Bayern

Koana is perfekt. Aber ois Bayer is ma verdammt nah dro.
(Aus Bayern)

Bayerischer Wald
Lamer Winkel/ Acht-Tausender-Wanderung
Höllbach
Kötztinger Pfingstritt

Bayerische Ostalpen
Königssee
Wettersteingebirge

Allgäuer Alpen
Nebelhorn

Lamer Winkel

Wohl nicht jedem Geographie-Kundigen war bislang bekannt, dass sich Achttausender beileibe nicht nur in den Höhenzügen der asiatischen Hochgebirge, sondern auch im Land der Bayern finden lassen – und in diesem Fall wird mit den Achttausendern weder die Anzahl der bayerischen Biersorten oder der Cholesterinwert der bayerischen Küche umschrieben. Zugegebenermaßen, es handelt sich bei den bayerischen Achttausendern nicht um den Mount Everest, den Nanga Parbat oder den zumindest etwas bayerisch klingenden Kangchendzönga und auch der Bindestrich zwischen den Zahlwörtern „Acht“ und „Tausend“ wurde geflissentlich unterschlagen, aber die insgesamt acht durch einen herrlichen Kammweg verbundenen Gipfel mit nicht minder klangvollen Namen wie Großem und Kleinem Arber, Reischflecksattel und Ödriegel ergeben mit jeweils über 1000 Metern zusammengenommen auch das Niveau der Himalaya-Hügel und anstelle der Lizenzgebühr für eine Besteigung des Mount Everest von 10.000 Euro kommt man im Bayerischen Wald mit 1,50 Euro für die Kurkarte im Lamer Winkel überdies etwas günstiger davon. Nicht zuletzt bieten die Wolpertinger und der eine oder andere Bergschrat mit Gamsbart am Hut nicht weniger Exotik, als der Yeti oder Reinhold Messner.

Die Anreise mit dem Auto in den Bayerischen Wald erweist sich an einem Pfingstwochenende freilich als ebenso problematisch wie die berüchtigte Landung auf dem Himalaya-Flughafen von Lukla. Tags darauf geht es dafür jedoch bei bestem Wanderwetter im Frühtau zu Berge die ersten 700 Höhenmeter vom Brennespass (nicht zu verwechseln mit dem von der deutschen Fußball-Nationalmannschaft 1990 in unnachahmlicher Polyphonie besungenen Brenner) hinauf zum Bayerwaldkönig des Großen Arber auf 1456 Meter, ehe die Königsetappe des Goldsteiges über sieben weitere Gipfel, etwa 700 weitere Höhenmeter, ein paar Schneeverwehungen und eine Brotzeit zum wohlverdienten Schweinsbraten mit Knödeln im Gasthaus am Ende des Weges führt. Zwar sieht der Bergrücken des Kleinen Arber durch die Nachwirkungen des Orkans Kyrill auch Jahre später noch aus, als hätte dort eine Rotte Borkenkäfer eine Glyphosat-Party gefeiert, doch legen die fehlenden Bäume immerhin einen atemberaubenden Panoramablick in das Tal frei.

Acht-Tausender-Wanderung-in-Bayern
Acht-Tausender-Wanderung
Acht-Tausender-Wanderung-in-Bayern
Acht-Tausender-Wanderung
Acht-Tausender-Wanderung-in-Bayern
Acht-Tausender-Wanderung

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Höllbach

Mit dem unvermeidlichen Muskelkater in den Waden sollte der zweite Tag im Bayerischen Wald ein geruhsames Auswandern bei einer zweistündigen Tour entlang des Höllbachs mit sich bringen. Die im Internet als weitgehend eben verlaufend umschriebene Strecke führte allerdings recht bald über unwegsame Felsen, Wurzeln und Wasserfälle steil nach oben und nach den ersten rund 500 Höhenmetern begann es langsam zu dämmern, dass dies wohl nicht der ursprünglich beabsichtigte Weg war – schon gar nicht als eine Stunde später auf 1.315 Metern Höhe eine von Schneeflocken umkreiste Berghütte auf dem Gipfel eines Berges namens Falkensteins auftauchte. Einige Fragen schossen mir durch den Kopf: Warum hatte ich eigentlich meine Winterjacke mitgenommen, wenn sie in diesem Moment wenig nutzbringend auf dem Rücksitz des Autos lag? Und warum lassen sich in Bayern für zwei kaum eine Stunde voneinander entfernt liegende Wildbäche nicht zwei unterschiedliche Namen oder zumindest Namenszusätze finden? Wer schoss in der 54. Folge der dritten Staffel auf J.R. Ewing? Und was machen eigentlich Gerd Roggensack, Rainer Zobel und Eckhard Krautzun heute? Wie auch immer, wenigstens die reichhaltige Tierwelt des Bayerischen Waldes konnten wir an diesem Tag nach sieben Stunden Wanderung noch genießen – in der Gestalt eines ordentlichen Hirschbratens.

Fluss im Höllbachtal
Fluss im Höllbachtal
Über Felsen und Wurzeln durch das Höllbachtal in Bayern
Über Felsen und Wurzeln durch das Höllbachtal

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Kötztinger Pfingstritt

Der Höhepunkt der Tour ereilte uns derweil ebenso unverhofft wie Uli Hoeneß die Steuerprüfung. Wer auf der Suche nach kultureller Authentizität, gelebtem Brauchtum, generationenübergreifendem Traditionsbewusstsein und urwüchsigen Volksriten die Reisekataloge durchblättert, kann sich Exkursionen nach Papua-Neuguinea, Burkina Faso oder nach West-Samoa sparen – in Bayern werden die Überlieferungen aus der Geschichte schließlich noch mustergültig vorgelebt. Unsere Zimmerwirtin machte uns denn auch gleich bei unserer Ankunft darauf aufmerksam, dass mit dem seit dem Jahre 1412 durchgeführten Kötztinger Pfingstritt am Pfingstmontag ein beispielloser Ausdruck bayerischer Brauchtumswahrung unmittelbar bevorstand. Trotz gravierender Bedenken wegen des unbarmherzigen Weckrufs um 6.15 Uhr brachen wir daher am Montagmorgen frühzeitig nach Bad Kötzting auf und verfolgten dort eine der größten und ältesten Reiterprozessionen Europas. Angeführt von dem aus Rom eingeflogenen Präfekten der Glaubenskongregation zogen die rund 1000 Reiter unter Glockengeläut in bajuwarischer Tracht auf ihren Paradepferden aus der Stadt hinaus und begaben sich auf den Weg in das rund sieben Kilometer entfernte Nachbardorf. Da macht es auch nichts, dass sich ein paar Meter abseits der Reiterroute der örtliche Pferdemetzger mit einem Imbissstand hinzugesellt und für 2 Euro eine Pferdewurst im Brötchen sowie verschiedene Salami-Variationen angeboten hat. Alles in allem ist der bayerische Wald folglich ein überaus lohnenswertes Ausflugsziel – und mit Übernachtungs- und Essenspreisen wie zu Zeiten des Prinzregenten Luitpold sowie der Nähe zu den tschechischen Tankstellen noch günstig dazu.

Kötztinger Pfingstritt
geflochtene Pferdeschwänze

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Königssee

Geräuschlos gleitet ein Ausflugsboot über das smaragdgrüne Wasser des Königssees, umgeben von der atemberaubenden Kulisse der steilen Felswände und schneebedeckten Berggipfel der Berchtesgadener Alpen. Am Horizont tauchen die berühmten Zwiebeltürme der Wallfahrtskirche St. Bartholomä am Fuße der Ostwand des Watzmanns auf. Die meditative Stille harmoniert mit der Größe, Pracht und Erhabenheit der Landschaft. Etwa auf halber Strecke lässt der Bootsmaat die Touristen-Schaluppe anhalten und greift zur Trompete. Ehrfürchtig lauschen die Passagiere dem berühmten Echo vom Königssee, das in der andächtigen Stille von dem Dolomit-Gestein einer Felsenwand zurückgeworfen wird. „Ein pantheistisches Naturerlebnis, das die Beschränktheit der Sinne und des Verstandes transzendiert und das Dasein des Augenblicks in höhere Sphären ästhetisiert“, so würden es wohl Philosophen unter Rückgriff auf Immanuel Kants „Kritik der Urteilskraft“ umschreiben – oder aber Tagestouristen auf einer Almhütte nach dem zehnten Weißbier, wahlweise auch nach übermäßigem Genuss des „Enzians“, einer lokalen Spirituose, die es immerhin zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe gebracht hat (was vermutlich mehr über die UNESCO aussagt, als über den aromatischen Wurzelbrand).

Spätestens seit Oberbayerns Volksmusik-Ikone Maria Hellwig im Jahre 1962 den Echo-Jodler vom Königssee auf Vinyl veröffentlicht hat, gilt das Gewässer als eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland. Und wer in den vergangenen Jahren schon alle beliebten Touristenziele auf dem Erdball wie Tschernobyl, der Jemen und Nordkorea abgeklappert hat, für den ist es nun endlich auch einmal an der Zeit, dem Mythos vom Trompeten-Echo und der Bergwelt des Königssees auf den Grund zu gehen – zumal der Goluboje-See in Kabardino-Balkarien und der Lac Télé im Kongo zu Corona-Zeiten gerade noch etwas schwerer zu erreichen sind, als dies in normalen Reisezeiten ohnehin schon der Fall ist. Eine Wanderung auf dem Salzalpensteig zwischen Bad Reichenhall und Ramsau bietet die passende Gelegenheit zu einem Abstecher an das Postkartenidyll in den bayerischen Ostalpen und belohnt nach den kräftezehrenden Höhenmetern des Vortages die Strapazen mit einer kleinen Erholungspause: Bei einer Bootsfahrt die Landschaft genießen, die Füße in den See hängen und unterwegs ein paar Speisekarten statt der üblichen Wanderkarten studieren.

Wo jedoch sonst an den Wochenenden am Seeufer in Schönau unzählige Reisebusse voller Japaner in Takeo-Ischi-Gedächtnistracht mit Original-Gamsbarthüten aus dem bayerischen Bergdorf Taiwan die Straßen verstopfen und Tagesausflügler in Wagenkolonnen über die freien Parkplätze herfallen wie das Krokodil und sein Nilpferd über die ausziehbaren Tafeln des Esstischs im afrikanischen Landsitz von Mister Ormond, herrscht an einem frühen Corona-Sonntagmorgen noch gähnende Leere. Wir schlendern daher fast alleine durch die Touristenmeile, vorbei an Souvenir-Läden, in denen authentische Handwerkskunst und kostbare Preziosen wie Dr. Sachers Original Murmeltierfett, wundersame Heilsteine aus dem nächstgelegenen Kieswerk oder Kühlschrankmagneten und Kuhglocken mit dem Bildnis von Prinzregent Luitpold feilgeboten werden, gelangen ohne Warteschlange zur Kasse und fahren mit dem ersten Boot des Tages hinaus in die grandiose Fjordlandschaft. Der vielgerühmte Höhepunkt folgt dann bereits nach rund einer Viertelstunde: Vor der Echowand an der Westseite des Königssees kommt das Boot zum Stehen, der Boots-Conférencier schnappt sich nach ein paar wohl einstudierten Witzen ein etwas lädiertes Blechblasinstrument und presst – gleich Stefan Mross auf seiner Kindertrompete – hektisch ein paar Töne hervor, die, bemerkenswert genug, als Echo mit ungleich reinerem Klang widerhallen als der Ursprungston. Anschließend wird mit der Subtilität und Dezenz eines Inkasso-Unternehmers auf der Reeperbahn noch um ein Trinkgeld gebeten und schon setzen wir die Fahrt munter weiter fort.

Wie auch immer, die einzigartige Bilderbuchlandschaft um den Königssee hat von den ersten Heimatfilmen in Farbe mit Waltraud Haas und Paul Hörbiger bis zur jüngsten Hansi-Hinterseer-Gerölllawinen-Folklore nichts von ihrer majestätischen Anmut und pittoresken Schönheit eingebüßt. Das kristallklare Wasser des in der Morgensonne glitzernden Bergsees mit seinem schillernden Farbenspiel inmitten der steil aufragenden, ehrwürdig-titanischen Felswände, an deren Gipfel die letzten Fetzen der aufsteigenden Nebel zerschellen, machen den Königssee tatsächlich zu einem Naturschauspiel ersten Ranges. Nach der obligatorischen Prügelei der Passagiere um die besten Bilder bei der Anfahrt auf St. Bartholomä, steigen wir an der Anlegestelle vor der Wallfahrtskirche aus, um uns ein wenig die Füße zu vertreten. Ein gelbes Hinweisschild des örtlichen Alpenvereins weckt unsere Neugier: Zur Archenkanzel. Klingt nach schöner Aussicht und hatte der Trompeten-August an Bord nicht irgendetwas von einem Wanderweg zur Archenkanzel gemurmelt? Ein kleiner Sonntagsspaziergang vor dem Mittagessen kann außerdem nicht schaden. Nun, vier Stunden und achthundert Höhenmeter später, während die ersten Regenwolken bereits aufgezogen sind und eine Gämse am Wegesrand die beiden etwas ungelenk über die schmalen, felsigen Pfade kraxelnden Gestalten beäugt, dämmert es uns schließlich, dass der schwarze Punkt auf der Wegspinne wohl doch kein Textaufzählungszeichen war, sondern der DAV-Wegekategorisierung entspringt (schwarzer Punkt = schwerer Bergweg). Noch viel später bringen wir zudem ganz nebenbei in Erfahrung, dass die Archenkanzel auch bequem als Abstecher von unserer nächsten Salzalpensteig-Etappe angelaufen werden kann und daher gelegentlich ein kurzer Blick auf die Wanderkarte mitunter doch hilfreicher sein kann, als das ausgiebige Studium der Speisekarte (zumindest gilt dies solange, bis man in der Fischräucherei bei St. Bartholomä den kulinarischen Gipfelsturm eines frisch geräucherten Saiblings vollendet). Aber wie dem auch sei: Der phänomenale Ausblick von der Höhe aus über den Königssee ist den Schweiß der Edlen allemal wert und selbst wenn man als dreijähriger Pimpf kurz nach der Aufnahme in den Kindergarten die Region schon einmal gemäß dem klassischen Sommerferien-mit-der-Familie-auf-dem-Bauernhof-Topos besucht haben sollte, vermag man bei einem Besuch Jahrzehnte später mit etwas Aufmerksamkeit und Wissbegierde durchaus noch neue und bislang unbekannte Seiten des Berchtesgadener Landes zu entdecken.

St. Bartholomä am Königssee
St. Bartholomä am Königssee
Wie ein Band schlängelt sich der Koenigssee durch die Berge in Bayern
Wie ein Band schlängelt sich der Koenigssee durch die Berge

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Wettersteingebirge: Hammersbach – Höllentalklamm – Höllentalangerhütte – Knappenhäuser – Hupfleitenjoch – Kreuzeck – Hammersbach

„Morgenstund hat Gold im Mund“ sagen wir uns tapfer und starten noch vor dem Frühstück zu einer Wanderung ins Zugspitz-Massiv des Wettersteingebirges. Schließlich soll Bewegung vor dem ersten Kaffee ja gesund sein.

Nach ein paar Kilometern stehen wir an der Höllentaleingangshütte, einem Namen wie aus der Marketingabteilung für Extremsport. „Hölle“ klingt nach Abenteuer, „Eingang“ nach Kasse, und „Hütte“ nach Gemütlichkeit.

Tief hat sich der Hammersbach in die Felsen gefräst. Tosend und milchig wie schlecht verrührte Kaffeesahne rauscht er durch die Schlucht, stürzt über Strudeltöpfe, springt in Kaskaden die senkrechten Felswände hinab und verteilt dabei kostenlose Fußbäder. Wer Glück hat, bekommt auch noch eine Ganzkörperdusche gratis. Nach zehn Minuten sind wir durchweicht wie ein vergessener Käse in der Brotzeitdose. Wir balancieren über schmale Stege, überqueren Brücken und zwängen uns durch schummrige Tunnel, in denen man hofft, dass das Tageslicht am Ende nicht von einem entgegenkommenden Wanderer mit Stirnlampe stammt.

Brücke über den Hammersbach
Brücke über den Hammersbach
Tosend strömt das milchige Wasser durch die Schlucht der Höllentalklamm in Bayern
Tosend strömt das milchige Wasser durch die Schlucht.

Und siehe da: Das Höllental öffnet sich dramatisch wie ein Vorhang und gibt den Blick frei auf die atemberaubende Kulisse der schroffen Felswände von Zugspitze, dem kleinem Waxenstein und den steil ins Tal fallenden Riffelsteinspitzen.

Auf einer Anhöhe thront die Höllentalangerhütte, oder besser gesagt: ein modernes Ersatzmodell, das seit 2015 anstelle der alten Hütte dort steht. Ihr Charme liegt irgendwo zwischen Alpenverein und Amtsstube, die Speisekarte wirkt wie der Versuch, die kulinarische Vielfalt einer Autobahnraststätte in die Berge zu retten.

Immerhin: Die Suppe wärmt, der Kuchen tröstet, und wir schlagen gestärkt den Weg zum Hupfleitenjoch ein. Anfangs noch durch ein nettes Wäldchen, dann über glitschige Steine und mit Drahtseilen gesichert an der steil abfallenden Felswand entlang. Dennoch ist der Pfad angenehm zu gehen. Jedenfalls sofern man den Abgrund neben sich eher als landschaftliches Accessoire denn als Bedrohung begreift. Die Aussicht ist spektakulär. Ein Panorama wie gemalt, vermutlich von jemandem, der gleichzeitig für Tourismusplakate und Postkartenverlage arbeitet.

Wir kommen nur langsam voran, doch diesmal liegt es nicht am Magen, sondern an der Kamera, die kaum noch zur Seite gelegt werden mag. Hinter uns die Zugspitze, unter uns das Höllental, um uns herum die steilen Wände des Wettersteins und darüber ein Himmel, so kitschig blau, dass er wie in Photoshop nachbearbeitet wirkt.

Zugspitzmassiv
Zugspitzmassiv
Wettersteingebirge_bayern
Blick zurück auf die Knappenhäuser
Wanderweg

Die Knappenhäuser tauchen auf. Sie sind stille Relikte des Erzbergbaus auf 1.526 Metern. Von hier werfen wir nochmal einen wehmütigen Blick zurück auf grüne Hänge, weiße Schneefelder und graue Felswände, bevor der Weg weiter anzieht.

Die Sonne wärmt, der steinige Pfad windet sich stetig bergauf, über leiterartige Stufen, durch Latschenkiefern und ein kleines Schneefeld, das immerhin per Drahtseil zum „Schneewander-Erlebnis light“ aufgerüstet ist.

Gut tausend Höhenmeter später stehen wir am Hupfleitenjoch und müssen uns entscheiden: weiter hoch zur Alpspitzbahn auf dem Osterfelderkopf oder runter zur Kreuzeckbahn? Da die Alpspitzbahn gerade Pause macht, die Aussichtsplattform verwaist ist und wir die Zeitangaben auf den Schildern sowieso schon lässig verdoppelt haben, entscheiden wir uns für den Abstieg.

Gemütlich geht’s Richtung Kreuzeckhaus. Dort legen wir nach sieben Stunden wandern die obligatorische Brotzeit ein. Danach wieder die Gretchenfrage: Bahn oder Beine? Natürlich Beine. (Spoiler: keine gute Idee.)

Der Pfad nach Hammersbach mit dem geringsten Zeitaufwand verläuft über den Jägersteig. Allerdings wird der Talmarsch zur Charakterprüfung. Rutschig, steinig, Serpentine an Serpentine. Während wir uns vorsichtig herantasten, joggen die Einheimischen im Sprint an uns vorbei, als wäre der Abstieg nur ein verlängertes Warm-up fürs Feierabendbier. Wir dagegen kämpfen mit der Motivation, die schneller bergab rauscht als unsere Beine.

Nach einer Stunde glauben wir, Hammersbach müsse gleich um die Ecke liegen. Nach zwei Stunden glauben wir, Hammersbach sei eine Erfindung. Nach drei Stunden glauben wir an nichts mehr. Schließlich, nach zehn Stunden Gesamtmarschzeit, erreichen wir tatsächlich den Parkplatz. Zwar völlig erschöpft, aber mit dem herrlich sinnlosen Triumph, die Bahn NICHT genommen zu haben.

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Wanderung auf das Nebelhorn

Die Wanderung auf das Nebelhorn beginnt harmlos mit gemächlichem Warmlaufen durchs idyllische Oytal. Dort startet der Aufstieg. Schon der Name Nebelhorn klingt nach Wetterbericht und tragischem Ende. Wir folgen dem sogenannten „Gleitweg“, eine Bezeichnung, die vermutlich in einer besonders euphorischen Alpenvereinssitzung beschlossen wurde. Von Gleiten kann hier keine Rede sein; eher von einem Kampf gegen Schwerkraft, Schotter und Schweiß. Die Sonne über uns gibt sich Mühe, als wolle sie bei den olympischen Hitzespielen mitmachen, und wir schwitzen wie Beethoven beim Finalsatz der Neunten.

1.100 Höhenmeter gilt es zu bezwingen, teils mit Stahlseilen gesichert, teils nur mit dem nackten Willen, nicht aufzugeben, weil man ja nun schon angefangen hat. Der Weg führt über schmale Pfade an steilen Hängen entlang, die Ausblicke sind atemberaubend. Wobei nicht ganz klar ist, ob vor Schönheit oder Sauerstoffmangel.

Oytal in Bayern
im Oytal
Gleitweg in Bayern
Wasserfall am Gleitweg
Weg zum Nebelhorn in Bayern
der Weg ist mit Stahlseilen gesichert

Der Seealpsee, unser Zwischenziel, bleibt verschwunden. Ein Phantom, eine Metapher für all die Ziele, die man sich setzt, weil irgendwo steht, man solle welche haben. Immer wieder scheint das ersehnte Ende des Weges in Sicht, und immer wieder geht es weiter.

Wanderer kommen uns entgegen, freundlich lächelnd, aber mit jener fatalistischen Ehrlichkeit, die man sonst nur von Philosophieprofessoren kennt: „Bis zum See? Noch ’ne Stunde bergauf!“

Eine Stunde später das Déjà-vu: Kein See in Sicht. Langsam verstehen wir, warum Sisyphos den Stein lieber wieder rollen ließ.

Endlich! Ein paar Schweißperlen, Flüche und Liter Wasser später blitzt er unter uns auf: der märchenhafte Seealpsee, so friedlich, als hätte er die ganze Zeit nur auf uns gewartet. Wir steigen hinab, weil man Schönheit ja nicht ignorieren kann, auch wenn die Waden protestieren. Die Szenerie ist so schön, dass selbst Caspar David Friedrich spontan die Staffelei ausgepackt hätte.

Wunderbare Ausblicke
Endlich taucht der Seealpsee auf.

Doch die Zeit drängt: Wir wollen die letzte Bahn wenigstens noch von der Station Höfatsblick unterhalb des Nebelhorn-Gipfels erwischen. Und weil man auch auf 2.000 Metern nicht verlernt, pünktlich zu scheitern, geben wir alles.

Blick zurück auf den Seealpsee
Schneereste erschweren die Wanderung

An der Bergstation dann die Gewissheit: Die letzte Bahn? Vor zehn Minuten weg. Ein Trost: Im Edmund-Probst-Haus gibt es was zu essen. Noch nie schmeckte eine einfache Suppe so gut.

Auf der Wanderkarte entdecken wir eine Straße ins Tal, ein dünnes graues Band, das harmlos aussieht. „Zwei Stunden Abstieg“, steht daneben. Vier Stunden später, mit zitternden Knien und philosophischen Einsichten über Sinn, Leid und Schuhwerk, erreichen wir schließlich Oberstdorf.

Und während wir uns in die nächste Wirtschaft schleppen, wissen wir: Der Weg war lang, der Berg unbarmherzig, aber das Abenteuer, ohne jeden Zweifel, episch.

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