Begegnest du der Einsamkeit – hab keine Angst! Sie ist eine kostbare Hilfe, mit sich selbst Freundschaft zu schließen.
(Aus Tibet)
Reisejahr 2010
Chengdu – Lhasa (Sera-Kloster) – Gyantse – Shigatse – Sakya – Rombuk – Everest Base Camp – Lao Tingri – Nepal
Über Chengdu, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Sichuan, nach Tibet zu reisen, erscheint uns als die sicherste Möglichkeit, ein Permit für die Fahrt auf dem Friendship Highway zu erhalten. Tibet ist ein autonomes Gebiet Chinas und für eine Reise durch das Land wird eine über eine Agentur erhältliche Reisegenehmigung benötigt. Das Permit wird sehr kurzfristig ausgestellt, da China des Öfteren und ohne Vorankündigung die Einreise nach Tibet für Touristen untersagt.
Chengdu: Panda-Hauptstadt der Welt
Wie in allen Städten Chinas fallen auch in Chengdu die alten Viertel dem Bagger zum Opfer. Nur sehr wenige Straßenzüge bleiben erhalten und werden restauriert. Unser Zimmer liegt in einem traditionellen Haus in einer der hergerichteten Fußgängerzonen. Unzählige Geschäfte, Bars, Restaurants und Snack-Bars verteilen sich in den wenigen, von Gästen wimmelnden Gassen. Der Geräuschpegel ist selbst nachts entsprechend hoch.
In Chengdu befindet sich das Panda Research Center, ein großer Park mit Bambuswäldern und weitläufigen Gehegen: Die dämmerungsaktiven Pandas liegen völlig regungslos hinter den Umzäunungen. Der Anblick sorgt dafür, dass wir uns bereits nach kurzer Zeit entschleunigt fühlen. Nur die Jungtiere sind mobil und spielen miteinander, kugeln umher, stupsen sich an, erklimmen Bäumchen, um dann tollpatschig wieder herunter zu fallen.
Den Nachmittag verbringen wir im Wuhou-Tempel. Die Hauptattraktion der Tempelanlage sind das Vordertor, das Zweite Tor und die Tempel der Kaiser des Shu-Staates aus der Zeit der Drei Königreiche.
Für einen anschließenden Bummel durch die angrenzende Fußgängerzone Jinli Street fehlt uns dann aber die Ruhe. Der Flug nach Lhasa ist für morgen früh gebucht und wir haben immer noch kein Permit erhalten.
Erst am Abend können wir endlich aufatmen. Die Genehmigungen sind da. Nun haben wir auch die Muße, auf der Jinli Street einige der angebotenen Snacks zu probieren.
Lhasa: das religiöse Zentrum von Tibet
Der Flughafen von Lhasa liegt 45 Kilometer von der Stadt entfernt. Umgeben von großen Wasserflächen, die viele Kilometer weiter zu Flüssen wie dem Mekong und dem Brahmaputra werden, führt die Straße in das Zentrum. Dort strahlt schon von Weitem der alles überragende Potala-Palast in der Sonne.
Lhasa liegt auf 3650 Meter Höhe. Obwohl wir Kopfschmerzen haben, unternehmen wir noch eine Fahrt mit einer Rikscha und bummeln durch die Straßen.
Unweit unseres Hotels steht der Jokhang-Tempel, das religiöse Zentrum des tibetischen Buddhismus. Das Geräusch von Holz, das auf Steinplatten reibt, schallt uns entgegen. Es kommt von den Gläubigen, die sich vor dem Tempel flach auf den Boden werfen. Wir schließen uns der Reihe der Pilger an, die sich zur vergoldeten Statue des Jobo Shakyamuni, des meistverehrten Standbildes in Tibet, schlängelt. Wagt es jemand vorzudrängeln, greifen die anwesenden Polizisten und Mönche hart durch. Ein Baby fällt dabei auf den Boden.
Vom Dach des Tempels gibt es wunderbare Ausblicke auf den Potala-Palast, den Himalaya und den 800 Meter langen Barkhor-Umrundungsweg, auf dem die Pilger dicht gedrängt und im Uhrzeigersinn Runde um Runde laufen (Kora). Die Läden am Weg haben sich mit ihrem Angebot auf die Bedürfnisse der Pilger und auch der Touristen eingestellt. Die Auswahl an tibetischen Souvenirs wie Klangschalen, Buddhafiguren, Gebetsmühlen, typischer Kleidung und Stoffen ist riesig.
Auf dem Dach eines Nachbargebäudes wird gearbeitet. Plötzlich unterbrechen die Arbeiterinnen ihre Tätigkeiten, stellen sich in drei Reihen auf, singen ein kämpferisch klingendes Lied und stampfen dazu mit ihren Werkzeugen auf den Boden, bis sie in einer Staubwolke verschwinden.
An den Hauptstraßen steht verbarrikadiert hinter Sperren chinesisches Militär. Erst in den schmalen winkligen Gassen der Altstadt gibt es keine Wachposten mehr. Häuser aus dicken, weiß getünchten Steinmauern mit traditionellen Flachdächern aus Arga-Lehm stehen hoch gebaut und eng beieinander, sodass die Gassen angenehm schattig sind. Tibeter mit hölzernen Handschützern, die eine Matte vor sich liegen haben, übernehmen gegen einen Obolus das Beten.
Den Nachmittag verbringen wir in Norbulinka, dem ehemaligen Sommerpalast des Dalai Lama. Er liegt in einem herrlichen Park, in dem sich die Hitze aushalten lässt. Von hier aus floh der Dalai Lama 1959 nach Indien.
Am nächsten Vormittag besuchen wir den Potala-Palast, die Winterresidenz des Dalai Lama. Ein sehr bemerkenswertes Bauwerk mit 1000 Zimmern und 999 Fenstern. Jeder Dalai Lama legt sich einen neuen Thron- und Audienzraum zu, der nach seinem Tod zum Pilgerziel wird. Es sind jedoch nur wenige Räumlichkeiten zugänglich, die wir wegen des Besichtigungszeitlimits von einer Stunde sehr zügig durchlaufen müssen.
Nach dem Rundgang zieht es uns in das vier Kilometer von Lhasa entfernt liegende Sera-Kloster, um das alltägliche Treffen der Mönche, bei dem theologische Fragen diskutiert werden, zu erleben.
Zum Abend sind wir zurück und kehren in eine Joghurtbar ein. Dem angebotenen Yak-Butter-Tee mit seinem salzigen, strengen Geschmack können wir jedoch nichts abgewinnen und verlassen die Gastlichkeit schnell wieder.
Bunte Lichter, die den Nachthimmel erhellen, wecken unsere Neugier. Wir folgen dem Schein und stehen vor dem Potala-Palast, der in immer neuen Farben leuchtet.
Pässe und heilige Seen
Nachdem wir das sonnige heiße Lhasa mit Auto und Norbu, einem Guide, auf dem Friendship Highway verlassen haben, beschert uns das Wetter einen Wechsel aus Kälte, Regen und Hitze.
Unser Ziel ist das auf 3950 Meter Höhe gelegene Gyantse. Unterwegs halten wir auf dem Kamba-La Pass und blicken auf den heiligen skorpionförmigen Yamdrok See und legen eine weitere Pause auf dem von 7000 Meter hohen Gletschern und Bergen umgebenden Kora-La Pass ein.
Die Klöster von Gyantse, Shigatse und Sakya
Gyantse war früher ein wichtiger Handelsposten auf der Route zwischen Indien, Bhutan, Tibet und China. Durch schmale Gassen, vorbei an Kühen, die vor den Häusern angebunden sind, laufen wir in den alten Teil der Stadt zum Kloster Pelikor Chode. Die Stätte beherbergt 18 unabhängige kleine Klöster, die zu unterschiedlichen tibetischen Sekten gehören.
Mitten auf dem Gelände steht die 35 Meter hohe, begehbare Kumbum-Stupa. Der Stupa beherbergt 100.000 Buddha Figuren. Steil führen Treppen im Innern nach oben. Als Belohnung für die Mühe gibt es einen fantastischen Blick auf die Berge.
Zwei Stunden von Gyantse entfernt befindet sich Shigatse. Im Dorf steht das Tashilhumpo Kloster, das wichtigste Kloster des Gelupka (Gelbmützen) Ordens. Etwa 600 Mönche und die größte Buddha-Statue Tibets haben hier ihre Heimat.
Empört sieht mich einer der Geistlichen an. Wegen der Hitze hatte ich mir die Hosenbeine abgezippt und vergessen sie mitzunehmen. Zum Glück liegt am Eingang des Klosters eine Art überdimensionaler Schürze, in die ich mich einwickele.
Hinter dem Kloster zieht sich der von Gebetsmühlen gesäumte Pilgerweg einen Berg hinauf. Wir folgen den Pilgern, die die Gebetsmühlen ständig in Bewegung halten und dabei Mantras beten. Der Weg wird zum Geröllpfad, die Pilger weniger; Gebetsflaggen wehen im Wind. Ab jetzt sind wir alleine auf dem Pfad unterwegs.
Von Shigatse reisen wir weiter nach Sakya, vorbei an bunten Bergen und kleinen Dörfern. In einem Ort, der genau 5000 Kilometer von Schanghai entfernt liegt, tanzen und singen Bauern, um für eine gute Ernte zu bitten.
In Sakya steht natürlich auch ein Kloster, das Sakya Gompa. Es besteht aus zwei durch einen Fluss getrennten Bereichen mit mehreren Gebäuden und erinnert eher an eine Festung.
Während auf der Seite des Flusses, an dem die festungsähnlichen Gebäude stehen, viele Touristen unterwegs sind, macht sich kaum jemand die Mühe, auf die andere Uferseite zu gehen. So können wir uns dort in aller Ruhe umsehen. Ein Mönch schließt uns die Tür zur frisch renovierten Haupthalle auf. Von draußen dringt das Gemurmel der Betenden in den stillen Raum. Wir genießen das Tibetgefühl.
Abseits vom Friendship Highway
Auf zum Mount Everest Base Camp. Zur Einstimmung auf die Höhe fahren wir über zwei auf 5100 Meter gelegene Pässe. Spektakulär an ihnen ist jedoch nur die Lage auf großer Höhe. Da wir eine Hochebene queren, fehlt das Hochgebirgsgefühl. Das ändert sich erst bei der Fahrt über unendliche Serpentinen am letzten Pass des Tages.
Wir verlassen den befestigten Friendship Highway, auf dem wir bisher unterwegs waren. Eine unbefestigte Straße führt durch kleine tibetanische Bauerndörfer, der chinesische Einfluss verschwindet zusehends. Am Nachmittag erreichen wir das auf 5200 Meter Höhe gelegene Mount Everest Base Camp: eine Enttäuschung. Das Base Camp ist ein chinesischer Armeevorposten mit einem Geröllhügel, auf den man klettern kann, um die Wolken, die den Mount Everest verhüllen, zu bewundern. Es ist das alte Base Camp, das vor einiger Zeit in Richtung Mount Everest verlegt und dort neu aufgebaut wurde. Für einen Besuch des neuen Camps fehlt uns jedoch die Erlaubnis der chinesischen Behörden.
Als wir gehen wollen, bricht unverhofft die Wolkendecke auf und die Spitze des Mount Everest lugt aus den Wolken hervor. Ein fantastischer Anblick, an dem wir uns abends an unserem Gästehaus, das am Rombuk Kloster auf 4980 Meter Höhe liegt und das höchstgelegene Kloster der Welt ist, noch einmal erfreuen. Allerdings macht uns die Höhe auch wieder zu schaffen.
In den Dschungel
Wegen der Kopfschmerzen kann ich nicht schlafen. Müde starte ich am nächsten Tag zur letzten Etappe in Tibet: Zhangmu, die Grenze zu Nepal. Unser Fahrer wählt nicht den direkten Weg zurück zum Friendship Highway, sondern fährt quer durch das Land, auf Wegen, die gerade so breit sind wie das Auto und wo es an so mancher Stelle sehr steil bergab geht.
Yakherden ziehen durch die Landschaft, an kleinen Anbauflächen, die der Natur abgetrotzt wurden, stehen die schwarzen Zelte der Bauern: Wir lernen den Himalaya neu kennen.
Ab Old Tingri geht es auf dem Friendship Highway weiter. Die Straße führt stetig bergab; bei jedem Halt sind wir sofort von bettelnden Kindern umringt.
Plötzlich verändert sich die Landschaft. Dschungel umgibt uns, Regen und Wolken hüllen uns ein. Umrahmt von vertikal in den Himmel ragenden Bergwänden und an rauschenden Wasserfällen vorbei gelangen wir immer tiefer ins Tal, bis wir Zhangmu erreichen.
Zhangmu liegt auf 2300 Meter Höhe und ist ein geschäftiger Grenzort. Nur ein schmaler, durch die Brücke der Freundschaft verbundener Bergeinschnitt trennt Tibet von Nepal.
Nach Nepal
Um stundenlange Wartezeiten am Grenzübergang zu vermeiden, gehen wir bereits zwei Stunden vor der Öffnung hin. Wir sind nicht die Ersten. Die chinesischen Grenzer kommen zwar pünktlich, öffnen die Türen jedoch erst viel später.
Zuerst wird das Gepäck durch einen Scanner geschickt, anschließend wird von allen Reisenden jedes Gepäckstück von Hand durchsucht. Bücher werden Seite für Seite durchgeblättert, auf der Suche nach einem Foto vom Dalai Lama. Unsicherheit macht sich in mir breit: „Ist im Reiseführer ein Bild vom Dalai Lama?“ Die Spannung steigt. Das zustimmende Nicken des Beamten löst die Anspannung. Ich darf weiter gehen. Norbu winkt uns zum nächsten Schalter. Die Grenzer sprechen kein Wort Englisch und so darf er uns bis zum Verlassen des Grenzgebäudes begleiten. Über die Brücke der Freundschaft laufen wir nach Nepal.