Mecklenburg-Vorpommern

All’t mit Måten un Schluck mit’n Schleif!
(Aus Mecklenburg-Vorpommern)

Riether Winkel
Müritz
Insel Rügen
Malchin am Kummerower See

Riether Winkel

Bereits der Eiserne Kanzler hat einst zutreffend festgestellt: „Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später.“ Nun, die Welt ist zwar bisher noch nicht untergegangen, aber schließlich gibt es beim Blick in die Zeitungen auch Schlimmeres als die Apokalypse, man denke nur an die Trennung von Pietro und Sarah Lombardi oder das Zerwürfnis von Roberto und Patricia Blanco. Die Zeitverzögerung im Nordosten lässt sich allerdings nicht ganz von der Hand weisen, denn im Sinne von Bismarcks Bonmot ergreifen die Bewohner auch fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch immer zahlreich die Flucht gen Westen, so dass seither der „demographische Wandel“ an die Stelle der „Republikflucht“ tritt. Eine Zeitreise anderer Art vermag indes der ruhebedürftige Tourist aus dem Westen zu unternehmen, der zwar nicht gleich dem Weltuntergang, aber wenigstens der Hektik des Alltags, dem unübertroffen hässlichen Piepston beim Erhalt einer WhatsApp-Nachricht und den neuesten Eilmeldungen aus den an die Stelle des mecklenburgischen Landadels aus dem 19. Jahrhundert getretenen modernen Adelshäusern Lombardi, Geissen und Kardashian in Richtung Nordosten zu entfliehen sucht, um in unberührter Natur im Land der tausend Seen (tatsächlich sind es 2028 an der Zahl) den Flug der Kraniche und Rohrdommeln zu verfolgen und die ausgedehnten Seen- und Moorlandschaften zu erkunden. Das Ende der Welt hat einen Namen: Altwarp, ein verträumtes Fischerdorf am Stettiner Haff. Dort, im nordöstlichsten Zipfel Deutschlands, sucht man die Funkbalken auf dem Handy und das W-Lan-Zeichen auf dem Laptop so vergeblich wie eine Birkenstock-Sandale im Clubheim der Hells Angels. Anstelle plärrender Kinder, die von überforderten und übergewichtigen Müttern als Genies gefeiert werden („Kai-Ikarus schreit nicht, er übt nur für einen Gesangswettbewerb“), lärmender Nachbarn, die den Samstagmorgen ab 7 Uhr Uhr gerne für einen Auffrischungskurs an der Motorsäge nutzen und einer alkoholisierten Dorfjugend, die am frühen Morgen mit ein paar Liedern von Jürgen Drews und Mickie Krause auf den Lippen durch die Straßen zieht, lauscht man in Altwarp und Umgebung allenfalls dem Flügelschlag des Haubentauchers oder der Nahrungsaufnahme des Kabeljaus. Die stilechte Übernachtung in einem alten Kapitänshaus mit Kachelofen macht die Erholungsreise in die Vergangenheit perfekt. Dass die Fahrt über den Neuwarper See ins namengebende polnische Schwesterdorf daran scheitert, dass der Fährverkehr Ende Oktober längst eingestellt ist und lediglich noch ein paar Fischer wortkarg ihre Reusen und Netze leeren – geschenkt, schließlich kann man auch bei einer Wanderung durch das herbstliche Natur-Schauspiel wunderbar die Seele baumeln lassen. Folglich durchquerten wir die Weiten Vorpommerns, rutschten im feinsten Saharasand über die Altwarper Binnendünen, wanderten durch ein Wacholdertal und das Ahlbecker Fenn, seines Zeichens größtes wachsendes Kalkschwingmoor Deutschlands, dessen Aussichtsturm den erschöpften Wanderer zu einer Pause mit Weitblick einlädt. In seiner von Zeit und Raum losgelösten Transzendenz gehört der Riether Winkel zu den schönsten Regionen in Deutschland. Und das Beste daran: Die Gegend ist so menschenleer, dass man selbst beim Fotografieren eines sowjetischen Ehrenfriedhofes auf einer weit abgelegenen Lichtung im Wald so viel Aufmerksamkeit erregt, dass sogleich ein Polizeiauto herbeieilt, deren sonst nur den Anblick von Fischottern und Seeadlern gewohnte Insassen die zwei ungewohnten Spezies des homo sapiens interessiert beobachten. Nach einer entspannenden Wanderung durch die harmonische Stille der unberührten Naturlandschaften fehlt zum perfekten Tagesausklang nur noch das kulinarische i-Tüpfelchen in den von dörflichem Idyll und malerischen Fachwerkkirchen umgebenen Fischergaststätten: Neben Zander, Barsch und Dorsch lockt besonders der Aal, den die Bewohner nach dem Bau der Berliner Mauer – so sie in dieser abgeschiedenen Kante überhaupt jemals bemerkt wurde – als Dreifarbenfisch bezeichnet haben: Grün gefangen, braun geräuchert und schwarz verkauft.

Altwarp-Mecklenburg-Vorpommern
Kapiänshaus in Altwarp
Altwarp-Mecklenburg-Vorpommern
Binnendüne in Altwarp

Fachwerkkirche-in-Luckow-Mecklenburg-Vorpommern
Fachwerkkirche in Luckow

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Müritz

Um sich bei einer Charakterisierung ihres Herrschaftsbezirkes gleichwohl nicht auch noch die nächsten hundert Jahre die Worte Bismarcks vorhalten zu müssen und den Schritt in die Moderne zu wagen, hat die Landesregierung in Schwerin vor Kurzem ihre ganze kreative Intelligenz und ihren sprudelnden Ideenreichtum in einem Meisterstück tiefgründiger Formulierungskunst gebündelt. Seit dem Jahr 2014 begrüßt das Land seine Gäste auf großflächigen Schildern an der Autobahn mit der bahnbrechenden existenzphilosophischen Weisheit „Willkommen im Land zum Leben“ – ein Satz wie aus der Feder von Jean-Paul Sartre, Albert Camus oder Louis de Funés. Nach „Tod in Venedig“, „Neapel sehen und sterben“, „Der Henker von London“ und „Die rote Sonne von Barbados“ setzt das nordöstlichste Bundesland mit dieser inspirierenden Botschaft einen lebensbejahenden Kontrapunkt zu den morbiden Marketingklassikern vergangener Tage. Sollen doch Touristen mit gegenteiliger Zielsetzung ihr Glück in Holland oder Somalia versuchen – zwischen Rügen und der Müritz wird gelebt! Mögen andere Länder ins Gras beißen – Pommernland ist nicht abgebrannt, sondern „Land zum Leben“! Es ist kaum zu ermessen, mit welchem intellektuellen Kraftakt sich ein armer Ministerialdirigent im Schweriner Schloss  seine B3-Besoldung verdienen musste, als er sich in einem mehrmonatigen Reflexionsprozess mit dem Ersinnen dieser famosen Botschaft in die intellektuelle Ahnengalerie um Thomas Mann, Johann Wolfgang Goethe, Edgar Wallace und die Flippers einreihte und Touristen mit dieser kongenialen Sprachschöpfung seither vermittelt, dass sie nach dem Erreichen der Ostseeküste nicht mehr befürchten müssen, von Klaus Störtebeker über die Planken geschickt oder in einem Strandkorb den Sandflöhen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Auch wurde mit dem gehaltvollen Slogan „Land zum Leben“ der Unterschied zu manch anderem Bundesland prägnant herausgearbeitet, denn wer aus dem Saarland oder aus Bremen nach Mecklenburg-Vorpommern einreist, dürfte in der Tat beim Grenzübergang nahe Kremmin, Suckow und Gallin an der Mecklenburgischen Seenplatte die wiedergewonnene Freude am Dasein bejubeln – zumindest bis er auf der A20 zwischen Tribsees und Bad Sülze in einem Erdloch versinkt. Als eines der großen touristischen Aushängeschilder des Landes gilt zweifelsohne der Müritz-Nationalpark inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte und der Feldberger Seenlandschaft. Dass der namengebende und mit 110 Quadratkilometern größte rein deutsche Binnensee auf die Zuschreibung „See“ verzichtet und von den Eingeborenen nur als „Müritz“ bezeichnet wird, mag in der sprichwörtlichen Wortkargheit der Bevölkerung begründet liegen, gelten doch im Vergleich zu dem gemeinen Mecklenburger selbst kartäusische Schweigemönche als ausgeprägte Quasselstrippen. Das touristische Zentrum ist die Kleinstadt Waren mit markantem Kirchturm, ausgedehntem Hafen, ansehnlicher Altstadt und dem unvermeidlichen Müritzeum, das so elektrisierende Spannungsmomente ermöglicht, wie auf den Spuren von Heinz Sielmann die sagenumwobene Müritz-Maräne im lebendigen Zustand zu besichtigen. Wer dabei einzuschlafen droht, kann sich der Tierchen freilich auch in zahlreichen Gasthäusern in Butter gebraten an einer Beilage aus Petersilienkartoffeln annehmen. Aber neben der Fischplatte lockt auch die Seenplatte und so führt uns eine ausgedehnte Tageswanderung zunächst von dem Örtchen Federow aus über vier, fünf weitere Seen am Ostufer der Müritz entlang zurück zum Ausgangspunkt. Gewiss, der vierte See sieht nicht viel anders aus als der dritte, die Gasthäuser am Wegesrand haben entweder vorübergehend oder dauerhaft geschlossen und die Entzückung manch ornithologisch angehauchter Zeitgenossen in den hölzernen Aussichtstürmen am Ufer der Seen beim Erspähen von Zwergsumpfhuhn, Schwarzstirnwürger oder dem gemeinen Kormoran vermag nicht jeder Wanderer gleichermaßen zu teilen. Aber davon unberührt kann man in der Weite der beschaulich-friedvollen Landschaft und entlang pittoresker Seen, Wälder und Moore sicher davon ausgehen, reichlich Erholung zu finden und von zivilisatorischer Rastlosigkeit und Smartphone-Terroristen unbehelligt zu bleiben. Und so gilt es selbst Erich Kästner zu widersprechen, der einst geschrieben hat: „Mecklenburgs Kornfelder und Kleewiesen, ein Land ohne Hügel und Berge. Die Welt war flach wie ein Brett, mit Kühen drauf. Hier hätte ich nicht wandern mögen.“ Tja, da hat er definitiv etwas verpasst!

Kormorane am Warnker See in Mecklenburg-Vorpommern
Kormorane am Warnker See
Vogeljagd auf dem See

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Insel Rügen

Es gibt freilich ein paar Schönheitsfehler im selbsternannten „Land zum Leben“: Die Einwohnerzahl ist in den letzten 25 Jahren um fast 300.000 zurückgegangen, die Einwohnerdichte sank von 79 auf 69 pro Quadratkilometer und die Zahl der besiedelten Dörfer und Höfe schrumpft allmählich wie die Taille von Sophia Wollersheim. Aber die Vorpommern sind bekanntlich zäh: Sie haben die Einfälle der Schweden im 30-jährigen Krieg überlebt und der sowjetischen Besatzung widerstanden. Nicht ganz so robust wie ihre Bewohner erweisen sich dagegen die Hauptattraktionen der Insel Rügen, des größten deutschen Eilandes und unvermeidlichen Reiseziels einer Fahrt in den hohen Norden: Die seit Jahrhunderten von Malern und Dichtern romantisierten Kreidefelsen bröckeln vor sich hin wie die Imperien von Karl XII. und Anton Schlecker, aus den historisch bedeutsamen Kraft-durch-Freude-Bauten in Prora wurde eine kraftvolle Freude für Investoren in preisgünstigen Wohnraum und der Pirat Störtebeker agierte bereits vor über 600 Jahren bei dem Versuch, wirtschaftliche Initiativkraft gegen staatliche Bürokratie durchzusetzen, am Ende etwas kopflos. Gleichwohl ist die größte deutsche Insel immer einen Besuch wert, auch wenn die Autofahrt für alle Einwohner südlich des Mains den Ort für einen Wochenendausflug nur bedingt geeignet erscheinen lässt. Statt in Burgen und Schlössern kann man dafür aber auf Rügen in historischen Gebäuden der etwas anderen Art nächtigen: In Prora, einem Ortsteil des Ostseebades Binz, hat die nationalsozialistische Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ zwischen 1936 und 1939 durch einen Architekten mit dem nicht unpassenden Namen Clemens Klotz einen Häuserblock für rund 20.000 Urlauber errichten lassen. Zwar konnten die Ferienzimmer anschließend von den Erbauern nicht mehr genutzt werden, da die KdF-Fahrten zunehmend weniger nach Rügen, als vielmehr nach Russland führten, aber noch heute beherbergt ein kleiner Teil des ursprünglich rund 4,5 Kilometer langen Gebäudekomplexes eine durchaus originelle Jugendherberge und entspricht damit angesichts der durchschnittlichen Hotelpreise auf der Insel sogar noch ihrer damaligen Zielsetzung einer günstigen und familienfreundlichen Übernachtungsgelegenheit. Die anderen fünf Blöcke gingen indes an Investoren, welche die NS-Ruinen in Wohnanlagen verwandelt haben. Eine 100-Quadratmeter-Wohnung ist seither bereits zum Schnäppchenpreis von 350.000 Euro zu haben und lässt die 237,5 Mio. Reichsmark noch heute als lohnende Investition in den sozialen Wohnungsbau erscheinen. Die gleich an mehreren Standorten errichteten Museen und konkurrierenden Dokumentationszentren zur Zeitgeschichte der Insel verdienen allemal einen Besuch, beschreiben sie doch umfassend und anschaulich, worin sich der „Koloss von Prora“ von den optischen Analogien einer Hotelanlage in Rimini oder einem Verwaltungsgebäude im Ruhrgebiet unterscheidet. Ein Besuch auf Rügen wäre freilich auch unzureichend ohne eine Wanderung zu den berühmten Kreidefelsen – oder zumindest dem, was noch davon übrig ist. Von der Ortschaft Sassnitz aus führt ein rund 11 Kilometer langer Höhenrundweg oberhalb der Kreideküste zu der als Wahrzeichen fungierenden Kreideformation des Königstuhls. Bis vor einigen Jahren machten die beiden Zinnen der Wissower Klinken dem Königsstuhl diesen Rang noch streitig, aber wie weiland Obelix der Nase der Sphinx und Lex Barker den unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse machte im Jahr 2005 eine Population der fast ausgerottet geglaubten Steinlaus auch den Klinken endgültig den Garaus. Bleibt also der 118 Meter hohe Königsstuhl, dessen gleichnamiges Nationalpark-Zentrum mit dem Werbespruch „Wir machen Unsichtbares sichtbar“ die bisherige Entwicklung der Kreideküste geschickt in ihr Gegenteil zu verkehren sucht. Nach einer herbstlichen Wanderung entlang der wie in einem Gemälde von Caspar David Friedrich von Nebelschwaden mythisch eingehüllten und von den bunt belaubten Bäumen überdeckten Felsformationen freut man sich, während der feuchte Nebel in die Glieder zieht und die klirrende Kälte Ohren und Nasenspitze bibbern lässt, auf einen heißen Tee im Café des Nationalparkzentrums – zumindest solange bis die Schockstarre eintritt, wenn man am Eingang acht Euro fünfzig Eintritt für das Betreten der Gaststätte zahlen soll. Dadurch erfährt man zwar am eigenen Leibe, warum die Kreide auf Rügen als „Weißes Gold“ bezeichnet wird und warum 600 Jahre nach Störtebekers Tod die Piraterie an der Kreideküste wieder fröhliche Urständ feiert; der heiße Tee aber bleibt erst einmal ein frommer Wunsch. Im „Land zum Leben“ sollte der Tourist daher bei Wanderungen immer eine Thermoskanne zum Über-Leben mitführen!

Kreideküste
Kreideküste
Kreidekueste-Ruegen
Kreideküste auf Rügen
Kreidekueste-auf-Ruegen-Mecklenburg-Vorpommern
Kreideküste auf Rügen
KdF-Bad-Prora
KdF-Bad in Prora
KdF-Bad-Prora
KdF-Bad in Prora
KdF-Bad-Prora-Mecklenburg-Vorpommern
KdF-Bad in Prora

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Malchin am Kummerower See

Neben der wunderbaren Landschaft und schmackhaften Fischgerichten bieten sich dem Touristen im Nordosten der wiedervereinigten Republik auch anschauliche historische Einblicke der besonderen Art. Wer beispielsweise wissen will, warum die DDR unterging, muss seit einigen Jahren nicht mehr zwingend auf dickleibige Wälzer gelehrter Historiker mit unzähligen Fußnoten und ausufernden Quellenanalysen zurückgreifen oder wissenschaftliche Studien zur Verhaltensforschung von Ochsen und Eseln menschlicher und zoologischer Natur betreiben, sondern kann auch einfach am Sonntagnachmittag mit einem geliehenen Trabant 601 von Hohen Wangelin über die Landstraße zum Wisentgehege am Damerower Werder pflügen – ist doch der automobile Pappkamerad als Aushängeschild der leistungsstarken sozialistischen Automobilwirtschaft mit einigen wenigen Exemplaren als erlebnispädagogisches Exponat bis zum heutigen Tage erhalten geblieben. Bereits das Umdrehen des Zündschlüssels und der erste Tritt auf das Kupplungs- und das Gaspedal versprechen höchste Spannung, ob das Glanzstück aus dem Hause VEB Sachsenring Zwickau sich noch einmal zur Weiterfahrt aufraffen kann oder in seine Einzelteile zerfällt. Das Abbremsen an Kreuzungen sorgt regelmäßig für Wadenkrämpfe, da die Notwendigkeit zu einem fast nur Rudersportlern vorbehaltenen Durchtreten des Bremspedals eine Weiterfahrt im Stile der Fortbewegungsmittel von Fred Feuerstein befürchten lässt und schließlich richtet sich auch stets der bange Blick gen Himmel, ob einsetzende Regentropfen nicht das Dach und das Chassis der Rennpappe in Pappmachée auflösen könnten. Während man zudem anstelle der ungewohnten Lenkradschaltung noch das Knie des Beifahrers umlegt und fasziniert beobachtet, wie der Tacho mit letzten Kräften auf sagenhafte 90 km/h klettert, lassen sich unterwegs die beunruhigten Blicke einiger Passanten beobachten, die bei dem wenig dezenten Motorengeräusch des Gefährtes bereits die Russen im Vorgarten wähnen. Aber immerhin: Die 360.000 Kilometer, die der Trabi bereits auf dem Buckel hat, wollen erst einmal erreicht sein und auch die grandiose Landschaft der Mecklenburger Seenplatte lässt sich, während man gerade wieder von einem drängelnden Radfahrer überholt wird, dank des Ostflitzers wunderbar entschleunigt und ganz ohne blitzende Starenkästen genießen – ohnehin ein deutlicher Vorzug von Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem permanenten Blitzlichtgewitter in Brandenburg. Unterwegs lässt sich bei einem Halt in dem Dörfchen Basedow neben einem ganz ansehnlichen Schloss mit Parkanlage auch die außergewöhnlich prachtvolle Orgel der unmittelbar neben dem Fußballplatz liegenden Dorfkirche aus dem 13. Jahrhundert bestaunen. Während auf dem grünen Rasen am Sonntagnachmittag ein paar ungelenke Hobby-Fußballer keuchend dem Bier nach dem Abpfiff entgegensehnen, zieht es die überschaubare Schar der Touristen nebenan in das Gotteshaus zu der „ältesten Barockorgel in Mecklenburg“. Bleibt man selbst in einem 700-Seelen-Dorf im entlegensten Winkel der Mecklenburgischen Seenplatte nicht von dem unumgänglichen Superlativ angelsächsischer Werbestrategen verschont, so wird man von dem Anblick der farbenprächtigen Orgelprospekte beim Betreten der Kirche tatsächlich beinahe so erschlagen wie von der wurmstichigen Empore vor ihrer Restaurierung in den 1980er Jahren. Selbst in die Tasten hauen kann der kulturbeflissene Reisende zudem im Orgelmuseum der zu einem Teil im gleichnamigen See gelegenen Inselstadt Malchow, das in der ehemaligen Klosterkirche untergebracht ist und neben zahlreichen Exponaten auch eine Schülerorgel für Jedermann bereithält – wer dabei kurzerhand alle Register zieht und mit beiden Händen kräftig in die Tasten haut, erzielt bei den übrigen Besuchern garantiert bessere Schockeffekte als mit jeder Halloween-Verkleidung. Daneben sorgen ein DDR-Museum und ein Heimatmuseum, die Stadtkirche und die Lage am Wasser für Zerstreuung. Mit dem Trabi durch Mecklenburg: Ein absolut zu empfehlender Tagesausflug und deutlich günstiger als eine Fahrt mit einem sowjetischen Atom-U-Boot oder einem russischen Eisbrecher durch die Antarktis!

Schloss-in-Basedow-Mecklenburg-Vorpommern
Schloss in Basedow
Orgelmuseum-in-Malchow-Mecklenburg-Vorpommern
Orgelmuseum in Malchow

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