Ukraine

Für einen Job brauchen wir Zeit. Für Spaß brauchen wir eine Stunde.
(Sprichwort aus der Ukraine)

Reisejahr 2016

Ukraine – Rumänien

Kiew (HöhlenklosterMeschigorje) – TschernobylLwiw– Czernowitz

Zu nachtschlafender Zeit lande ich in Kiew. Das aus Kostengründen im Internet bestellte Taxi wartet bereits und so geht es auf dem schnellsten Weg in das nahe des Platzes Maidan gelegene Hostel.

Als wir an der angegebenen Adresse ankommen, beginnt das Suchen. Es ist mittlerweile 3 Uhr. Der Hof, in dem das Hostel sein müsste, ist dunkel und verlassen. „Bleib im Auto sitzen. Ich sehe mich um“, rät der Taxifahrer.

Im dritten Hinterhof findet er den gesuchten Eingang. Die Tür ist mit einem Zahlencode gesichert, eine Klingel gibt es nicht, dafür eine Telefonnummer. Der Fahrer telefoniert und erhält den Zahlencode. Sicherheitshalber begleitet er mich noch bis zur Eingangstür der Wohnung, in der sich das Hostel befindet.

Es dauert, bis eine ältere verschlafene Frau im Morgenmantel öffnet: „Das Zimmer ist vergeben, hier ist kein Platz mehr.“ Rums ist die Tür wieder zu. Dabei hatte ich meine Ankunft außerhalb der Geschäftszeiten angekündigt und keine abschlägige Antwort erhalten.

Der Fahrer wählt wieder die Nummer. Die Tür öffnet sich. Gekämmt und im Kleid, aber immer noch verärgert, steht die Dame von der Rezeption vor uns und lässt mich ein: „Für den Rest der Nacht musst du auf der Couch im 10-Bett-Schlafsaal übernachten, morgen bekommst du dein Zimmer.“ Als sie das Bett bezieht wird sie fürsorglich: „Du musst schnell schlafen. Du willst doch in wenigen Stunden aufstehen.“ Ich hatte ihr gesagt, dass ich früh zu einer Tour nach Tschernobyl aufbrechen werde.

Im Schlafsaal ist es stickig und miefig; an Schlafen ist nicht zu denken. Ich schleiche mich zeitig aus der Wohnung und gehe Kaffee trinken. Trotzdem wäre ich beinahe zu spät zum Treffpunkt für die Tschernobyl-Tour gekommen. Die Gruppe aus sieben Leuten wartet bereits.

Elf Stunden später sind wir zurück in Kiew. Im Hostel erwartet mich ein frisch bezogenes Bett im eigenen Zimmer.

Für den nächsten Tag habe ich mir den Besuch der ehemaligen Residenz von Victor Janukowitsch in Meschigorje in der Nähe von Kiew vorgenommen. Aus Reiseberichten wusste ich, dass eine ukrainisch sprechende Begleitung von Vorteil ist, um in das Haus zu gelangen. Vor Ort muss ein Anruf getätigt werden, bei dem einem die Uhrzeit, zu der das Haus besichtigt werden kann, mitgeteilt wird.

Höhlenkloster Heilige Mariä-Himmelfahrt

Ich habe mich übers Internet mit Olga verabredet. Sie schlägt vor, zuerst in das Höhlenkloster Heilige Mariä-Himmelfahrt zu fahren.

Das in die obere und die untere Lawra – ein Ehrentitel wichtiger Klöster der russisch-orthodoxen Kirche – eingeteilte Höhlenkloster liegt am hügeligen Westufer des Dnepr. Hinter dem Klostergelände streckt die 102 Meter hohe Mutter-Heimat-Statue ihr Schwert in die Höhe: Das Schwert musste auf Wunsch der Mönche auf 16 Meter gekürzt werden, da es in seiner ursprünglichen Länge die Spitze des Glockenturms des Klosters überragt hätte.

Höhlenkloster Heilige Mariä-Himmelfahrt in der Ukraine
Höhlenkloster Heilige Mariä-Himmelfahrt
Mit Heiligenbildern verzierte Türme im Höhlenkloster Heilige Mariä-Himmelfahrt
Mit Heiligenbildern verzierte Türme im Höhlenkloster Heilige Mariä-Himmelfahrt

Wir besichtigen einige der sehr schön gestalteten Gebäude auf dem Gelände, ehe wir in das Höhlensystem der fernen Höhlen eintauchen. Ich entscheide mich für die fernen Höhlen, da sie sich, im Gegensatz zu den nahen Höhlen, mehr durch die Hügel winden. Am Eingang binde ich mir Kopftuch und Schürze um – Röcke bis zum Knie sind erlaubt, jedoch keine langen Hosen – und kaufe eine Kerze.

Rechts und links der Höhlengänge stehen in Nischen die Särge vieler Mönche. An den Wänden hängen Bilder der Verstorbenen; Pilger gehen jedes Bild küssend die Gänge entlang und beten in kleinen Kapellen, die sich in den größeren Nischen befinden. Hier und da gibt es kleinste Mönchszellen, in denen sich die Mönche in früherer Zeit, wenn sie sich als geeignet erwiesen hatten, ohne Feuer und gekochte Nahrung in völliger Stille dem Gebet widmeten.

Der Prunk-Palast in Meschigorje

Mit einem Auto fahren wir zur ehemaligen Residenz von Victor Janukowitsch in Meschigorje. Das Haus des Ex-Präsidenten der Ukraine steht in einem über 138 Hektar großen Areal und beherbergt einen Zoo, Hubschrauberlande- und Golfplatz, Schwimmbad und Jachthafen.

Als Erstes gehen wir zu jenem Haus, an dessen Tür die Telefonnummer klebt. Olga wählt sie wieder und wieder: nichts. „Wir sollten erst einmal durch das Gelände bummeln,“ schlägt sie vor.

Vorbei an der Villa, in der Staatsgäste empfangen wurden, schlendern wir zum Kiewer See. Auf dem 922 Quadratkilometer großen Gewässer, das entstand, nachdem Nikita Chruschtschow (von 1958 bis 1964 Regierungschef der UdSSR) die Flutung von 16 Dörfern angeordnet hatte, schaukelt das Piratenschiff „Galeon“ am Steg. Auch hier empfing Janukowitsch Gäste.

Wir biegen ab in Richtung Residenz, bummeln vorbei an Garagen mit Oldtimersammlung und einer privaten Tankstelle. Fontänen sprudeln in künstlich angelegten Seen; am Wegesrand stehen grasbewachsene Keller für Wein und Lebensmittel, die an Bunker erinnern. Idyllisch an einem See liegt Putins Haus: Ein Herrenhaus in dem Putin eine Woche lang wohnte.

Residenz von Victor Janukowitsch
Residenz von Victor Janukowitsch
Parkanlage-in-Meschigorje
Parkanlage

Die Türen der ehemaligen Residenz von Victor Janukowitsch stehen offen, hinein kommen wir jedoch nicht. Eine Gruppe Ultraorthodoxer, die niemanden in ihrer Nähe dulden, hat das Haus für ein paar Stunden gebucht. Wir sind nicht die Einzigen, die mit langen Gesichtern vor der Tür stehen.

Kiew: Stadt auf sieben Hügeln

Am „Goldenen Tor“, einem Stadttor aus dem 11. Jahrhundert, trennen sich die Wege von Olga und mir. Auf dem Weg zu Kiews Unabhängigkeitsplatz Maidan besichtige ich noch das UNESCO-Weltkulturerbe Sophienkathedrale, bummle an Bürgerhäusern aus dem 19. Jahrhundert vorbei, bis ich bei Anbruch der Dunkelheit den von Tausenden Lichtern illuminierten Maidan erreiche: Die Proteste im November 2013 auf dem Maidan bewirkten den Rücktritt von Staatschef Janukowitsch.

Goldenes Tor in Kiew in der Ukraine
Goldenes Tor
Unabhängigkeitsdenkmal auf dem Maidan in der Ukraine
Unabhängigkeitsdenkmal auf dem Maidan

Der letzte Prachtbau, den ich mir ansehe, ist der Kiewer Hauptbahnhof: Ich habe ein Ticket für den Nachtzug nach Lwiw.

Lwiw, Lwow, Lemberg: viele Namen, eine Stadt

In Lwiw komme ich pünktlich um 6 Uhr an. Das Zimmer im Hostel kann ich schon beziehen, halte mich jedoch nicht weiter auf. Munter geworden durch die kühle Morgenluft, ziehe ich sofort wieder los.

Die Straßenbahnlinie 1, die durch das alte Lwiw fährt, hält nur 5 Minuten Fußweg vom Hostel entfernt. Nur wo gibt es Fahrkarten? Die Straßenbahn einer anderen Linie hält. Einsteigende werfen Geld in eine Klappe an der Fahrertür und entnehmen dieser dann einen Fahrschein. Nachdem ich auch noch herausgefunden habe, wie viel das Ticket kostet, steht der Fahrt nichts mehr im Weg.

Blick über Lemberg in der Ukraine
Blick über Lemberg
Bunte Schirmchen vor Altstadtfassaden

Nach der bequemen Besichtigungstour per Straßenbahn erlaufe ich mir die Sehenswürdigkeiten: Rynok-Platz, Dominikanerkloster, Peter und Paul Kathedrale, die Wand der zerstörten Goldene-Rosen-Synagoge, das Architekturdenkmal Lytschakiwski-Friedhof und die Sankt-Georgs-Kathedrale; wandere hinauf zum „Hohen Schlossberg“ mit herrlichem Blick über die Stadt, hinunter zum Pulverturm und ins Opernhaus mit seinem beeindruckenden Foyer.

Ein Abstecher nach Czernovitz 

Wieder einmal klingelt der Wecker um 4 Uhr. Ich plane von Lwiw über Czernovitz in das 350 Kilometer entfernte Radauti in Rumänien zu reisen.

So früh am Morgen fährt nur ein Nachtzug nach Czernovitz. Da Nachtzüge keine Waggons mit Sitzplätzen führen, habe ich einen Platz im Liegewagen gebucht. Das Abteil ist voll belegt. Der unaufhörliche Redefluss der Mitreisenden treibt mich jedoch auf den Gang. Der Zugbegleiter kommt auf mich zu: „Möchtest du einen ruhigeren Platz? Im Nachbarabteil ist nur eine  Liege belegt.“ Ich nicke und schon sind meine Sachen im Abteil nebenan verstaut und ich genieße fünf entspannte Stunden.

Czernovitz war von 1775 bis 1918 Hauptstadt des ehemaligen österreichischen Herzogtums Bukowina, des kleinsten Kronlandes der k. u. k. Monarchie. Ich schlendere die einstige Flaniermeile „Herrengasse“, die heute Olga-Kobyljanska-Straße heißt und wieder eine Flaniermeile ist, hinunter. Bis heute blieb das geschlossene Straßenbild der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewahrt.

Haus in der Altstadt
Haus in der Altstadt
Fassaden-in-der-Olga-Kobyljanska-Straße-in-Czernowitz Ukraine
Fassaden in der Olga Kobyljanska Straße
Mit dem Bus und per Anhalter nach Rumänien

Am Busbahnhof suche ich den Bus Richtung Porubne. Um nach Rumänien zu gelangen, soll ich mit dieser Linie bis zu einer Kreuzung fahren und von dort zwei Kilometer bis zur Grenze laufen. Eine Snackverkäuferin bringt mich zum Bus. Polizisten, die davor warten, weisen mich ebenfalls darauf hin, dass ich zur Grenze laufen müsse. Ich nicke. In der Zwischenzeit ist die Snackverkäuferin durch den Bus gelaufen, und als ich einsteige, kennen alle um mich herum mein Vorhaben. Ungläubig schütteln sie ihre Köpfe.

An einer Kreuzung im Nichts werde ich abgesetzt und laufe los. Nach 200 Metern steht ein Schild am Straßenrand: Siret (Grenzstadt auf rumänischer Seite) 8 Kilometer. So weit wollte ich mit dem Gepäck nicht laufen und suche nach einer Mitfahrgelegenheit.

Das vierte vorbeifahrende Auto – ein uralt VW-Golf mit rumänischem Kennzeichen – hält. Damit ich mich neben den Fahrer setzen kann, rutscht der Beifahrer auf die Rückbank. „Woher kommst du?“, wollen die Männer wissen. Als sie Deutschland hören, fangen sie an auf deutsch über die korrupten rumänischen Zollbeamten, die am Alkohol- und Zigarettenschmuggel verdienen, zu schimpfen.

An der Grenze warten zwei Autos auf ihre Abfertigung. Die ukrainischen Zollbeamten werfen nur einen kurzen Blick in die Pässe. Auf rumänischer Seite ist der Ton zuerst unfreundlich. Als die Grenzer den deutschen Pass sehen, blicke ich in überraschte Gesichter „Wo hast du sie denn aufgegriffen?“, wird der Fahrer gefragt. Als sie hören, dass ich per Anhalter unterwegs bin, wird der Ton freundlich. Er bleibt es auch, als die Grenzer feststellen, dass im Pass der Ausreisestempel aus der Ukraine fehlt. Kurzerhand geht einer der Beamten zum ukrainischen Grenzhaus und lässt meinen Pass stempeln. Wir fahren nach Rumänien weiter.

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