Moldawien

Es hat sich gelohnt zu leben, wenn man ein Haus gebaut, einen Sohn groß gezogen, einen Baum gepflanzt und einen Brunnen gegraben hat.
(Sprichwort aus Moldawien)

Reisejahr 2009 | Lesezeit 6 Minuten

Rumänien – Chisinau – Milesti MiciTrebujeni – Chisinau

Der Zug von Bukarest nach Chisinau hat seine besten Jahre längst hinter sich. Am Fenster hängen verblichene Gardinen, im Gang liegt ein ehemals roter, muffig riechender Läufer. Die Männer, die in den Zug einsteigen, tragen meist nur Badehose oder Shorts.

Trotz des etwas schäbigen Ambiente verbringen wir eine ruhige Nacht und erreichen ausgeschlafen Chisinau. Noch während wir am Bahnhof stehen und uns orientieren, spricht uns ein Student an: „Wo wollt ihr hin? Ich helfe euch gerne. Außerdem kann ich so mein Englisch üben.“ Ein freundlicher Empfang, der uns sofort ein Gefühl von Willkommen vermittelt.

Erste Eindrücke von Chisinau: viel Grün, wenig Prunk

Nach einem kurzen Abstecher in die Unterkunft machen wir uns auf zum Stadtbummel. Unser Quartier liegt etwas abseits, einen Stadtplan haben wir nicht. Also steigen wir kurzerhand in einen Bus Richtung Zentrum. Für umgerechnet zwei Cent kaufen wir ein Ticket und erhalten von der Busbegleiterin gleich eine kleine Stadtführung durch das, was wir unterwegs aus dem Fenster sehen.

Chisinau
Chisinau
Chisinau-Moldawien
Chisinau

Das Zentrum selbst überrascht: Kaum prunkvolle Gebäude, dafür zahlreiche Kultureinrichtungen und vor allem viel Grün. Mächtige Bäume säumen die Straßen, gepflegte Parks laden zum Verweilen ein. Auf den Gehwegen verkaufen Bauern ihre Produkte, Künstler präsentieren ihre Werke, während Taxifahrer dösend in ihren Autos liegen. Chisinau wirkt lebendig und zugleich entspannt.

Milesti Mici: Im unterirdischen Labyrinth der Weinstadt

Moldawien ist zwar von einem dichten Busnetz erschlossen, doch zum berühmten, rund 20 Kilometer von Chisinau entfernten Weingut Milesti Mici gibt es keine Verbindung. Gerade überlegen wir, ein Auto zu mieten, da bietet uns ein Hostelmitarbeiter seine Hilfe samt Wagen an.

Schon der Empfang am Weinkeller ist spektakulär: Aus Flaschen sprudelt Wasser in rot und weiß gefärbte Gläser, daneben steht ein sechs Tonnen schweres, mit Cabernet gefülltes Eichenfass. Von hier führt eine Straße 60 Meter tief ins unterirdische Labyrinth. Insgesamt misst das Stollennetz 200 Kilometer, davon werden 55 genutzt.

Eigentlich sollten Elektroautos die Besucher durch die Keller fahren, doch heute sind sie defekt. Nach einigem Hin und Her darf unser Fahrer sein eigenes Auto nutzen. Durch einen großen Tunnel geht es hinein ins ehemalige Kalkbergwerk. Rasch sinkt die Temperatur auf frische 12 bis 14 Grad.

Brunnen-vor-dem-Weinkeller-Milesti-Mici
Milesti Mici
Haeuser-voller-Wein-im-Weinkeller-Milesti-Mici
Häuser voller Weinflaschen
Straße Cabernet

Im Halbdunkel taucht die Weinstadt auf: schwach beleuchtete Straßen, benannt nach Rebsorten wie Cabernet, Malbec, Merlot oder Pinot Gris. Rechts und links reihen sich riesige Holzfässer aus moldawischer Eiche. An einem kleinen Wasserfall, der die Luft so sehr abkühlt, dass ich zu frösteln beginne, steigen wir aus und setzen unseren Weg zu Fuß fort.

Das Licht bleibt schummrig, die Atmosphäre geheimnisvoll. Die Geister alter Zeiten füllen die Sträßchen, die sich in den dunklen Weiten des Labyrinths verlieren. Von den Straßen zweigen Gassen ab, namenlos jedoch voller „Häuser“ mit Wein. Etwa 1,5 Millionen Flaschen sollen es sein, viele davon zu Preisen zwischen 100 und 300 Dollar.

Rund um einen Platz gruppieren sich mehrere Häuser. Darin liegen Flaschen, die regelmäßig von Hand gerüttelt und dabei um 45 Grad gedreht werden. Später soll aus ihnen ein nach der „Méthode champenoise“ hergestellter Schaumwein fließen.

Der Weg durch die Stadt macht durstig. In einem Verkostungsraum, in dem sich das handwerkliche Geschick von Schnitzern und Schlossern widerspiegelt, warten Weinproben. Nach einigen Degustationen verlassen wir beschwingt dieses mystische Weinlabyrinth und seinen Zauber.

Trebujeni: Wiege der moldauischen Zivilisation

Nicht weit von Chisinau liegt Trebujeni, die Wiege der moldauischen Zivilisation. Erst einmal müssen wir jedoch zum Busbahnhof gelangen. An der nächstgelegenen Haltestelle quetschen wir uns unter den missbilligenden Blicken des Fahrers mit den Rucksäcken in einen überfüllten Minibus, der zum zentralen Terminal fährt.

Dort steht das Auto, das uns nach Trebujeni bringen soll, schon bereit. 75 Minuten später steigen wir in einem idyllischen moldawischen Dorf aus. Im Schatten großer Bäume stehen gepflegte Bauernhäuser; in einem tief im Garten liegenden Haus werden wir sehr herzlich mit selbst gemachtem Landwein empfangen.

In der Abenddämmerung unternehmen wir noch einen Spaziergang am Fluss entlang und durch das Dorf. Da es keine Wasserversorgung gibt, stehen unzählige Brunnen im Ort.  Eine Ausnahme bilden Pensionen, die zum Teil über fließendes Wasser verfügen.

Wohnhaus-in-Trebujeni-Moldawien
Trebujeni
Frauen beim Fischen im Fluss Raut
Kloster

Nach einem ausgiebigen Frühstück am nächsten Morgen wandern wir mehrere Stunden am Fluss Raut entlang. An seinem hügeligen Ufer gibt es viele geräumige Höhlen, die heute gerne als Liebesnester genutzt werden. In einem Höhlenkloster laden uns Mönche zu Kartoffelpuffer und Wasser ein. Die Verständigung mit Händen und Füßen geht sehr gut und so bekommen wir einen Einblick in ihr Leben.

Zurück in unserem Quartier erwartet uns ein üppiges Mahl. Unsere Gastgeberin lächelt: „Ihr müsst hungrig sein.“ Nach dem Essen sind wir zwar kaum noch bewegungsfähig, aber ein kurzer Spaziergang zum mittelalterlichen Auenhaus verschafft Erleichterung.

Gehaltvoll geht es zum Frühstück weiter. Wenn das Essen nur nicht so gut wäre und zur Völlerei verleiten würde. Uns fällt es mit jedem Tag schwerer, nach den opulenten Mahlzeiten wandern zu gehen. Dennoch locken uns die blauen Zwiebeltürme eines nahe gelegenen Klosters zu neuen Entdeckungen.

Abends sitzen wir am Flussufer, sehen Frauen beim Wäschewaschen zu und lauschen den Liedern eines Mädchenchors – eine Atmosphäre wie aus einer anderen Zeit.

Kloster Hincu: ein moldawisches Nationalheiligtum

60 Kilometer von Chisinau entfernt steht das Kloster Hincu. Eine direkte Busverbindung dorthin gibt es nicht. Ein Minibus setzt uns an einer Kreuzung ab; die restlichen zwei Kilometer zum Kloster wandern wir.

Das Kloster ist ein Nationalheiligtum und bei Brautpaaren sehr beliebt. Obwohl die Trauungen im fliegenden Wechsel stattfinden, können wir es besichtigen. Neben dem Gotteshaus stehen die Glocken und der Rohbau einer orthodoxen Kirche.

Kloster Hincu in Moldawien
Kloster Hincu
Die Glocken des Klosters Hincu in Moldawien
Die Glocken des Klosters
Orthodoxe Kirche am Kloster Hincu in Moldawien
Orthodoxe Kirche

Zurück wollen wir per Anhalter fahren, doch es ist Sonntag, und fast alle Autos sind von Familien besetzt. Schließlich nimmt uns ein Minibus mit und setzt uns am Zentralmarkt ab. Dort herrscht quirliges Treiben. Käse aus Holland und der Ukraine, Süßwaren aus Russland, Fleisch, Milch und Sauerrahm von Bauern aus der Region werden zum Verkauf angeboten. Wir decken uns ein letztes Mal mit Köstlichkeiten ein.

Den Tag lassen wir auf der Dachterrasse unseres Hostels ausklingen, mit Blick über die Stadt, einem Glas Wein und vielen neuen Eindrücken von einem Land, das uns mit seiner Gastfreundschaft und seiner Ursprünglichkeit tief berührt hat.

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