Bangladesch

Wer sich selbst kennt, dem ist niemand fremd.
Rabindranath Tagore (Philosoph aus Bangladesch)
Sundarbans

Reisejahr 2014

Dhaka – Sundarbans Dhaka Srimangal Chittagong Chittagong-Hill-Tracts  – Dhaka – Natore/ Putia/ Rajshahi – Paharpur – Dhaka

„Möchtest du zu meiner Hochzeit kommen?“ Verschlafen blicke ich meinen Sitznachbarn, mit dem ich bisher noch kein Wort gewechselt habe, an. Ich bin jedoch schon verabredet mit Iqubal, einem Guide und Rafiq, dem Fahrer. Sie holen mich vom Flughafen ab, wir fahren zum Hotel und ich erfahre nebenbei, dass sie noch einen weiteren Gast haben. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen.

Dhaka in Zeiten des Wahlkampfes

Iqubal schlägt vor, zum Markt zu fahren. Auf dem Weg dorthin sehen wir ein paar Leute demonstrieren. Am 5. Januar sollen Wahlen stattfinden. Im Land gibt es seit Wochen Generalstreiks (Hartal), da Ministerpräsidentin Sheikh Hasina von der Awami League die Bildung einer sonst üblichen Übergangsregierung verhindert hat. Für den kommenden Tag ist ein „Marsch für Demokratie“ von dem aus 18 Parteien bestehenden Oppositionsbündnis angekündigt worden.

Am nächsten Morgen geht es nach dem Frühstück in die Innenstadt. Da Zufahrtsstraßen und Straßenkreuzungen abgeriegelt sind, sind die Straßen weitestgehend leer. Nur ein paar Busse, wenige Rikschas, aber viel Polizei und Armee sind unterwegs.

Wir halten vor dem Parlamentsgebäude. Nach einer kurzen Diskussion zwischen Iqubal und einem Diensthabenden sowie einem Telefonat dürfen wir das Gebäude besichtigen. Die im futuristischen Design erbaute Anlage steht in einem künstlich angelegten See. Innen erhellen Straßenlaternen den Betonklotz, der nur durch wenige Öffnungen Tageslicht hereinlässt. Der in die Jahre gekommene Plenarsaal rundet das Bild nicht zugunsten des Hauses ab.

Das Parlamentsgebäude steht in einem künstlich angelegten See.
Polizei hat die Straßen abgesperrt

Auf der Gegenseite der Fahrbahn ziehen ein paar Demonstranten vorbei. Plötzlich ruft Iqubal „Ein Protest“; Rafiq fährt links ran; wir schnappen unsere Kameras und steigen aus. Protest? Zu hören sind Verkehrslärm, zu sehen ein paar Dutzend Männer, die im Halbkreis auf bunten Plastikstühlen sitzen. Als sie uns mit den Kameras erblicken, winken sie und freuen sich über die Fotos, die wir machen.

Protestierende sitzen an der Straße
Protestierende im Park

Wenige Kilometer weiter parkt Rafiq das Auto auf einem Hotelgelände und wir steigen auf Fahrradrikschas um. Überall wacht die Polizei. Wir kurven um einen Wasserwerfer und halten an einem kleinen Park, in dem sich Anhänger der Regierungspartei versammelt haben.

Der nächste Stopp ist am nationalen Presseklub. Der erste hörbare Protest empfängt uns. Ein paar Gefolgsleute der Awami League stehen lärmend und Stöcke schwingend vor dem Gebäude, in das Anhänger der Opposition geflüchtet sind. Der stellvertretende Polizeikommissar von Dhaka sowie der Medienberater der Regierungschefin werden gerade von der Presse interviewt. Wir mischen uns problemlos unter die Presseleute.

Protestierende vor dem Presseclub
Protestierende vor dem Presseclub
Protest der Studentenliga

Auf Umwegen geht es weiter. An der Straße, in der die größte Oppositionspartei, die Bangladesh Nationalist Party (BNP), ihre Parteizentrale hat, stehen Blockaden. Wir umfahren die Sperren, unterhalten uns am anderen Ende ganz entspannt mit den Polizisten, machen ein paar Fotos und lassen uns zum Nationalmuseum bringen. Davor sitzt die Studentenliga; Reden werden gehalten; wir hören eine Weile zu. Eine halbe Stunde später ist alles vorbei. Am nächsten Tag will das Oppositionsbündnis einen erneuten Demonstrationsversuch starten.

Mit dem Ambulanzwagen in die Sundarbans

Wir reisen ab in die Sundarbans. Da es auf der Straße zu unsicher ist, fliegen wir bis Jessore. Dort wartet am Flughafen bereits ein Ambulanzfahrzeug auf uns und sechs weitere Gäste, mit dem wir bis Khulna fahren. Wird es etwas enger auf der Straße, schaltet der Fahrer die Sirenen an und so kommen wir zügig voran.

Plötzlich hält der Ambulanzwagen in einem kleinen Dorf. Laute Proteste von BNP-Anhängern, die Lkw-Fahrer attackieren, die den Aufruf zum Hartal ignoriert haben, hallen durch den Ort. Als ein Polizeifahrzeug bei den Empörten hält, ist die Demonstration im selben Moment beendet und die ersten Lastwagen mit eingeschlagenen Scheiben fahren vorbei.

Ein paar Polizisten eskortieren uns für einige Kilometer. Glasscherben liegen auf der Straße, von der wütenden Menschenmenge ist niemand mehr zu sehen. Nur ein paar Frauen verkaufen an mobilen Ständen ihre Waren.

An einer Straßensperre wird der Krankenwagen angehalten. Ein Soldat wirft einen Blick in das Innere des Fahrzeugs, der Fahrer bestätigt, dass wir ausländische Gäste sind und schon können wir weiterfahren. In Khulna steigen wir auf ein Holzboot um, das uns zu einem Schiff, unserem Quartier für die kommenden drei Tage bringt.

Die Mangrovenwälder der Sundarbans

Früh am nächsten Morgen kommen weitere Passagiere an Deck. Die Tour in das Delta mit seinen Mangrovenwäldern beginnt. In einem Dorf nehmen wir noch zwei Ranger an Bord und gehen zum Einbruch der Dunkelheit vor Anker.

Frachtschiff in den Sundarbans
Frachtschiff in den Sundarbans
Reh am Strand in den Sundarbans
Reh am Strand
Fischer auf seinem Boot im Morgennebel in den Sundarbans
Fischer auf seinem Boot im Morgennebel
Fischer auf seinem Boot im Morgennebel in den Sundarbans
Fischer auf seinem Boot im Morgennebel

Die nächsten Tage sind wir mit dem Beiboot in den Seitenarmen unterwegs, gehen baden, warten zwischen Mangroven auf den Sonnenuntergang und fahren im Morgennebel zu den Fischern, die gerade ihre Netze einholen und uns ihren Fang präsentieren.

Zurück in Dhaka

Auf dem Rückweg nach Dhaka – wieder mit Krankenwagen und Flieger – gibt es keine Überraschungen. Am Flughafen werden wir bereits von Iqubal erwartet. Er berichtet, dass mein für morgen geplanter Trip in die Teeplantagen gestrichen ist. „Wir haben Hartal! An einem Freitag! Die Vorsitzende der BNP, Khaleda Zia, steht unter Hausarrest, in der Provinz wurde jemand erstochen und die Stadt ist abgeriegelt“, fasst er die Situation zusammen.

Das dörfliche Dhaka

Mit einer Slumtour starten wir in den nächsten Tag. Die Siedlungen verteilen sich über die ganze Stadt. Auch dort sollen wir viele Fotos machen, dürfen in jeden Winkel sehen und in die Wellblechhütten. Neugierig werden wir beobachtet und immer freundlich angelächelt.

Slum in Dhaka
Slum
Unterwegs im Slum
Unterwegs im Slum
Mutter mit Kind
Kind vor seiner Hütte

Nachmittags fahren wir zu einem unweit von der Stadt gelegenen Dorf. Auch hier ist die Zufahrtsstraße gesperrt. Erst nach einer kurzen Diskussion mit den im Schatten der Bäume sitzenden Polizisten dürfen wir sie passieren.

Im Dorf leben die Bewohner von Landwirtschaft und Fischerei. Ein Mann lädt uns zu sich ein, seine Frauen bewirten uns mit Wasser, Keksen und Knabbereien, ziehen sich jedoch, nachdem alles serviert ist, wieder zurück. Nur der Hausherr bleibt im Hof und unterhält sich mit uns.

Stadtbummel durch Dhaka

Am nächsten Tag stehen die Besichtigung von Liberation War Museum, Lalbag-Fort, Universität und Dhakeshwari-Tempel, der Dhaka seinen Namen gab, auf dem Programm.

Lalbag-Fort
Lalbag-Fort
Dhakeshwari-Tempel
Dhakeshwari-Tempel

Nach Programmende zieht es uns zum Haus der unter Arrest stehenden Khaleda Zhia. Die Hauptstraße vor ihrem Wohnsitz ist zwar abgesperrt, aber trotzdem durchlässig für Autos und Fußgänger. Hingegen wird die Seitenstraße von Polizistinnen abgeriegelt.

Vor dem Anwesen stehen vier Anwältinnen des Obersten Gerichtshofes und protestieren lautlos gegen den Hausarrest. Eine von ihnen wird interviewt und kurze Zeit später werden die vier von den Polizistinnen abgedrängt. Alles geschieht unaufgeregt.

Am Abend reist Marc ab. Die Situation zwischen uns hat sich in den vergangenen fünf Tagen grundlegend geändert. Standen wir uns anfänglich skeptisch und ablehnend gegenüber, sind wir jetzt ein Paar. Entsprechend schwer fällt der Abschied.

Wahlsonntag

Iqubal taucht früh im Hotel auf: „Die Stadt ist abgeriegelt. Du musst zu deiner Sicherheit im Zimmer bleiben.“ Dann geht er und ich mache mich auf den Weg. Drei Stunden laufe ich durch eine stille Stadt. Ein paar Rikschafahrer drehen ihre Runden; ab und an fährt ein Armeefahrzeug vorbei, das Maschinengewehr schussbereit.

Stiller Protest vor dem Haus von Khaleda Zhia
Stiller Protest vor dem Haus von Khaleda Zhia
Einsatzbus der Polizei

An jeder Ecke stehen Polizisten und grüßen freundlich. Die großen Läden haben alle geschlossen, die kleinen Händler geöffnet. Auf den Baustellen wird gearbeitet, in einer Anlage Cricket gespielt. Auf einem Markt herrscht das übliche Treiben. Die sonst nur unter Lebensgefahr zu überquerenden Straßen sind autofreies Territorium.

Ich stehe inmitten einer autofreien Metropole, deren Verkehr zu den weltweit schlimmsten zählt.

Am Nachmittag ziehen sich Polizei und Militär zurück, auf den Straßen fahren die ersten Autos, auf den Gehwegen wird spazieren gegangen.

Hartal in Dhaka

Hartal ist auch nach dem Wahlsonntag angesagt. Ich habe langsam die Nase voll von Dhaka und keine Aussicht, die Stadt zu verlassen. Das klärt sich jedoch an diesem Tag.

Eine Rikscha bringt Iqubal und mich zum Bahnhof. Er kauft Fahrkarten für den übernächsten Tag nach Srimangal, im Norden des Landes. Die Züge fahren trotz Hartal. Ich bin erleichtert. Die Teeplantagen von Srimangal gehören zwar nicht zu meinen Reisewünschen, mittlerweile ist mir jedoch alles egal. Vom Bahnhof lassen wir uns nach Old Dhaka zum Hafen bringen. Wegen der Lage im Land liegen nur wenige Schiffe an den Piers.

Im Hafen
Im Hafen
Ein Fährmann wartet auf Kundschaft.
Ein Fährmann wartet auf Kundschaft.

Mit einem der Holzboote, die als Fähren genutzt werden, starten wir zu einer Hafenrundfahrt auf dem Fluss Buriganga. Sein Wasser ist eine schwarze, giftige Brühe aus Industrieabwässern. Je mehr wir uns von den Piers entfernen, desto ohrenbetäubender wird der Lärm, der uns umgibt. Er kommt von den rostigen Kähnen, an deren Seitenwänden Arbeiter auf Stegen sitzen und stehen und die Farbe abklopfen. Ab hier müssen wir auch umkehren, da eine Weiterfahrt nicht erlaubt ist.

Arbeiter bearbeiten einen Schiffsrumpf
Arbeiter bearbeiten einen Schiffsrumpf
Schneller schöpfen als das Boot sinkt

Durch Alt-Dhaka ziehen wir weiter, besuchen die armenische Kirche und den Rosa Palast. Eine Rikscha bringt uns zurück zum Hotel. Wegen des Hartals sind die Straßen frei und die Strecke schnell bewältigt.

Der letzte Tag in der Stadt. Als Erstes ziehe ich wegen der für den nächsten Tag geplanten frühen Abfahrt des Zuges nach Srimangal um in ein Hotel gegenüber vom Bahnhof. Praktischerweise fahren von dort auch die Taxis in das 30 Kilometer von Dhaka entfernte Sonargaon, unserem Tagesziel, ab. Unterwegs fragt der Fahrer, warum wir diese gefährliche Fahrt unternehmen. Iqubal erklärt ihm, dass ich furchtlos und stark sei. Woraufhin der Typ etwas gequält lächelt.

Sonargaon, die ehemalige Hauptstadt von Bangladesch

Dank Hartal sind wir in nur 45 Minuten statt der üblichen drei Stunden am Ziel. Sonargaon gefällt mir schon beim Aussteigen aus dem Taxi. Ruinen, denen man die ehemalige Pracht ansieht und die zum Teil bewohnt sind, stehen am Fluss und in den Straßen.

Sonargaon-in-Bangladesch
Ehemaliger Palast
Sonargaon-in-Bangladesch
Rikschfahrer vor einer Ruinenvilla

Kinderlärm dringt aus einer Grundschule. Ein paar Schüler stehen am Schultor. Als die Kinder uns entdecken, locken sie uns auf den Schulhof und erst als die Pause zu Ende ist, dürfen wir wieder gehen.

Ein paar Schüler stehen am Schultor.
Einkaufen in Sonargaon
Zugfahrt nach Srimangal 

Pünktlich verlässt der Intercity nach Srimangal den Bahnhof. Wir machen es uns gemütlich. Im Waggon funktioniert nur jede dritte Lampe, sodass die bequemen roten Polstersitze im Halbdunkel fast schon romantisch wirken. Der Zugservice serviert Tee in Porzellantassen, fliegende Händler bieten Orangen, Spielzeug, gekochte Eier, Nüsse und vieles mehr an.

Ein großer schlanker Typ klopft mir auf die Schulter. Er will Geld haben. Ich blicke in sein Gesicht, in schmal geschminkte Augen und auf rot verfärbte Zahnstummel. Übelkeit überkommt mich. Zum Glück zieht er schnell weiter.

In den Teeplantagen

In Srimangal starten wir, nachdem wir das Gepäck in das Hotel gebracht haben, zu einer zweistündigen Stadtbesichtigung. An einem Stand mit Textilien werde ich gebeten, stehen zu bleiben: „Du bist ein Käufermagnet“, übersetzt Iqubal.

Am nächsten Morgen liegt undurchdringlicher Nebel über der Stadt. Die gefühlte Temperatur ist knapp über dem Gefrierpunkt. Alle, denen wir begegnen, tragen warme Jacken, Pullover und Mütze, die Füße jedoch stecken barfuß in Flip-Flops.

Beim Bummel durch den Ort kommen wir an einer Mädchenschule vorbei. Als wir den Hof betreten, ist gerade Appell. Die Mädchen singen und gehen anschließend im Gänsemarsch in die Klassenzimmer. Die Direktorin lädt mich ein, mitzugehen. Zwei Minuten später sitze ich in einer Klasse mit 50 Schülerinnen, die Islamunterricht haben.

Nach dem Morgenappell geht die Schülerinnen in die Klassen
Nach dem Morgenappell geht die Schülerinnen in die Klassen
Klasse mit 50 Schülerinnen
Klasse mit 50 Schülerinnen

Mit einer Motorrikscha fahren wir anschließend in den nahen Regenwald. In ihm leben verschiedene Minderheiten in Dörfern, die idyllisch auf Hügeln liegen. Zwei von ihnen besuchen wir. Ihre Bewohner sitzen vor den Häusern, packen Betelblätter zu Päckchen, wärmen sich an einem kleinen Feuer oder bearbeiten Blätter von Bananenstauden. Sie sehen auf, wenn wir vorbeikommen, lächeln, manchmal ergibt sich ein kurzes Gespräch.

Frau beim Packen von Betelblättern
Frau beim Packen von Betelblättern
Dorfschule

Wir lassen uns zu einer Mittagspause nieder. Ein Junge reißt beschriebene Seiten aus seinem Schulheft und verkauft auf ihnen Reis, Bohnen und Falafel. Auf meinem Teller liegt ebenfalls ein Stück aus dem Heft und so erfahre ich nebenbei etwas über die Sundarbans.

Die Lage im Land bleibt unverändert. Die Straßen gelten als gefährlich, fortbewegen geht nur mit Zug oder Flugzeug. Von meinen persönlichen Reisehighlights schminke ich mir die Otterfischer ab. An den Chittagong Hill Tracts halte ich jedoch fest, schließlich gibt es eine Zugverbindung von Srimangal nach Chittagong.

Am nächsten Morgen fahren wir tatsächlich zum Bahnhof und kaufen Fahrkarten für einen zwei Tage später fahrenden Zug nach Chittagong.

In den Teeplantagen

Glücklich über den Fahrkartenkauf starten wir zu einer Tour tief in die Teeplantagen. An einem von den Briten künstlich angelegten See stoppt Iqubal den Fahrer. Er weiß, dass ich es nicht aushalte, den ganzen Tag in einem Gefährt zu hocken. Wir bummeln ein wenig am menschenleeren Ufer entlang, dann geht die Tour weiter.

Unweit vom See sitzt auf einem abgeernteten Feld eine Gruppe von Frauen. Sie winken uns heran. „Willst du ein wenig Betel haben?“, fragt die Älteste. Als ich nicke, wickelt sie eine Paste aus Löschkalk und Gewürzen in das Blatt des Betel-Pfeffers. Der Geschmack ist am Anfang angenehm kräftig, wird aber schnell seifig und unangenehm. Zum Glück gebt es Tee zum Nachspülen.

Teepflückerinnen beim Picknick
Teepflückerinnen beim Picknick
Korbflechter
Korbflechter

Bevor wir in die Stadt zurückkehren, gibt es noch einen Halt in einem Dorf, das für seine Stoffherstellung bekannt ist. Fast jedes Haus hat seine eigene Werkstatt. Die Webstühle stehen jedoch still, angefangene Stoffe liegen darauf: Hartal.

Heilige Schreine und die Grenze zu Indien

Wie jeden Morgen versinkt Srimangal im dicken Nebel. Iqubal hat ein Auto organisiert, das uns nach Sylhet bringt. In der Stadt besuchen wir die Schreine der Heiligen Hajrat Shah Jalal und Hajrat Schah Poran. Iqubal geht beten. Ich sehe mich so lange in der Gegend um.

Nach den Gebeten fahren wir an die Grenze zu Indien. Bengalische und indische Lastwagen, beladen mit verschiedenen Gesteinssorten, stehen in einer langen Reihe am Grenzübergang. Das Gestein wird während der Regenzeit von den Bergen in Indien nach Bangladesch gespült und nun als Baustoff geborgen.

Während auf der indischen Seite grüne Berghänge locken, ist auf dieser Seite alles steingrau. Als einzige Farbtupfer schimmern Wäsche und Decken, die auf einigen Geröllhaufen liegen, durch die diesige Luft. Hell in blütenweiß und Lila leuchten nur die Schuluniformen der Mädchen.

Bald wird die Luft zu dick und wir fahren zum Fluss Mari. Vor uns kurvt ein Lkw. Große Gesteinsbrocken hängen ungesichert über der Ladefläche, sodass der Fahrer unseres Autos einen ungewohnt weiten Abstand hält.

Der Mari führt wenig Wasser. Holzboote bringen die Menschen von Sandinsel zu Sandinsel auf die andere Seite des Flusses. Bei einem Uferspaziergang werde ich in viele Gespräche verwickelt. Der mir inzwischen allzu vertraute Massenauflauf findet hier jedoch nicht statt.

Am Fluss Mari
Boote bringen die Menschen von Sandinsel zu Sandinsel
Mit dem Zug nach Chittagong

Das ausgiebige Frühstück am nächsten Morgen ist noch üppiger als sonst. „Die Zugfahrt in das 400 Kilometer entfernte Chittagong kann 8 bis 12 Stunden dauern. In der Zeit gibt es nichts zu essen“, erklärt Iqubal.

Fahrpläne sind in Bangladesch eher Richtlinien. Irgendwann ist man am Ziel und nur das zählt. Unser Zug kommt fünf Stunden nach der geplanten Zeit. Er ist also pünktlich. Erst nach zehn Stunden ist es eine Verspätung.

Während wir warten, werde ich gefragt, woher ich komme, erwidere aus Deutschland und erhalte auf Deutsch die Antwort, dass Italien sehr schön sei.

Vom Bahnhofsdach hängt ein Stück von einem Stahlträger, in dem sich zwei Löcher und ein Stahlnagel befinden: die Zugansage.

Metall schlägt auf Metall. Der Zug nach Sylhet, eine Kombination aus Güter- und Personenzug, fährt ein. Eine Tür klemmt. Mit einer Brechstange versuchen drei Männer sie erfolgreich aufzuhebeln.

Nach vier Stunden des Wartens klingt der Krach des Stahlnagels wie Musik. Schließlich weckt er die Hoffnung, dass nun der Zug nach Chittagong einfährt.

Mittlerweile ist es Abend und ich hoffe, dass die Bahn, die ja irgendwann kommen wird, 12 Stunden bis Chittagong braucht. Besser ist es am frühen Morgen anzukommen als mitten in der Nacht.

Endlich fährt der Zug ein. Ich freue mich auf bequeme, plüschige Sitze. Dann stehe ich in einem Wagen im S-Bahn-Style: grüne mit Kunstleder bezogene Zweier-Bänke und keine Möglichkeit, die Beine lang zu machen und sich gemütlich zurückzulehnen.

Der Zug ist nicht sehr voll. Polizei läuft durch die Wagen. Auf der Bank gegenüber sitzt eine Frau, die mir zögerlich Betelblätter anbietet. Diesmal schmeckt das Blatt nicht so seifig.

Chittagong: Zentrum der Abwrackindustrie 

Perfekt. Der Zug braucht 12 Stunden bis Chittagong. Nach einer dreistündigen Pause im Hotel fahren wir durch eine Werftarbeitersiedlung zu einer Abwrackwerft für Schiffe.

An einem Schlagbaum ist Schluss. „Fotografieren verboten“ warnt ein Schild. Vor mir breitet sich eine riesige graubraune Fläche aus, auf der ordentlich sortiert Stahlplatten, Laufroste, Gangways und mehr aufgestapelt liegen. Durch den Dunst sind drei Ozeanriesen zu sehen. Ein fast fertig zerlegtes Wrack liegt daneben. Ein paar Arbeiter, die sich farblich kaum von der Umgebung abheben, tragen Wrackteile durch die gespenstig wirkende Werft.

Auf dem Rückweg trinken wir in der Werkssiedlung noch einen Tee. Bevor jedoch ein Gespräch mit den Arbeitern zustande kommt, drängt Iqubal zum Aufbruch: „Wir müssen, so wie es für Ausländer vorgeschrieben ist, vor der Dunkelheit in Bandarban in den Chittagong Hill Tracts (CHT) ankommen.

Aus den Chittagong Hill Tracts nach Dhaka

Der Weg aus den Chittagong Hill Tracts nach Dhaka ist weit. Ein Angehöriger der Polizei fährt mit. Das ist sehr komfortabel. Immer wenn wir an einer Polizeikontrolle anhalten müssen, zückt er seine Karte und wir können sofort weiterfahren.

Nach einer neunstündigen, von vielen Hupkonzerten begleiteten Fahrt erreichen wir Dhaka.

Natore, Putia und Rajshahi

In der Frühe reisen wir weiter in Richtung Norden. An der Stadtgrenze beginnt dichter Nebel. Alle fahren so vorsichtig, dass sogar das obligatorische Hupkonzert ausfällt.

Wir sind auf dem Weg zur Fähre. Als wir am Anleger ankommen, legt sie gerade ab und so laufe ich ein wenig über das Gelände, begleitet von den ernsten Blicken der Arbeiter.

Ein Junge verdient sich Geld als Schuhputzer
Warentransport

Nach der Überfahrt halten wir beim Anwesen von Rabindranath Tagore, einem bengalischen Dichter, Philosophen, Maler, Komponisten und Musiker, der 1913 den Nobelpreis für Literatur erhielt.

Von dort ist es nicht weit bis zum Schrein von Fakir Lalon Shah, einem bengalischen Philosophen, der unzählige Songs komponierte. Entrückte Anhänger seiner Texte versuchen, Besucher zum Zuhören und Geld spenden zu bewegen.

Kurz bevor wie die Stadt Natore erreichen, halten wir für eine Teepause an einem lokalen Markt. Plötzlich bin ich von Männern umringt. Einer spricht mich an: „Woher? Verheiratet?“ Als ich nicht reagiere, sehen sie mir schweigend und mit unbewegten Mienen beim Tee trinken zu.

Der nächste Stopp ist in der Stadt Puthia, die bekannt ist für ihre sehr gut erhaltenen terrakottafarbenen Hindu-Tempel.

Puthia
Puthia ist bekannt für seine  terrakottafarbenen Hindu-Tempel.
Puthia ist bekannt für seine terrakottafarbenen Hindu-Tempel.

Zum Sonnenuntergang zieht es mich an den Fluss Padma. Gemeinsam mit Rafiq schlendere ich durch ein nahegelegenes Fischerdorf.

Die Hütten der Bewohner stehen eng beieinander. Auf dem schmalen Weg zwischen den Behausungen und dem Uferhang suchen warm angezogene Ziegen nach Futter, Frauen sammeln sich in kleinen Gruppen und plaudern miteinander. Ihre Blicke sind unaufdringlich-neugierig.

Fischerdorf am Padma
Fischerdorf am Padma
Mit Pullover bekleidete Ziege
Mit Pullover bekleidete Ziege
Über Land

Der letzte Tag in Bangladesch beginnt. Nach einer langen Fahrt halten wir zu einer Teepause an. Sofort bin ich von Männern umringt, die nur eine Frage haben: Verheiratet? Einer der Herren macht sich nicht einmal die Mühe, seine Zahnbürste aus dem Mund zu nehmen.

Männer strömen von allen Seiten heran. Da ich mittendrin stehe, habe ich keinen Überblick. Der Abstand um mich herum ist diesmal nur wenige Zentimeter groß. Als Iqubal meinen Namen ruft, bilden sie eine Gasse und ich steige schnell ins Auto ein.

Dorfbewohner strömen herbei
Umzingelt von heiratswütigen Männern.
Umzingelt von heiratswütigen Männern.

Die nächste Teepause. Und wieder bin ich im Handumdrehen von Männern umringt: Verheiratet? Diesmal bleibt die Situation jedoch überschaubar.

Einen Abstecher machen wir noch und besichtigen die aus dem 8. Jahrhundert stammenden Ruinen des größten buddhistischen Klosters des gesamten Subkontinents in Paharpur.

Paharpur
Paharpur
In luftiger Höhe auf dem Bus
In luftiger Höhe auf dem Bus
Dhaka zum letzten Mal

Da kein Hartal ist, erreichen wir Dhaka erst am späten Abend, sodass ich nur noch müde ins Bett falle.

Um 4 Uhr am nächsten Morgen steht Rafiq vor der Tür und bringt mich zum Flughafen. Fünf Stunden verspätet – nach bengalischem Verständnis also pünktlich– startet der Flieger Richtung Deutschland.

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