Die Schweiz hat mehr Ausland als die größeren Länder.
(Walter Ludin, Journalist aus der Schweiz)
Reisejahre 2012 und 2013
Glacier Express – steilste Zahnradbahn der Welt – Bernina Express – Golden Pass
Im Panoramazug auf bequeme Art „Bergsteigen“ und dabei durch verschiedene Sprachregionen reisen – das ist mein Ziel.
Am Flughafen in Zürich kaufe ich ein Halbtax-Abo der Schweizerischen Bundesbahnen. Damit habe ich die Möglichkeit ein Jahr lang in der ersten oder zweiten Klasse zu einem um 50 Prozent reduzierten Preis durchs Land zu reisen.
Glacier Express
Es ist Februar und ich entscheide mich als Erstes für den Glacier Express, den „langsamsten Schnellzug der Welt“. Der Glacier Express fährt in rund acht Stunden von Sankt Moritz im Engadin durch die Urschweiz, in der die Quellen von Rhone und Rhein liegen, nach Zermatt im Kanton Wallis. Acht Stunden Fahrt über 291 Brücken, durch 91 Tunnel, vorbei an geschichtsträchtigen Burgen und idyllisch liegenden Dörfern.
In der ältesten Stadt der Schweiz, Chur, dem Hauptort des Kantons Graubünden, steige ich in den mit Panoramafenstern und verglasten Dachschrägen ausgestatteten Zug.
Tief verschneite Landschaften und Alpengipfel ziehen vorbei. In Disentis wechselt der Zug von der Strecke der Rhätischen Bahn auf das Netz der Matterhorn-Gotthard-Bahn: Die Lok wird getauscht, denn ab Disentis benötigt der Zug Unterstützung durch Zahnstangen und Zahnräder beim „Bergsteigen“ hinauf zum höchsten Punkt der Bahnlinie, auf den 2.033 Meter hohen Oberalppass.
Auf dem Bergsattel taucht der Gegenzug leuchtend rot aus der tief verschneiten Landschaft auf. Vom Pass geht es über eine faszinierende Strecke aus Kehrtunneln und Serpentinen 600 Meter hinab nach Andermatt und Realp im Kanton Uri.
In Realp befindet sich die Einfahrt in den 15,6 Kilometer langen Furka-Tunnel: Mit dem Bau des Tunnels 1982 wurde ein ganzjähriger Bahnbetrieb ermöglicht. Vor dem Tunnelbau wurden die Oberleitungen auf diesem Streckenabschnitt vor Wintereinbruch abmontiert, um sie vor Lawinen zu schützen.
In Oberwald verlassen wir den Tunnel und kommen in das Hochtal von Goms. Verstreut stehen die typischen Walliser Holzhäuser in den tief verschneiten Dörfern. Hier wurde 1850 der Hotelier César Ritz geboren.
In Zermatt ist die Endstation erreicht. 4000-Meter-Gipfel, darunter das Matterhorn, thronen rund um das Bergdorf. Im Ortskern stehen noch die dunklen Walliser Holzhäuser. Ich rutsche auf den schmalen Wegen durch den autofreien Ort und lasse mich von der märchenhaften Umgebung einfangen.
Abends geht es mit dem Zug nach Sankt Gallen. Die Stadt hat eine bezaubernde Altstadt mit schmalen Gassen und eindrucksvollen Gebäuden. 111 meist kunstvoll geschnitzte Erker schmücken die Häuserfassaden und erzählen von der erfolgreichen Ostschweizer Textilindustrie.
Um das Halbtax maximal zu nutzen, beschließe ich noch auf den 30 Kilometer von Sankt Gallen entfernten Säntis zu fahren. Mit Zug und Postbus geht es hinauf zur Schwägalp und weiter per Luftseilbahn bis auf den Gipfel. Leider begrenzt trübes Wetter die Aussicht von der Plattform und nach einem kurzen Aufenthalt fahre ich zurück zur Schwägalp. Dort beleuchten mittlerweile unzählige Petroleumlampen den im verschneiten Wald liegenden Laternliweg und verströmen mit ihrem sanften Licht pure Romantik.
Die steilste Zahnradbahn der Welt
Mittlerweile ist es Mai geworden. Diesmal habe ich mich für eine Tour mit der steilsten Zahnradbahn der Welt, die auf den 2128 Meter hohen Pilatus, den Hausberg der Stadt Luzern fährt, entschieden.
In Alpnachstad, wo die Zahnradbahn zur Bergstation Pilatus Kulm startet, beginne auch ich mit der Wanderung: Die Alpenwiesen leuchten grün, der Blick auf den Vierwaldstätter See ist fantastisch, ab und an kreuzen sich die Schienen der Bahn und der Wanderweg. Unterhalb des Gipfels sind Grün und Wegmarkierungen plötzlich verschwunden – ein Schneefeld zieht sich bis zur Bergspitze. Vorsichtig und nur ahnend wo der Weg sein könnte, geht es weiter. Auf der anderen Seite des Tales verschwindet derweil die Zahnradbahn hinter bizarren Felsenklippen.
Oben angekommen erkunde ich den Berg und genieße die fantastische Aussicht auf den Vierwaldstätter See, ehe es mit der steilsten Zahnradbahn der Welt bergab geht.
Bernina Express
Der Herbst ist gekommen und ich kaufe ein Ticket für den Bernina Express. Der Panoramazug benötigt für die Fahrt von Chur in Graubünden nach Tirano in der italienischen Provinz Sondrio vier Stunden und vier Minuten. Auf der 144 Kilometer langen Strecke, die zu den steilsten Bahnstrecken der Welt zählt, geht es durch 55 Tunnel, über 196 Brücken, Viadukte, Galerien und Kehrtunnel. Trotz sieben Prozent Steigung benötigt der Zug weder Zahnräder noch Seile.
Weiße Wolkenschleier hängen über den Bergseen, jenseits der Baumgrenze strahlen Gletscher und Gipfel in der Sonne. Der Zug durchquert das burgenreiche Domleschg, fährt kurz vor Filisur auf den 65 Meter hohen und 136 Meter langen, weltberühmten Landwasser-Viadukt und verschwindet plötzlich in einer senkrecht abfallenden Felswand.
Die Montebellokurve bei Morteratsch mit einem grandiosen Blick auf den Morteratschgletscher und den 4.050 Meter hohen Piz Bernina sind das nächste Highlight. Auf 2.253 Meter passiert der Zug den höchstgelegenen Durchgangsbahnhof Europas, der auch gleichzeitig Sprachgrenze zwischen italienisch und rätoromanisch beziehungsweise deutsch ist: Ospizio Bernina.
Entlang des vier Kilometer langen Lago Bianco und einem Fotostopp an der Station Alp Grüm schlängelt sich der Bernina-Express durch neun enge Serpentinen ins rund 1000 Meter tiefer liegende Puschlav. Am idyllischen Lago di Poschiavo vorbei und bei Brusio auf dem berühmten Kreisviadukt abwärts – nur so ist der große Höhenunterschied zu bewältigen – gelangt der Zug ins Tal nach Tirano im italienischen Veltlin.
An der Endstation in Tirano steht der Bernina Express Bus ins schweizerische Lugano im Kanton Tessin bereit. Es ist noch Zeit bis zur Abfahrt und ich nutze sie, um ein paar Schritte durch Tirano zu laufen.
Vorbei an den Weinbergen des Veltlins und durch verträumte Dörfer entlang des Comersees geht die Fahrt nach Lugano. Östlich der Stadt liegt einer der sonnigsten Punkte der Schweiz, der Aussichtsberg Monte Brè. Der Blick vom Gipfel auf die Bucht von Lugano, die Walliser und Berner Alpen ist fantastisch.
An den Hang des Monte Brè ist Gandria gebaut, ein Dorf, das früher von Fischern und Grenzwächtern bewohnt wurde und sich seit über hundert Jahren kaum verändert hat. Den hohen spätmittelalterlichen Glockenturm der Kirche von Gandria im Blick steige ich hinab in das Dorf mit seinen malerischen Winkeln, schmalen Gässchen, Treppen und der Kirche San Viglio aus dem 16. Jahrhundert zu der der Glockenturm gehört.
Vom sonnigen Lugano reise ich, mit Zwischenhalt in Bellinzona und Besichtigung von Castelgrande und Castello di Montebello, ins Appenzell weiter.
Ich habe noch etwas Zeit bis zur Heimreise und nutze sie für eine Wanderung auf den Hohen Kasten, der an der Grenze der Kantone Sankt Gallen und Appenzell Innerrhoden liegt. Nach vier Stunden Fußmarsch und spektakulären Blicken auf kleine Seen und tiefe Täler ist der Gipfel erreicht. Nach dem Genuss eines wundervollen Blicks über die schweizerische Bergwelt nutze ich für den Rückweg jedoch das Halbtax und schwebe mit der Bahn ins Tal.
Golden Pass
Es ist wieder Februar, mein Halbtax-Abo noch zwei Wochen gültig und so beschließe ich mit dem Panoramazug Golden Pass, der die Zentralschweiz mit dem Genfer See auf der Strecke Luzern – Interlaken Ost – Zweisimmen – Montreux verbindet, zu fahren.
Der Golden Pass startet in Luzern. Schon der Bahnhof der Stadt ist eine Sehenswürdigkeit und um sie in Ruhe zu besichtigen, beziehe ich in der Altstadt eine Zelle im ehemaligen Knast. In den folgenden zwei Tagen bummele ich durch die Altstadt und über die Kapellbrücke mit dem Wasserturm, dem Wahrzeichen Luzerns, besichtige die Nadelwehranlage aus dem 19. Jahrhundert, mit der bis heute der Wasserstand des Vierwaldstättersees durch Herausnehmen oder Einsetzen der Nadeln (Holzbohlen) reguliert wird und laufe über die älteste Holzbrücke der Schweiz, die Spreuerbrücke, die ihren Namen erhalten hat, weil die von den nahen Stadtmühlen anfallende Spreu über das Brückengeländer in die Reuss geschüttet wurde. „Der Löwe von Luzern“, eines der bekanntesten Denkmäler der Welt, das zum Andenken an den Heldentod der 1792 in den Tuilerien gefallenen Schweizer in den Felsen gehauen wurde, bildet den Abschluss des Stadtrundganges.
Die erste Etappe mit dem Golden Pass führt von Luzern und dem Vierwaldstätter See, vorbei am Lungern-, Sarner- und Alpnachersee über den Brünig-Pass nach Interlaken Ost. Eiger, Mönch und Jungfrau tauchen bei Interlaken auf. In der Stadt ist noch Zeit für einen kurzen Bummel zum Brienzer See.
Weiter geht es entlang des Thunersees und durch das Simmental nach Zweisimmen, vorbei an reich beschnitzten und bemalten Holzhäusern in urigen Dörfern.
In Zweisimmen endet die normalspurige Eisenbahnlinie und die meterspurigen Bahnlinien nach Montreux an den Genfer See beginnen. Da es keine Umspuranlage gibt, heißt es wieder umsteigen. Diesmal in den GoldenPass Classic mit „Belle Epoque“-Pullman-Wagen aus dem Jahre 1915, gezogen von der in der Sonne wie goldenes Stanniolpapier glänzenden Lok des Chocolate Train.
Tannen, wilde Bergbäche und malerische Dörfer ziehen am Fenster vorbei. Der Zug fährt in einen Tunnel und anschließend geht es durch Weinberge steil hinab nach Montreux, der Endstation vom Golden Pass. Mein Ziel ist jedoch Genf und so steige ich bei der Ankunft nur in einen anderen Zug um.
Die nächsten zwei Tage verbringe ich in Genf, wandere am Genfer See entlang, in dem die Wasserfontäne Jet d‘ Eau ihren Wasserstrahl bis zu 140 Meter hoch sprüht, sehe die Skulptur Gebrochener Stuhl vor dem Gebäude der Vereinten Nationen, das Reformationsdenkmal, die Cathédrale St-Pierre sowie das älteste Haus von Genf, das Maison Tavel.
Die Gültigkeit des Halbtax-Abo ist nun abgelaufen. Immerhin hat mich die lohnenswerte Investition durch fast alle Schweizer Bundesländer gebracht.