Abenteuer Kongo-Fluss
Unser Schiff heißt Nemesis und wir hoffen, dass es kein Omen ist. Eine 1,50 Meter breite und 2,20 Meter lange mit Holz ausgekleidete Kammer und einem Einzelbett ist für uns geräumt worden. Wir sind zufrieden. Das Moskitonetz reicht über das Bett und für Vorräte und Gepäck ist ebenfalls Platz. Vom Kapitän erhalten wir den Schlüssel zu einer der drei Stehtoiletten, die es an Bord gibt. Ein großes Privileg: Über 1000 Passagiere teilen sich die zweite Toilette, die Dritte ist für die Mannschaft reserviert.
Durch das Gewühl, das auf zwei Pontons eines anderen Schiffes herrscht, gelangen wir zur Nemesis. Obwohl die Boote erst in einem Monat oder später ablegen, wird bereits auf ihnen campiert.
Unsere Kammer ist auf dem Kapitänsdeck. Für Luise, die ihre 15-jährige Tochter Aisha mitnimmt, sind auf dem Deck, Zelt und Plane aufgebaut.
Dem Plan des Kapitäns folgend wird das Schiff morgen um die Mittagszeit ablegen. Perfekt, denken wir. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, den bereits gebuchten Rückflug nach Deutschland im August zu erreichen. Wie lange wir letztendlich für die 1740 Kilometer lange Reise von Kisangani bis Kinshasa brauchen werden, hängt jedoch auch davon ab, wie lange der Kapitän in den drei Häfen Bumba, Lisala, Mbandaka liegen bleibt, wie oft er auf eine Sandbank manövriert und von der Stärke der Strömung.
Aus der Abfahrt zur Mittagszeit wird nichts. Ein dritter Ponton, beladen mit Autos und eng bewohnt, dockt seitlich an. Das Boot ist nun insgesamt 50 Meter lang und 30 Meter breit. Bunte Planen spannen sich als Sonnen- und Regenschutz zwischen den Autos.
Die Beamten vom Migrationsbüro tauchen überraschend auf. Offensichtlich gab es einen Schichtwechsel. Kopien unserer Pässe und Visa müssen neu angefertigt werden. Einer der Beamten fuchtelt mit meinem Pass herum. Angeblich fehlt der Einreisestempel. Der befindet sich auf einer anderen Seite als das Kongo-Visum. Nur mit Mühe lässt er sich davon überzeugen, dass er gültig ist.
Der nächste Tag. Ganz sicher würden wir ablegen, jedenfalls, wenn bis 12 Uhr alle Papiere da sind. Es wird 12 Uhr, 13 Uhr, 14 Uhr – wir verabschieden uns innerlich von unserem Flugticket. Unerwartet dockt ein zweites kleineres Schubschiff, die Sina, am linken Ponton an. Dann geht alles ganz schnell, die Schiffshupe ertönt und im selben Augenblick legen wir ab. Motorgetriebene Pirogen fahren uns hinterher: Passagiere, die die plötzliche Abfahrt verpassten, springen noch auf.
Vorbei an Villen, Seifenfabrik und ehemaligen Sklavenmarkt verlassen wir Kisangani. 60 Kilometer weiter legt die Nemesis für die Nacht an. Schiffe, die stromabwärts fahren, müssen nachts anlegen. Um von der starken Strömung nicht mitgerissen zu werden, dreht das Boot um 180 Grad.
Jählings bricht ein Sturm los. Das Boot dreht sich in die Strömung. Der Kapitän bringt es wieder in Position, die Leute auf den Pontons versuchen, ihre Planen fester zu zurren. Als der Sturm vorbei ist, flattern viele Abdeckungen losgerissen zwischen den Autos. Trotzdem findet jeder Reisende noch einen halbwegs geschützten Schlafplatz.
Um 5 Uhr werden die Motoren wieder angelassen. Um den vielen Inseln und Sandbänken auszuweichen, fährt das Boot in großen Schlangenlinien. Auf den Pontons herrscht normales Dorfleben: Wäsche waschen, Haare frisieren, kochen, Handel mit Seife, Gemüse und in Öl Gebackenem. Jedes freie Fleckchen ist bewohnt. Unter der schmalen Schiffstreppe finden drei Leute Platz zum Schlafen.
Bewohner der Dörfer, an denen wir vorbeiziehen, docken mit ihren Pirogen an. Holzkohle, Tische und Stühle aus Holz werden angeboten, nur Essbares ist nicht dabei. Die Frau des Kapitäns kauft in großen Mengen ein: In Kinshasa sei alles teuer und so verdiene sie sich ein Zubrot. Damit dieses auch großzügig ausfällt, feilscht sie laut und bis aufs Messer. Bezahlt wird manchmal nicht nur mit Geld, sondern zusätzlich mit einer kleinen Portion Salz.
Endlich legen Händler mit Essbarem an. Hände strecken sich ihnen entgegen. Es wird gerufen und gewunken, um auf sich aufmerksam zu machen. Marc kauft einen putzmunteren Hahn, Luise große dicke Raupen, die sich in einem Behälter voller Erde verstecken. Dazu gibt es eine Staude Kochbananen. Die Vorräte sind aufgefrischt.
Ein Händler mit Affen betritt das Deck. Wir fragen Luise, welchen Geschmack Affe hat. „Nicht wie Rind, nicht wie Huhn, eher wie Schimpanse. Soll ich ihn kaufen?“ Marc hat Bedenken wegen des Ebolavirus. Luise versucht, sie zu zerstreuen. Wir verschieben die Entscheidung.
Das Angebot ändert sich. Dörfler in Pirogen mit Kanistern voller Palmöl legen an. Luise hat sich von der Kapitänsfrau anstecken lassen und kauft in großen Mengen. Bis die Kaufverhandlungen abgeschlossen sind, vergeht viel Zeit. Die Dörfer, aus denen die Händler kommen, sind bis zum Verkauf aller Waren am Horizont verschwunden. Ein kräftezehrender Weg flussaufwärts liegt vor ihnen. Die leeren Wasserflaschen, die wir ihnen geben, hellen die Minen auf und wir sind froh, dass wir sie nicht wie alle anderen Überreste über Bord werfen müssen.
Früh kräht zu Marcs großer Begeisterung sein Hahn. Mal sehen, wie oft er das noch wagen wird. Das Leben auf dem Schiff beginnt ohnehin viel eher. Wer vor der einzigen Toilette für alle nicht lange warten will, fängt den Tag um 4 Uhr an. Der Lokus ist gleichzeitig der Platz, um mit einem Eimer voll schlammigen Kongowassers zu duschen. Da sämtliche Abfälle zwischen den im Wasser schillernden Ölspuren landen, ist das ein zweifelhaftes Vergnügen.
Außerdem ist es durch den dahinter liegenden Maschinenraum in den Toiletten tagsüber unerträglich heiß und laut. Auch Marcs Idee, bei einem Tropengewitter auf dem Deck zu „duschen“, fällt ins Wasser, da die faszinierenden Blitze dem Deck gefährlich nahekommen. So gelangen die Unmengen an feuchten Tüchern aus meinem Rucksack zum Einsatz.
Plötzlich gibt es einen Ruck. Ein lauter vielstimmiger Aufschrei folgt: Der rechte Ponton liegt losgelöst im Gebüsch am Ufer. Ein Stahlseil ist gerissen. Das Boot wird ein Stück weiter am Ufer geparkt, die Nemesis gelöst, der verlorene Ponton geholt und wieder angedockt. Nach einem Wendemanöver, bei dem uns das Gebüsch um die Ohren fliegt, nimmt das Boot wieder Fahrt auf.
Marcs anfängliche Sorge, es könnte nicht genug zu essen geben, war umsonst. Bis zu zwei Meter lange Fische und Bushmeat wie Antilope, Affe, Fledermaus, Boa und Leguan werden an Bord geschafft. Im Lauf der Fahrt essen wir uns durch das reichhaltige Angebot. Während wir nur Frisches kaufen, hamstert die Kapitänsfrau verkohlt aussehenden, pechschwarz geräucherten Fisch und Bushmeat für den Weiterverkauf in Kinshasa. Nach wenigen Tagen liegt das Kapitänsdeck tagsüber voller Fisch und Fleisch, Maden krabbeln herum, es stinkt zum Himmel. Wenigstens wird zur Nacht alles eingepackt.
Erster Halt – Bumba
Zügig zieht die Nemesis am Äquatorialwald vorbei. Die Dörfer am Ufer und auf den Lichtungen bestehen oft nur aus drei bis vier Hütten. Abends legen wir meist an einem Dorf an, damit die Leute von den Pontons einen Schlafplatz haben. Nur einmal wird ein Dorfältester aufdringlich und will Geld von uns. Luise schafft es, ihn zurechtzuweisen.
Bumba, den ersten Halt, erreichen wir am vierten Tag der Reise. Ein guter Schnitt. Die Stadt liegt in der Provinz Equateur und hat ca. 100.000 Einwohner. Auf uns wirkt sie wie ein größeres Dorf. Auf den Pontons unseres Schiffes ist entschieden mehr los. Selbst eine Ärztin mit Stethoskop und einer kleinen Tüte Tabletten in der Hand stattet Kranken einen Besuch ab.
Ursprünglich sollte das Schiff nur für 1-2 Stunden im Hafen liegen bleiben. Aber die Abfahrt verzögert sich immer weiter: Die Gegend ist für ihren Kaffee bekannt und der Kapitän nimmt jede Menge davon an Bord. Für jeden Sack, der aufs Deck geschleppt wird, bringen Radfahrer zwei neue. Auf dem Schiff müssen einige das Plätzchen, auf dem sie campieren, räumen. Sie ziehen mit ihren Habseligkeiten auf die Säcke.
Luise geht zwischenzeitlich auf dem Markt einkaufen. Uns hat sie nicht so gerne dabei, da wir die Preise zu sehr nach oben treiben. Sie kommt mit frischem Fleisch zurück. 22 Stunden nach dem Anlegen verlassen wir Bumba am Nachmittag. Der Kapitän will so schnell wie möglich nach Kinshasa. Uns ist es recht.
Zweiter Halt – Lisala, Mobutus Geburtsstadt
Schon am nächsten Tag erreichen wir Lisala. 80.000 Menschen leben in der Stadt. Die Beamten vom Migrationsbüro registrieren genauso unkompliziert wie in Bumba unsere Pässe und wir können das Schiff verlassen.
Lisala ist die Geburtsstadt von Mobutu Sese Seko. Auf einem Hügel thront seine Residenz, die heute als Schule und Kirche genutzt wird. Wir wandern die Anhöhe hinauf. Das Gebäude ist verrottet, Urinlachen schwimmen in den Ecken, an den Wänden sind teilweise gut erhaltene Wandmalereien zu erkennen. Die Hängevorrichtungen der Kronleuchter in den Stuckrosetten wirken edel im Morbiden. An dem Denkmal Mutter mit Baby (Mobutu) schießen wir ein paar Fotos. Sofort sind Jugendliche da und bitten uns zur Kasse. Erfolglos.
Auf den Pontons ist es mittlerweile noch enger geworden. Die Gemeinschaft einer Pfingstkirche hat das letzte Fleckchen bezogen. Spätabends beginnen sie laut zu singen und zu beten. Eine Frau, die bereits geschlafen hat, sitzt entnervt da und hält sich die Ohren zu. Die Gemeinde bleibt bis Kinshasa an Bord, verlegt ihre Gottesdienste jedoch abends auf die Zeit nach dem Sonnenuntergang und früh zum Sonnenaufgang.
Früh am Morgen verlassen wir Lisala. Diesmal sind blinde Passagiere an Bord. Wie die in den Massen zu finden sind, ist und bleibt uns ein Rätsel. Sie werden in die Beibootpiroge gesetzt und ans Ufer gebracht.
Bis Mbandaka ist es eine 5-Tagereise. Die Zeit verfliegt. Die angebotenen Fische werden größer und größer. Zum Zerteilen muss Luise ein Crewmitglied anheuern: Die Gräten sind so stabil, dass sie von einem größeren Säugetier stammen könnten. Für 5 USD kaufen wir ein Babykrokodil und taufen es Mobutu. Für ein paar Tage sind wir jetzt Besitzer eines Haustiers.
Am Abend fällt das Gebet der Pfingstler, bei dem Gott für die glückliche Ankunft am Liegeplatz gedankt wird, aus. Das Anlegemanöver misslingt: Ein über das Ufer hängender Baum rammt einen dicken Ast in die Ladung der Sina. Die Plane zerreißt, die Ladung wird zur Seite gedrückt, die Sina neigt sich zu uns herüber. Die Maschinen stoppen; mit Machete und viel Kraft wird der Ast von der Schiffsbesatzung abgehackt. Die Sina richtet sich wieder auf, die Aufregung legt sich, alle gehen schlafen.
Wir stehen noch ein wenig an der Reling und genießen die Stille. Der Scheinwerfer eines Schubbootes strahlt herüber und kommt näher. Obwohl die Kommandobrücke noch 100 Meter entfernt ist, gleitet bereits der erste Ponton an uns vorbei.
Dritter Halt – Mbandaka
Mbandaka, die Hauptstadt der Provinz Équateur, erreichen wir in der Abenddämmerung. Der Hafenchef hat bereits Feierabend und so legen wir an einer Insel gegenüber vom Hafen an.
Über 200.000 Einwohner zählt die Stadt. An der Uferstraße stehen Häuser aus der Kolonialzeit. Auf dem Markt gibt es außer Fisch, einer kleinen Auswahl an Bushmeat und Kochbananen nichts zu kaufen. Eine Rolle Toilettenpaper, die teurer ist als ein großer Fisch, finden wir erst nach langem Suchen.
Zurück vom Markt werden wir bereits von einem Beamten des Migrationsbüros erwartet. Die Formalitäten sind schnell und gebührenfrei erledigt.
Stühle, Matratzen und weitere Habseligkeiten werden hastig auf das Kapitänsdeck geschafft. Ein Typ versucht sich auf dem Deck einzurichten. Laut schimpfend wirft die Kapitänsfrau seine Sachen die Treppe herunter. Niemand hat etwas auf dem Deck zu suchen.
Das Boot ist mittlerweile so voll, dass die Reisenden tagsüber in der Beibootpiroge sitzen. Selbst auf der Ladung ist jede freie Stelle bewohnt.
Die Abfahrt wird um einen Tag verschoben: Sina und Nemesis brauchen Treibstoff. Die Hitze und die permanent überlaut dröhnende Musik vom Hafen machen uns zu schaffen. Wir wollen nur weg. Plötzlich ertönt die Schiffshupe und wir laufen doch noch aus.
Mbandaka war der letzte Halt vor dem fünf Tage entfernten Kinshasa und auch die letzte Möglichkeit unsere Wasservorräte aufzufrischen. Trotz Einkauf fehlen am nächsten Tag 20 Liter. Luise hat sie, wie so manche Lebensmittel, verscherbelt. Die Stimmung ihr gegenüber sinkt entsprechend. Als wir Mobutu, unser Babykrokodil, in die Freiheit entlassen, reagiert sie unwirsch. „Gebt es mir zum Verkauf an die Leute.“
Mittlerweile liegt das Deck voller verkohlten Fisch und durch Grünspan verfärbten Maniok. Dazwischen krabbeln Unmengen an Maden. Kleine Fliegen, die es selbst durch unser Moskitonetz schaffen, schwirren über dem Ganzen. Verschwand der Gestank vor ein paar Tagen noch, wenn abends alles eingepackt wurde, stinkt es unterdessen Tag und Nacht nach Fäulnis. Zwischen allem werden Haare gewaschen und Geschirr gespült.
Kongo-Brazzaville taucht für kurze Zeit am Ufer auf. Abends dockt ein weiteres Schubboot neben unserem an. Fünf Pontons liegen nun nebeneinander: ein gigantischer Anblick. Vom Dorf, an dessen Ufer wir liegen, werden wir in ohrenbetäubender Lautstärke von einer Bar mit einem Videoclip und von einer weiteren Bar mit Tanzmusik beschallt. Vervollständigt wird die Kakofonie mit dem Gebet der Pfingstkirchler. Zum Einschlafen haben wir drei Wünsche – Ruhe, eine warme Dusche und eine Ananas.
Lärm weckt uns am Morgen. Pirogen mit Kassavabrot, Brot, Zuckerrohr, Kokosnüssen und einer Ananas haben angelegt. Eine Ziege wird auf einem der Boote geschlachtet und verkauft. Die Reisenden hängen laut rufend und Hände ausstreckend über der Reling oder stehen am Rand der Pontons. Den Händlern wird die Ware förmlich aus der Hand gerissen. Uns interessiert nur die Ananas und wir bekommen sie auch. Welch ein Genuss!
Wir scheinen uns Kinshasa zu nähern. Auf den Decks und Pontons ist es aufgeräumt und herrscht gute Stimmung. Von der Apathie der letzten Tage ist nichts mehr zu spüren. Hügelketten und kleine Sandstrände prägen die Landschaft. Der Fluss erweitert sich zu einem See, dessen Ufer nicht zu sehen ist.
Starker Gegenwind kommt auf. Wieder einmal bangen wir um unsere rechtzeitige Ankunft. Zwei kleine Dampfer legen an und lassen sich mitziehen. Die letzten noch heilen Planen auf den Pontons hängen zerfetzt im Wind. Da taucht tatsächlich Maluku, der Passagierhafen von Kinshasa, auf. So spannend und entschleunigend die Schiffstour auch war, wir sind heilfroh, als wir das Boot verlassen können.
Zum Abschied schenken wir der Kapitänsfrau unser Moskitonetz und die Plastestühle. Die uns gegenüber stets misstrauische und distanzierte Frau fällt uns vor Freude um den Hals. Sie lässt es sich nicht nehmen, uns nach unten zur Piroge, die uns an Land bringen soll, zu begleiten und uns nochmals herzlich zu verabschieden.
Ankunft in Kinshasa
Um 17.53 Uhr stehen wir im Migrationsbüro. Der Beamte sieht auf seine Uhr: Sieben Minuten vor dem Feierabend könne er nichts mehr machen. Ein Scheinchen wechselt den Besitzer und noch vor 18 Uhr sind die Formalitäten erledigt.
Unser Quartier ist im 80 Kilometer entfernten Kinshasa im Gästehaus einer Pfingstkirche in ruhiger Lage in einer Sackgasse. Vom Zimmer aus könnten wir einen tollen Blick über die Stadt haben, wenn Smog dies nicht verhindern würde. Der dauerhaft über dem Zentrum liegende Dunst lässt Peking dagegen als Luftkurort erscheinen.
In der guten Stube steht neben Fitnessgeräten, das Abendessen auf dem Tisch. Die Gästezimmer werden nur an Gläubige vermietet und so beten wir vor dem Essen.
Mit dem Auto einen Tag durch Kinshasa: Auf den großen Kreuzungen regeln Roboter den Verkehr, auf den Mittelstreifen wird Gemüse angebaut und Müll gelagert, im Stadion Tata Raphaël, in dem 1974 der als „Rumble in the Jungle“ bekannt gewordene Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman stattfand, trainieren ein paar Fußballer. Am Stadion der Märtyrer, das als Ersatz für das Stadion Tata Raphaël erbaut wurde, fahren wir nur vorbei, bummeln durch den Zoo von Kinshasa, der neben Affen und Krokodilen auch Pferde aus Deutschland als Bewohner hat, und besuchen das Grab von Laurent-Désiré Kabila, der von 1997 bis zu seiner Ermordung 2001 Präsident der DR Kongo war und dem Nordkoreas „Ewiger Generalsekretär“ Kim Jong-il eine Statue vor dem Grabmal errichtet hat. Die Tour beenden wir an den Kinsuka Stromschnellen, an denen auch die Flussfahrt von Henry Morton Stanley, einem Pionier der Afrikaforschung, endete.
In der Dämmerung fahren wir zurück zum Gästehaus. Auf dem Mittelstreifen des Boulevard Lumumba stehen Plastikstühle, vor einer Bühne wird getanzt, Hunderte Gläubige singen. Wir halten an. Ordnungshüterinnen bringen uns zur Ehrentribüne und weisen uns einen Platz an einem mit Stoff bezogenen Tisch zu. Vor uns steht ein Thron auf zwei Teppichen, die im grauen Sand liegen. Aber auch die Verstärker sind nur wenige Schritte von uns entfernt. Nach der Tanz- und Gesangseinlage brüllen zwei Prediger in die Mikrofone. Die voll aufgedrehten Verstärker lassen fast die Trommelfelle platzen. Nach zehn Minuten gehen wir wieder.
Nur raus aus dieser Stadt. Unser ursprüngliches Vorhaben mit der Bahn in die 400 Kilometer entfernte Hafenstadt Matadi, die Hauptstadt der Provinz Bas-Congo, zu fahren, müssen wir aufgeben. Der Zug verkehrt nur an einigen Wochenenden.
Matadi – Hafenstadt auf steilen Hängen
Mit dem Auto benötigen wir für die gut 300 Kilometer acht Stunden. Die Straße ist zwar asphaltiert, jedoch wird über sie auch der gesamte Güterverkehr abgewickelt: Der Kongo ist wegen der Livingstonefälle zwischen Kinshasa und Matadi nicht schiffbar.
In Matadi treffen wir ein höheres Mitglied der Kimbanguistenkirche, einer afrikanischen christlichen Kirche, deren Oberhaupt in Nkamba residiert. Nkamba wird auch Neu Jerusalem genannt und hat unser Interesse geweckt. Nur ohne Erlaubnis eines Kirchenoberen ist das Betreten ihres heiligen Ortes nicht so einfach.
Jean-Michel hat einen Praktizierenden aufgetrieben, der uns zu einem der Wichtigen der Kirche bringt. Im blauen, großblumig gemusterten Jackett empfängt er uns. Wir beten gemeinsam. Er erzählt von Genehmigungen, die noch vom Kirchenoberhaupt in Nkamba, Polizei und Regierung eingeholt werden müssten. Bis die Genehmigungen da seien, sollen wir Matadi besichtigen.
Matadi wurde auf steilen Hügeln errichtet. Auf einem der Berge in Palabala steht die älteste protestantische Kirche (1878) im Kongo. Die Häuser im Dorf stammen aus der Kolonialzeit und sind trotz eingefallener Wände und löchriger Mauern bewohnt. Einzig die Kirche mit frei stehendem Glockenturm ist gut erhalten.
Im Dorf werden wir mit „Nieh Hao“ begrüßt: Man hält uns für Chinesen. Die Frauen geben eine Gesangseinlage in der Kirche. Beim Bummel über den Friedhof, auf dem vier Missionare begraben liegen, erfahren wir, dass die Genehmigungen für Nkamba nicht zu bekommen sind und wir nach Mbanza-Ngungu, dem ehemaligen Thysville, aufbrechen sollen. Dort war nach seiner Festnahme im September 1921 der Religionsstifter Simon Kimbangu einige Jahre inhaftiert. Dort würden wir die erforderlichen Genehmigungen erhalten.
Das Gemeindehaus der Kimbanguisten in Mbanza-Ngungu steht auf einem großen, mit einer hohen Mauer umgebenden Gelände. Wir werden ins Gemeindehaus gebeten und – beten. Der Chef ist angeblich noch beschäftigt in einer der vielen Kirchen außerhalb des Geländes und wir sollen uns in Geduld üben. Irgendwann erscheint sein Sekretär und mustert uns unfreundlich. Neue Einfälle folgen: die Genehmigung der kongolesischen Botschaft in Berlin, wahlweise des Tourismusministeriums in Kinshasa würde fehlen, das Auto sei nicht vom richtigen Typ für die Piste nach Nkamba.
Einen Versuch unternehmen wir noch. Mit der Einwilligung des örtlichen Tourismus-/Migrationsbüros sollen wir die Genehmigung erhalten. Bei unserer Ankunft im Büro muss der Chef erst telefonisch geholt werden. Die Sekretärin borgt sich für diesen Anruf Jean-Michels Handy. Eine halbe Stunde später betritt ein freundlicher junger Mann den Raum, bestätigt, dass Pässe und Visa in Ordnung sind, und wünscht uns eine gute Fahrt. Im Gemeindehaus bekommen wir jedoch wieder nur den Botschaftsnonsens zu hören und beenden das Spiel.
Kisantu und sein botanischer Garten
Nächstes Ziel ist Kisantu. Der Ort ist bekannt für seinen 225 Hektar großen botanischen Garten mit einem Arboretum heimischer Bäume. Im Gästehaus wartet ein schönes Zimmer auf uns. Bevor wir jedoch die Stille des Parks genießen können, erhalten wir eine Führung, bei der uns Zwiebel und Knoblauch und aus Holz geschnitzte Früchte wie Apfel und Mango erläutert werden. Als auch noch eine Aufklärung darüber, dass anhand der Jahresringe eines Baumes dessen Alter bestimmt wird, folgt, verwünschen wir den Gartenguide inständig.
Wasserfälle in Zongo
Auf dem Weg zurück nach Kinshasa machen wir einen letzten Halt in Zongo, in einer Lodge mit heißem Wasser und viel Ruhe, die auch Präsident Joseph Kabila zu schätzen weiß. In der Nähe bauen Chinesen an einem seiner Lieblingsprojekte, einem Staudamm. Mit Ingenieur, Beamten vom Migrationsbüro und Sicherheitsbeauftragtem erhalte ich eine ausgiebige Führung über die Baustelle. 260 Chinesen arbeiten dort und in Spitzenzeiten 1500 Kongolesen aus den umliegenden Dörfern. Ob die Ortschaften, wenn das Elektrizitätswerk fertig ist, an das Stromnetz angeschlossen werden oder ob der Strom nur nach Kinshasa fließen wird, ist nicht herauszufinden.
Zehn Minuten von der Lodge entfernt stürzen die Wassermassen des Inkisi in eine Schlucht. Für den Blick auf das Naturschauspiel ist eine Gebühr fällig: Mitten im Wald steht ein Beamter des Umweltministeriums und verlangt Geld. Das Duschen unter den drei 60 Meter hohen Inkisi-Wasserfällen am Seli-Beach ist dagegen erstaunlicherweise gebührenfrei.
Kinshasa zum vorerst letzten Mal
Erholt brechen wir nach Kinshasa auf, verbringen die letzte Nacht in einem kleinen Hotel direkt neben dem teuersten Hotel der Stadt, was den Nachteil hat, dass es keine preiswerten Restaurants in der Nähe gibt und wir zum Abendessen mit ein paar Keksen auskommen müssen.
Der angeblich chaotischste Flughafen Afrikas ist übersichtlich und gut organisiert. Für uns ist eine Ausreisegebühr von 120 USD fällig, inklusive der Gebühren für einen Flughafenmitarbeiter, der die Formalitäten effizient erledigt. Entspannt treten wir die Heimreise an.