Der Wissende weiß und erkundigt sich, aber der Unwissende weiß nicht einmal, wonach er sich erkundigen soll.
(Aus Suedindien)
Reisejahr 2019
Mumbai – Aurangabad – Alleppey (Backwaters) – Mysore – Bangalore – Madurai – Coimbatore – Ooty (Nilgiri Mountain) – Flug auf die Malediven
Die Einreise nach Suedindien erfolgt, zumindest am Flughafen in Mumbai, mit einem E-Visum zügig und unkompliziert.
Marc ist bereits da und hat die Frage nach der Heiratsurkunde – damit wir im Hotel zusammen ein Zimmer bewohnen dürfen – glaubwürdig in unserem Sinn geklärt.
Um den Moloch Mumbai effizient zu erkunden, haben wir einen professionellen Guide arrangiert. Start ist am Gateway of India. Gegenüber steht das Hotel Taj Mahal Palace. Dass dieses Hotel am 26. November 2008 zu den Angriffszielen eines Terroranschlags gehörte, der am 29. November 2008 mit 174 Toten beendet wurde, erzählt der Guide erst auf Nachfrage. Als er unser Interesse bemerkt, bringt er uns zu der Stelle, an der die Attentäter mit einem indischen Fischerboot, dessen Besatzung sie getötet hatten, anlandeten.
Aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft gibt es einige interessante Gebäude in der Stadt: den Hauptbahnhof Victoria Terminus, den täglich 9 Millionen Reisende nutzen, das burgähnliche Gebäude des High Court, den Big Ben nachempfundenen Uhrenturm.
An einem jainistischen Tempel stoppt der Fahrer. Der bunt bemalte Tempel steht unter einem riesigen Dach. Den Gebetsraum dürfen wir nicht betreten, aber zumindest einen Blick hinein werfen.
Über den Marine Drive, der die Insel Mumbai mit dem Festland verbindet und wegen seiner nächtlichen Beleuchtung auch „Halskette der Königin“ genannt wird, geht es weiter zum Mani Bhavan Haus. Zeitgleich mit uns kommen Gäste eines Kreuzfahrtschiffes an. Entsprechend voll ist es in dem winzigen Museum, in dem Mahatma Gandhi seine Philosophie des gewaltlosen Widerstandes formulierte.
Im Gegensatz dazu geht es im Crawford Markt, einem sehr beliebten Ziel bei Touristen, ruhig zu. Dort schnuppern wir an diversen Currymischungen und schlendern wenig später durch den seit 140 Jahren bestehenden Mahalaxmi Dhobi Ghat, einen Waschplatz. In der aus vielen Becken bestehenden „Waschmaschine“ waschen Männer täglich Tausende Kilogramm an Kleidung und Bettwäsche von Hand.
Laken klatschen mit Wucht auf Steine, Wasser stiebt in feinen Tropfen durch die Luft. Überall hängt klammerlos – Klammern sind zu teuer – Wäsche in den Lücken der dicken, geflochtenen Leinen. Die Häuser der Arbeiter, die den Waschplatz einrahmen, sind vor trocknenden Textilien kaum zu sehen.
An den Hauptverkehrsstraßen stehen Gruppen von Männern mit Fahrrädern beieinander, die behängt sind mit Behältern in verschiedenen Größen und Farben. In den Boxen befinden sich warme Mahlzeiten, die Frauen und Mütter für ihre Männer und Söhne gekocht haben und die zur Mittagszeit in die Büros geliefert werden. Auf sechs Millionen Lieferungen kommt eine Fehllieferung.
Gekonnt lenkt der Fahrer das Auto kreuz und quer durch den dicken Verkehr in das teuerste Viertel Mumbais Malabar Hill, in dem der Quadratfuß Wohnfläche (entspricht 0,09 Quadratmeter) 2000 USD kostet. Für den schönen Blick über die Stadt hat sich eine sechsköpfige Familie ein 27-Etagen-Haus gebaut. Bewohnt werden die obersten fünf Etagen, die ungenutzten 22 Etagen vermitteln den Eindruck eines halb fertigen Hauses.
Einen schönen Blick auf die Häuser der Reichen gibt es von den hängenden Gärten. Unter dem kunstvoll angelegten Park befindet sich das Trinkwasserreservoir der Stadt. Gärtner geben Büschen und Sträuchern tierische Formen, dazwischen spielen Jugendliche Blinde Kuh.
Zum Abschluss geht es in den größten Slum Südasiens, den Dharavi Slum, der Schauplatz für den mit acht Oscars gekrönten Film „Slumdog Millionär“ war.
Bis zu einer Million Menschen leben dort auf einer Fläche von zwei Quadratkilometern. Stinkende Flüsse, die als Abwasserkanäle dienen, ziehen sich am Viertel entlang. Mitten in der Stadt gelegen hat der Slum eine eigene Infrastruktur und eine florierende Wirtschaft. Jeder fünfte Jugendliche erreicht einen Highschool Abschluss und findet später einen Job.
Dicht gedrängt umrahmen rußgeschwärzte Wohnhäuser quadratische, schwarz qualmende Brennöfen, in denen Lehmtöpfer ihre Produkte brennen. Die Wohnungen bestehen meist aus einem 15 Quadratmeter kleinen Raum, in die darüber liegende Wohnung kommt man nur über eine Anlegeleiter. Eine Katze hat es sich auf einem nicht benutzten Ofen und einigen Tonkrügen gemütlich gemacht und blinzelt in die Sonne.
Die Viertel im Slum sind nach Wirtschaftseinheiten aufgeteilt. In den beiden erfolgreichsten Wirtschaftszweigen – Ledergerbereien und Müllrecycling – blicken wir uns um.
In den schlichten dunklen Hallen im „Müllviertel“ wird Plastikmüll nach Farben sortiert, geschreddert und zu Granulat verarbeitet. In manchen Hallen gibt es ein kleines Stück Zwischendecke für die Arbeiter, zum Wohnen, Schlafen, Essen.
An der Straße stapeln sich alte Haushaltsgeräte. Junge Männer waschen die Geräte, dann wird repariert, eingeschweißt und wieder verkauft. Vor allem junge Paare machen von dem Angebot Gebrauch.
Aurangabad im Bundesstaat Maharashtra: Einst Mittelpunkt des maoistischen Widerstands
Am nächsten Tag brechen wir auf nach Aurangabad. Der Flug hat einige Stunden Verspätung. Um die wichtigste Sehenswürdigkeit von Aurangabad, einen Nachbau des Taj Mahal, noch bei Tageslicht besuchen zu können, fahren wir direkt vom Flughafen zum Grabmal. Der Zeitpunkt ist perfekt. Das Innere können wir noch bei Tageslicht besichtigen, dann taucht die untergehende Sonne das weiße Gebäude auch schon in gelbes Licht.
Aurangabad ist der Ausgangspunkt für eine Tagestour zu den Höhlentempeln von Ajanta und Ellora. Unser Fahrer findet es sehr sportlich, beide Anlagen an einem Tag besichtigen zu wollen.
Zwei Stunden dauert die Fahrt durch Ödnis nach Ajanta. Von einem Aussichtspunkt oberhalb eines Talkessels schweift der Blick über die in einem Halbrund liegenden 30 Höhlentempeleingänge. Wir steigen hinab und besichtigen die sechs am besten erhaltenen Heiligtümer mit teilweise wirklich schönen Steinarbeiten und kunstvollen Malereien.
Ellora ist drei Stunden von Ajanta entfernt. Während die Tempel in Ajanta buddhistischen Ursprungs sind, sind die Höhlentempel in Ellora buddhistischer, jainistischer und hinduistischer Herkunft.
Auffallend ist vor allem der aus einem Felsen gehauene Kailasa Tempel. Über 150 Jahre wurden mit Hammer und Meißel 200.000 Tonnen Gestein von der Felswand entfernt. Beeindruckt von den kunstvollen Wandreliefs, gewaltigen Säulen und filigranen Mustern brauchen wir für seine Besichtigung zwei Stunden.
Am Ende des Tages müssen wir zugeben, dass die Besichtigung beider Tempelanlagen an einem Tag recht ambitioniert war.
Die Backwaters im Bundesstaat Kerala
Erholen werden wir uns in den kommenden zwei Tagen auf einem Hausboot in den Backwaters, einem verzweigten Netz von Wasserwegen im Bundesstaat Kerala.
Am Nachmittag erreichen wir die Stadt Alleppey und das Hausboot. Vor einigen Jahren waren ein Teil der Hausboote noch 20 Meter lange Lastkähne, mit denen die Bewohner der Backwaters Lebensmittel heranschafften. Umgestaltet, mit hölzernen Aufbauten, teilweise mit Sonnenoberdeck und Palmblattdächern versehen sind sie ein erfolgreicher Touristenmagnet.
Kaum haben wir das Schiff betreten, lichtet die aus John und Balu bestehende Crew den Anker. Fernab vom Chaos und Lärm der indischen Städte gleitet das Boot über einen breiten Wasserarm. Bei einem kühlen Glas Saft lümmeln wir gemütlich in bequemen Sesseln, die auf dem überdachten Vorschiff stehen.
Als es dämmert, wird der Liegeplatz für die Nacht angesteuert. Bevor wir an einem schmalen Streifen Land zwischen zwei breiten Kanälen anlegen, kaufen wir bei einem Fischhändler zwei rote Schnapper, die zum Abendessen zusätzlich zu Reis und Huhn serviert werden.
Der nächste Tag an Bord
Schon um 8:30 Uhr klopft es an die Tür. Balu hat in der Küche im hinteren Teil des Bootes das Frühstück zubereitet. Nun stehen warme Fladen, Brot, Butter und Marmelade auf dem Tisch.
Gemächlich ziehen Dörfer und einzeln stehende Häuser vorbei. Eine Brücke über einen schmalen Kanal scheint im Nichts zu beginnen und im Nichts aufzuhören. Frauen und Männer stehen im Wasser, waschen Geschirr ab oder schlagen Wäsche auf die Steine am Ufer.
Rote Fahnen mit Hammer und Sichel wehen im Wind: In Kerala gewann 1957 erstmals die Kommunistische Partei die Regionalwahlen. Seitdem gibt es einen steten Regierungswechsel zwischen der Partei „Indischer Nationalkongress“ und dem Bündnis „Demokratische Linksfront“ unter Führung der Kommunistischen Partei.
Auf der Stelle haben wir uns an das Nichtstun gewöhnt. Auch die Crew ist entspannt. John, der Steuermann, beachtet das Geschehen auf dem Wasser nur nebenher. Aufmerksamkeit zeigt er für die Filme, die er auf seinem Handy schaut. Für einen besseren Handyempfang geht er öfter in den hinteren Teil des Bootes, schafft es aber jedes Mal rechtzeitig vor einer drohenden Kollision mit einem anderen Boot wieder aufzutauchen.
Am Abend legt John an der Stelle von gestern an. „Wir dürfen nur diesen einen Ankerplatz nutzen.“ Er versichert uns jedoch, dass wir am nächsten Tag auf jeden Fall eine andere Route fahren werden.
Als Ergänzung zum Abendessen kaufen wir Thunfisch. Balu bitten wir, ihn nur mit Salz und Pfeffer zuzubereiten. Uns hängt der tägliche Zimt-Curry langsam zum Hals heraus. Zu unserer Überraschung gibt es Rindfleisch zum Thunfisch.
Weiterreise mit Hindernissen
Als wir zwei Tage später von Bord gehen, wird in ganz Kerala gestreikt. Die Straßen sind versperrt und erst ab 18 Uhr soll die Blockade aufgehoben werden.
Da wir nur bis in das 50 Kilometer entfernte Cochin wollen, sehen wir die Lage entspannt. John und Balu versuchen ein Taxi mit Aufkleber „Airport“ zu finden, das nach Cochin fahren darf.
Vom Boot müssen wir trotzdem herunter und werden beim Hausbootbesitzer einquartiert. Dort erfahren wir den Grund für den Streik: Zwei Frauen im menstruationsfähigen Alter hatten in der Nacht, trotz des jahrhundertealten Verbots, das Frauen zwischen 10 und 50 Jahren den Zutritt verbietet, unter Polizeischutz den Sabarimala-Tempel, einen der heiligsten Hindutempel, betreten. Das Verbot war zwar vom obersten Gericht Ende vergangenen Jahres aufgehoben worden, jedoch laufen konservative Hindugruppierungen dagegen Sturm. Am Ende des Protests gibt es einen Toten und über 100 Verletzte.
Am frühen Nachmittag ist endlich ein Taxi aufgetrieben. Eine aus einem Schulheft gerissene Seite mit der Aufschrift Airport klebt schief an der Heckscheibe. Außer einigen wenigen Taxis mit Airportaufkleber ist niemand unterwegs. Schulen und Läden sind geschlossen. Straßenblockaden oder Personen, die die Einhaltung des Streiks überwachen, sehen wir auf der gesamten Fahrt nach Cochin nicht.
Cochin ist nur ein Übernachtungsstopp auf dem Weg nach Mysore. Da Mysore jedoch keinen Flughafen hat, fliegen wir nach Bangalore und reisen von dort sofort weiter.
Residenzstadt Mysore im Bundesstaat Karnataka
Der Flug nach Bangalore hat so viel Verspätung, dass wir unseren Plan für die Weiterfahrt nach Mysore überdenken müssen. Der mehrmals täglich vom Flughafen Bangalore nach Mysore verkehrende FlyBus kommt aus Zeitgründen nicht infrage. Bleibt der Biss in den sauren Apfel: ein vom Hotel in Mysore organisierter, überteuerter Privattransfer.
In Mysore beziehen wir in einem ehemaligen Palast, den der Maharadscha für seine Töchter bauen ließ, das Prinzessinnenzimmer. Am Travel Desk des Hotels bezahlen wir den Transfer. Der Preis, der ohnehin eines Maharadschas würdig ist, erhöht sich plötzlich um undefinierbare Steuern.
Zum Frühstück am nächsten Tag taucht der Typ vom Travel Desk wieder auf. Wir hatten ihn gebeten Fahrkarten für den FlyBus nach Bangalore zu besorgen. „Ich buche jetzt die Tickets. Ihr bezahlt 2800 Rupien (35 Euro).“ Auf unseren Hinweis, dass sie nur die Hälfte kosten, erzählt er wieder von irgendwelchen Steuern. Wir beharren auf dem offiziellen Preis.
Der Typ trollt sich, erscheint indes nach fünf Minuten wieder. Leider könne er keine Bustickets buchen, da das System nicht funktioniere.
Es ist ärgerlich. Statt uns auf die Sehenswürdigkeiten zu konzentrieren, müssen wir als Erstes zum Busbahnhof. Der Kauf der Tickets für den FlyBus am Abend ist ohne erwartetes Anstehen zügig erledigt. Endlich können wir besichtigen, weswegen wir nach Mysore gekommen sind.
Das Highlight ist der Palast Amba Vilas. Der Eintrittspreis von 50 Rupien (70 Cent) gilt auch für Ausländer, was sehr ungewöhnlich ist.
Märchenhaft steht der Palast vor uns. Rote Kuppeln, Torbögen und Gewölbe formen ihn von außen. Im Innern verleihen ihm prunkvolle Räume, mit Mahagoniholz getäfelte Decken, Türen mit Intarsien aus massivem Silber, Böden aus weißem Marmor, vergoldete Säulen und kunstvolle Gemälde eine außergewöhnliche Atmosphäre.
In einem Nebengebäude befinden sich die königlichen Gemächer. Diesmal müssen wir den Touristeneintritt zahlen (140 Rupien; 2 Euro). Fotografieren ist in den Gemächern im Gegensatz zu den Räumen im Palast verboten.
Nach der Besichtigung des prunkvollen Palastes sind wir gespannt was uns erwartet und werden enttäuscht. Die heruntergekommenen Zimmer beherbergen eine verstaubte Ansammlung von Möbeln, an den Wänden hängen ein paar alte Fotografien, die Waffensammlung ist eine Rumpelkammer. Augenblicklich stehen wir wieder draußen.
Unweit des Palastes ist der Zoo. Ein TukTuk soll uns hinbringen. Gerade als der Fahrer Gas geben will, springt ein anderer vor das Gefährt. „Der Zoo hat wegen der Mittagspause geschlossen. Ich zeige euch eine Seidenfabrik, die ihr besichtigen könnt.“ Wir lehnen ab.
Trotz Zweifeln an der mitgeteilten Mittagspause verschieben wir den Zoobesuch um eine Stunde und lassen uns zu einem weiteren Palast fahren. Dort kommen wir indes nicht herein, da er eine Schule beherbergt.
Nach dem Genuss eines frisch gepressten Orangensaftes fahren wir zum Zoo. Von Mittagsschließung keine Spur. Am Eingang wird auf einem großen Schild darauf hingewiesen, dass der Zoo kunststofffrei ist. An einem Tisch wird jede Plasteflasche, die Besucher mit hineinnehmen, gezählt. Am Ausgang muss nachgewiesen werden, dass die Flasche nicht im Zoo gelassen wurde.
Der Park und die eingezäunten Areale für die Tiere sind sehr großzügig angelegt. Eine „Bannmeile“ hält Besucher auf gebührenden Abstand.
Vor den Gehegen der Großkatzen steht auf einem Schild der Name des Tieres, das gerade Ausgang hat. Rajan, der weiße Tiger, läuft in seinem Gehege auf und ab. Ab und an faucht er Mojo aus dem Nachbargehege an, der sich wenig beeindruckt zeigt.
Uns gefällt es so gut im Zoo, dass wir bis zur Abreise am späten Nachmittag bleiben.
Abreise aus Mysore
Vier Stunden dauert die Fahrt mit dem FlyBus von Mysore bis zum Flughafen Bangalore. Morgen geht es weiter auf die Malediven und so haben wir uns drei Kilometer vom Flughafen entfernt eingemietet.
Für unsere Füße ist das Hotel zu weit vom Flughafen entfernt, für die Taxifahrer ist die Entfernung nicht attraktiv. 700 Rupien (10 Euro) verlangt einer als Grundpreis. Das ist zu viel der Übertreibung. Wir winken einen Einweiser heran, der kurzerhand dem Taxifahrer bedeutet, er möge mit Taxameter fahren. Wütend prescht er mit Tempo 100 durch eine Tempo-30-Zone und will uns vor irgendeinem Hotel absetzen. Wir steigen aber nicht aus. Endlich benutzt er sein Navi, welches ihn in das nur 200 Meter entfernte Hotel leitet. Verärgert kassiert er die Fahrtkosten von 200 Rupien (2,50 Euro).
Der nächste Tag beginnt mit Verärgerung unsererseits. Der Flug auf die Malediven verspätet sich um drei Stunden. Die meisten Reisenden verpassen dadurch ihre Anschlüsse auf die anderen Atolle außerhalb von Male. Nach zwei Stunden ist der Ärger unter den Passagieren so groß, das Air India sich genötigt sieht, Essen bereitzustellen. Serviert wird es in einem der Flughafenrestaurants auf Plastetellern mit Einteilung für Dal (Linsensuppe), Huhn, Gemüse, Reis. Es riecht nach Kantine, sieht aus wie Kantinenessen und schmeckt auch so.
Unserem Gastgeber auf der Insel Feridhoo schicken wir eine Nachricht, dass wir erst morgen kommen.
Nach einer Woche bin ich zurück in Bangalore, um noch ein paar Tage Indiens Süden mit dem Zug zu bereisen.
Bangalore: Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka
Zwei Stunden währen die Fahrten mit diversen Buslinien vom Flughafen Bangalore zum Hotel in einem der wohlhabenden Stadtteile.
In den innerstädtischen Bussen sind die vorderen Sitzreihen für Frauen reserviert. Männer, die es wagen vorn einzusteigen, werden zur hinteren Tür verwiesen. Als Touristin in einem Stadtbus bin ich ein seltener Gast. Der Kontrolleur ergreift seine Chance und verdoppelt den Ticketpreis.
Das Hotel soll nicht weit entfernt von der Bushaltestelle sein. Mehrere TukTuk Fahrer, die ich frage oder fragen möchte, geben, ohne zu antworten Gas und verschwinden. Erst der Besitzer eines Reparaturservice zeigt sich hilfsbereit. Er wählt die Nummer des Hotels, landet jedoch bei der Hotline der Hotelkette. Immer wieder wird er nach dem Namen seines Vaters und seines Großvaters gefragt. Nach zehn Minuten platzt dem Mann der Kragen. Daraufhin darf er direkt mit dem Hotel telefonieren und bringt mich hin.
Weiter geht es nach Madurai
Bangalore verfügt über mehrere Bahnhöfe. Für das Hotel habe ich mich wegen seiner angegebenen Entfernung von drei Kilometern zum Bahnhof, von dem der Zug nach Madurai abfahren soll, entschieden.
Wie sich am nächsten Morgen herausstellt, sind es drei Kilometer Luftlinie, aber vierzehn Kilometer auf der Straße. Vierzehn Kilometer bedeuten an einem Montagmorgen mindestens eine Stunde Fahrzeit.
Ich bestelle ein Taxi. Zwanzig Minuten später soll es da sein, eine Stunde später fährt es vor. Indessen verfolge ich im Internet den Fahrtlauf des Zuges in Echtzeit. Er ist pünktlich unterwegs. Sollte der Fahrer eine Stunde bis zum Bahnhof brauchen, ist der Zug weg. Entsprechend ist meine Laune.
Der Fahrer ist ein geübter Lückenspringer, Verkehrsregeln sind ohnehin nur Richtlinien, trotz Stau kommen wir pünktlich am Bahnhof an.
Der Zug hat mittlerweile 45 Minuten Verspätung. Der Bahnsteig ist voller Reisender. Kaum habe ich einen Platz in der Menge gefunden, hält sich Polizei dezent in meiner Nähe auf und achtet später darauf, dass ich in den Zug und den richtigen der 22 Waggons einsteige.
Vier Männer sitzen in meinem Abteil. Sofort springen sie auf, schaffen Platz für mein Gepäck und rücken auf einer Liege zusammen. Auf keinen Fall soll ich das Gefühl bekommen, sie wären aufdringlich.
Madurai, Coimbatore und die Nilgiri Mountain im Bundesstaat Tamil Nadu
Winzige Dörfer, wie mit Zucker überzogene Tempel, hässliche Kleinstädte und ödes Land ziehen am Fenster vorbei. Im Nebenabteil hängt ein Wasserkocher an einer der vielen Steckdosen, Wasserdampf wabert durch den Waggon. Tee- und Kaffeeverkäufer kommen alle fünf Minuten vorbei. Wenn das Zeug bloß nicht so entsetzlich süß wäre.
Ab und an hält der Zug außerplanmäßig. Sofort steigt ein Großteil der Reisenden aus, um sich die Füße zu vertreten. Zur Weiterfahrt hupt der Lokführer und im selben Moment rollt der Zug so langsam los, dass auch Unsportliche in aller Ruhe aufspringen können.
Pünktlich um 13:30 Uhr essen die Passagiere, anschließend wird übers Handy ein Bollywood-Film geschaut und anschließend Mittagsschlaf gehalten.
Der Zug hat immer mehr Verspätung und ich werde immer unruhiger. Nachts in einer indischen Stadt anzukommen ist nicht gerade erstrebenswert. Warum ich zehn Stunden mit dem Zug fahre, statt 50 Minuten zu fliegen, weiß ich selbst nicht mehr.
Der Mittagsschlaf ist vorbei. In immer neuen Grüppchen finden sich Männer und Frauen zum Plausch zusammen. Auf einmal eilen alle zu ihren Plätzen, Männer tauschen ihre Dhoti – ein langes Stück Stoff, welches um die Taille gewickelt wird – gegen Hosen, Haare werden gegelt, Deo großzügig auf dem Körper verteilt. „Madurai“ wird mir zugerufen. Pünktlich rollt der Zug in den Bahnhof ein.
Madurai
Zwei Ziele habe ich in Madurai, die Besichtigung des Minakshi Tempels und ein Besuch des Gandhimuseums.
Der Tempel steht umgeben von verkehrsfreien Straßen zentral in der Altstadt. Farbenfrohe, pyramidenförmige Tortürme, verziert mit prächtigem Figurenschmuck, ragen in alle vier Himmelsrichtungen ins wolkenlose Blau. Gruppen schwarz gewandeter Männer strömen Richtung Tempel, Frauen malen kleine Kunstwerke vor die Eingangstüren ihrer Häuser, dazwischen liegen Kuhfladen auf dem Gehweg. Es wird Pongal, das tamilische Erntedankfest, gefeiert.
Eigentlich sollte der Tempel für Besucher geöffnet sein. Wegen des Festes dürfen vormittags indes nur Gläubige in die Anlage, für Touristen öffnet der Tempel erst am Nachmittag.
Die Besitzer von Dachterrassen locken mit der schönen Aussicht auf den Tempelkomplex. Einmal lasse ich mich darauf ein. Der Blick über die zwölf Türme ist beeindruckend und kostet ein Verkaufsgespräch. Es wird ein kurzer Monolog des Ladenbesitzers. Eilig laufe ich die Treppen hinunter und erzähle, dass mein Mann im Hotel wartet und ich jetzt wirklich nichts kaufen kann.
Die Zeit bis zur Öffnung der Tempelanlage lässt sich gut mit dem Besuch des Gandhimuseums überbrücken. Das Haus liegt außerhalb der Altstadt. Am Eingang stoppen zwei Bewacher das TukTuk. „Das Museum hat heute wegen des Pongalfestes geschlossen. Komm morgen wieder.“ Ich atme tief durch. Das Haus hat nur an einem einzigen Tag im Jahr nicht geöffnet und der ist ausgerechnet heute.
Vor 16 Uhr stehe ich wieder vor dem Tempel und komme ohne Anstehen hinein. Allerdings müssen Handy, Schuhe und Kamera jeweils an einem anderen Schalter abgegeben werden.
Im Minakshi Tempel
Farbenfroh und verwinkelt ist die Anlage. Mehrere große Säulenhallen mit bunten Wand- und Deckenmalereien umgeben die beiden besonders heiligen Bereiche. Für Nicht-Hindus ist der Zutritt zu den Heiligtümern, in denen Shiva und Minakshi wohnen, nicht gestattet.
In den die heiligen Räume umgebenden Hallen gibt es indes genug zu sehen. Um den Tempelteich zieht sich eine lange Warteschlange. Drei Stunden stehen die Gläubigen an, ehe sie im Heiligtum ankommen. Nur wer bereit ist, 100 Rupien zu zahlen, ist sofort drin.
Das Gewühle im Tempel wird am Abend noch größer. Mit Musik, viel Weihrauch und Opfergaben wird eine Figur der Gottheit Shiva in einer silbernen Sänfte durch den Tempel zu seiner Frau Minakshi getragen. Symbolisch verbringen die beiden damit die Nacht zusammen.
Zwischenstopp Coimbatore
Mich erwartet am kommenden Tag die nächste Zugfahrt. Der Zug von Madurai nach Coimbatore ist überpünktlich, die Wagen sind neu, die Klimaanlage gibt ihr bestes. Mir gegenüber sitzen zwei alte Männer, die krampfhaft jeden Blickkontakt vermeiden.
Die fünf Stunden Zugfahrt vergehen schnell, und wenn der Typ mir gegenüber nicht permanent laut rülpsen würde, wäre sie sogar angenehm.
Coimbatore ist nur ein Übernachtungshalt, um am nächsten Morgen in aller Frühe mit dem Nilgiri Express in die Berge fahren zu können.
Am Bahnhof gibt es etliche Hotels. Ich habe mich für eines entschieden, das mit einem guten WiFi wirbt, was in Indien keine Selbstverständlichkeit ist.
Natürlich funktioniert in dem Hotel die Verbindung ins Internet nicht. Nebenan ist ein Copy Shop mit Internetanschluss. Das Besitzerpaar steht laut streitend davor. Offensichtlich können sie sich nicht einigen, wie richtig geputzt wird.
Das Internet ist schnell, die Tastatur so abgewetzt, dass sie fast buchstabenlos ist, die Tasten hakeln und bleiben oft stecken.
In einer Streitpause zieht die Besitzerin eine nagelneue Tastatur unter dem Nachbar-PC hervor. Ich solle darauf sehen, um die richtigen Tasten schneller zu finden. Aha, jetzt, wo ich fertig bin mit Schreiben.
In die Nilgiri Mountains
Mein Zug fährt morgens um 5 Uhr ab. Da reicht die Zeit gerade noch für ein Essen im Bistro neben der Unterkunft. Wahllos tippe ich beim Bestellen auf ein Gericht. Fünf Minuten später entschuldigt sich der Kellner für die lange Wartezeit auf das Essen. Nach zehn Minuten steht es vor mir. Kaum ist der Teller leer, liegt die Rechnung auf dem Tisch: Auch das ist Indien.
Auf dem Bahnhof kaufe ich eine Wasserflasche. Was bei uns in Bahnhöfen prozentual auf die Preise aufgeschlagen wird, wird in Indien weniger gezahlt. Auffallend ist das Etikett auf den im Auftrag der Bahn abgefüllten Wasserflaschen: „Schützt unsere Kinder vor Gewalt, mischt euch ein, wenn ein Kind schreit oder ängstlich aussieht.“
Auf dem Bahnsteig in Metupalaiyam, dem Abfahrtsort für den Zug in die Nilgiri Mountain herrscht großes Gedränge. Tickets im Voraus werden nur für den einzigen 1. Klasse Wagen verkauft. 16 Personen haben dort Platz. Jeweils vier sitzen sich gegenüber, getrennt durch eine mit Blumenmuster verzierte halbhohe Trennwand.
Bis zur Bereitstellung des Nilgiri Mountain Express ist noch Zeit. Am Bahnsteig gibt es einen Imbiss mit Kaffeeausschank. Mehrere Leute auf einmal versuchen eine Bestellung loszuwerden. Ich drängle mit und halte in kurzer Zeit einen Becher mit Kaffee in der Hand. Mit dem ersten Schluck fliegt er in den Mülleimer, so widerlich süß ist er.
Erholung in den Nilgiri Mountain
Der Nilgiri Mountain Express – die Inder nennen ihn „Toy Train“ – ist die einzige indische Zahnradbahn. 46 Kilometer ist die Strecke zwischen Metupalaiyam und der Bergstation Ooty lang, führt durch 16 Tunnel und über 250 Brücken.
Der Zug zählt zu den langsamsten Bahnen Indiens. Eine Dampflok schiebt die vier Wagen, von denen der 1. Klasse Wagen noch aus der britischen Kolonialzeit stammt, 20 Kilometer den Berg hinauf. Ab Coonoor zieht eine Diesellokomotive die Bahn bis Ooty.
Vier Stunden zuckelt der Zug hoch in die Nilgiri Mountain, die „Blauen Berge“. Unterwegs gibt es viele Halte, an denen die Lok mit Wasser befüllt wird und Schrauben nachgezogen werden. An den Haltestellen ist das Gleisbett besonders stark vermüllt. Affen wühlen im Müll und betteln um Futter.
Meine indische Sitznachbarin wird von Mitreisenden gefragt, welcher Religion sie angehört. „Keiner. Ich glaube daran, dass man Müll nicht aus dem Fenster wirft“, ist ihre Antwort.
Die Luft wird merklich kühler. Teeplantagen prägen die Landschaft. Mittendrin stehen quietschbunte, in den Farben hellgrün, pink und himmelblau angestrichene Häuser.
Zu der schönen Landschaft gehört fröhlicher Gesang, meint die Schaffnerin. Sie zeigt auf mich: „Fang du an. Du darfst auch ein englisches Lied singen.“ Erschrocken stammle ich was von Halsschmerzen. Das akzeptieren alle und singen gemeinsam indische Lieder.
Ooty, die Endstation, liegt auf einer Höhe von mehr als 2000 Metern. Wegen der kühlen Temperaturen war der Ort zu Kolonialzeiten, vor allem im Sommer, Erholungsraum für hitzegeplagte britische Kolonialbeamte und indische Adlige. Heute erholt sich der indische Mittelstand in den kühlen Bergen.
Mein Hotel steht auf einem Hügel inmitten brachliegender Felder. Bunte Häuser und der überall herumliegende Müll bilden einen farblichen Kontrast zu der braunen Erde.
Im Zentrum von Ooty werden an jeder Straßenecke Kuchen, Torten und vor allem von selbst ernannten Patissiers hergestellte Schokolade angeboten. Die muss ich probieren. Angeboten wird sie in hell, dunkel und als weiße Schokolade mit Nüssen, Rosinen oder pur.
Freudig beiße ich in ein Stück helle Schokolade und würge es mir hinunter. Der Geschmack erinnert an die Schlagersüßtafel aus der DDR. Der Rest landet im Mülleimer.
In der Nacht sinken die Temperaturen auf den Gefrierpunkt. Das Aufstehen am Morgen kostet wegen der Kälte viel Überwindung. Aber ich muss raus. Morgen geht mein Rückflug nach Deutschland von Bangalore aus und bis dahin ist es ein Stück Weg.
Am Busbahnhof steht ein Bus nach Coimbatore abfahrbereit. Er ist eine typisch grüne, völlig zerbeulte und verrostete Konservendose ohne Klimaanlage und – wie erfreulich – ohne laute Musik.
Die Fahrt kostet 80 Rupien. „Gib mir 100“, sagt der Schaffner. Leider habe ich es nicht passend und er bekommt den Hunderter.
Knapp zwei Stunden geht es über Serpentinen und Haarnadelkurven abwärts. Noch rechtzeitig, bevor sich mein Magen umdreht, gibt es einen Stopp. Erdnüsse beruhigen ihn wieder.
Von Coimbatore nach Bangalore geht es mit dem Nachtzug weiter. Bahnhofsvorplatz, Bahnhof und Bahnsteige sind von zerlumpten Gestalten bevölkert. Einem aggressiven Bettler kann ich gerade noch ausweichen, dann stehe ich auf dem Bahnsteig, wo mir sofort ein Platz auf einer der wenigen Bänke angeboten wird.
Gerne darf der Zug verspätet in Bangalore ankommen. Mein Flieger geht erst am Abend und Bangalore hat nichts wirklich Sehenswertes.
Noch einmal Bangalore
Der Zug kommt eine halbe Stunde zu früh an. Da man sich nicht einen ganzen Tag lang in der Stadt beschäftigen kann, miete ich ein Hotelzimmer. Es liegt zentral im Geschäftsviertel und in der Nähe des Busbahnhofs, von dem der Flughafenzubringer abfährt.
In unmittelbarer Nähe des Hotels liegt der Cubbon Park. Das Gelände ist jedoch nur sonntags komplett für den Verkehr gesperrt und dadurch am heutigen Samstag keine Oase der Erholung. Außerdem liegen an der Parkmauer tote Ratten und Tauben, sodass ich gleich wieder gehe.
Den Gegensatz zu dem ganzen Dreck auf den Straßen bilden die blitzblanken Metrostationen. An jedem Treppenaufgang und -abgang liegen breite Kokosläufer als Schuhabtreter. Als letzte Urlaubsaktion fahre ich eine Runde in der Metro.