelheit. Eine kurze Strecke im Dunkeln laufend, folgen wir dem Geräusch. Ein schwaches Licht taucht aus der staubigen Luft auf. Ein Minenarbeiter bereitet eine Sprengung vor. Er meißelt Löcher ins Gestein. In seiner Wange hat er eine Kugel Coca-Blätter. Nur so lassen sich Hunger, Müdigkeit und die Härte der Arbeit verdrängen. Wir geben ihm Blätter und die passenden Dynamitstangen.
Überall ist Staub. Auf dem Boden, in der Luft, in den Lungen, in jeder Pore. Über wacklige Leitern, denen ein Teil der Sprossen fehlen, geht es durch enge Löcher eine Ebene tiefer. Der Schacht ist eng, nur einen knappen Meter niedrig. Dafür steigen die Temperaturen. Unfassbar, dass ein Minenarbeiter 20 Kilogramm Gestein auf dem Rücken ans Tageslicht befördert.
Das dumpfe Dröhnen von Sprengungen ist zu hören. Gestein versperrt den Weg. Ein älterer Einsturz.
Unverhofft dringt ein heller Schimmer durch den Staub. Schräg über uns leuchtet durch ein kleines Loch strahlend blau der Himmel. Die letzten Meter ans Tageslicht führen in einem 80-Grad-Winkel nach oben. Das Gestein bietet zwar nicht viel Halt, die Motivation, endlich wieder in der Sonne zu stehen und Sauerstoff zu atmen, ist jedoch so hoch, dass auch die Kletterei kein Problem ist.
Als ich wieder an der Oberfläche bin, habe ich das Gefühl, in der frischen Luft zu ersticken. Die Lungen sind voller Staub. Die ersten Minuten vergehen mit Husten, dann kann ich endlich wieder richtig Luft holen.
Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Minenarbeiters beträgt 40-50 Jahre. Nach 10 Jahren regelmäßiger Arbeit im Berg erkranken die meisten tödlich. Der jüngste Bergarbeiter ist 14 Jahre alt.