Die Brücke wird erst repariert, nachdem jemand ins Wasser fällt.
(Sprichwort aus Somalia)
Reisejahr 2022 | Lesezeit: 11 Minuten
Komoren – Somalia (Mogadischu)
Bürgerkrieg, Korruption, Bombenanschläge, Chaos – Somalia. Seit dem Sturz der Regierung unter Siad Barre 1991 und dem Ausbruch des Bürgerkrieges im selben Jahr existiert im Land keine funktionierende Staatsmacht mehr. Waren es in den 1990er-Jahren vor allem rivalisierende Clans, die um Macht und Einfluss kämpften, prägt seit Mitte der 2000er-Jahre der Konflikt mit islamistischen Extremisten das Geschehen.
Ankunft in Mogadischu
Am Flughafen werden wir bereits erwartet. Um möglichst unauffällig zu bleiben, trage ich zur Landung ein weites Kleid und ein Kopftuch. Vor dem Ausgang stehen zwei Pick-ups mit verdunkelten Scheiben bereit. Wir nehmen im vorderen Wagen Platz, der sofort anrollt. Dicht dahinter folgt die Eskorte aus drei bewaffneten Männern, die über unsere Sicherheit wachen.
Der Flughafen liegt innerhalb der „Green Zone“, einer streng bewachten Hochsicherheitszone mit zahlreichen Checkpoints, Mauern und Betonblöcken. Direkt angrenzend findet sich ein Wohnviertel, in dem sicherheitsüberprüfte Somalier in bunt gestrichenen Wellblechhütten leben.
Kaum haben wir die Zone verlassen, flitzen rote Tuk-Tuks kreuz und quer über die Straßen; ein Esel zieht gemächlich seinen Karren; Straßenhändler preisen Khat, Obst und Mobiltelefone an, während Kinder in Schuluniform lachend den Gehweg entlanglaufen. Im Schatten der Bäume sitzt Militär an den Straßensperren, die jedoch abnehmen, je weiter wir uns von der „Green Zone“ entfernen. Plötzlich wirkt Mogadischu wie eine ganz normale Stadt.
Unser Hotel liegt in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier des Geheimdienstes NISA. Nur Fahrer mit Sondergenehmigung dürfen dieses Viertel befahren. Trotzdem wird darauf geachtet, dass wir möglichst unbemerkt ins Gebäude gelangen. Auf der Dachterrasse besprechen wir später mit unseren Begleitern die nächsten Tage.
Der erste Ausflug
Am nächsten Tag ist ein Ausflug an den Strand von Warsheekh, der einige Kilometer nördlich von Mogadischu liegt, geplant. Allerdings ist die Sicherheitslage angespannt. Erst gestern starben acht Menschen bei einem Autobombenanschlag. Unklar ist, ob das Attentat in Verbindung mit den seit einem Jahr ausstehenden Präsidentschaftswahlen steht, über die Präsident Farmajo und Ministerpräsident Roble im Dauerstreit liegen.
Dafür gibt es eine Überraschung. „Heute Abend sind wir bei einem hochrangigen Politiker eingeladen“, verkündet unsere Begleitung und ergänzt: „Hier legt man großen Wert auf das Äußere. Habt ihr etwas Eleganteres dabei?“ Ein kurzer Blick genügt: Marc hat sich seit 14 Tagen nicht mehr rasiert, und überhaupt ähnelt unser Erscheinungsbild eher dem von Landstreichern. „Kein Problem. Wir besorgen euch passende Sachen“, wird uns aus der Verlegenheit geholfen.
Ausgestattet mit einem schönen Kleid und passendem Schal sowie heller Stoffhose und Hemd starten wir zum Besuch. Von den bestellten zwei Autos kommt nur eines. Zu viert zwängen wir uns auf die Rückbank eines Toyota Hilux. Auf der Ladefläche sitzen drei bewaffnete Männer. In Mogadischu gibt es keine Verkehrszeichen und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Entsprechend rasant ist die Fahrt, vorbei an Tuk-Tuks und Eselskarren. Staut sich der Verkehr, wird gehupt und gedrängelt, da für den Schutz der Insassen ein stehendes Fahrzeug ein hohes Sicherheitsrisiko birgt.
Das Anwesen liegt in einem gut gesicherten Viertel. Im Hof stehen verschiedene Pick-ups mit Bewaffneten auf der Ladefläche, an der Eingangstreppe ins Haus liegen etliche Paar Schuhe. Drinnen stehen und sitzen Männer und warten. Es sind Stammesälteste, die um Schlichtung eines Streites bitten wollen. Wir werden kurzerhand für eine Audienz dazwischengeschoben.
Bevor wir vorgelassen werden, müssen wir Handys und Kameras abgeben. „Ich bedauere, dass ich für euch nur Zeit für ein kurzes Gespräch habe, aber die Zwistigkeiten müssen geklärt werden“, begrüßt uns der Gastgeber.
Am Lido Beach
Nach dem Besuch geht es weiter zum Lido Beach, einem der beliebtesten Strände in Mogadischu. Dort steht das Hotel Elite, das bereits Ziel eines Anschlags der Al-Shabaab-Miliz war. Entsprechend streng sind die Sicherheitskontrollen. Während die Männer allerdings problemlos passieren, werde ich bis auf den letzten Zentimeter abgetastet.
Wir verweilen jedoch nur kurz, beobachten das rege Treiben am Strand und die Fischerboote, die auf den Wellen des tiefblauen Ozeans schaukeln, ehe wir ins Hotel zurückkehren.
Ein Hauch von Normalität
Die nächsten Tage folgen einem ständigen Wechselspiel aus Hoffnung und Absage, spontanen Einfällen und plötzlichen Änderungen. Stundenlang sitzen wir auf der Dachterrasse des Hotels, blicken aufs Meer und über die Stadt, die uns zu Füßen liegt und doch unerreichbar ist.
„Verwandte von uns kommen gleich mit einem Lunch und dann fahren wir zum Lido Beach und zum Leuchtturm“ werden wir an einem Nachmittag überrascht. Während wir uns schnell noch umziehen, wird im Hotelrestaurant eine große Tafel mit Reis, Ziegenfleisch und Gemüse eingedeckt. Neben uns nehmen noch ein Stammesältester und seine Weggefährten, die zufällig vor Ort sind, am Tisch Platz.
Als Gäste müssen wir das Mahl eröffnen, was wir auch eiligst tun. Uns treibt die Sorge um, dass die Tour doch wieder abgesagt werden könnte. Gerne hätten wir mehr Zeit in der Gesellschaft der Tafelrunde verbracht, aber die Stadt lockt.
Bevor es losgeht, werden noch ausgiebig Fotos gemacht, dann kommt der Pick-up mit den Sicherheitsleuten. Das Familienoberhaupt setzt sich persönlich ans Lenkrad und los geht es zum Leuchtturm.
Das Schifffahrtszeichen steht am alten italienischen Hafen. Häuserruinen und einzelne Fassaden säumen das Ufer, auf dem Wasser schaukeln Fischerboote. Über Gesteinsbrocken und unter den neugierigen Blicken einiger Somalis klettern wir zur gut erhaltenen Turmruine. Die Eskorte sichert derweil den kurzen Spaziergang und nachdem ein paar Fotos im Kasten sind, müssen wir auch sofort wieder aufbrechen.
Zu unserer Überraschung fahren wir nicht weiter zum Lido Beach, sondern zum Anwesen des Ältesten. Erst nachdem wir sein Haus besichtigt haben, düsen wir weiter zum Wasser. Es ist Freitag und dementsprechend bevölkert ist der Strand. Trotz der angespannten Sicherheitslage wirkt die Atmosphäre ausgelassen. Die Jugend flaniert oder sitzt in Grüppchen zusammen und unterhält sich, einige spielen Fußball. An einem Stand werden Schwimmwesten für ein Bad im glasklaren, warmen Ozeanwasser verliehen, Fischerkähne schaukeln auf den Wellen, mit der somalischen Flagge geschmückte Boote werden für Spritztouren auf dem Wasser vermietet.
Die Somalis lachen und winken. Plötzlich meint ein Begleiter: „Wir sind jetzt schon lange genug hier und müssen gehen.“ Noch ehe wir den Strand verlassen haben, ist wieder alles anders. „Wir bleiben und treffen uns mit Freunden im Fischrestaurant.“ Er zeigt auf ein vor uns stehendes Gebäude.
Dort wird bereits eine Tafel eingedeckt. Als alle am Tisch sitzen, sind wir schon sechzehn Leute. Aufgetischt werden köstliche Platten mit Meeresfrüchten, Obst und wie überall mehrere Sorten frisch gepresster Säfte.
Mittlerweile ist es Nacht geworden. Obwohl es dunkel ist, verweilen die Leute weiter am Strand; ein Boxautomat wird aufgebaut, um den sich in kurzer Zeit die männliche Jugend versammelt.
„Gefällt es euch hier? Wollt ihr morgen mit einem der Boote eine Spritztour machen?“, fragt einer der Anwesenden. Wir strahlen vor Freude und bejahen. Zurück im Hotel tagt jedoch erst einmal der „Sicherheitsrat“, bestehend aus unseren Begleitern und weiteren Offiziellen. Nach bangen 30 Minuten nicken sie das Vorhaben ab.
Eine Spritztour auf dem Wasser
Pünktlich geht die Tour los. Vor dem Hotel sichern vier Soldaten das Gelände. Als wir im Auto den Hotelparkplatz verlassen, springen sie auf. Der erste Halt ist am Grab des unbekannten Soldaten. Eine Treppe führt zum restaurierten Obelisken, der aber noch eingezäunt ist. Nach vielen auf den Stufen geschossenen Fotos düsen wir weiter an den Lido Beach.
Die Stimmung im Auto ist heiter, der Chauffeur hat Musik an, wir lachen und sind guter Dinge. Am Strand gibt der Fahrer noch einmal richtig Gas und brettert den weißen Sand entlang. Die Leute scheinen solche Manöver gewöhnt zu sein und springen rechtzeitig zur Seite. Es folgt eine scharfe Kurve, dann geht es direkt am Wasser entlang zu den Ausflugsbooten zurück.
Ein mit vier somalischen Flaggen geschmückter Kahn wird startklar gemacht. Wir nehmen Platz auf einer mit Strippen am Rumpf befestigten Sitzbank. Zwischen den Fischerbooten hindurch geht es ein Stück hinaus aufs Meer. Das Wasser ist herrlich klar, warm und leuchtet türkisfarben und blau in der Sonne. Wir genießen die Fahrt in vollen Zügen. Da Aufenthalte in der Stadt jedoch nur zeitlich eingeschränkt möglich sind, müssen wir nach dem Trip erst einmal wieder zurück ins Quartier.
Auf der Hotelterrasse sitzen wir noch mit der Begleitung zusammen. Er blickt auf unsere sandigen Schuhe: „Ich bestelle einen Schuhputzer ins Hotel.“ Irritiert sehen wir ihn an und wehren ab. Er lässt nicht locker: „Ich zahle ihn auch. So könnt ihr morgen nicht fliegen.“ Wir versichern ihm, dass wir noch ein weiteres Paar Schuhe dabeihaben und er gibt nach. Für den Nachmittag verabreden wir uns zu einer kleinen Stadttour und einem Marktbesuch, der aus Sicherheitsgründen erst im Dunkeln stattfinden soll.
Später wird die Tour jedoch abgesagt. Aber auch wir spüren, dass etwas in der Luft liegt. Die schwarzen gepanzerten Toyota Hilux des NISA mit aufgepflanztem Maschinengewehr brausen ständig am Hotel vorbei, Sirenen heulen, etwas Ungutes liegt in der Luft. Dann queren jedoch wieder drei Kamele, gemütlich an den Bäumen knabbernd, die Straße und passieren in aller Seelenruhe den Checkpoint.
Am Abend klopft es unerwartet an die Zimmertür. „Entschuldigt, dass wir vorhin abgesagt haben. Es ist gerade sehr viel los. Wir haben massive Sicherheitsprobleme“, bedauern unsere Begleiter. Seit Einbruch der Dunkelheit sind auch unentwegt Hubschrauber zu hören. „Das sind Aufklärer. Sie werden bis zur Morgendämmerung fliegen und sollen Al-Shabaab fernhalten.“
„Wenn ihr wollt, können wir morgen auf der Fahrt zum Flughafen noch einen Abstecher zu einigen Denkmälern machen“, schlagen sie vor. Damit sind wir natürlich einverstanden. Nach der Verabschiedung gehen wir noch kurz auf die Dachterrasse. Ein wenig beobachten wir das nächtliche Treiben. Lkw-Kolonnen brausen zum Hafen, an den Minaretten einer Moschee blinken bunte Lampen, hinter den Lichtern der Stadt liegt tiefblau der Ozean.
Eine kurze Stadttour auf dem Weg zum Flughafen
Zwei Stunden vor dem Abflug starten wir. Soldaten sichern wieder das Gelände vor dem Hotel. Im Unterschied zu den Fahrzeugen, mit denen wir bisher unterwegs waren, ist der Toyota gepanzert und die Scheiben sind noch dunkler getönt.
Vorbei geht die Fahrt an diversen Denkmälern und der Moschee der Islamischen Solidarität, der wichtigsten Moschee am Horn von Afrika.

Den Kreisverkehr mit dem Namen „K 4“ (Kilometer 4) umrunden wir einmal. Er gilt als permanenter Unruheherd und damit als Ende der trügerischen Sicherheit der nahe gelegenen „Green Zone“.
Die Fahrt geht weiter durch das sehr geschäftige Regierungsviertel, vorbei am Bundesparlament und unzähligen neu gebauten Häusern bis zum Flughafen. Dort läuft alles streng organisiert: Check-in, Sicherheitskontrollen, ein Sprengstoffspürhund schnüffelt das Gepäck ab.
Nach vier Tagen in einer Stadt, die zugleich von Gefahr, Aufschwung und Hoffnung geprägt ist, fliegen wir zurück nach Deutschland.