Ein gutes Essen ist Balsam für die Seele.
(Aus Tadschikistan)
Reisejahr 2017
Duschanbe – Penjikent – Sieben Seen im Fangebirge – Iskanderkul – Duschanbe – Kalai Khumb – Jizeu im Bartang-Tal – Chorog (Autonome Provinz Berg Badachschan)
Tadschikistan gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versank das Land von 1992 bis 1997 in einen Bürgerkrieg, in dem Regionen und regionale Clans um die Macht kämpften: Die Hauptroute für afghanische Drogen nach Europa verläuft durch das Land. Während des Bürgerkriegs wurde Emomali Rachmon 1992 vom Parlament zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets Tadschikistans gewählt, 1994 schließlich zum Präsidenten.
Emomali Rachmon der sich „Gründer des Friedens und Einiger und Anführer der Nation“ nennen lässt, ließ bereits mehrmals die Verfassung ändern, um seine Verweildauer im Amt auf unbestimmte Zeit zu erhöhen sowie rechtliche Immunität auf Lebenszeit zu erlangen.
Die Hauptstadt Duschanbe
Die Quecksilbersäule scheint bei 38 bis 40 Grad Celsius festzuklemmen. Am frühen Nachmittag wagen wir uns zum – bis 2014 – höchsten Fahnenmast der Welt. Die Stadt liegt im Dornröschenschlaf. Plakate mit Bildern und Zitaten von Emomali Rachmon grüßen an Straßenkreuzungen und von Hauswänden. Erst kurz vor Einbruch der Dämmerung kommt Leben in die Parks und Alleen. Am Hauptplatz winkt uns ein Polizist zu sich auf das 30 Meter hohe Ehrenmal mit dem Standbild des berühmtesten Samanidenherrschers Ismail I., Urvater der tadschikischen Nation. Der Name der Währung Tadschikistans, Somoni, ist von Samaniden abgeleitet.
„Fotografiert so viel ihr wollt. Ihr könnt auch Bilder vom Palast der Nation machen“, der Typ zeigt auf den in der Abendsonne leuchtenden Amtssitz des Staatspräsidenten. Eigentlich darf das Gebäude nicht fotografiert werden, aber wir lassen uns gerne dazu auffordern. Zurückhaltend fragt der Polizist nach Geld. Marc gibt ihm 3 Somoni (30 Cent). Ein freudiges Lächeln huscht über sein Gesicht.
Sieben Seen Wanderung im Fangebirge
In Duschanbe halten wir uns nicht lange auf. Bevor wir zum Trip auf dem Pamir-Highway starten, wollen wir an den Sieben Seen im Fangebirge wandern. Bus und Bahn, die quer durch das Land fahren, gibt es in Tadschikistan nicht. Die einzige Alternative sind Sammeltaxis. Am Haltepunkt werden wir schnell mit dem Fahrer eines Taxis einig. Neben dem in die Jahre gekommenen Opel stehen zwei Frauen, die restlichen Plätze scheinen noch frei zu sein – bis wir einsteigen. Schlagartig ist das Auto voll und für uns bleibt nur die zusätzlich im Kofferraum eingebaute enge zweite Rückbank. Die bequemeren Plätze sind längst verkauft. Kaum haben wir uns in das Auto gepfercht, geht es los. Damit wir Luft bekommen, ordnet der Fahrer an, dass alle Fenster geöffnet bleiben müssen.
Im Ansob-Tunnel, der von den Einheimischen auch „Tunnel des Todes“ genannt wird, hilft diese Maßnahme nicht mehr. Fünf Kilometer ist der Tunnel lang, ohne Entlüftungsanlage, Beleuchtung und Fluchträume. Die Scheinwerfer der Autos durchdringen nur schwach Dunkelheit und Abgasnebel. Die Beklemmung wächst mit jedem Meter. Wir sind heilfroh, als der Fahrer den Tunnel endlich verlässt.
In Penjikent – die Stadt ist ein Zwischenstopp auf dem Weg zu den Sieben Seen – begrüßt mich mein Handy mit „Willkommen in Russland“, obwohl es zu Russland weit und breit keine Grenze gibt. Lediglich das usbekische Samarkand liegt 60 Kilometer entfernt.
Da nur einmal am Tag ein Sammeltaxi in das Fangebirge fährt, das vollgestopft wird mit Leuten, bis kein Blatt Papier mehr dazwischen passt, entscheiden wir uns für einen Privattransfer.
An der Stadtgrenze werden unsere Pässe und Visa kontrolliert: „KGB“, meint der Fahrer. In Shing, einem Dorf in den Bergen, steigt die Großfamilie des Fahrers zu. Seine Tochter musste dringend zum Zahnarzt und natürlich wurde sie von Mutter, Großeltern und Geschwistern begleitet.
Im Ort Nofin am Vierten der sieben Seen, werden wir abgesetzt. Nofin ist ein kleines Dorf mit Häusern aus Lehm, wilden Aprikosen- und Kirschbäumen in den Gärten und am Wegesrand. Auf jedem Grundstück stehen Taptschane: aus Holz gefertigte Gestelle, die zum Ausruhen, Teetrinken und Essen genutzt werden.
Unser Gastgeber lädt uns zum Ruhen und Tee trinken ein. Wir lehnen ab. Es ist Vormittag und wir wollen die ersten vier Seen erwandern.
Die sieben Seen verteilen sich kaskadenartig über eine Höhe von 1598 bis 2400 Metern und werden, je höher man kommt größer und heller. Wanderkarten braucht es nicht. Der einzige Weg ist die Schotterpiste, auf der wir hergekommen sind.
Die untersten vier Seen liegen nicht weit auseinander und so sind wir bereits nach zwei Stunden am violett schimmernden ersten See angekommen. Dort bietet mir ein geschäftstüchtiger Zehnjähriger aus dem in der Nähe liegenden Dorf an, meinen Rucksack mit Wasserflaschen und Kamera zurück nach Nofin zu tragen.
Der Rückweg zieht sich trotz der reizvollen Landschaft. Ein Auto hält: „Wollt ihr mitfahren?“ Obwohl das Angebot verlockend ist, lehnen wir ab. Der Fahrer gibt uns ein paar Tomaten: „Sie werden euch guttun.“ Die willkommene Erfrischung nehmen wir gerne an.
Im Homestay angekommen, lassen wir uns müde auf einen Taptschan fallen, dösen ein wenig, trinken Tee und laben uns später an einem reichhaltigen Abendbrot.
Der Wecker klingelt am nächsten Morgen bereits in aller Frühe. Mit den ersten Sonnenstrahlen beginnen wir mit der Wanderung zu den Seen fünf bis sieben. Der Weg ist beschwerlich. Kontinuierlich geht es bergauf, von einem Felsüberhang prasseln Steine auf uns herab. Hinter dem sechsten See (Maguzor) folgen wir dem sprudelnd und tosend strömenden Fluss hinauf zum Türkis leuchtenden siebten See, der alle anderen Seen im Tal speist. Ein Mann mit Esel, der zwei Zicklein in seinem Packsattel trägt, kommt uns entgegen. „Mach ein Foto von mir. Der Berg muss im Hintergrund zu sehen sein, aber nicht der See“ fordert er.
Aus dem Fangebirge zum Dach der Welt
Nach der anstrengenden Wanderung beschließen wir, mit einem Privattransfer zurück nach Penjikent zu fahren. Ein junger Mann, der auf dem dortigen Markt Kirschen verkaufen will, nimmt uns in seinem äußerst klapprigen Auto mit.
Für den nächsten Tag haben wir uns mit Mohamed verabredet, dem Fahrer, der uns über den Pamir-Highway begleiten wird. Zuerst bringt er uns jedoch zum Iskanderkul, benannt nach Alexander dem Großen, dessen Pferd im See ertrunken sein soll.
Zwei Feriensiedlungen aus Sowjetzeiten, teilweise saniert, liegen direkt am Ufer des türkisfarbenen Sees. In der Idylle, der Ruhe und dem Schatten der Bäume erholen wir uns von den Wanderungen der letzten Tage.
Es klopft an der Zimmertür. Die Nachbarin, eine ältere Frau mit einem gutmütigen Lächeln, bringt uns Tomaten, Brot, Pfirsiche und Melone: „Ich habe kein Essen bei euch gesehen. Ihr müsst doch hungrig sein.“ Das sieht der Platzwart und blafft die Frau an. Unfreundlich erklärt er uns, dass es ein Restaurant auf dem Gelände gibt.
Eine Nacht verbringen wir noch in Duschanbe, dann starten wir auf der gut – natürlich von Chinesen – ausgebauten Straße in die autonome Provinz Berg Badachschan, die etwa 45 Prozent des tadschikischen Territoriums einnimmt.
An der Grenze zu Berg Badachschan werden die Pässe kontrolliert. Mohamed steckt 10 Somoni (1 Euro) in seine Papiere. Zügig werden wir durchgewunken.
Nach einigen Kilometern wird das Asphaltband zu einer schmalen, staubigen Bergpiste, die dem Flussbett des reißend strömenden Pandsch folgt, der die natürliche Grenze zu Afghanistan bildet.
Für einen Mittagsimbiss halten wir an einem der Restaurants, die am Straßenrand stehen. Zur Auswahl stehen Plov (in Fett getränkter Reisberg mit Fleischbröckchen) oder Fleischbrühe. Bei der Auswahl müssen wir nicht lange überlegen – Fleischbrühe. Variierend in der Größe des in ihr schwimmenden Knochens wird sie das Mittagsmahl für die kommenden Tage sein.
Eine unbewachte Brücke führt über die reißenden Stromschnellen des Pandsch nach Afghanistan. Auch dort windet sich eine schmale Piste durch das enge, steile Tal. Vor imposanten Berggipfeln stehen in grünen Oasen Lehmhütten mit riesigen Satellitenschüsseln auf dem Dach, Kinder spielen Fußball, alte Männer sitzen im Schatten großer Bäume.
Im Gästehaus in Kalai Khumb treffen wir unerwartet auf Reisegruppen. Die Gastfamilie hat mehrere Zimmer zu vermieten, für uns ist ein fensterloser Abstellraum als Quartier vorgesehen. Nach einer temperamentvollen Diskussion bekommen wir ein Zimmer mit Fenster. Nur den Teller mit Plov zum Abendessen können wir nicht verhindern.
Auch bei der Zubereitung des Frühstücks wirken die Gastgeber überfordert. Tee und Brot lassen lange auf sich warten, während uns die Wanderzeit für eine Tour ins Bartang Tal davon läuft.
Acht Stunden fahren wir entlang der afghanischen Grenze. Auf der anderen Flussseite sind Arbeiter dabei, zwei Teile der Piste zu verbinden: Lässig auf einen Presslufthammer gestützt, bohrt ein Mann Löcher in den Berg und sieht zu uns herüber. Ein anderer hockt daneben. Meterlange Zündschnüre liegen bereit. Am anderen Ende der Lunte steht ein Kochtopf auf einem Lagerfeuer.
Drei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die Hängebrücke über den Fluss Bartang, einem Nebenfluss des Pandsch. Sie ist der Zugang zum Bartang Tal und ins Dorf Jizeu, in dem wir übernachten wollen. Ab hier geht es nur zu Fuß weiter. Mohamed bleibt im Auto und wird uns morgen hier wieder treffen.
Jizeu im Bartang Tal
Der stetig bergauf führende Pfad folgt dem Fluss im Tal. Die Sonne sinkt immer tiefer. Unser Optimismus, vor Anbruch der Dunkelheit das Dorf zu erreichen, weicht mit jedem Schritt der Überlegung, wo ein Übernachten auf den Felsen und dem Geröll schmerzfrei möglich wäre.
Die Sonne verschwindet hinter den Bergen, vor uns liegt ein Kornfeld. Wo ein Feld ist, kann ein Dorf nicht weit sein, hoffen wir.
Tatsächlich erstreckt sich hinter dem Feld Jizeu, dessen wenige Häuser tiefer liegen und deshalb nicht zu sehen waren. Zu unserer Überraschung wird in der Gastfamilie sehr gut englisch gesprochen. Tee, Suppe und Süßes werden kurzerhand serviert. Der Gastgeber entschuldigt sich, dass es nur Strom aus Solarzellen gibt. Legt aber großen Wert darauf zu betonen, dass seine Solarpaneele aus Deutschland kommen und kein Schrott aus China sind.
In einem im Pamir typischen Haus hat die Gastgeberin ein Matratzenlager für uns bereitet. Wie fast alle Bewohner der Pamirregion sind unsere Gastgeber Ismailiten, eine liberale Minderheit des Islam. Fünf Holzpfeiler hat der Raum, die eine Referenz an die fünf Säulen des Islam und die fünf heiligen Imame sind. Die Pfeiler stehen vor hölzernen Erhöhungen, auf denen man tagsüber sitzt und in der Nacht schläft. Ein Foto des geistigen Oberhauptes Aga Khan hängt an einer der Stützen.
Das Lager ist so bequem, dass wir lange schlafen. Ohne Zeitdruck haben wir auf dem Rückweg zur Hängebrücke nun auch die Muße, die eindrucksvolle Landschaft zu genießen.
Autonome Provinz Berg Badachschan
Mohamed erwartet uns bereits. Drei Stunden später sind wir in Chorog, dem lauten, von Autos verstopften Hauptort Berg Badachschans. In einem mit Wänden aus Sprelacart (mit Kunstharz gebundene Schichtstoffplatten) versehenen Schnellimbiss würgen wir uns frittiertes Huhn und Brot herunter. Für uns als nicht alltägliche Gäste wird das harte Brot von der Kellnerin gegen einen frischen Laib ausgetauscht.
In Chorog beginnt der eigentliche Pamir-Highway. Entlang des Highways – der zweithöchst gelegenen befestigten Fernstraße der Welt – gibt es nur wenige Orte, sodass die Stadt die letzte Möglichkeit ist, um sich für die kommenden Tage mit Trinkwasser zu versorgen. Die Suche nach einem Markt, in dem es Wasser gibt, wird zu einem sportlichen Stadtmarathon. Fanta, Cola und Sprite gibt es überall zu kaufen. In einem unscheinbaren Laden werde ich fündig. Die letzten drei Wasserflaschen wandern aus dem Regal in meinen Rucksack und ich ins angenehm kühle Hotelzimmer.
Bevor wir Chorog am Morgen verlassen, hält Mohamed an einem abseits liegenden Supermarkt, dessen Regale mit verschiedenen Sorten Wasser bestens befüllt sind. Leichter Unmut steigt in mir auf. Warum hat er mir gestern nichts von dem Supermarkt gesagt?