Pälzer isch’s heegschde was en Mensch werre kann.
(Aus der Pfalz)
Sieben-Burgen-Weg
Dahner Felsenland
Teufelstisch
Eifel – Trier
Maria Laach
Koblenz
Sieben (Burgen) auf einen (22 km langen) Streich – ähnlich dem Schneiderlein aus dem Grimmschen Märchenbuch, machten wir uns auf den Weg in die weite Welt, sprich den Pfälzerwald. Tapfer nahmen wir den Weg zwischen die Beine, und weil wir leicht und behend waren, fühlten wir keine Müdigkeit. Der Weg führte uns auf einen Berg, und als wir den Gipfel (572m) erreicht hatten, stand da die Wegelnburg. Und da gerade kein Riese zum Kräftemessen da war, wanderten wir weiter zur Hohenburg (553 m), kämpften statt gegen Riesen gegen Wind und Regen, bis wir die Nachbarburg Löwenstein (550 m) erreichten, und zogen immer weiter, die Blicke auf bizarre Felsformationen, die aus den Tiefen des Waldes hervorragten, gerichtet. Nachdem wir lange gewandert waren, kamen wir in die im Elsass gelegene Burg Fleckenstein (370 m), und da wir Hunger empfanden, wollten wir einen Happen zu uns nehmen. Wie das Schneiderlein beim König, so ließen wir uns an der Fleckenburg nieder. Als wir uns über den Brunnenrand beugten, hörten wir das Lachen des Teufels, der den Brunnen erbaute.
Weiter zogen wir zur Froensburg (305 m), kletterten auf Leitertreppen an den steilen Sandsteinwänden hinauf auf den Burgfelsen, wanderten ein paar Höhenmeter weiter zur Burg auf dem Wasigenstein (340 m), die auf einem geteilten Felsenplateau steht und noch weiter hinauf zur Burg Blumenstein (361 m). Es dämmerte bereits, und noch ehe wir den Wald verlassen hatten, umgab uns tiefste Dunkelheit. Da Märchen jedoch ein gutes Ende haben, schwirrten am Wegesrand viele Glühwürmchen, die uns (heim)leuchteten.
Ein spätsommerliches November-Wochenende verleitete am 14. November, dem Geburtstag von Gunter Sachs und Prinz Charles, zu einer ausgedehnten Wanderung durch die Höhenzüge des Dahner Felsenlandes (Jungfernsprung – Römerfels – Dicke Eiche – Queichquelle – Winterkirchel – Erfweiler – Altdahn, ca. 30 Kilometer und 1000 Höhenmeter).
August Becker schrieb in seinem Meisterwerk „Die Pfalz und die Pfälzer“ bereits im Jahre 1857 über diese Region: „In gar mancher Hinsicht steht diese Umgebung einzig da; nirgends sind die Formen und Gestaltungen des Sandsteins kühner, phantastischer und abenteuerlicher, nirgends diese seltsamen Felsenbildungen so dicht beisammen, und nirgends der Kontrast schauerlicher Felsenpartien zu den lieblichsten und anmutigsten Fluß- und Wiesentälern, die diesen Bereich des hier so recht in seiner charakteristischen Wildheit sich zeigenden Vogesus durchziehen und seine Rauheit mildern, größer als bei Dahn. Freilich schauert’s den Pfälzer Bauern, wenn er nur an diese Gegend denkt; er hält sie für eine öde, unfruchtbare und arme Felsenwüste; nirgends finden wir die Milde, Freundlichkeit und Fruchtbarkeit der vorderen Pfalz; statt der Weinreben nur wilde Brombeersträucher, statt der Kastanienwälder nur Tannen, Föhren und Buchenhaine; statt des üppigen Fruchtfeldes nur kahle Felsenhänge, denen man mit äußerster Mühe im Sand die genügsame Kartoffel abgewinnt. Da blüht keine Mandel, kein Pfirsich mehr auf den Höhen, nur noch der Holunderbaum und der Schlehdorn nicken mit weißen Blüten von den Felsen im Frühlingswind. Und doch ist es schön, prächtig bei Dahn; es ist die wildromantische, schauerliche, furchterregende Schönheit der Natur, die hier ihren vollen Zauberbecher ausgegossen hat. So recht charakteristisch für dieses Gebirgs- und Felsenland ist besonders die Zucht von Eseln und Ziegen. An trefflichen Wirts- und Gasthäusern fehlt’s hier nicht. Ringsum ist der Flecken eingeschlossen von mächtigen Felskuppen und Türmen; zahllos sind die seltsamen Felsbildungen in nächster Nähe.“
Einen Höhepunkt der Wanderung bildete neben der grandiosen Aussicht des Römerfelsens, dem Besuch des idyllischen Winterkirchels, des obligatorischen Umweges aufgrund fehlender Markierungen und einem belegten Brötchen mit Schinken der Abstieg zur Quelle der Queich. Aus dem winzigen Rinnsal am Ostfuße des Winterberges im Pfälzerwald südlich von Hauenstein wird im weiteren Verlauf ein reißender Strom, der sich nach 51,6 Kilometern in den Rhein ergießt und maßgeblich für dessen Wassermassen verantwortlich zeichnet. August Becker schrieb über den pfälzischen Amazonas: „Die Queichlinien und die beiden Festungen ersten Ranges mögen schon die militärische und strategische Wichtigkeit des Flüßchens andeuten. In seinem oberen Lauf durchströmt es eines der großartigsten Gebirgstäler der Pfalz, in seinem unteren Lauf eine der schönsten und bevölkertsten Niederungen.
Der Teufelstisch bei Hinterweidenthal ist zweifelsohne eine der beeindruckendsten Felsformationen des Pfälzerwaldes. Auf dem etwa sieben mal sieben Meter umfassenden Felsenplateau wäre rein rechnerisch Platz für etwa 817 Saumägen oder 8167 Bratwürste oder 8711 Schoppengläser (jeweils einfache Fläche, ungestapelt). Der Heimatdichter Fritz Claus hat die Entstehungsgeschichte der Felsformation nach akribischer Recherche wahrheitsgetreu wiedergegeben:
Im Kaltenbacher Thale/ein Tisch von Felsen steht/dort saß der Teufel beim Mahle;/hört wie die Sage geht.
Einst schritt in jenem Walde/durch nächtiges Dunkel schnell,/hinauf die Bergeshalde/ein finsterer Gesell.
Hell lodert in seinen Blicken/unheimlich wilde Hast./Nun wil er sich erquicken,/er schaut nach guter Rast.
Umsonst! Kein Stein zum Sitzen,/kein Tisch zum nächtigen Mahl./Vor Zorn seine Augen blitzen/hin über Berg und Thal.
Da, – wie mit Blitzesschnelle/packt jetzt zwei Felsen frisch/der grimmige Geselle,/und stellt sie auf als Tisch.
Nachdem er d’ran gegessen/ging durch die Nacht er fort./Den Tisch, wo er gegessen,/den ließ er stehen dort.
Das war ein ängstlich Schauen/des Morgens drunten im Thal!/Ein Jeder sprach mit Grauen:/“Dort hielt der Teufel Mahl!
Wer die südliche Eifel entlang der Grenze des Saarlandes bereist, muss die Einschätzung, wonach sich Fuchs und Hase dort gute Nacht sagen, recht bald revidieren. Vielmehr stellt sich bei der spätabendlichen Fahrt über die verlassenen Straßen des Enterbachtals zwischen den Metropolen Holzerath und Pluwigerhammer die Frage, wie Fuchs und Hase hier überhaupt zusammenfinden wollen ohne sich beim Versuch des spätabendlichen Grußes in den unendlichen Weiten preußisch Sibiriens zu verlaufen. Und auch das Navigationsgerät, das uns mit der Zielsicherheit eines ausgemusterten G36-Gewehrs durch die Landstraßen lotst, lag selten bei der Berechnung der Ankunftszeit so weit daneben, wie auf der Fahrt durch eine Region, in der fünf Kilometer Luftlinie schon auch einmal eine halbe Stunde Fahrzeit nach sich ziehen und Sehnsüchte nach eifelgemäßen Fortbewegungsmitteln wie Pferden oder Postkutschen nach sich ziehen können. Immerhin: Das Mesozoikum hat die Eifel bereits übersprungen, so dass uns auf der Fahrt wenigstens keine prähistorischen Riesenechsen in den Wäldern mehr auflauern – von ein paar Hinweisschildern auf einen nahegelegenen Dinosaurierpark zwischen Ernzen und Irrel einmal abgesehen.
Und dennoch oder gerade wegen des unweigerlich aufkommenden Eindrucks einer Zeitreise versprüht die Eifel ein bemerkenswertes Flair und einen über die Jahre hindurch bewahrten Charme, der den Touristen frohlocken lässt (außer bei der Anreise) und nicht zuletzt auch die Bezirkshauptstadt Trier mit ihren antiken Baudenkmälern als idealtypisches Aushängeschild der Region erscheinen lässt. Gewiss zählt die Porta Nigra zu den beeindruckendsten römischen Bauwerken nördlich der Alpen, so dass selbst die sich durch ein paar zurechtgeschnittene Kartoffelsäcke und einen Plastikhelm aus dem Requisitenfundus der Antikenfestspiele als römische Gladiatoren ausgebenden studentischen Hilfskräfte während ihrer Führungen der Erhabenheit des Bauwerkes nichts anhaben können. Nicht minder beeindruckt die Monumentalität des Trierer Domes als ältester Bischofskirche Deutschlands, wohingegen das Amphitheater außerhalb der Stadtmauern allenfalls mit sehr viel Phantasie einen anderen Eindruck hinterlässt, als den eines Grashügels mit einem überdimensionierten Sandkasten in der Mitte für 4 Euro Eintritt.
Als „einer der schönsten Wanderwege im Laacher-See-Gebiet“ wird der Höhenrundweg um den Laacher See in der Nordeifel von ein paar findigen Werbestrategen im Internet angepriesen. Nun hätte die Einschränkung „im Laacher-See-Gebiet“ gewiss stutzig machen können, denn der schönste Wanderweg auf einem Gebiet von ein paar Quadratkilometern ist nun einmal so vielsagend wie „die größte Rinderroulade zwischen Bad Belzig und Treuenbrietzen“ oder „der höchste Aussichtspunkt zwischen Altentreptow und Trollenhagen“. Auch dass der Superlativ des „schönsten Wanderweges“ weniger mit den landschaftlichen Reizen als vielmehr mit seiner guten Beschilderung (auf die wir noch zu sprechen kommen werden) und der Ausstattung mit ausreichenden Liegebänken begründet wird, verhindert zumindest den Vorwurf an den Werbetexter zu einer bewussten Irreführung des gemeinen Wanderers. Anders sieht es dagegen schon mit der Formulierung aus, wonach „wunderschöne Aussichtspunkte entlang der Strecke“ als Lohn für die Strapazen winken. Gewiss, blickt man in die Provianttüte des mitgebrachten Rucksackes oder ist in weiblicher Begleitung unterwegs, so vermag man auch „wunderschöne Aussichtspunkte entlang der Strecke“ entdecken zu können. Ansonsten jedoch beschränkt sich der Ausblick während der gesamten Strecke auf ein paar Hunderttausend Baumstämme, derweil der idyllische Laacher See dem Wanderer auch nach 14 Kilometern so verborgen bleibt wie der Blick in die Tresorräume von Fort Knox, in das Schlafzimmer von Megan Fox oder in das geheime Rezeptbuch von Alfred Biolek. Stattdessen locken die letzten Kilometer der La(a)chnummer mit einem idyllischen Panoramablick über die Autobahn 61 zwischen den Ausfahrten Kruft und Niederzissen – allerdings auch nur, wenn man nach etwa 10 Kilometern Umweg beim Passieren des Ortsschildes der Gemeinde Glees festgestellt hat, dass sich der Laacher Höhenrundweg und der Gleeser Rundwanderweg originellerweise auf dasselbe Markierungszeichen – eine schwarze Eins auf weißem Grund – verständigt haben. Zwar mag die Beschränkung auf eine Ziffer in Zeiten der Integrierten Gesamtschulen für das Mathe-Abitur neuerdings ausreichen, aber vielleicht hätte man es den Wanderern zuliebe zumindest mit einer anderen Farbe oder einem Symbol aus dem Malunterricht der Waldorf-Schule versuchen können. Wie auch immer, wenngleich der Weg unfreiwillig von 14 auf 24 Kilometer ausgedehnt wird, die Wegmarkierung allenfalls mit einem Trampelpfad im Kongo konkurrieren kann und der Werbetexter noch effizienter arbeitet als der fröhlich grinsende Chinese von der Shanghai Yiqian Trading Company beim Verkaufsgespräch mit der rheinland-pfälzischen Landesregierung, so hat die Region mit der beeindruckenden Abteikirche der über 800 Jahre alten Benedikterabtei Maria Laach doch auch ihre wunderschönen Seiten – zumindest, sofern man dort nicht als Mönch morgens um 5 Uhr zum Frühgebet gerufen wird. Der hervorragend erhaltene Prachtbau im romanischen Stil mit einem vorgelagerten Löwenbrunnen und einem prächtigen Innenraum begrüßt den Besucher am Eingang übrigens mit zwei sich gegenseitig in wenig klösterlicher Eintracht an den Haaren ziehenden Steinfiguren – vermutlich war in der Klosterbrauerei das Bier zur Neige gegangen.
Erfüllt von mönchischem Geist geht es am Tag darauf in der Morgenstunde zur Erkundung von Koblenz und Umgebung. Wenige Kilometer südlich von Koblenz findet sich mit der Marksburg bei Braubach die einzige erhaltene Höhenburg des Oberen Mittelrheintals (wieder so ein konditioneller Superlativ), die mit einem grandiosen Ausblick und einer äußerst lohnenswerten Führung durch die sehenswerten Räumlichkeiten aufwartet. Für die Stadt Koblenz scheint ein sonniger Sonntag dagegen nicht unbedingt den geeigneten Zeitpunkt zur Erkundung darzustellen, denn die Parkplatzsituation steht jener in Peking-Mitte kaum in etwas nach. Ein Liquiditätsnachweis für die Shanghai Yiqian Trading Company oder ein Ausblick auf dem Laacher Höhenrundwanderweg dürften in jedem Fall einfacher zu finden sein, als ein Parkplatz irgendwo zwischen Deutschem Eck und Koblenzer Altstadt. Nach dem Bezwingen dieser Hürde lockt jedoch am Zusammenfluss von Rhein und Mosel das Deutsche Eck mit Kaiser Wilhelm hoch zu Ross. Hinter dem monumentalen und den Bilderstürmen der Geschichtsklitterer trotzenden Denkmal führt eine Seilbahn zu der auf der anderen Rheinseite gelegenen und mit einem halben Dutzend verwinkelter Museen versehenen Feste Ehrenbreitstein. Bei der Rückfahrt von der Festung über den Rhein fallen die Aufschriften der 18 Seilbahngondeln ins Auge, die von großen regionalen Dichterfürsten mit wohlgesetzten jambischen Versen wie „Auch Vater Rhein liebt Moselwein“ oder „Die Eifel bebt – Koblenz schwebt“ versehen wurden – man merkt eben bis heute, dass Clemens Brentano hier geboren wurde und Goethe die Stadt im Juli 1774 besucht hat.