Reisejahr 2025 | Lesezeit 8 Minuten
Die Hohe Tatra, Alpenersatz für DDR-Bürger, höchster Teil der Karpaten und gleichzeitig das kleinste Hochgebirge der Welt, ist kaum 50 Kilometer lang und maximal 15 Kilometer breit. Ihre etwa 300 Hochgebirgsgipfel ragen eindrucksvoll aus der alpinen Landschaft empor; zahlreiche von ihnen erreichen eine Höhe von über 2500 Metern. In den malerischen Tälern liegen mehr als 100 kristallklare Gletscherseen verborgen, während zahlreiche Wasserfälle über steile Klippen in imposante Schluchten hinabstürzen.
Wir können dieser verlockenden Aufforderung zum Wandern nicht widerstehen und brechen für ein paar Tage in dieses zwischen Polen und der Slowakei gelegene Grenzgebirge auf.
Über Polen nach Štrbské Pleso in der Slowakei
Auf der Hinfahrt legen wir einen Zwischenstopp für eine Übernachtung im polnischen Tschenstochau ein. In dem Städtchen befindet sich das Paulinerkloster Jasna Góra, das als Nationalheiligtum Polens gilt und die Ikone der Schwarzen Madonna beherbergt.
Wie bedeutend die Marienikone für Pilger ist, wird bereits auf dem riesigen, mit Reisebussen und Autos überfüllten Parkplatz ersichtlich. Dennoch hält uns das nicht davon ab, einen Blick auf das Heiligtum werfen zu wollen. Nachdem wir uns aber in dem unübersichtlichen Gedränge, das in der Kapelle herrscht, in die falsche Warteschlange einreihen, bekommen wir das Bildnis der Schwarzen Madonna nur aus den Augenwinkeln zu sehen.
Nach diesem nicht besonders gelungenen Ausflug setzen wir unsere Fahrt in das slowakische Štrbské Pleso fort. Die Stadt am gleichnamigen Gletschersee ist vor allem als Wintersport- und Kurort bekannt. 1970 wurden hier die Nordischen Skiweltmeisterschaften ausgetragen, woran die beiden Sprungschanzen erinnern, die sich eindrucksvoll vor der Bergkulisse erheben. Für uns ist der Ort der perfekte Ausgangspunkt, um einige Wanderungen in den Bergen zu unternehmen.
Wanderung auf den Rysy (Meeraugspitze)
Den Anfang machen wir mit der Besteigung des Rysy. Der wahrscheinlich populärste Gipfel der Hohen Tatra zieht so viele Wanderer an, dass wir bereits vor 6 Uhr aufbrechen. Allerdings ist der Weg trotz der frühen Stunde bereits stark frequentiert.
In der Nähe des Sees Popradske Pleso legen wir in an einer Station für „Tatra Sherpas“ eine kurze Rast ein. Die Sherpas fungieren als Lastenträger und versorgen die nur zu Fuß erreichbaren Schutzhütten mit Lebensmitteln, Getränken und Baumaterial, die sie auf eigens dafür konstruierten Holzgestellen, die beladen meist 40 bis 80 Kilogramm wiegen, in die Berge transportieren. Auch die unterhalb des Rysy gelegene Baude wird auf diese Weise beliefert. Jeder Wanderer kann sich eines der an der Station bereitstehenden bepackten Tragegestelle nehmen. Als Lohn winkt in der Berghütte eine Tasse Tee.
Während der Weg am Anfang noch durch dichten Wald führt, erreichen wir sehr schnell die vegetationsfreie Zone. Wasser läuft über den felsigen Untergrund, kleine Brücken überspannen reißende Flüsse. An den „Froschaugen“ genannten Seen Žabie plesá legen wir eine kurze Pause ein. Klar und dunkel liegen die beiden Gewässer inmitten der schroffen Felsen. In Ufernähe erstreckt sich ein kleines, leicht passierbares Schneefeld, dem ein kurzer Abschnitt über einen Steilhang folgt. Gesichert ist dieser Bereich mit Ketten, metallenen Stufen und Klammern als Trittflächen.
In Sichtweite schaukelt eine bunte Wimpelkette leicht im Wind und signalisiert, dass wir uns nahe der Berghütte Chata pod Rysmi befinden. Eine Einkehr haben wir erst für den Rückweg vorgesehen, sodass wir an der Hütte zunächst nur vorbeilaufen und gleich darauf vor einem längeren Schneefeld stehen, das sich über einen Berghang erstreckt. Ein Schild warnt vor seinem Betreten mit High Heels. Obwohl wir passende Wanderschuhe tragen, ist die Durchquerung auf dem Untergrund aus Schnee, Eis und Matsch recht mühselig.
Nach einem weiteren Anstieg erreichen wir den Sedlo Vaha (Waag-Sattel), von wo aus der finale Aufstieg zu den drei Spitzen des Rysy-Massivs beginnt, wobei der höchste Gipfel (2503 Meter) in der Slowakei liegt, der 2499 Meter hohe Gipfel jedoch die höchste Erhebung Polens bildet.
Wir folgen dem schmalen Pfad am Abgrund entlang und klettern mit Händen und Füßen über unwegsames Gelände auf die polnische Bergspitze. Der Gipfel ist sehr klein; statt eines Gipfelkreuzes steht hier ein Grenzstein. Ein paar Minuten stehen wir noch fürs obligatorische Foto an, genießen auf einem schmalen Plätzchen am Abhang den atemberaubenden Blick auf die imposanten Felswände und Berge sowie auf die Froschaugenseen auf der slowakischen und den Meeraugesee auf der polnischen Seite.
Nach einem kleinen Picknick beginnen wir mit dem Abstieg und rutschen auf dem Gesäß das Schneefeld zur Rysy-Baude hinab. Dabei dienen die Wanderstöcke als Bremsen, um zu verhindern, dass wir am Ende des Schnees nicht vornüber auf die Felsen aufschlagen. In der Hütte versorgen wir uns noch mit einem kräftigen Mahl und kehren anschließend ohne Pause zurück nach Štrbské Pleso.
Wandern zum See Capie Pleso
Nach einem Ruhetag klingelt der Wecker erneut um 5 Uhr. Heute wollen wir zum See Capie Pleso wandern. Nach einem Blick aus dem Fenster in den undurchdringlichen Nebel, der sich am frühen Morgen über die Stadt und die Berge gelegt hat, gehen wir jedoch wieder ins Bett. Erst als sich gegen Mittag die Nebelschwaden lichten, starten wir zur Wanderung.
Baumwurzeln und Steine durchziehen den leicht ansteigenden Weg. Mit der Vegetationszone weicht auch das Geflecht aus Wurzeln und weiter geht es durch das Tal Mlynická dolina und über Felsenwege bis zum Wasserfall Vodopad Skok (Schleierwasserfall). Dieses malerische Plätzchen nutzen wir für eine kurze Rast, bevor wir den teilweise gesicherten Aufstieg zum Pleso Nad Skokum (Nadskok-See) in Angriff nehmen.
Von dort geht es weiter über ein breites Feld aus verwittertem Geröll. An einer Gedenktafel, die an einen Hubschrauberabsturz erinnert, halten wir kurz inne. Derweil blicken ein paar Gämsen neugierig zu uns herüber. Der Pfad führt uns schließlich zum Ende des Tals Mlynická dolina und zu unserem Ziel, dem Capie Pleso. Dunkel scheint sein Wasser in der Sonne, auf den umgebenden Felsen liegen Schneefelder, der eisig wehende Wind lässt uns jedoch recht schnell den Rückweg antreten.
Zakopane: die polnische Seite der Hohen Tatra
Am nächsten Tag brechen wir in das rund eine Fahrstunde von Štrbské Pleso entfernte Zakopane auf. Eine falsche Entscheidung, wie wir in den nächsten Tagen feststellen werden. Der Ort wird selbst in der Nebensaison von einem übermäßigen Tourismus heimgesucht. Zwar haben wir ein traditionelles Holzhaus in ruhiger Lage am Stadtrand gemietet, aber im Ortskern herrscht dichtes Gedränge.
Uns ist das zu viel und so besichtigen wir nur die Herz-Jesu-Kapelle. Umgeben von Tannen steht die 1904 in traditioneller Holzbaukunst (Zakopane-Stil) erbaute Kirche abseits der lebhaften Stadtmitte. Das Innere der sehenswerten Kapelle schmücken verzierte Holzbalken, ein geschnitzter Holzaltar und einige Buntglasfenster mit den Wappen Polens und Litauens.
Wanderung zum See Morskie Oko und auf den Gipfel Szpiglasowy Wierch
Die Wanderwege rund um Zakopane sind ebenso stark frequentiert wie die Stadt selbst. Aus diesem Grund entscheiden wir uns auch nur für eine Wanderung, die uns zum See Morskie Oko (Meerauge) und weiter zum Gipfel Szpiglasowy Wierch (Liptauer Grenzberg) führen soll. Am Vorabend der Tour versuchen wir noch einen der 1200 Parkplätze, die am Beginn des Wanderwegs auf der Alm Palenica Białczańska liegen, online zu reservieren, doch sind bereits alle ausgebucht.
Wir bestellen daher ein Taxi für 4.30 Uhr, starten noch vor fünf Uhr zur Wanderung und laufen trotzdem schon in einem Pulk von Leuten. Bis zum Morskie Oko führt der Weg über eine asphaltierte Straße, die bis auf zwei Abkürzungen, die die größten Kurven schneiden, bis zu der am See gelegenen Schutzhütte führt.
Das Meerauge wird oft als einer der fünf schönsten Seen der Hohen Tatra bezeichnet. Auf seiner glatten Oberfläche spiegeln sich majestätisch die senkrechten Felswände der umliegenden schroffen Gipfel, im Hintergrund ist der Rysy zu erkennen. Hier beginnt auch der Wanderweg auf den Szpiglasowy Wierch.
Aufwärts windet sich der gut zu begehende, aus plattenartigen Felssteinen angelegte Weg aus dem Wald hinaus, durchquert ein Hochtal und steigt in weitläufigen Serpentinen kontinuierlich bergan. Auch ohne Markierung ist der Weg nicht zu verfehlen, da die von vielen Wanderschuhen polierten Steine in der Sonne glänzen.
Nach einem mit Ketten gesicherten Abschnitt erreichen wir den Gebirgspass Liptauer Sattel. Von hier ist es nur ein kurzer, steiler Weg auf die schmale Bergspitze und obwohl viele Leute unterwegs sind, finden wir noch ein Plätzchen am zerklüfteten Gipfel, von dem aus wir das herrliche Bergpanorama mit mehreren Bergseen genießen können. Anschließend wandern wir denselben Weg wieder zurück.
An der Hütte am Meerauge ist es mittlerweile rappelvoll und auch auf der Straße zum Parkplatz scheint ganz Polen unterwegs zu sein. Wir haben genug vom Pflastertreten und steigen nach 1,5 Kilometern in einen Planwagen, der uns bis nach Palenica Białczańska bringt. Von dort fahren Busse im Minutentakt nach Zakopane.
Abreise
Am Tag der Abreise erleben wir noch einmal die volle Wucht des Massentourismus. Allein für die Strecke von Zakopane nach Krakau (rund 100 Kilometer) benötigen wir knapp fünf Stunden. Aber auch danach kriecht die Blechlawine nur langsam über die Autobahn, sodass wir in Gedanken bereits einen Übernachtungsstopp in Polen einplanen. Erst kurz vor der Grenze zu Deutschland entspannt sich der dichte Verkehr und wir erreichen am selben Tag unser Zuhause.