Frage lieber einen mit Erfahrung, als einen Weisen.
(Sprichwort aus Syrien)
Reisejahr 2022
Damaskus – Saidnaya und Maalula – Homs – Al-Husn (Krak des Chevaliers) – Hama – Aleppo – Latakia (Zitadelle von Saladin, die antike Stadt Amrit und der Turm von Safita) – Palmyra – Bosra
„Ihr wollt nach Syrien und seid Touristen?“ Skeptisch sieht uns der Beamte am Flughafen von Beirut an. Syrien ist derzeit von Deutschland nur auf dem Landweg von Jordanien und dem Libanon aus zu erreichen und wir haben uns für die Einreise über Beirut entschieden.
Am Flughafen wartet bereits ein Fahrer, der uns zur syrischen Grenze bringt, die in den schneebedeckten Bergen des Anti-Libanon liegt. Je höher wir kommen, desto tiefer sinken die Temperaturen. Nach zwei Stunden Fahrt ist die Grenzregion erreicht. Ein eisiger Wind weht. In den Wachhäuschen stehen Öfchen, an denen sich die Soldaten die Hände wärmen; ein kleiner Obolus erleichtert die zügige Weiterfahrt. Von der Skepsis der Beamten am Flughafen ist hier nichts mehr zu spüren. Erst auf syrischer Seite wird der Grund der Reise genau hinterfragt.
Damaskus, eine der ältesten besiedelten Städte der Welt
40 Kilometer trennen uns noch von Damaskus. Am frühen Abend erreichen wir die quirlige Altstadt. Das Hotel befindet sich im Jüdischen Viertel in einer nur zu Fuß zu erreichenden Gasse. Hinter der unscheinbaren Eingangstür öffnet sich eine sehr schön restaurierte Anlage aus dem 18. Jahrhundert mit Innenhöfen und geräumigen Zimmern, die mit prächtigen, traditionell gefertigten Möbeln ausgestattet sind.
Es ist kalt in den Räumen. Wie in fast allen Häusern in Syrien gibt es auch hier keine Heizung. Eine Klimaanlage mildert die Temperaturen etwas, fällt allerdings wegen des allgemeinen Strommangels, regelmäßig aus.
Ein Tag in der Altstadt
Nach einem orientalischen Frühstück – Mezze, Fladenbrot und Kaffee mit Kardamom – starten wir mit Khaldoun, unserem Guide, zu einem Bummel durch die Altstadt. In den engen Gassen pulsiert das Leben. Vor einer Bäckerei stehen zwei Warteschlangen. Auf der einen Seite warten die Männer, auf der anderen die Frauen auf frisch gebackenes Fladenbrot. Derweil breitet eine Frau Brot auf der Kofferhaube eines parkenden Autos aus und wirbt um Käufer.
Wir tauchen ein in das bunte Treiben im Souk al-Bzouriyye. Obwohl dichtes Gedränge herrscht, ist niemand gestresst, die Händler sind unaufdringlich und zuvorkommend. Mit der Besichtigung der Karawanserei Khan Asad Pascha entfliehen wir für eine kurze Zeit dem pulsierenden Leben. Die Herberge ist eine der eindrucksvollsten der arabischen Welt. Ihre dicken Mauern bestehen aus weißem Kalk- und schwarzem Vulkanstein; acht auf massive Pfeiler gestützte Kuppeln überspannen ein Wasserbecken in der Mitte des Innenhofes.
Unweit des Souks steht der Azim-Palast. Auch er wurde im schwarz-weißen Mauerwerk-Design erbaut und beherbergt ein ethnografisches Museum, in dem Szenen aus dem Palastalltag nachgestellt sind. Faszinierend sind vor allem die großzügig angelegten Innenhöfe, um die sich eine Vielzahl von Zimmern mit aufwendig gearbeiteten Holzdecken gruppieren.
Im Noufara, dem bekanntesten Café der Altstadt, genießen wir eine Tasse Tee und sehen den Damaszenern beim Ziehen an den Shishas zu, wundern uns aber über das Alter so manchen Rauchers. „Ab zehn Jahren rauchen Mädchen und Jungen Wasserpfeife“, meint Khaldoun.
Seine Bekanntheit erlangte das Café durch einen Geschichtenerzähler, der in der Mitte des Raumes auf einem erhöhten Stuhl sitzt und am Abend Vergangenes aus der arabischen Welt erzählt.
Durch die engen, dicht bebauten Gassen mit ihren zusehends verfallenen Häusern bummeln wir weiter bis zum schiitischen Viertel der Altstadt. Im Strom von Pilgern aus dem Irak laufen wir zur Sayyida-Ruqayya-Moschee. Soldaten sichern das Heiligtum. Das im iranischen Stil gebaute Gotteshaus beherbergt den Schrein von Ruqayya, der Tochter von Imam Ali.
Im kleinen Innenhof der Moschee praktiziert eine Gruppe junger Männer das Aschura-Ritual. Im Rhythmus von Rufen springen sie auf der Stelle und schlagen sich im Stakkato auf den Oberkörper. Manche tragen Poster mit dem stilisierten Bild des Enkels des Propheten Mohammed, Imam Hussein, der im Jahr 680 als Märtyrer bei der Schlacht von Kerbela, die gleichzeitig die endgültige Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten markiert, starb.
Das Mausoleum ist reich mit Spiegel- und Goldarbeiten ausgestaltet. Während die Frauen am Schrein weinen und wehklagen ist von dem durch eine Wand abgetrennten Bereich für Männer wieder das Aschura-Ritual zu hören. Ein paar Frauen filmen mit ihren Handys über die Trennwand hinweg die Zeremonie.
Die Moschee steht in der Nachbarschaft zum Souk al-Hamidiya. Die mit 500 Metern größte und längste Markthalle des Basars wurde über einer alten Römerstraße errichtet, die auf einer Länge von 1570 Metern das westliche mit dem östlichen Stadttor verbindet. Khaldoun zeigt nach oben: „Seht euch die Einschusslöcher im Dach an. Das sind Relikte aus der Zeit des Aufstandes gegen das französische Völkerbundmandat.“
Im Souk gibt es alles zu kaufen, was das Herz begehrt. Cafés und Bakdash, die bekannteste Eismanufaktur Syriens, laden zum Verweilen ein. In der Eisdiele wimmelt es von Leuten. Wir wollen uns die Spezialität des Hauses – arabisches Milcheis mit Pistazien – nicht entgehen lassen und stürzen uns in das Getümmel. Neugierig sehen wir den Eismachern zu und schon drückt mir einer seinen Stampfer in die Hand. Mit aller Kraft presse ich die weiße Masse im Kübel zusammen. Danach gibt es den wohl verdienten Becher Gefrorenes.
Gestärkt mit zuckersüßem Eis geht es weiter zur Umayyaden-Moschee. Das Gotteshaus verbindet in seiner 3000-jährigen Geschichte verschiedene religiöse Traditionen. Auf dem Gelände eines Tempels aus vorchristlicher Zeit erbauten die Römer einen monumentalen Jupitertempel, der zwei Jahrhunderte später zu einer Kirche für Johannes den Täufer, umgebaut wurde. Nach der muslimischen Eroberung von Damaskus wurde neben der Kirche eine Moschee errichtet, die sich später auch auf das Kirchengelände ausdehnte.
Der von einem Wandelgang umgebene Hof ist ausgelegt mit weißem Marmor. In Schwarz gehüllte Frauen ziehen mit einem Wischmopp ihre Bahnen auf dem blank geputzten Boden. Die Wände der Arkaden sind reich mit Mosaiken verziert, ebenfalls die Schatzkammer, ein achteckig gewölbtes Gebäude, das auf ebenso vielen Säulen im Innenhof steht.
In dem 140 Meter langen Gebetssaal befindet sich ein von Christen und Muslimen verehrter Schrein, in dem sich das Haupt von Johannes dem Täufer befinden soll. „Ich möchte beten. Ihr könnt euch solange im Saal umsehen und zum Schrein gehen“, meint Khaldoun. Als Touristin darf auch ich den Platz, der den Männern zum Beten vorbehalten ist, betreten. Ein junges Mädchen wird hingegen sofort zu den Frauen geschickt, als sie sich mit ihren kleinen Brüdern spielend auf das Männerterritorium vorwagt.
Aber nicht nur in die Moschee, auch in ein Hamam aus dem 12. Jahrhundert darf ich hineingehen und mich unter den freundlichen Blicken der Männer, die im sogenannten Kühlraum sitzen und miteinander reden, umsehen.
Mit schmerzenden Füßen kehren wir nach zehn Stunden Stadtbummel zurück ins Hotel – noch nicht ahnend, dass der kommende Tag genauso laufintensiv werden wird.
Christliches Viertel, Neustadt und der Berg Qassioun
Den nächsten Tag beginnen wir mit dem Besuch des christlichen Viertels. Dabei folgen wir dem Weg, den einst Saulus ging, bis zur Kapelle des heiligen Ananias. Hier stand das Haus des Ananias, der den auf dem Weg nach Damaskus von Jesus geblendeten Saulus taufte und ihm so sein Augenlicht wiedergab. Daraufhin wurde aus Saulus, dem Verfolger der Urchristen, der Apostel Paulus. Als wir die mittlerweile fünf Meter unter der Erde liegende Kirche verlassen, läuten die Glocken.
Auf dem weiteren Weg durch die Altstadt sehen wir in diversen Werkstätten Reliefmalern, Mosaikherstellern, Holzschnitzern und Schuhmachern über die Schulter. An einem der überall zu findenden Saftstände legen wir eine Pause ein und bestellen Karotten- und Orangensaft. „Ich presse schnell die Karotten und dann die Orangen“, erklärt der Verkäufer. „Für den Karottensaft brauche ich die mit Strom betriebene Presse und wer weiß, ob ich in zwei Minuten noch welchen habe.“ Zwar haben Werkstätten und auch Haushalte meist Generatoren zur Überbrückung der Elektrizitätsschwankungen, können sich aber aufgrund der Inflation und der hohen Benzinpreise deren Betrieb nicht mehr leisten.
Wir verlassen die Medina durch eines der Stadttore aus dem 2. Jahrhundert und laufen zum alten Bahnhof, einem Gebäude mit bunten Fenstergläsern und einer kunstvoll bemalten Holzdecke, finden uns unversehens im Briefmarkenmuseum wieder, schauen auf dem Kunsthandwerkermarkt Teppichwebern über die Schulter und beenden den Fußmarsch vorerst im Nationalmuseum. Dort ist jedoch aufgrund des Bürgerkrieges nur eine Abteilung geöffnet. Die Exponate aus den anderen Sektionen liegen noch im Keller oder sind ausgelagert.
Am Rand der Stadt ragt der 1150 Meter hohe Berg Qassioun auf. An seinem Hang wohnen Menschen, die sich das Leben im Zentrum nicht leisten können. Eng und steil winden sich die Gassen zwischen den Gebäuden hindurch. Hinter den letzten Häusern führt eine lange Treppe, abgesperrt durch eine Metalltür, serpentinenförmig auf die Bergspitze. Als wir die Tür erreichen, kommt uns der Wächter des Tores entgegen: „Es dämmert gleich und ich muss jetzt schließen.“
Da wir ohnehin bereits neun Stunden zu Fuß unterwegs sind, ist uns das ganz recht. Der Panoramablick über Damaskus ist auch von unserem Aussichtspunkt auf halber Berghöhe beeindruckend. Khaldoun lässt den Arm über die sich breit durch die Ebene ziehende Stadt schweifen: „In der Hoffnung auf Arbeit sind viele Syrer nach Damaskus geflohen und jetzt ist die Stadt um zwei Millionen Einwohner gewachsen.“
Unterhalb des Berges liegt der Stadtteil Salahiye. „Hier gibt es viele Moscheen, Koranschulen, Gräber und Mausoleen. Die Sufi-Moschee können wir besuchen“, erzählt Khaldoun auf dem Weg durch die Straßen des lebhaften Viertels.
„Ich habe hier in der Nähe gewohnt, als der Islamische Staat nur noch 500 Meter von meiner Wohnung am Stadtrand entfernt war. Viele Bewohner haben sich daraufhin in der Innenstadt eingemietet und sind nach dem Ende der Kampfhandlungen in ihre Häuser zurückgekehrt. Zum Glück waren nur einige Straßenzüge in den Vororten von den Kämpfen betroffen“, erzählt Khaldoun als wir, auf einer Mauer sitzend, einen Schawarma verspeisen.
Wir verlassen Damaskus am frühen Morgen und reisen entlang des Qalamun-Gebirges weiter in Richtung Norden. Schnee liegt auf den Berggipfeln. Die Landschaft ist trocken, vereinzelt stehen ein paar Bäume windschief in der kargen Erde.
Pilgerorte Saidnaya und Maalula
Die Straßen sind in einem guten Zustand und Mahmoud, der Fahrer, gibt Gas. Vor Ortszufahrten kontrollieren Soldaten die Permits und manchmal auch die Pässe. Wir machen einen Abstecher zu den für Christen und Muslime wichtigen Pilgerorten Saidnaya und Maalula.
Saidnaya wurde vom Krieg kaum berührt. Das von einem Frauenorden geführte orthodoxe Kloster Unserer Lieben Frau von Saidnaya steht schon von Ferne sichtbar auf einem Hügel. Das Kloster birgt eine der ältesten Marienikonen, die der Apostel Lukas gemalt haben soll. Über trapezförmig angelegte Treppen gelangen wir zum Eingang. Eine junge Frau eilt herbei und öffnet die Tür zur Kirche. Wir sind überrascht von den großen Kronleuchtern, vergoldeten Ikonen und der prachtvollen hölzernen Altarwand. Auch die Außenanlage mit Landschaftshöfen, schönen Treppen und überdachten Gehwegen ist beeindruckend.
Im Gegensatz zu Saidnaya ist Maalula von Islamisten schwer zerstört worden. Der in die schroffen Felsen des Qalamun-Gebirges gebaute und von Aramäern bewohnte Ort war bekannt für seine traditionelle Architektur. In den letzten drei Jahren wurden viele Gebäude zwar wieder errichtet, aber durch komfortablere Neubauten ersetzt.
Auf dem Gipfel eines Berges oberhalb des Dorfes steht das Kloster der Heiligen Sergius und Bacchus. Der aus hellem Kalkstein erbaute Konvent strahlt nach seiner Restaurierung wieder in alter Pracht. Der von Dschihadisten zerschlagene Altar aus dem 4. Jahrhundert ist geklebt, einige wenige der gestohlenen Ikonen konnten an der Grenze zum Libanon sichergestellt werden.
Eine junge Frau kommt auf uns zu: „Ich möchte gerne ein Gebet auf Aramäisch für euch sprechen.“ Wir hören ihr gespannt zu, später übersetzt sie die Worte ins Arabische und Khaldoun ins Englische.
„Wird Aramäisch auch noch gelehrt?“, wollen wir wissen. „Ich unterrichte nebenbei die Kinder im Dorf in unserer Sprache“, ist die Antwort. In Maalula leben 5000 Aramäer. Insgesamt umfasst ihre Gemeinde 20.000 Menschen, verteilt über drei Dörfer.
Im Klosterladen verkosten wir noch selbst gebrannten Arak (Anisschnaps) und vor Ort gekelterten Rotwein. Während uns der Rotwein zu süß ist, schmeckt der Arak so gut, dass wir eine Flasche mitnehmen.
Unweit vom Konvent ist eine tiefe Felsschlucht, durch die wir zum ebenfalls in den Felsen gebauten Kloster der Heiligen Thekla gelangen. Ihre Reliquien liegen dort in einer kleinen Höhle. Auch dieses Kloster wurde durch die Dschihadisten der Al-Nusra-Front schwer beschädigt, die Nonnen entführt und wertvolle Ikonen geraubt und zerstört. In den letzten Jahren wurden die Gebäude wieder instand gesetzt; russische Offiziere und Soldaten spendeten Ikonen aus Russland.
Eindrucksvoll ist der Blick von der Terrasse auf das Dorf und die Berge, von deren Gipfel eine Jesusstatue hinabblickt. Viel Zeit, um die Aussicht zu genießen, haben wir jedoch nicht. Khaldoun drängt: „Wir wollen noch nach Homs und zur Festung Krak des Chevaliers.“
Homs
Je mehr wir uns Homs nähern, desto zerstörter sind die Ortschaften. Die Stadt ist ein Verkehrsknotenpunkt und war vom Krieg besonders betroffen. Hinter dem Kreisel an der Ortseinfahrt ragen neu gebaute Wohnhäuser in den Himmel; der Verkehr staut sich auf den Straßen; in den kaum zerstörten Vierteln wuseln Leute durch die Geschäfte und auf den Gehwegen.
Plötzlich endet das lebhafte Treiben. Verlassene Häuser säumen die Fahrbahnen, ihre Treppenhäuser hängen in der Luft, eingeknickte Stützpfeiler drohen jederzeit unter der Last der Trümmer zusammenzubrechen. Auf zwei Ruinen kehren Männer den Schutt vom Dach, während davor Schafe im grünen Gras weiden. In einem zerbombten Haus wird im Erdgeschoss Kleidung verkauft: ein surrealer Farbtupfer in der trostlosen grauen Kriegskulisse. Inmitten der Zerstörung steht die mit tschetschenischer Unterstützung wieder aufgebaute Chalid-ibn-al-Walid-Moschee.
„In Homs gibt es eine der besten Konditoreien in Syrien. Ich möchte sie euch gerne zeigen“, lädt Khaldoun ein. Wir sind natürlich nicht abgeneigt und betreten ein Geschäft mit gehobenem Ambiente und einer Vielzahl an syrischen Naschereien. Natürlich sollen wir von allem probieren und obwohl die Blutzuckerwerte bereits ordentlich gestiegen sein dürften, decken wir uns mit ein paar Leckereien ein.
Die Kreuzritterburg Krak des Chevaliers
Nun muss Mahmoud wirklich Gas geben. Es ist bereits Nachmittag und das Tagesziel, die Kreuzritterburg Krak des Chevaliers, noch eine Fahrtstunde entfernt. Vor der Zufahrt zum Dorf Al-Husn über dem sich die am besten erhaltene Kreuzritterburg der Welt erhebt, sind die Sicherheitskontrollen besonders streng. Auf Al-Husn und die Festung waren viele Granaten abgefeuert und Luftangriffe geflogen worden.
Eigentlich hat die Burg schon längst geschlossen, aber der Wächter ist ein Bekannter von Khaldoun und lässt uns alle Zeit, die wir zur Besichtigung benötigen. Wir klettern auf die hohen, wuchtigen Mauern, die die Festung umschließen, besteigen die gewaltigen Türme, durchstreifen riesige Hallen und werfen einen Blick in die ehemalige Burgküche.
Gegenüber vom Festungshügel steht ein vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenes Hotel mit Restaurant. Sein Besitzer arbeitet am Wiederaufbau und serviert im bereits eröffneten Lokal syrische Hausmannskost aus eigener Herstellung. Obwohl der Blick von der Restaurantterrasse auf die Festung sehr schön ist und das Essen ausgezeichnet schmeckt, halten wir es vor Kälte nicht lange im Lokal aus. Der große Raum wird nur mit einem kleinen Öfchen beheizt, dessen Wärme nur zu spüren ist, wenn man direkt danebensteht.
Dafür hat unser Zimmer in einem Hotel in Al-Wadi warmes Wasser und Heizung und nach einem erholsamen Schlaf geht es weiter nach Hama und Aleppo.
Hama: Stadt der Wasserräder
Hama ist die Hochburg der islamistischen Muslimbrüder. Hier treffen wir das erste Mal auf Frauen, die einen Nikab (Gesichtsschleier) tragen und auf aggressive Bettler.
Symbol der Stadt sind die hölzernen Wasserschöpfräder (Norias) am Fluss Orontes. Die drei- oder vierstöckigen Räder leiten das geschöpfte Wasser in höher gelegene Aquädukte, um die umliegenden Obstplantagen zu bewässern. Die Durchmesser der Norias schwanken zwischen 5 und 12 Metern und haben 50 bis 120 Wasserkübel.
Die Räder stehen zur Zeit unseres Besuches jedoch still, da der Fluss im Winter kaum Wasser führt. Nur ein Riesenrad dreht sich in einem kleinen Vergnügungspark. Nach ein paar Runden mit einem schönen Blick über die Stadt wollen wir die Fahrt bezahlen. Der Betreiber lehnt ab: “Ihr seid meine Gäste.“
Hama hat eine überschaubare Altstadt. Im weitläufigen Gebäudekomplex des Azem-Palastes ist das Museum. Khaldoun klopft an die Tür. Ein junger Mann öffnet: „Das Museum ist heute geschlossen.“ „Hier sind Touristen, die die Anlage gerne sehen würden“, antwortet Khaldoun. Der junge Mann sieht herüber: “Ich schließe auf und ihr könnt die Räume besichtigen.“
Wir bummeln weiter durch die schmalen Gassen. „Hier war ein Restaurant.“ Khaldoun zeigt auf ein Haus mit verrammelten Türen und Fenstern. „Der Besitzer ist geflohen und wird vielleicht bald zurückkommen und das Restaurant wieder öffnen“, hofft er. Aus einem anderen Haus dringt Handwerkerlärm. Ein Mann winkt uns heran: „Wollt ihr euch umsehen?“ Neugierig betreten wir das für Syrien typische Hofhaus. Um einen großen Innenhof gruppieren sich zahlreiche Zimmer, die zu einem Restaurant mit Tagungsräumen ausgebaut werden. Das Vorhaben scheint kurz vor der Vollendung zu stehen. Die einzelnen Bereiche sind sehr schön mit viel Liebe zum Detail und in alter Tradition hergerichtet.
Auf dem weiteren Weg nach Aleppo fahren wir immer öfter an Dörfern mit zerbombten Häusern vorbei. Als wir die Provinz Idlib erreichen, gibt es kein Dorf mehr, das nicht komplett zerstört und unbewohnbar ist. Verteidigungslinien aus rotbrauner Erde ziehen sich die Straße entlang und quer durchs Land. Ab und an werden sie durch Güterwaggons verstärkt, Flakgeschütze und Unterstände überragen die Sandwälle.
Aleppo, das ehemalige Wirtschaftszentrum Syriens
Aleppo galt vor dem Bürgerkrieg als das Wirtschaftszentrum Syriens. Die Souks in der Altstadt zählten zu den schönsten der islamischen Welt. Seit den Kämpfen um die Stadt sind die Märkte jedoch zerstört, die berühmte Umayyaden-Moschee ist verwüstet, die Straßen sind vom Krieg gezeichnet. Der Al-Hatab-Platz, ein zentraler Platz mit vielen historischen Gebäuden, ist ein Trümmerfeld. Ein paar Jungen spielen auf einer vom Schutt bereits geräumten Fläche Fußball. In einer Gasse verkaufen ein paar Männer im Erdgeschoss einer Ruine Fische.
Die jahrhundertealten Basare hat der Krieg besonders hart getroffen. Viele Gebäude wie Karawansereien und Bäder sind ein Trümmerhaufen. Trotzdem wird mit viel Eigeninitiative und Improvisationskunst wieder aufgebaut. In den Gassen werden die Läden vom Schutt geräumt, der in die Mitte der Straßen geschoben wird. Vereinzelt haben Händler ihre Geschäfte wieder hergerichtet. Ein Schuster lädt uns zum Tee ein: „Ich habe drei Läden. Einen habe ich wieder geöffnet. Aber Arbeit habe ich keine. Wer kann sich jetzt neue Schuhe leisten?“
Die von den Zerstörungen ebenfalls betroffene Zitadelle ist bereits restauriert. Vor der Festung steht ein Mann in traditioneller Kleidung und bietet singend Kaffee an. Als ich ihm einen Becher seines sehr starken Wachmachers abkaufe, singt er eigens ein Lied für mich.
Seit 2018 ist die Festung wieder geöffnet. Imposant ist vor allem ihr Zugang. Über den Burggraben führt eine steile Rampe durch ein Tor. Von ihren Mauern lässt sich das Ausmaß der Verwüstung der Altstadt überblicken. Dahinter erheben sich die gut erhaltenen Gebäude der Neustadt. Die schlanken Minarette der Moscheen ragen wie Stifte zwischen den Häusern empor.
Dagegen haben die Aufbauarbeiten an der Umayyaden-Moschee erst begonnen. Das Militär bewacht die Baustelle. In unmittelbarer Nähe erstrahlen die ersten Souks erneut in alter Pracht, gibt es Kleidung und Naschwerk zu kaufen. Der Duft von frischen Teigwaren weht uns um die Nase. Khaldoun kauft ein paar der süßen Pfannkuchen. „Die gibt es auch mit Käse“, erklärt er beim Weitergehen. Gerne möchte ich sie probieren und wir kehren um. Khaldoun kauft zwei gefüllte Fladen, ich zücke mein Portemonnaie. Der Verkäufer sieht mich an: „Es ist mir eine Ehre, dich einzuladen.“
Unzerstört blieb das bis zum Kriegsbeginn geöffnete Hotel Baron. In dem einstigen Luxushotel logierten Gäste wie Charles de Gaulle und Charles Lindbergh. Der Wächter lässt uns in das sehr renovierungsbedürftige und zum Verkauf stehende Gebäude ein. „Es gibt keinen Strom. Habt ihr eine Taschenlampe dabei?“, will er wissen. Khaldoun zückt sein Handy und wir gehen hinauf in Raum 203, in dem Agatha Christie an ihrem Buch „Mord im Orient Express“ schrieb und in das Zimmer 202, in dem sich Lawrence von Arabien einquartierte. Er galt als Zechpreller, weil der strikte Antialkoholiker eine Flasche Schnaps, die auf seiner Rechnung stand, nicht zahlen wollte.
Aleppo-Seife, der Exportschlager
In einer schmalen Gasse bleibt Khaldoun vor einem hölzernen Tor stehen. Am Mauerwerk ist ein Schild mit der Aufschrift „Seifenfabrik“ angebracht. Der Duft von Olive und Lorbeer strömt uns beim Betreten entgegen. Vorbei an Tanks mit Olivenöl und der saisonbedingt stillstehenden Rühr- und Kochmaschine betreten wir über eine enge Treppe das Obergeschoss. Vor uns liegt eine 20 Meter lange und fünf Meter breite grüne Seifenmasse auf dem Boden. Fünf Männer schneiden daraus quaderförmige Stücke zurecht, indem sie mit einer Art Pflug mit fünf Klingen auf der Fläche ihre Bahnen ziehen. Damit sie nicht einsinken, haben sie Bretter unter den Schuhen. Ist die Masse zugeschnitten, wird sie mit einem Herstellerstempel versehen und lagert für mindestens neun Monate in den Gewölben. 90 Prozent der Seife wird ins Ausland exportiert.
Auf dem Weg ans Mittelmeer
Das Frühstück am nächsten Morgen kaufen wir in einer Bäckerei. Hinter dem Tresen der Backstube „Super Mario“ stehen fünf Männer, kneten Teig, formen Teile daraus, belegen sie mit Herzhaftem und Süßem und schieben alles in einen Steinofen. Noch bevor das Gebäck in der Auslage landet, ist es schon verkauft. Wir essen uns durch das Angebot.
Danach brechen wir auf nach Latakia am Mittelmeer. Noch einmal durchqueren wir die schwer zerstörten Provinzen von Hama und Idlib. Als wir uns der Küste nähern, werden die Kriegsschäden weniger. Dafür müssen wir an immer mehr Checkpoints die Papiere zeigen.
Am Horizont taucht das Küstengebirge auf. „Mein Onkel lädt uns in sein Haus in den Bergen zum Tee ein“, freut sich Mahmoud. Die Einladung nehmen wir sehr gerne an und schon biegt er ab auf eine serpentinenreiche Holperpiste, die sich durch schroffe Felsen und von Olivenhainen umgebene Bergdörfer schlängelt.
Das Haus von Mahmouds Onkel ist noch im Rohbau. Er empfängt uns in einem kahlen Raum, der ein wenig von einem Destilliergerät erwärmt wird. Wie in den Bergen üblich, brennt der Onkel selbst Anisschnaps.
„Ihr müsst meinen Arak kosten“ – Mahmouds Onkel hält uns ein Glas mit dem Hochprozentigen hin. „Wart ihr in Maalula und habt dort von dem Schnaps probiert?“, hakt er noch nach. Wir nicken und sagen ihm, dass wir eine Flasche mitgenommen haben. „Dann holt sie. Ich möchte ihn probieren“, bittet er. Ich hole die Buddel aus dem Auto, er nimmt einen Schluck und findet seinen natürlich besser. Er greift nach der Flasche: „Ich fülle sie mit meinem Arak auf, damit sie wieder voll ist.“
Nach und nach trifft die Verwandtschaft ein. Datteln, Walnüsse und Tahina werden serviert. Khaldoun möchte aufbrechen: „Wir wollen noch nach Ugarit. Die Ausgrabungsstätte schließt aber schon um 14 Uhr.“ Für die Ruinenstadt braucht man viel Fantasie, die wir ohnehin nicht haben. „Lass uns Ugarit absagen und noch ein wenig hierbleiben“, antworten wir.
Später, als wir schon auf dem Weg ans Mittelmeer sind, bedankt sich Mahmoud: „Ihr habt meine Familie sehr glücklich gemacht.“ Bevor wir Latakia erreichen, halten wir an der Kreuzfahrerfestung Marqab. Die aus schwarzem Basalt gebaute und hell verfugte Zitadelle steht auf einem Hügel, von dem sich ein großartiger Blick auf das Mittelmeer, eine Landschaft voller Gewächshäuser und ein Kraftwerk, das dicken schwarzen Qualm in die Luft pustet, bietet.
Latakia, Hafenstadt am Mittelmeer
Latakia liegt hinter dem Küstengebirge. Es ist eine lebhafte, vom Krieg unberührt gebliebene Stadt mit palmenbestandenen Alleen, dem größten Hafen Syriens und zahlreichen Hotels. Viele Bewohner Aleppos flohen hierher, um Arbeit und Wohnraum zu finden.
Mahmoud hält vor einem Restaurant. Es gibt die üblichen Nationalgerichte, vom Koch persönlich auf einer offenen Flamme serviert: „Ich freue mich, Touristen in unserem Lokal begrüßen zu können.“
Die Zitadelle von Saladin, die antike Stadt Amrit und der Turm von Safita
Vorbei an unbeschädigten Dörfern, Orangenhainen und Gewächshäusern fahren wir von Latakia zurück ins Küstengebirge. Dort steht auf einem Felsplateau, umgeben von Wald, die Zitadelle von Saladin.
Khaldoun telefoniert und fünf Minuten später kommt der Burgwächter auf dem Moped angebraust. Ich bekomme den Schlüssel zum Burgtor in die Hand gedrückt und schließe auf. Auch diese Festung ist ein bauliches Meisterwerk der Kreuzfahrer und gut erhalten. Am beeindruckendsten ist jedoch die 28 Meter tiefe und 130 Meter lange, von Kreuzrittern in die Felsen geschlagene Schlucht. Nur eine Felsnadel, die als Brückenpfeiler diente, wurde stehen gelassen.
Auf dem Weg zurück zur Küste möchte Mahmoud tanken. Erst an der dritten angefahrenen Tankstelle gibt es Benzin. 180 Liter Sprit erhält er im Monat zum gestützten Preis von 1200 Lira (40 Cent) pro Liter. Braucht er mehr, kostet der Liter 3000 Lira (1 Euro).
Nach der Besichtigung der Ruinen der alten Phönizier-Stadt Amrit und der Besteigung der Wehrkirche in Safita geht es zurück in das Dorf Al-Wadi am Krak des Chevaliers. Plötzlich bremst Mahmoud an einem Garten, in dem viele Zitronenbäume stehen. „Dürfen wir eine Zitrone ernten?“, fragt er den Eigentümer. „Ihr dürft jeder eine nehmen“, ist die Antwort. Als der Gartenbesitzer mich sieht, ändert er seine Meinung: „Ihr könnt auch ein ganzes Kilo mitnehmen.“ Wir belassen es bei vier Stück.
Oasenstadt Palmyra
Der letzte Tag in Syrien ist angebrochen. Am Vorabend erhielten wir noch das Permit für die Fahrt nach Palmyra. An einem Armeestützpunkt steigt ein Oberst in das Auto ein. Der Passierschein alleine reicht nicht, um ungehindert die Checkpoints passieren zu können.
Grasbüschel wachsen in der steinigen Wüste, braune Beduinenzelte stehen verteilt in der Landschaft. Unter der Erde gibt es Ölvorkommen. Die Stellen sind markiert, aber es fehlt das Geld für die Erschließung.
Die Oase Palmyra wurde im Sommer 2015 vom Islamischen Staat erobert und verwüstet. Vom bekannten Baal-Tempel steht nur noch ein Tor; der Triumphbogen liegt in Trümmern auf der Erde; das römische Theater wurde von den Dschihadisten für öffentliche Hinrichtungen missbraucht.
Trotz aller Schäden ist das alte Palmyra immer noch sehr beeindruckend. Wir folgen der 1100 Meter langen römischen Säulenstraße, die quer durch das Stadtgebiet verläuft. Über allem thront die Zitadelle des Ibn Maan – unzerstört, aber, da sie vom Militär genutzt wird, auch nicht erreichbar. Schwer beschädigt ist dagegen das Nationalmuseum. 90 Prozent der Ausstellungsstücke konnten zwar früh genug nach Damaskus gebracht werden; den nicht rechtzeitig geretteten Exponaten fehlen jedoch Köpfe und Hände.
Mahmoud drängt zum Aufbruch. Die Straße wird bei Dunkelheit gesperrt und wir müssen noch zurück nach Damaskus.
Die schwarze Stadt Bosra
Um 5 Uhr klingelt der Wecker. Bevor wir nachmittags in Beirut in den Flieger nach Deutschland steigen, wollen wir noch Bosra in der Provinz Dar’a im Süden des Landes besichtigen.
Mit müden Augen trifft Mahmoud am Hotel ein. Sein vier Wochen alter Sohn nimmt nicht mehr genug Muttermilch zu sich und er muss Babynahrung besorgen. Unterwegs wird er an jeder Apotheke halten und immer wieder mit leeren Händen zum Auto zurückkehren. „Dringend benötigte Medikamente und auch Babynahrung können wir nur mit großem Aufwand und für viel Geld in Jordanien besorgen“, erzählt Khaldoum.
Auch die Regionen durch wir fahren, wurden nicht vom Krieg verschont. Verteidigungswälle ziehen sich durch das Land; Häuser sind zerstört, wenn auch nicht so flächendeckend wie im Norden.
Bosra blieb vom Krieg weitestgehend verschont. Wuchtig steht die Zitadelle vor uns. In ihrem Innern verbirgt sich ein gewaltiges Amphitheater für 50.000 Zuschauer. Vor der Festung liegt die „Schwarze Stadt“, wie die Altstadt wegen ihrer aus Basalt gebauten Häuser genannt wird. Auch hier wurde bei den Kämpfen sehr viel Historisches zerstört. Munitionsreste liegen zwischen den Trümmern. Auf einem antiken Gebäude wurde ein militärischer Unterstand gebaut.
Im einst sehr gut besuchten Restaurant an der Festung hat der Besitzer die Tore geöffnet. Mit leerem Blick fegt er den sauberen Hof der Gaststätte. Seit Langem hat er keine Besucher mehr gesehen und nimmt uns auch kaum wahr. Mahmoud wirft Holz in ein Öfchen, um Tee zu kochen, aber Khaldoun drängt zum Aufbruch.
Die Rückreise nach Beirut verläuft genauso unproblematisch wie die Anreise. Die Grenzformalitäten sind zügig erledigt und nach einer Woche Syrienreise, die uns in ihrer Erlebnisdichte wie zwei Wochen vorkam, landen wir wieder in Deutschland.