Bildung ist die beste Schönheit eines Menschen.
(Sprichwort aus Afghanistan)
Reisejahr 2025 | Lesezeit 18 Minuten
Kabul – Herat – Kandahar – Ghazni – Bamiyan (Nationalpark Band-e-Amir) – Mazar-e Scharif – Kabul
Afghanistan ist ein Land voll grandioser Natur, Orten von historischer und kultureller Bedeutung und war in den 1960er- und 1970-er-Jahren Teil des „Hippie Trails“ nach Indien. Von 1979 bis 2021 wurde es durch bewaffnete Konflikte jedoch zu einem unerreichbaren Reiseziel. Seit der erneuten Machtübernahme der bereits von 1996 bis 2001 regierenden Taliban im Jahr 2021 lässt sich das Land wieder hinreichend sicher erkunden.
Allerdings bedarf es eines größeren Zeitaufwandes, um ein Visum zu beantragen. Die fehlende Akzeptanz zwischen jenen Auslandsvertretungen, die noch von Mitarbeitern der früheren, republikanisch konstituierten Regierung besetzt sind und der Taliban-Regierung in Kabul führte dazu, dass seit dem Sommer 2024 nur noch fünf afghanische diplomatische Vertretungen in Europa von den Taliban als legitim anerkannt werden: die Botschaften in Spanien, Bulgarien, der Tschechischen Republik und den Niederlanden sowie ein Konsulat in München. In letzterem haben wir unser Visum beantragt.
Kabul: die Hauptstadt Afghanistans
Schon der Anflug auf Kabul ist beeindruckend. Tief verschneit ziehen sich die Gipfel des Hindukuschs bis zum Horizont. Kurz vor der Landung weicht der Schnee jedoch trockenen Bergen, an deren Hängen sich kleine Dörfer schmiegen.
Beim Aussteigen aus dem Flugzeug macht sich eine leichte Anspannung in uns breit. Wir sind nicht sicher, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung unserer Visa nicht kurzfristig von den Taliban geändert wurden. Aber die Einreise verläuft zügig und entspannt und auch unsere Begleitung Ruhollah wartet bereits vor dem Flughafen.
Wie die meisten Städte in Zentralasien erstickt Kabul im Verkehr. Auffallend viele Areale sind mit hohen Mauern und Stacheldraht gesichert, hinter denen sich entweder Krankenhäuser, Universitäten, Ministerien oder Militärstützpunkte befinden. Angenehm überrascht sind wir von den vielen jungen Frauen, die ihren Hijab (Kopftuch) auf dem Hinterkopf tragen. Ihre Kleider sind oft kaum knöchellang und meist in der Hüfte enger gebunden.
Nach einer kleinen Pause im Hotelzimmer brechen wir zu einem kurzen Stadtbummel auf. Der Weg führt mich dabei zunächst in einen Kleiderladen, in dem ich mir ein grünes, langes Kleid kaufe und Marc in einen Herrenausstatter, um dort einen traditionellen Shalwar Kameez (Tunikahemd und weite Hose) zu erwerben.
Kabul ist umgeben von Bergen, an dessen Hängen sich die Häuser der ärmeren Bevölkerung hinaufziehen. Steile Treppen verbinden die Grundstücke, Straßen gibt es keine und vor allem im Winter ist das Heranschaffen von Benzin und Vorräten äußerst mühselig. Vor dieser beeindruckenden Bergkulisse erhebt sich der Sakhi-Schrein (Blaue Moschee). Leider hat die Regierung den Besuch von Moscheen für Ausländer landesweit verboten, sodass wir ihn nur umrunden können.
Im Schatten des Grabmals picknickt eine Gruppe Frauen und Mädchen. Sie winken zu uns herüber, wir winken zurück und schon gesellen sich ein paar Jugendliche zu uns und drücken jedem eine Bolani (gefüllte Teigtasche) in die Hand; anschließend werden gemeinsam Fotos gemacht.
Garten und Märkte in Kabul
Kabul galt in der Vergangenheit als die „Stadt der Gärten“. Zeuge aus dieser Zeit ist der Bagh-e Babur, eine liebliche, grüne Oase, die sich am Fuß eines Hügels im Südwesten der Altstadt befindet. Der Park wurde als eine Reihe von 15 stufenförmigen Terrassen angelegt, durch dessen Mitte sich Wasserkanäle ziehen. In Auftrag gegeben wurde er vom namensgebenden Mogulherrscher Babur, der hier auch seine letzte Ruhe fand.
Von der Weitläufigkeit und Stille des Gartens kehren wir zurück ins quirlige Zentrum und bummeln über den Vogelmarkt Ka Faroshi. In der schmalen Gasse hängen bunte Vogelkäfige an kleinen Läden; Vogelfutter liegt zuhauf in großen Weidenkörben. Kampfhähne und Rebhühner, Kanarienvögel und Wachteln krähen, zwitschern und trällern durcheinander.
Ruhollah eilt in schnellem Schritt voraus. Wir schlendern hinterher, sehen einem Falkner beim Verhauben eines Bussards zu und bewundern das Gefieder einiger besonders prachtvoller Vögel. Derweil wartet Ruhollah am Ende der Gasse ungeduldig auf uns und erklärt seine Hast damit, dass zwei Tage zuvor eine Gruppe Touristen von Handtaschendieben, die in der Enge des Marktes ein dankbares Betätigungsfeld haben, um ihre Geldbörsen erleichtert wurde.
Christlicher Friedhof und eine Nachbildung des Felsendoms
Vom Basar geht es weiter zum einzigen christlichen Friedhof in Afghanistan. Ursprünglich als Kriegsgräberstätte für die Gefallenen aus dem zweiten britisch-afghanischen Krieg (1878-1880) und die Beisetzung britischer Staatsbürger angelegt, erinnern Gedenktafeln auch an die Toten der ISAF-Mission (2002-2014).
Den Stadtbummel beenden wir auf einem Hügel, auf dem weithin sichtbar die Fahne der Taliban im Wind weht. In unmittelbarer Nähe zum Flaggenmast stehen eine von der Türkei finanzierte Nachbildung des Jerusalemer Felsendoms und ein heruntergekommenes Schwimmbad mit rostigen Sprungtürmen, das während der sowjetischen Besatzungszeit errichtet wurde. Der beliebte Aussichtspunkt bietet uns neben einem weiten Blick über die Stadt auch die Gelegenheit, mit ein paar Taliban ins Gespräch zu kommen.
Zum Abschluss des Tages gehen wir noch in ein Restaurant. Zu unserer Überraschung sitzen an einem der Tische junge Frauen, die sich zu einem Mädelsnachmittag getroffen haben. Später kommen unerwartet zwei weitere Frauen auf uns zu, die als Journalistinnen für ein Magazin arbeiten und gerne ein paar Selfies mit uns hätten.
Herat: Die Perle Khorasans
Mit der nationalen Fluggesellschaft KAM Air reisen wir weiter nach Herat. Einst die Perle Khorasans, erinnern heute lediglich noch wenige Gebäude an den Reichtum und die Schönheit der Stadt an der Seidenstraße. Wir verbringen hier daher auch nur einen Tag. Nachdem die Pässe registriert sind und das Permit für die Besichtigung der touristischen Attraktionen ausgestellt ist, beginnt die Stadttour.
Sehenswürdigkeiten von Herat: Freitagsmoschee und Koranschule
Die wichtigste Sehenswürdigkeit ist die über 800 Jahre alte Freitagsmoschee. 2023 waren zwar die Minarette und Teile des Gebäudes durch ein Erdbeben zerstört worden, aber das Gros der Moschee wurde bereits rekonstruiert und strahlt wieder in alter Pracht.
Aus der dazugehörigen Koranschule schallen Suren über den Innenhof. Interessiert bleiben wir am Eingang stehen. „Wollt ihr einen Tee trinken?“, fragt ein Lehrer. Freudig nehmen wir die Einladung an.
Stimmengewirr wabert durch den großen Raum. In langen Reihen sitzen Jungen verschiedener Altersklassen vor ihrem Koran, wippen vor und zurück und lernen laut rezitierend den Text auswendig. Vereinzelt werden Schüler zum Lehrer gewunken und müssen das Gelernte in der vorgeschriebenen Betonung wiedergeben.
Viele der Jungen kommen aus kinderreichen Familien, die sie nicht ernähren können, einige sind Waisen. Ihr Tag ist streng getaktet: Von 8 bis 12 Uhr wird der Koran studiert; es folgt eine Pause für das Gebet; von 13 bis 17 Uhr werden wieder Koransuren auswendig gelernt.
Zitadelle und Musalla-Komplex
Das älteste Gebäude der Stadt ist die auf einem künstlichen Hügel errichtete Zitadelle, von der es heißt, sie sei von Alexander dem Großen (um 300 v. Chr.) erbaut worden. Seit ihrer Fertigstellung diente sie als Regierungszentrum und war zugleich militärische Garnison und Gefängnis. Bis zu zwei Meter dicke, von 18 Wehrtürmen verstärkte Mauern umgeben die sandfarbene Verteidigungsanlage, deren Anblick besonders beeindruckend ist, wenn sie im Schein der Abendsonne einer gigantischen Sandburg ähnelt.
Bemerkenswert, aber leider in großen Teilen auch sehr ruinös ist der Musalla-Komplex, ein Ensemble aus Moscheen, Madrasas, Mausoleen und ursprünglich 20 mit Ziegeln verzierten, in den Himmel ragenden Minaretten. Die meisten dieser Bauwerke wurden 1885 im Konflikt zwischen Russland und Großbritannien von britischen Truppen zerstört. Übrig geblieben sind das Grabmal der Dichterin Gauhar Shad in ihrem prächtig ausgemalten Mausoleum und fünf schief stehende Minarette, von denen eines beim Erdbeben 2023 so stark beschädigt wurde, dass es durch ein Stahlkorsett gestützt werden muss.
Südlich von Herat, über dem Flussbett des Hari, erstreckt sich die 230 Meter lange und auf 22 Bögen ruhende Malan-Brücke. Sie erinnert mich sehr an die Brücken in Isfahan (Iran) über den Zayandeh-Fluss. Während ich munter fotografiere, hält eine Polizeistreife und fragt Ruhollah, woher wir kommen. Auf seine Antwort: „aus Deutschland“ reagieren sie mit der Feststellung, dass Deutsche im Norden gegen sie gekämpft hätten und erkundigen sich scherzend: „Seid ihr zum Kämpfen da?“ Nachdem wir verneinen, fahren sie lachend und winkend weiter.
Rundreise mit dem Auto
Von Herat aus starten wir mit Sakhi und seinem Auto zur Rundreise auf der Ringstraße. Die erste Etappe bringt uns ins sieben Stunden entfernte Kandahar. Unterwegs durchqueren wir eine karge Landschaft mit rotfarbenen Hügeln und wüstenartigen Hochebenen. Ab und an kreuzen Hirten mit ihren Schaf- und Ziegenherden und ein paar Packeseln unseren Weg. Ihre aus bunten Stoffbahnen bestehenden zeltartigen Unterstände bilden die einzigen Hingucker in dem trockenen Landstrich.
Kandahar: Hauptstadt der Taliban
Kandahar gilt seit über 300 Jahren als die traditionelle Hochburg der Paschtunen, der Volksgruppe, aus der die radikalislamische Miliz der Taliban hervorgegangen ist. Mullah Omar (von 1996 bis 2001 faktisches Staatsoberhaupt Afghanistans) sowie Osama Bin Laden beteten hier in der „Roten Moschee“. Obwohl Kabul die Landeshauptstadt ist und sich dort die Ministerien befinden, bildet Kandahar das politische Machtzentrum des Landes.
Metallschrott, Müll und heruntergekommene Gebäude dominieren das Stadtbild. Im Gegensatz zu anderen Orten im Land trägt der Großteil der Frauen eine Burka und auch die Tuk-Tuks sind mit einem Sichtschutz versehen, sodass man nicht erkennen kann, wer mitfährt. Unser Hotel steht jedoch in einem sauberen, mit Villen bebauten Geschäftsviertel. Hier wohnen reiche Unternehmer, die neben ihrem Haus in der Stadt oft noch ein weiteres in Dubai besitzen.
Besichtigung von Kandahar
Den nächsten Tag beginnen wir mit der Besichtigung von Schreinen wie dem Grab von Mirwais Nika (Ehrenname „Großvater von Afghanistan“) und dem besonders verehrten Sohn der Stadt, Ahmad Shah Durrani. 1747 begründete er ein paschtunisches Königreich, das als Vorläufer des modernen Afghanistans gilt. Obwohl wir eine Genehmigung für den Besuch des Geländes haben, müssen wir zuerst noch ein Interview mit einem Moscheemitarbeiter absolvieren. Neben den üblichen Fragen nach dem Warum der Reise und unseren bisherigen Erfahrungen mit den Behörden werden wir gefragt, ob wir uns vorstellen können, zum muslimischen Glauben zu konvertieren. „Nein“ ist unsere Antwort. Daraufhin lächelt der Mann und wir erhalten die Erlaubnis zum Betreten des Geländes. Später erklärt uns Ruhollah, dass ein Muslim, wenn er einen Christen zum Islam bekehren kann, den Märtyrerstatus erlangt.
Vom Grabmal ist es ein Katzensprung zu einem Hügel mit den Ruinen der einstigen Zitadelle. An ihrer Rückseite liegt ein verwaister Vergnügungspark. Eine Schiffschaukel quietscht in ihrer rostigen Halterung, ein paar Jungen drehen sich auf einem kleinen Karussell.
Wir folgen einem staubigen Pfad aufwärts zu den „Vierzig Stufen von Kandahar“ (Chilzina), ein Bergvorsprung, dessen Gipfel über vierzig steile, glattgewetzte Stufen erreichbar ist. Die etwas mühselige Kletterei wird belohnt mit einem weiten Rundumblick über Kandahar, seine Granatapfelbaum-Plantagen bis hin zur kargen Hügelkette, die die Stadt umgibt.
Ein Bummel über den großen Basar beschließt den Tag. Hier gibt es alles, von traditionellen Stoffen über modische Sonnenbrillen bis hin zu seltenen Gewürzen. Während wir die Auslagen betrachten, schmunzeln die Händler zurückhaltend und wünschen dann ein Foto von sich und ihren Waren.
Ghazni: Handels- und Industriezentrum Afghanistans
Weitere sieben Stunden Autofahrt, bis zum nächsten Ziel Ghazni liegen vor uns. Die Straße besteht fast ausschließlich aus einer staubigen Rumpelpiste. Sakhi zwängt das Auto zwischen Lkw-Kolonnen hindurch und wechselt permanent die Spur, um jede sich auftuende Lücke zu füllen.
Ghazni ist für uns lediglich ein Übernachtungsstopp und so besuchen wir am Folgetag auch nur die wichtigsten Sehenswürdigkeiten: Auf einer offenen Ebene ragen zwei 600 Meter voneinander entfernt stehende Minarette in den wolkenlosen Himmel. Die über 20 Meter hohen, sternenförmigen und mit zierlichen Mustern versehenen Türme bilden die letzten Reste einer gewaltigen Moschee.
In Sichtweite der Moscheetürme befindet sich die Ruine der Zitadelle. Über einen staubigen Weg spazieren wir durch die Überreste der Festung. „Bleibt auf dem Pfad. Es liegen hier noch viele Minen im Boden“, rät Ruhollah.
Bamiyan: das Dach Afghanistans
Nach der Besichtigungstour verlassen wir die Stadt und fahren weiter in das Bamiyan-Tal. Plantagen mit blühenden Apfelbäumen säumen die Fahrbahn und bilden einen herrlichen Kontrast zu den lehmfarbenen Dörfern und der kargen Gebirgswelt. Serpentinenförmig windet sich die Spur in die Berge, vorbei an Schneefeldern und schneebedeckten Gipfeln. Plötzlich wird aus der ausgebauten Straße eine löchrige Piste. „Jedes große Schlagloch ist eine explodierte Mine“, erklärt Ruhollah.
Ruinenstädte in der Umgebung von Bamiyan
Das Bamiyan-Tal liegt an der alten Seidenstraße. Wachttürme und Zitadellen wurden zu ihrem Schutz und als Zollstationen an schwer zugänglichen Felsen errichtet. Zwei der „verlorenen Orte“ besichtigen wir.
Die einstmalige Festungsanlage Shar-e Zohak, aufgrund ihres farbigen Gesteins auch „Rote Stadt“ genannt, windet sich um eine steile Felswand. Vorbei an Türmen, ehemaligen Kasernen und Lagerräumen führt ein schmaler Pfad steil hinauf auf den Gipfel, der von einem rostigen Flugabwehrgeschütz und einem verlassenen Soldatenposten markiert wird. Von oben schweift der Blick über grüne Gärten und die braun- und rosafarbenen Berge.
Während wir Shar-e Zohak auf eigene Faust erkunden, werden wir in der ehemaligen Zitadelle Shahr-e Gholghola von einem Wachmann begleitet. Die Festung liegt auf einer eindrucksvollen Höhe und galt als die am besten gesicherte Verteidigungsanlage Bamiyans. Auch hier wird der Anstieg belohnt mit einem herrlichen Rundumblick über schneebedeckte Berggipfel und grüne Gärten bis hin zur Felswand mit den leeren Nischen der zerstörten Buddhastatuen von Bamiyan.
Die Buddha-Statuen von Bamiyan
Die aus dem 6. Jahrhundert stammenden Buddha-Statuen – die eine 55 Meter (genannt Solsol), die andere 38 Meter (genannt Schahmama) hoch – zählten einst zu den spektakulärsten Wahrzeichen Asiens und galten als die größten stehenden Buddha-Statuen der Welt. 2001 sprengten die Taliban auf Befehl von Mullah Omar die Sandsteinkolosse, sodass heute nur noch leere Nischen an ihren Verlust erinnern.
Rund um die Nischen befindet sich ein Labyrinth aus Hunderten Höhlen, von denen mehrere mit farbigen Fresken und Buddhastatuen verziert waren und in denen bis zu 5000 Pilger lebten und beteten. Gänge und Galerien verbinden einen Teil der Felsengrotten miteinander. An der Nische von Schahmama führt eine Treppe vorbei an Wohnhöhlen und Balkonen bis auf den Abschluss des Mauerrücksprungs.
Die Band-e-Amir-Seen
Der nächste Tag fängt mit einer gewissen Anspannung an. Unser Ziel ist die imposante Seenkette im Nationalpark Band-e-Amir, für die die Taliban ein Betretungsverbot für Frauen verfügt haben. Drei Straßensperren müssen wir passieren, werden aber jedes Mal freundlich durchgewunken.
Zwischen den Seen schlängelt sich ein Wanderweg entlang. Picknickplätze werden vom Wasser umspült, kleine Wasserfälle rauschen über Klippen hinab in die azurblau und türkisfarben leuchtenden Gewässer. Die Sonne lässt die sie umgebenden Felsen in warmen Gelb- und Rottönen schimmern. Über allem liegt eine himmlische Ruhe.
Lebhaft geht es erst am Band-e Haibat (See der Grandiosen) zu. Tretboote in Form von Schwänen liegen am Ufer. Junge Frauen kurven vergnügt lachend in den Booten über den See. Auch wir lassen uns den Klassiker nicht entgehen und unternehmen eine Spritztour vor der traumhaften Kulisse.
Auf dem Rückweg wird Sakhi an einem Checkpoint gestoppt. „Ihr kommt von den Seen“, mutmaßt der Taliban. „Nein“, ist die ruhige Antwort von Ruhollah. Der Dialog wiederholt sich noch dreimal, dann lässt uns der Taliban mit finsterem Blick fahren.
Über den Salang-Pass nach Mazar-e Sharif
Die letzte Nacht in Bamiyan währt nur kurz. Gut 11 Stunden Fahrt über die Holperpisten des Hindukuschs nach Masar-e Scharif liegen vor uns. Je tiefer wir in die Berge fahren, desto schlechter wird die Straße; Staubschwaden vernebeln die Sicht. Mitten auf der Fahrbahn sitzen Bettler; der Verkehr braust in Handbreite an ihnen vorbei.
Die Straße über den auf knapp 3000 Metern Höhe liegenden Salang-Pass ist die wichtigste Nord-Süd-Verkehrsroute zwischen der Hauptstadt Kabul und dem Norden Afghanistans. Lkw und Pkw, die meisten davon Taxis, kurven kreuz und quer über die Piste. Immer wieder führt die Straße durch kürzere Tunnelabschnitte, um die Sakhi lieber auf schmalen Wegen herumfährt. Nur den mit knapp drei Kilometern längsten, von den Sowjets 1964 gebauten Tunnel kann er nicht umfahren.
Die Unterführung ist in einem abenteuerlichen Zustand. Wasser läuft von der Decke an den Wänden herab und verwandelt die staubige Fahrbahn in eine rutschige Schlammpiste. Aus den Auspuffrohren der entgegenkommenden Lkw quellen schwarze Rauchschwaden; eine Entlüftung gibt es nicht. Weitgehend ohne jegliche Sicht durchquert Sakhi in sportlichem Tempo das einstige Meisterwerk der Ingenieurskunst.
Je tiefer wir ins Tal gelangen, umso länger werden die Reihen entgegenkommender Lkw. Auffallend viele haben ein deutsches Kennzeichen mit aufgemalter TÜV-Plakette. „Jeden Tag wird für Trucks die Fahrbahnrichtung gewechselt. Einen Tag dürfen sie von Nord nach Süd fahren, am nächsten Tag nur in umgekehrter Richtung“, erklärt Ruhollah. Da täglich Tausende Lkw die engen Straßen benutzen, wäre ohne diese Maßnahme kein anderer Verkehr mehr möglich.
Mazar-e Scharif: bedeutendster Wallfahrtsort Afghanistans
Mazar-e Scharif bedeutet „Grab des Heiligen“. Imam Ali, der Schwiegersohn und Cousin des Propheten Mohammed, soll in der „Blauen Moschee“ im Zentrum der Stadt begraben sein. Wie überall im Land können wir auch hier nur den Innenhof der Moschee betreten. Jedoch steht die Tür zum Grabmal so weit offen, dass wir einen freien Blick auf den Schrein von Ali haben.
Allgemein gibt es aber Zweifel daran, ob er wirklich hier begraben liegt. Bereits 2022 standen wir an einem ihm zugesprochenen Grab, das sich allerdings in der Imam-Ali-Moschee in Nadschaf (Irak) befand. Gemeuchelt wurde er während des Gebets in der Großen Moschee der unweit von Nadschaf entfernt gelegenen Stadt Kufa.
Ausflug in die Umgebung von Mazar-e Scharif
Mazar-e Sharif und die Städte in der Umgebung waren in vorislamischer Zeit ein wichtiges Zentrum einer der ältesten Religionen der Welt, des Zoroastrismus. Gegründet wurde der Glaube in Balkh, der Hauptstadt des antiken Baktrien, durch den iranischen Priester und Philosophen Zarathustra. Als der Islam im 9. Jahrhundert die Religion ablöste, verwandelte sich Balkh in ein islamisches Zentrum und die Stadt wurde mit einer zehn Kilometer langen, bis heute erhalten gebliebenen Mauer umgeben.
Neben den zoroastrischen Feuertempeln prägen buddhistische Stupas die Landschaft. Im Dorf Takht-e Rostam befindet sich ein beeindruckender, in den Felsen gemeißelter Stupa. Auf seiner Spitze steht ein würfelförmiges Harmika-Gebäude, das einst Reliquien Buddhas beherbergte. Umgeben ist der Stupa von einem acht Meter tiefen Graben, in dem buddhistische Mönche seinerzeit meditierend und betend die heilige Stätte im Uhrzeigersinn umrundeten.
Wieder zurück in Kabul und ein Abstecher nach Parwan
Von Mazar reisen wir mit KAM Air zurück nach Kabul, verbringen den folgenden Tag in der Provinz Parwan, besichtigen dort den eindrucksvollen Topdara-Stupa, ein kuppelförmiges, 33 Meter hohes buddhistisches Heiligtum und fliegen am nächsten Morgen nach Deutschland.