Auf den Spuren der Gebrüder van Eyck reisen wir nach Gent. Der Kaufmann und Bürgermeister Joos Vijd und seine Frau Elisabeth hatten Hubert van Eyck den Auftrag erteilt, einen Altar für die Kapelle der Sankt-Bavo-Kathedrale zu malen. Der Maler konnte die Arbeit jedoch nicht beenden. Erst ein paar Jahre nach seinem Tod vollendete sein Bruder Jan das Meisterwerk.
Seit 1432 steht der Genter Altar, der mit vollem Titel „Die Anbetung des Lamm Gottes“ heißt, mit Unterbrechungen (gestohlen oder entfernt) in der Sankt-Bavo-Kathedrale. Auf seinen zwölf Tafeln sind farbenfroh und mit vielen Details biblische Szenen und die Genter Skyline, die sich im Lauf der Jahrhunderte kaum verändert hat, abgebildet. Gelüftet werden die Geheimnisse und Feinheiten des Altars und der Kathedrale bei einem Rundgang in der Krypta mit einer „Augmented Reality“-Brille.
Mit interessanten Informationen ausgestattet betrachten wir nach dem virtuellen Rundgang den Altar in voller Pracht und entdecken die kleinen Details, die uns sonst verborgen geblieben wären. Aber auch die Ausstattung der Kathedrale ist beeindruckend. Der barocke Hochaltar besteht aus rot geflammtem sowie schwarz-weißem Marmor, die Rokokokanzel aus dunkler, teilweise vergoldeter Eiche; in einer Kapelle hängt ein Meisterwerk von Rubens und die Orgel ist die größte der Beneluxstaaten.
Zwischen der Sankt-Bavo-Kathedrale und der Sankt-Nikolaus-Kirche steht als mittlerer Turm der auch auf dem Genter Altar verewigten Turmreihe der Belfried. Auf seiner Spitze wacht der 455 Kilogramm schwere „Drachen von Gent“. Um zur Aussicht zu gelangen, kann man zwischen Treppe und Fahrstuhl wählen. Oben angekommen, führt ein schmaler Rundgang um den Turm mit weitem Blick über die Stadt.
Mitten im Zentrum steht ein weiteres wuchtiges Bauwerk: die Burg Gravenstein. Es ist die einzige erhalten gebliebene mittelalterliche Wasserburg Flanderns mit einem nahezu vollständig intakten Verteidigungssystem. Per Audioguide führt ein Komiker mit anekdotenhaften Geschichten durch das beeindruckende und sehenswerte Gemäuer.
Die Nachsaison macht sich bemerkbar: Die Sankt-Michael-Kirche ist für Besichtigungen geschlossen; den Belfried konnten wir ohne vorherige Ticketbuchung besichtigen und auf den Wegen zur mittelalterlichen Schleusenanlage Rabot sind wir allein unterwegs.
Auch für eine Bootsfahrt müssen wie uns nicht anstellen. Der Kahn ist kaum besetzt, als er ablegt. 50 Minuten schippern wir über Leie und Schelde und tauchen ein in die Heimatstadt Kaiser Karls V..
Überfüllt ist es nur im angesagtesten Bierlokal der Stadt, der „Dulle Griet“. Die Wartezeit auf einen freien Platz überbrücken wir mit einer Portion Pommes frites. Schließlich sind sie genau wie Waffeln ein Nationalgericht und liegen ebenso schwer im Magen.
Geisterdorf Doel
Wir brechen auf nach Antwerpen, legen jedoch einen Stopp im benachbarten Doel ein. Der Ort sollte einst für eine Erweiterung des Hafens von Antwerpen verschwinden. Doch die Pläne wurden nie umgesetzt. Von den einstigen Bewohnern halten noch immer einige die Stellung.
In den unbewohnten Häusern sind Fensteröffnungen und Türen sorgfältig mit Lochblech verschlossen. Streetart, wie es sie in jeder Großstadt zu sehen gibt, verziert die Gebäude. Auf dem Damm, der den Ort vom Hafen trennt, steht eine Mühle mit Café; im Hintergrund pusten die Kühltürme des AKW Doel weiße Wolken in den grauen Himmel. Geisterdorf? Nun ja, es gibt gespenstischere Orte.
Antwerpen: Welthafen und Diamantenstadt
Der Legende nach kommt der Name Antwerpen von „Hand-werpen = Hand-werfen“: Der Riese Antigoon verlangte von jedem Schiffer, der über die Schelde fuhr, Zoll. War dieser zahlungsunfähig, hackte er ihm die rechte Hand ab und warf sie ins Wasser. Erst der Römer Brabo bezwang den Riesen, hackte ihm wiederum die rechte Hand ab und warf sie in den Fluss. Der Brabobrunnen, der an die Tat erinnern soll, steht auf dem Grote Markt, umgeben von Rathaus und prächtigen Zunft- und Handelshäusern, deren Giebel mit goldenen Figuren bestückt sind.
In der Realität stammt der Name eher von „Aanwerpen = anwerfen“ ab: Die Schelde ließ stets viel Schlamm am Ufer zurück, der immer wieder „angeworfen“ wurde.
Nach wie vor ist der Strom eine wichtige Schifffahrtsstraße. Antwerpen liegt 80 Kilometer im Landesinneren und verfügt trotzdem über einen Tiefseehafen, den wir auf dem Weg nach Doel bereits durchquert haben.
Damit Fußgänger und Radfahrer ohne Fährüberfahrt die gegenüberliegende Seite des Flusses erreichen können, verbindet der Sankt-Anna-Tunnel die Ufer. Eingangsgebäude und Holzrolltreppen sind im Originalzustand erhalten und repräsentieren dadurch ein Stück Geschichte aus den 1930er-Jahren. Ist der 500 Meter lange Tunnel durchquert, hat man vom anderen Ufer einen Blick auf die Skyline von Antwerpen.
Vom historischen Zentrum ist noch weniger erhalten geblieben als in Gent: Bausünden dominieren das Bild zwischen den historischen Gebäuden. Nur die Kirchen stehen in ihren Ausmaßen denen in Gent in nichts nach. Allerdings haben nur die Liebfrauenkathedrale mit Bildern von Peter Paul Rubens und die Sankt-Jakobs-Kirche mit dem Grab des Malers geöffnet. Während wir auf den Besuch der Liebfrauenkathedrale verzichten – hoher Eintrittspreis und versiffter Außenbereich – ,besichtigen wir die Sankt-Jakobs-Kirche. Dort haben zahlreiche Zünfte, Gilden und religiöse Bruderschaften ihre Altäre. Im Chorumgang ließen reiche Familien ihre Grabkapellen anlegen. Die berühmteste ist die des Barockmalers Peter Paul Rubens.
Von der Kirche ist es nicht mehr weit bis zum Bahnhof. Der Bau im Stil einer Kathedrale mit einem prachtvollen Eisen-Glas-Kuppelbau ist eine Offerte zum Zugfahren. Einladend blinkt es auch in den unzähligen Juwelierläden im Diamantenviertel, das sich direkt am Bahnhof befindet. Hier schlägt das Herz des internationalen Diamantenhandels: Mehr als 80 Prozent aller Rohdiamanten und 50 Prozent aller geschliffenen Diamanten weltweit werden in der flandrischen Hafenstadt gehandelt.