A guats Gwissa, kommt bloaß vom schlechta Gedächdnis!
(Aus Baden-Wuerttemberg)
Schwarzwald
Schluchtensteig
Hochschwarzwald/Glottertal
Der Schwarzwald hat es eigentlich nicht leicht: Statt um die herrlichen Wanderwege, die wildromantischen Schluchten und die prächtigen Sakralbauten kreisen die Gedanken bei seiner Erwähnung im Regelfall bevorzugt um einen wohlschmeckenden Schinken oder eine sämige Serien-Schmonzette um Professor Klaus Brinkmann, bei dessen empathischem Gesichtsausdruck vom Format eines griechischen Tragödienhelden man sich stets nicht recht des Eindrucks erwehren kann, dass er entweder wie weiland der Halbgott Atlas das Himmelsgewölbe, zumindest aber die gesammelten Leiden seiner Patienten auf den Schultern trägt oder aber kurz vor Drehbeginn die dritte Berühmtheit dieses Mittelgebirges – eine kalorienreiche, in Kirschwasser ertränkte Schokoladenbiskuit-Sahnetorte – in etwas zu großen Portionen verschlungen hat. Eine bekannte Operette, die zu ihrer Zeit als musikalisch eingängig und beschwingt galt – das war etwa fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – und eine etwas infantile Uhrenkonstruktion, bei der zur vollen Stunde ein kleines Vögelein den Käufer gerne entnervt zur Fliegenklatsche oder zum Luftgewehr greifen lässt, runden das folkloristische Bild des Schwarzwaldes ab.
Aber jenseits von Schwarzwaldmädel und Kuckucksuhr gibt es eben auch jene urwüchsige Naturlandschaft, die mit dichten Fichtenwäldern, tosenden Wasserfällen, idyllischen Seen und herrlichen Ausblicken von den Berggipfeln zu glänzen weiß.
Eine der schönsten Touren ist dabei der 119 Kilometer lange Schluchtensteig zwischen Stühlingen und Wehr im Süden des Mittelgebirges unweit der Schweizer Grenze. Nachdem am Wochenende im vierten Anlauf endlich auch die letzte der sechs Etappen des Fernwanderweges abgehakt werden konnte, wollen wir die Wanderung ein wenig Revue passieren lassen:
Der Einstieg erscheint durchaus noch etwas gewöhnungsbedürftig. Statt des Wanderherzens klopft erst einmal nur der Knorpel des Kniegelenks, wenn man über die kerzengerade Asphaltstrecke entlang der idyllischen Bundesstraße 314 auf das kulturhistorische Monument einer modern-rationellen Fabrikhalle auf dem Werksgelände eines südbadischen Herstellers von Wärmedämmungen zuläuft. Aber man darf sich von den ersten Kilometern der Tour nicht täuschen lassen: Spätestens ab der zweiten Etappe führt der Wanderweg zu all den prächtigen Felsgründen wie der Wutach- und der Haslachschlucht, vorbei an den Wutachflühen und dem sagenumwobenen Räuberschlössle-Felsen, durch die grandiose Lotenbachklamm und den Blasiwald (nein, es fehlt kein Konsonant in der Wortmitte) und schließlich zum malerischen Schluchsee – einst besser bekannt als „Schlucksee“, nachdem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1982 dort ihr Trainingslager aufgeschlagen hatte und sich zartbesaitete Gemüter wie Toni Schumacher, Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge zur Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien soffen (und es damit immerhin zum Vizeweltmeister brachten).
Zur Entstehung dieser einzigartigen Schluchtenlandschaft hat die Wissenschaft bereits bedeutende Erkenntnisse gesammelt:
„Die auf Grund von Schotterkörpern im Gutachtal derzeit auf das frühe Würmglazial angesetzte Ablenkung setzte mit der Zunahme des Gefälles von ursprünglich zirka 0,4 Prozent auf anfänglich etwa 4 Prozent eine starke Erosionskraft frei. Die sommerlichen Schmelzwässer führten den durch Frostverwitterung während der übrigen Zeit zersetzten Untergrund ab und erzeugten eine reine Tiefenerosion, wobei die dadurch immer höher werdenden Schluchthänge trotz des meist wenig stabilen Untergrundes frostbedingt recht standfest und steil blieben.
– das ist sehr schön für den, den es interessiert.
Wir konzentrieren uns derweil auf die urwüchsig-pittoreske Landschaft entlang der plätschernden Wildbäche und Wasserfälle, grün bemoosten Gesteinsformationen und mächtig hervorragenden Felsen, malerischen Wälder und satten Wiesen sowie die abwechslungsreich angelegten Wege und eine ordentliche Beschilderung. Selbst die unvergänglichen Bilder aus der filmischen Inszenierung des Panoramas mit röhrendem Hirsch und krähendem Auerhahn auf sonnigem Gipfel (wer erinnert sich nicht an Rudolf Prack und Sonja Ziemann), während das Schwarzwaldmädel mit dem charakteristischen Bollenhut – eine dem klassischen Mett-Igel nicht unähnliche Kopfbedeckung – tiefschürfende Verse wie „Malwine, ach Malwine, du bist wie eine Biene“ trällert, entschwinden in Gedanken wie eine Schwarzwälder Kirschtorte in der Kuchenauslage der Cafés zwischen Lenzkirch und Todtmoos angesichts der erbaulichen Realität beim Durchwandern der grandiosen Schluchten und Täler.
Gleichwohl vermag man fernab von Schinken, Torte und Leinwand als Fazit einer Wanderung durch den Schwarzwald dann doch den Gedankenschluss eines Heimatforschers namens Seydlitz aus dem 18. Jahrhundert zu teilen:
„Diese verschiedenartigen, fesselnden Bilder bewegen die Seele des Wandernden mannigfach. Bald sind sie lieblich, bald ernst, bald wild, düster und schaurig, bald wieder rein, erhaben und großartig – immer aber weht um sie ein Zauber eigener Art. Wer zu träumen liebt, wo fände er geeignetere Stätten als in diesem wunderbaren, dämmervollen Zauberwald!“
Zum Anfang ….
Nach einigen Tagen ausgedehnter Wanderungen erlauben die von der Einstiegsetappe in Mitleidenschaft gezogenen Füße freilich auch ein beachtliches Kulturprogramm: Der Kurort St. Märgen mit der barock-überladenen, prächtigen Klosterkirche und das nebenan gelegene Kloster St. Peter, in dem mit Abt Ulrich Bürgi ein früher Vorfahre des Waschmaschinen-Apostels wirkte, sowie schließlich der bombastische Dom St. Blasien, eine der größten Kuppelkirchen in Europa mit einem allerdings etwas schlichten und nüchternen, stellenweise einem ambitionierteren Eisbärengehege nicht unähnlichen Innenraum, sind nicht nur bei einer Busreise der Landfrauen in den Schwarzwald ein absolutes Muss.
Und schlieĂźlich kommt man doch nicht umhin, bei einem Trip in diese Region jenen mythischen Ort aufzusuchen, der als Inkarnation des Schwarzwaldes gleichsam das „Avalon der deutschen Mittelgebirge“, das „Atlantis des Schäufele-Ă„quators“, das „El Dorado des SĂĽdwestens“ bildet: Das GLOTTERTAL – bereits der Name lässt die vor 1980 geborenen TV-Freunde unter uns in Ehrfurcht erschaudern, als schritte man zu einer Audienz des Papstes in der Sixtinischen Kapelle oder zu einem „Meet and Greet“ mit Helene Fischer. Zu Zehntausenden pilgerten die Massen einst zu der am Rande dieses kleinen Dorfes gelegenen Schwarzwaldklinik, deren Familien-Saga am Samstagabend im ZDF von 1985 bis 1989 selbst J.R. Ewing und das Denver-Biest reichlich alt aussehen lieĂź – damals war selbst die GEZ ihr Geld noch wert. Heute befindet sich in dem 1914 erbauten Gebäude ĂĽbrigens eine Reha-Klinik fĂĽr psychosomatische Erkrankungen; das ausgeprägte ErholungsbedĂĽrfnis der Patienten fĂĽgt sich dabei harmonisch in das Begehren der spätestens nach der Wiederholung der Serie auf einem Spartenkanal des ZDF nach wie vor zahlreich aufkreuzenden Touristen nach einer Besichtigung des Geländes ein. Entsprechend freundlich wird man bereits ein paar Meter vor dem Eingang mit einem Schild „Zutritt verboten“ und einer Absperrkette empfangen und darf sich daher am Berghang durch ein paar Brombeerhecken schlagen, um wenigstens einmal die berĂĽhmten Giebel der Filmkulisse in Augenschein nehmen zu können. Denn noch immer geht eine Magie von jenem Ort aus, wo einst Oberschwester Hildegard mit ihrer philantropisch-herzlichen Natur bei den Patienten wehmĂĽtige Erinnerungen an die Einzelhaft beim letzten Knastaufenthalt hervorrief; wo sich Udo Brinkmann vom notorischen Schwerenöter, der eifrig die Riege der Krankenschwestern inspizierte, zum tiefsinnigen Moralphilosophen entwickelte; wo Evelyn Hamann als pietistisch-sittenstrenges Dienstmädchen Carsta Michaelis fĂĽr Ordnung sorgte und der groĂźe Gert Fröbe im Jahre 1989 – 25 Jahre, nachdem er als Auric Goldfinger zusammen mit Pussy Galore vergeblich Fort Knox einnehmen wollte – seinen letzten Auftritt auf dem Bildschirm hatte.
Zum Anfang ….