Alles fürchtet sich vor der Zeit, aber die Zeit fürchtet sich vor den Pyramiden.
(Aus Luxor)
Reisejahr 2017
Sudan – Assuan – Felukenfahrt von Assuan nach Edfu – Luxor (Grab der Nefertari) – Kairo
Der Flieger der Badr Airlines, der die sudanesische Luftfahrtbehörde 2004 kurzzeitig die Fluglizenz entzog, ist auf der Strecke von Khartoum nach Kairo fast leer, der Service gut, der Flug ruhig. Sicher landen wir in Ägypten. Da es für einen Weiterflug nach Assuan bereits zu spät ist, bleiben wir für eine Nacht in einem Hotel am Flughafen.
Im ägyptischen Teil Nubiens
In Assuan angekommen, legen wir schnell das Gepäck im Hotel ab und gehen auf die Suche nach einem Feluken-Kapitän, der uns nach Edfu segeln soll. Feluken sind kleine, zweimastige, mit einem trapezförmigen Tuch als Segel ausgestattete Boote, die im 18. Jahrhundert in Form von galeerenartigen Schiffen auch als Piratenschiffe verwendet wurden.
Das Hotel liegt am Hafen und es braucht nur wenige Schritte, um angesprochen zu werden. „Wollt ihr mit einer Feluke fahren?“, ruft einer der am Pier abhängenden Typen.
„Wir wollen mit einer Feluke nach Edfu oder Luxor segeln.“ Der Typ strahlt und zeigt uns sein Boot. „Nach Luxor kann ich nicht segeln, aber bis Edfu ist das kein Problem. Zwei Tage und zwei Nächte werden wir unterwegs sein.“
Schnell sind wir handelseinig. Damit wir noch Zeit für einen Ausflug nach Abu Simbel haben, startet die Tour in zwei Tagen. Um das Geschäft zu besiegeln, bekommen wir eine einstündige Fahrt auf einer kleinen Feluke mit zerschlissenem Segel gratis, werden zu einem Tee eingeladen und auf unseren Wunsch hin zu einem Fisch-Grill, der abseits touristisch frequentierter Buden steht, gebracht.
Die Felsentempel von Abu Simbel
Assuan ist Ausgangspunkt für eine Fahrt zu den Felsentempeln von Abu Simbel: dem großen Tempel zum Ruhm Ramses II. und dem kleineren Hathor-Tempel zur Erinnerung an seine Gemahlin Nefertari. Mit Fahrer und Guide machen wir uns auf den dreistündigen Weg durch die Wüste.
Die Tempel erheben sich auf einer Insel im Nassersee, die durch einen Damm mit dem Ort Abu Simbel verbunden ist. In den Jahren 1963 bis 1968 wurden die Tempel abgetragen und 64 Meter höher auf einer Hochebene wieder aufgebaut. Nötig wurde die Maßnahme, um sie vor dem ansteigenden Wasser des durch den Assuan-Staudamm aufgestauten Nassersees zu retten.
Schon von Weitem sind die thronenden Riesenstatuen von Ramses II. zu sehen. Beeindruckt von der gewaltigen Höhe der Haupthalle des Tempels, den sehr gut erhaltenen Wandgemälden, die von Ramses militärischen Erfolgen im Krieg gegen die Nubier zeugen, lassen wir uns von der besonderen Atmosphäre einfangen.
Die Besichtigungszeit in den Tempeln ist auf maximal 20 Minuten festgelegt, die auch in dem kleinen Hathor-Tempel, dessen Wände überwiegend mit Szenen religiöser Natur ausgeschmückt sind, viel zu schnell verstreicht.
Zwischen Assuan und Luxor
Die Sonne scheint; es weht eine frische Brise; das richtige Wetter, um loszusegeln. Außerhalb Assuans steigen wir auf die Facebook, eine große, für 20 Leute vorgesehene Feluke. Bretter, auf denen Matratzen liegen, verbinden die Seitenwände; wir lümmeln uns erwartungsfroh auf die riesige Spielwiese.
Vorerst geht die Fahrt jedoch in die falsche Richtung. Der Kapitän segelt zurück Richtung Assuan, nimmt noch eine Gasflasche an Bord und holt sich die nötigen Papiere bei der Polizei. Am späten Nachmittag geht es endlich los.
Ein Konvoi von vier großen, fast passagierleeren Kreuzfahrtschiffen zieht an uns vorbei. Schnurgerade fahren sie Richtung Luxor, während wir mit der Feluke eine wahre Nil-Kreuzfahrt – von einem Ufer zum anderen und nie geradeaus – machen: Das Niedrigwasser des Nils und der tief liegende Kiel unseres Schiffes sind dafür verantwortlich.
Nur wenige Meter hinter unserem Einsteigeplatz legt der Kapitän für die Nacht an. Erste Zweifel, ob wir überhaupt bis Edfu segeln würden, steigen in uns hoch.
Abendessen soll es auch nicht wie verabredet an Bord geben. Ein Kleinlaster mit offener Ladefläche bringt uns zu einer nubischen Familie in ein einige Kilometer entferntes Dorf. Rotznasige Kinder empfangen uns. Damit uns bis zum Essen nicht langweilig wird, werden wir auf den Betten im Fernsehzimmer platziert.
In der Flimmerkiste läuft ein Bollywoodfilm, entsprechend begeistert sehen wir uns an. Ein Mädchen gibt Marc die Fernbedienung. Freudig schaltet er sofort die Mattscheibe aus, woraufhin sie ihm gütig lächelnd die Fernbedienung abnimmt und wieder für Bild und Ton sorgt. Später schafft Marc es, ein (grauenvolles) Fußballspiel geräuschlos auf den Schirm zu holen. Auch dieser Kompromiss währt nur kurz. Der Skipper kommt ins Zimmer, schüttelt den Kopf und sorgt für den Ton zum Spiel.
Nach dem Essen folgt der Hausrundgang. Schon im zweiten Raum wird Schmuck zum Kauf angeboten. Ganz spontan bekomme ich einen Hustenanfall, gegen den nur ein Tee hilft.
Zurück zur Facebook fahren wir mit einem geschlossenen Pick-up, der an eine „Grüne Minna“ in Miniatur erinnert. Mit wenigen Handgriffen ist das Boot klar für die Nacht. Planen werden um die Spielwiese gespannt und schwere, verfilzt-verlauste Decken verteilt.
Ein Himmelreich für einen warmen Schlafsack. Durchgefroren suchen wir am Morgen einen Platz an der Sonne. Der Kapitän besorgt Limetten und Minze, sein Gehilfe kocht Wasser und nach einem Glas Heißgetränk tauen wir langsam auf.
„Wollt ihr Fisch essen?“, fragt der Skipper.
„Ja, gegrillt nicht gebraten“, antworten wir.
Die Facebook steuert das Ufer an. Ein Fischer hantiert dort mit seinem Netz. Während der Verhandlungen über den Kaufpreis des Fanges wird Tee getrunken und endlos palavert. Derweil bangen wir um die rechtzeitige Weiterfahrt.
Mit einer Tüte voller Fische an Bord segeln wir weiter. Nicht weit, dann wird angelegt; Holz und Steine gesammelt; aus einem Müllhaufen ein Stück Blech gezogen; ein Feuer entfacht; das Blech über das Feuer gelegt und die Fische darauf gegrillt.
Der ausgezeichnet schmeckende Fisch ist verzehrt, der Wind frischt auf, unsere Hoffnung ans Ziel zu kommen steigt. Jedoch nur für die kurze Zeit bis zum Sonnenuntergang. Das Segel wird eingerollt und wir treiben lautlos am Ufer entlang.
Eine hell erleuchtete Pumpstation taucht auf. Edfu-Dorf – das Ziel. Diesmal werden wir zum Abendessen in einem gepflegten Haus bewirtet. Dessen Besitzer war Kameltreiber und zog mit Kamelen vom Sudan nach Ägypten. Geschlafen wird zu unserem Leidwesen wieder auf der Feluke.
Kurz vor 7 Uhr poltert der Kameltreiber auf die Facebook: „Tea, Coffee!“ Im Haus erwartet uns ein karges Frühstück, bestehend aus Milchtee und Zwieback. Egal, wir sind froh darüber, dass diese Fahrt zu Ende ist. Die Nächte waren sehr kalt gewesen, Tag und Nacht war Lärm vom anderen Nilufer zu hören und angelegt für die Nacht wurde an Stellen, die hell erleuchtet waren. Die Romantik aus dem Kopfkino gab es nicht.
Ein Taxi, das uns auf dem schnellsten Weg nach Luxor bringen soll, wartet bereits. Einen Stopp gibt es nur in Edfu-City, um zu frühstücken und den Edfu Tempel, einen der besterhaltenen in Ägypten, zu besichtigen.
Die Landschaft und die Orte am Nilufer halten keinerlei Überraschung bereit. Luxor ist allerdings unschwer zu erkennen: Gepanzerte Fahrzeuge und Militär stehen an jeder Ecke. Zusätzlich verteilen sich wegen des orthodoxen Weihnachtsfestes Großaufgebote der Polizei um die christlichen Kirchen.
Im Tal der Könige
Um die kulturellen Stätten in Luxor besser zu verstehen, haben wir uns für einen Guide entschieden. Zusammen mit Husni besichtigen wir im Tal der Könige die Gräber von Ramses IX, Merenptah, das gut erhaltene Grab von Ramses VI. sowie das Grab von Tutanchamun, das einzige, in dem sich eine königliche Mumie befindet, die, um sie besser vor Umwelteinflüssen zu schützen in einem klimatisierten Plexiglassarg liegt.
Im Laufe des Tages zieht es uns noch zum Totentempel der Hatschepsut, die einzige Frau, die als Pharao herrschte, zu den Memnonkolossen (Kolossalstatuen aus dem 14. Jahrhundert), dem Karnak-Tempel (größte Tempelanlage von Ägypten, die trotz 2000-jähriger Bauzeit unvollendet blieb), sowie dem Luxor-Tempel.
Der Luxor-Tempel wurde in der Römerzeit in eine Festung integriert. Sein erster Hof ist mit einer Moschee überbaut, unter der sich in einer ehemaligen koptischen Kirche das Grab des Ortsheiligen von Luxor befindet.
Die Gespräche mit Husni drehen sich jedoch nicht nur um das Ägypten zur Zeit der Pharaonen. Seit unserer Ankunft im Land hören wir wiederholt Worte wie „Ich würde Mubarak die Hand küssen, wenn er wieder da wäre.“ „Das Land hatte Stabilität.“ „Wir konnten von unserem Einkommen leben.“
Das Grab der Nefertari
Zufällig haben wir erfahren, dass das Grab der Nefertari im Tal der Königinnen seit November letzten Jahres (2016) für Besucher zugänglich sei. Nefertari war die Lieblingsfrau von Ramses II. Nach ihrem Tode ließ er sie, obwohl sie nicht königlicher Abstammung war, im Tal der Königinnen bestatten.
Der Besuch soll der krönende Abschluss unserer gemeinsamen Reise sein. Am Eingang zum Grab müssen Taschen und Kameras abgegeben werden. Die kleine Kamera und etwas Bargeld habe ich schon vor der Ankunft an der Begräbnisstätte in der Hosentasche verstaut. Ein Begleiter soll darauf achten, dass nicht fotografiert wird. Kaum sind wir jedoch in der Grabanlage hält er die Hand auf. „Wenn du Bilder machen willst, gib mir Geld.“ Das habe ich erwartet; ein wenig Bakschisch wechselt den Besitzer; alle sind zufrieden. Zwanzig Minuten haben wir nun Zeit durch die Räume mit den prächtig restaurierten Wandmalereien zu wandeln und den Zauber der Vergangenheit zu erleben.
Großstadtchaos und Pyramiden
Am nächsten Morgen machen wir uns in aller Frühe auf den Weg. Marc zurück nach Deutschland, ich für einen eintägigen Zwischenstopp nach Kairo.
Um den Tag so effektiv wie möglich zu nutzen, habe ich mir im Internet einen Guide mit einem Fahrer gesucht. Direkt vom Flughafen in Kairo starten wir zu den Pyramiden von Dahschur. Schon von Ferne ist die Rote Pyramide zu sehen. Sie ist die erste und auch einzige Pyramide, die keinerlei unterirdische Gänge besitzt.
„Du kannst sie gerne besichtigen. Ich warte auf Dich“, meint Achmed der Guide. 28 Meter in die Höhe sind es bis zum Eingang. Drinnen erwartet mich ein 90 Zentimeter hoher, viele Meter abwärts führender Gang, an dessen Ende ein kurzer Schacht den aufrechten Stand ermöglicht. Eine kurze, ebenfalls 90 Zentimeter hohe Passage schließt sich an und ich stehe in einer Vorkammer. Im ersten Moment glaube ich in der Grabkammer angekommen zu sein. Aber nein, am Ende des Raumes gibt es eine weitere, wiederum 90 Zentimeter hohe und drei Meter lange Verbindung. Von dort gilt es noch eine acht Meter hohe Holztreppe zu erklimmen und einen kurzen Gang entlang zu gehen. Dann ist die Grabkammer erreicht.
Den Abstieg vom Eingang der Pyramide zum Auto bewältige ich nur langsam mit schmerzenden Oberschenkeln. Jetzt ist mir klar, warum Achmed kein Interesse daran hatte, mit in die Pyramide zu gehen.
Hinter der Roten Pyramide steht die Knickpyramide, die ihren Namen ihrer durch Bauprobleme verursachten Form verdankt. Darüber, dass sie nicht begehbar ist, bin ich nicht unglücklich.
Von Dahschur geht es weiter nach Sakkara, der Nekropole der ehemaligen Residenzstadt Memphis. Der Vollständigkeit halber legen wir in Memphis einen Stopp ein und besichtigen die liegende Kolossalstatue von Ramses II., eine Alabastersphinx sowie weitere Figuren im Skulpturengarten.
Interessant wird es erst wieder in Sakkara. Zentrales Bauwerk der Nekropole ist die 4600 Jahre alte Stufenpyramide des altägyptischen Pharaos Djoser, die als einzige keine quadratische Grundfläche hat. Holzgerüste geben ihr Halt, da die Statik nach Fehlern bei Restaurierungsarbeiten bedroht ist.
Zwei kleinere Pyramiden sind begehbar und ich krabbele die 90 Zentimeter hohen Gänge abwärts. Immerhin sind in den Grabkammern die Wandreliefs gut erhalten geblieben. Die Sarkophage, die aus Granit aus Assuan bestehen, haben beim Anklopfen einen angenehmen Klang und zusammen mit den Bildern kommt eine besondere Stimmung auf.
Zum Schluss besuchen wir noch einige Mastaba (Grabbauten), in denen besonders farbintensive Wandmalereien faszinierende Einblicke in das alte Ägypten geben.
Mit Spannung und Vorfreude erwarte ich unsere Ankunft in Gizeh. Fürs Erste werde ich jedoch enttäuscht: Während die Pyramiden von Dahschur und Sakkara bereits von Weitem zu sehen waren, versperren in Gizeh Wohnhäuser den freien Blick auf die spektakulären Bauwerke. Damit die Cheops-Pyramide nicht irgendwann im Vorgarten eines Grundstückes steht, wurde eine Mauer errichtet, die vor einer weiter vorrückenden Bebauung schützen soll.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind hier umfangreicher als in Dahschur. Mein großer Rucksack, der im Kofferraum liegt, muss ebenfalls durch den Scanner. Achmed fühlt sich als Mann verpflichtet, ihn zu tragen. Er flucht und schimpft: „Wie kann man nur so ein Gepäckstück mit sich schleppen!“ Selber tragen soll ich ihn aber auf keinen Fall, da dann alle Männer verächtlich auf ihn sehen würden.
Der Besuch der Cheops-Pyramide ist natürlich ein Muss. Die Oberschenkel schmerzen vom Muskelkater und so bin ich heilfroh, dass es, wenn auch steil aufwärts, aber im aufrechten Gang zur Grabkammer geht.
Auf den Klassiker – Kamelritt mit Foto vor den Pyramiden – verzichte ich. Zu sehr bin ich genervt von den Reisebussen und Autos, die auf der Straße zwischen Cheops- und Chefren-Pyramide zum Aussichtspunkt über der Stadt fahren. Achmed betont zwar immer wieder, wie wenig Touristen als Auswirkung des Militärputsches 2013 kommen, aber ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es hier ansonsten vor Urlaubern wimmelt.
Kurz stürze ich mich noch in das Getümmel vor der Sphinx und lande nur wenig später doch noch in einer Touristenfalle. Achmed hat schon auf dem Weg nach Memphis versucht, mich in eine Teppichschule zu lotsen, was ich noch verhindern konnte. Vom Besuch eines Papyrus-Instituts lässt er sich jedoch nicht abbringen. Er stellt sich taub, als ich mich weigere, dort hinein zu gehen. Also lasse ich eine kurze Vorstellung zur Herstellung von Papyrus über mich ergehen und bin sehr zum Ärger von Achmed, zehn Minuten später wieder draußen.
Achmed grummelt. Den Chan-el-Chalili-Basar, den größten Markt Afrikas, will er mir aber doch noch zeigen. So beenden wir den Tag beim Bummel durch die Marktgassen und dem Bewundern der Pracht der alten Handelshäuser. Bei einem Glas frisch gepressten Orangensaft endet der Urlaub.