Die zuverlässigste aller Uhren ist der Magen.
(Sprichwort aus Tschechien)
Reisejahr 2024
Jičín (Prachauer Felsen) – Gemeinde Teletín (Moldauschleife) – Kutná Hora – Budweis – Krumau – Pilsen – Böhmisches Bäderdreieck (Marienbad, Franzensbad, Karlsbad) und Abstecher nach Loket und Eger
Jahrhundertealte Ortschaften, prächtige Schlösser, majestätische Burgen, böhmische Küche und natürlich das weltberühmte Bier sind eine interessante Verlockung, um ein paar freie Tage mit einer Rundreise durch die historische Landschaft Böhmens zu verbringen.
Böhmisches Paradies
Den Anfang macht eine morgendliche Wanderung durch die zum „Böhmischen Paradies“ gehörenden Prachauer Felsen. Bis zu 40 Meter hoch erheben sich die Sandsteinformationen der Felsenstadt über Wälder und Schluchten. Aus einem Netz an markierten Wanderwegen suchen wir uns die mit 3,5 Kilometer längste Route aus. Auf schmalen Pfaden und durch Felsrinnen, über 1500 steile Treppenstufen hinauf zu den Gipfeln und wieder hinab, wandern wir entlang der Felsmassive. Mehrere Aussichtspunkte mit herrlichen Panoramablicken auf die eindrucksvollen Sandsteingebilde laden uns oft zu einer Pause ein, sodass wir erst nach knapp zwei Stunden zurück am Eingang sind.
Unweit der Felsenstadt steht auf einem Basaltmassiv das Wahrzeichen der Region: die Burg Trosky. Der markante Festungsbau ist schon von Weitem zu sehen. Seine zwei Türme namens „Großmutter“ und „Jungfrau“ stehen auf steilen Basaltkegeln, die hoch aus der offenen Landschaft ragen. Nach einem kurzen Aufstieg zur Burg und dem Erklimmen einiger Stufen auf die „Großmutter“ eröffnet sich uns ein herrlicher Blick auf Burgruine und „Jungfrau“ sowie weit in das malerische Umland hinein.
Die ehemalige Bergmannssiedlung Kutná Hora (Kuttenberg)
Weiter geht es ins südliche Böhmen. Nach einer Fahrt, die uns abwechselnd über einen mit tiefen Schlaglöchern übersäten Feldweg und gut ausgebaute Straßen führt, erreichen wir Kutná Hora.
Die Geschichte der Stadt ist seit dem Ende des 13. Jahrhunderts untrennbar mit dem Abbau von Silbererzen verbunden. Um das geförderte Silber zu verwerten, ließ König Wenzel II. in Kutná Hora die zentrale Münzstätte für das Königreich Böhmen einrichten und dort den Prager Groschen prägen. Der einstige Reichtum spiegelt sich heute noch im historischen Stadtkern, der spätgotischen St.-Barbara-Kirche und der im Stil der Barockgotik umgebauten Mariä-Himmelfahrt-Kirche wider.
Die skurrilste Sehenswürdigkeit ist jedoch das Sedlitz-Ossarium, das sich im Untergeschoss der Allerheiligenkirche befindet. Das Gotteshaus wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf dem Gelände eines ehemaligen Zisterzienserklosters erbaut. Als der zum Kloster gehörende Friedhof zu klein wurde, um all die Verstorbenen der expandierenden Stadt sowie die Opfer von Pest und Hussitenkriegen aufzunehmen, wurden ihre Gebeine im Ossarium aufbewahrt. Dazu wurden die Skelette von weit über 40.000 Menschen kunstvoll zu sechs Pyramiden gestapelt.
1866 gelangte die Kirche in den Besitz der Adelsfamilie Schwarzenberg. Diese beauftragte den Holzschnitzer František Rint mit der Ausgestaltung des Ossariums. Rint desinfizierte und bleichte die menschlichen Gebeine und schuf daraus Kunstwerke wie Kelche und Kreuze. Die gotischen Bögen der Kapelle verzierte er mit Girlanden aus Oberarmknochen und Schädeln. In einem gewaltigen Kronleuchter verbaute er jeden Knochen des menschlichen Körpers mindestens einmal.
Von den ehemals sechs Pyramiden sind vier erhalten geblieben. Heute stehen sie formvollendet aufgetürmt und mit einer goldenen Krone auf der Spitze versehen, geschützt hinter Glas und Stahlgittern. An einer der Umzäunungen hängt als Dank für die Finanzierung des Künstlers ein detailgetreues komplett aus Knochen gebildetes Familienwappen der Schwarzenbergs.
Weniger skurril, jedoch ebenfalls originell, ist unsere Übernachtung im Schloss in Lešany (Mittelböhmen). Die geräumigen Zimmer sind mit Dielenböden, dunklen Balkendecken und rekonstruierten Sitz- und Schlafmöbeln aus dem 19. Jahrhundert eingerichtet. Zum Beheizen der Räume dient ein kleiner Kanonenofen. Das ist zwar etwas wenig, um dem einsetzenden Nachtfrost mit seiner Kälte trotzen zu können, aber im Schrank finden sich noch ein paar dicke Decken, sodass wir fürstlich schlafen.
Die Moldauschleife bei Teletín
Am nächsten Tag brechen wir bereits am frühen Morgen zu einer Fahrt in das Dorf Teletín auf. Dort befindet sich in der Nähe mit Vyhlidka Maj einer der beliebtesten Aussichtspunkte auf die Moldau und unser Ziel ist es, noch vor den erwarteten Besucherströmen anzukommen.
Unser Kalkül scheint aufzugehen. Auf dem kleinen, unscheinbaren Parkplatz außerhalb des Dorfes herrscht zu früher Stunde gähnende Leere. Mit zügigen Schritten laufen wir durch ein lichtes Wäldchen, eine Anhöhe hinauf zum Aussichtspunkt und sehen erst einmal – nichts. Die Moldau liegt versteckt unter einem dichten Nebelmeer. Geschlagene zwei Stunden trippeln wir im nasskalten Wetter hin und her, ehe sich der Dunst endlich verzieht und den Blick auf die Moldau freigibt, die tief unter uns, umgeben vom bunt in der Sonne leuchtenden Herbstlaub der Wälder durch den felsigen Canyon mäandert.
Für diesen ausgezeichneten Panoramablick hat sich das Frieren und Warten gelohnt, auch wenn wir nun etwas unter Zeitdruck stehen, da wir für die rund eine Stunde Fahrt entfernt gelegene Burg Karlstein eine Führung gebucht haben.
Burg Karlstein
Die im 14. Jahrhundert gegründete Burg wurde vom böhmischen König und späteren römisch-deutschen Kaiser Karl IV. ursprünglich als Landresidenz errichtet, diente jedoch bald darauf als Aufbewahrungsort der königlichen Schätze, heiliger Reliquien und der Kronjuwelen des Reiches.
Während des 50-minütigen Rundganges besichtigen wir Speise- und Rittersaal (karge Räume), Audienzsaal (schöne Holztäfelung), die Privaträume des Kaisers (Katharinenkapelle, Schlafzimmer) sowie die Schatzkammer, in der eine Replik der Wenzelskrone ausgestellt ist.
Budweis: die Stadt des Bieres
Nach einer weiteren Nacht im Schloss brechen wir auf nach Budweis. Die Stadt ist bekannt für ihr historisches Zentrum und vor allem für das aromatische Budweiser Bier, das „Budvar“.
Die Altstadt lässt sich gemütlich auf drei kurzen Spazierwegen erkunden. Wir starten am Premysl-Otakar-II.-Platz. Knapp 50 Barock- und Renaissancehäuser mit Laubengängen umgeben die mehr als einen Hektar große quadratische Fläche; das bedeutendste ist das mit einer Barockfassade versehene Rathaus. Den Blickfang bildet jedoch der in der Mitte stehende barocke Samson-Brunnen mit einer Plastik der mit einem Löwen kämpfenden biblischen Sagengestalt. Gleich neben dem Brunnen liegt der sogenannte Irrstein. Der Legende nach irrt jeder, der ihn nach 22 Uhr überschreitet, bis zum frühen Morgen orientierungslos durch die Stadt.
Darüber brauchen wir uns jedoch keine Sorgen machen. Gemütlich schlendern wir zu den Sehenswürdigkeiten wie dem Dom St. Nikolaus (Innenräume aus dem 18. Jahrhundert), dem Schwarzen Turm (saisonbedingt geschlossen), dem Piaristen-Platz (Dominikanerkloster und Salzhaus), den Türmen Rabenstein und Eiserne Jungfrau (Teile der alten Stadtbefestigung) und weiter die Stadtmauer entlang zum Zusammenfluss von Moldau und Maltsch. Die Tour runden wir in einer der vielen Privatbrauereien ab, ehe es am Nachmittag in das 25 Kilometer entfernte Krumau weitergeht.
Krumau an der Moldau
Die Stadt begrüßt uns mit ihrer idyllischen Lage an den s-förmig verlaufenden Mäandern der Moldau, die die Altstadt mit ihrer mittelalterlichen Architektur fast vollständig umschlingen. Der ganze Ort besitzt einen einzigartigen historischen Charme: verwinkelte, kopfsteingepflasterte Gassen, in denen sich der Duft von frischem Leder mit dem süßen Aroma des Trdelník (Gebäck aus Hefeteig) vermischt; in den unteren Etagen der kunstvoll bemalten Häuser befinden sich Cafés, Restaurants und Läden, in denen traditionelles Handwerk angeboten wird.
Das Herzstück von Krumau ist jedoch der monumentale Komplex von Burg und Schloss, der auf einem lang gestreckten Felsvorsprung über der Stadt thront. Fünf Schlosshöfe mit rund vierzig Gebäuden und Palästen umfasst das Areal. Besonders sehenswert sind die mit figuralen und architektonischen Motiven bemalten Palastgebäude und der zylinderartige Schlossturm.
Uns interessiert vor allem das barocke Schlosstheater. Als wir es betreten, schlägt uns eine Kältewelle entgegen. Das Schummerlicht von elektrischen Kerzen hüllt den Zuschauerraum in ein geheimnisvolles Halbdunkel. Lediglich das Bühnenbild, eine Tempelszene, ist hell erleuchtet und suggeriert eine weit in die Tiefe gehende Kulisse. Wir setzen uns auf die Zuschauerplätze und sind angesichts der einfachen Holzbänke ohne Rückenlehne und Polster ganz froh, dass wir nur einer kurzen Führung und nicht der vier- bis fünfstündigen Vorstellung einer Barockoper lauschen. Nach der Besichtigung der original erhaltenen Bühnenmaschinerie kurbelt Marc noch an der Windmaschine und sorgt als Abschluss für einen ordentlichen Theaterdonner.
Schloss Frauenberg
Ehe wir weiter in die Biermetropole Pilsen fahren, unternehmen wir noch einen Abstecher zum Schloss Frauenberg. Die ursprünglich königliche Burg gelangte 1661 in den Besitz der Adelsfamilie Schwarzenberg. Im Lauf der Zeit wurde sie immer wieder restrukturiert, bis sie im 19. Jahrhundert, inspiriert von einer Reise des Fürsten Jan Adolf II. zu Schwarzenberg in das Vereinigte Königreich, nach dem Modell von Schloss Windsor umgebaut wurde.
140 üppig ausgestattete Gemächer finden sich in dem Gebäude: einige von ihnen können bei einer Führung besichtigt werden. Die repräsentativen Räume zieren flämische Wandteppiche aus dem 17. Jahrhundert, gemalte Tapeten aus Paris und reich geschnitzte und mit vergoldetem Leder verzierte Kassettendecken. Der größte und eindrucksvollste Saal ist jedoch die Bibliothek. Sie umfasst 12.000 Bände, unter anderem die Erstausgabe von Diderots Enzyklopädie (18. Jahrhundert), Agatha Christies Detektivgeschichten oder auch die deutsche Ausgabe von Biene Maja.
Pilsen, die Bierhauptstadt Tschechiens
Als wir Pilsen am frühen Abend erreichen, ist es kalt und regnerisch. Auch am nächsten Tag klart es nicht auf und so besichtigen wir die Altstadt wohl oder übel bei tristem Wetter. Den wichtigsten Treffpunkt der Stadt bildet der Hauptplatz (Platz der Republik), der von Häusern mit barocken und sozialistischen Fassaden gesäumt wird. In seiner Mitte steht die gotische St.-Bartholomäus-Kathedrale. Ihr Kirchturm ist der höchste in Tschechien (102,26 Meter). Das Hochkraxeln über die 300 Stufen auf den Turm verkneifen wir uns jedoch wegen der wetterbedingt absehbaren Ermangelung einer herrlichen Aussicht.
Vor der ungemütlichen Witterung flüchten wir in die seit dem 14. Jahrhundert bestehende Pilsener Unterwelt. Das stark verzweigte Labyrinth aus Gängen, Kellern und Brunnen beträgt mehr als siebzehn Kilometer. Diese unterirdische Stadt hatte wichtige Funktionen. Hier wurden Lebensmittel aufbewahrt, gab es Werkstätten, Weinbrennereien sowie Mälzereien und auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen konnten die Bewohner lange der Belagerung standhalten.
Wohlig warm wird es für uns dann abends bei einem anregenden Bierbad in einer mit Biersud, Bierwürze, Hefe sowie einigen geheimen Zutaten gefüllten Lärchenholzwanne. Natürlich kommt dabei auch das innere Wohlbefinden nicht zu kurz: Neben der Wanne steht ein gefülltes 50-Liter-Fass, aus dem wir ordentlich Bier zapfen.
Das Westböhmische Bäderdreieck
Neben den Bierbädern ist Böhmen vor allem für das Bäderdreieck, das aus den Städten Karlsbad, Franzensbad und Marienbad besteht, bekannt. Berühmte Persönlichkeiten, darunter Johann Wolfgang von Goethe, der britische König Eduard VII. und der russische Zar Peter der Große logierten hier in den mondänen Kurhäusern, flanierten auf den prachtvollen Promenaden und kurierten ihre Leiden.
In den weitläufigen Parkanlagen mit ihren beeindruckenden Kolonnaden sprudeln aus Dutzenden Quellen die viel gepriesenen Heilwasser, die uns vom Aroma eher an rostiges Metall, Salzlake und faule Eier erinnern. Für unsere Geschmacksnerven sind sie jedenfalls eine Katastrophe und wir verzichten auf weitere Kostproben. Stattdessen sehen wir uns lieber in der Umgebung der Kurbäder um und fahren nach Loket und Eger.
Loket, die Stadt auf einem Felsen
Den Namen Loket (übersetzt Ellbogen) verdankt die Stadt dem Fluss Eger, der sie, einem gebogenen Arm gleich, umfließt. Im Mittelalter galt der Ort dank seiner auf einem markanten Felsen erbauten Festung als Schlüssel zum Königreich Böhmen. Unterhalb der Burg breitet sich die gleichnamige, mittelalterlich geprägte und unter Denkmalschutz stehende Stadt aus.
Sie liegt „über alle Beschreibung schön“ und sei ein „landschaftliches Kunstwerk“, schwärmte schon Johann Wolfgang von Goethe, wenn er von Loket sprach. Im heute noch existierenden Hotel „Weißes Ross“ feierte der Dichter denn auch seinen 74. Geburtstag und machte der jungen Ulrike von Levetzow auf der Terrasse des Gasthauses einen Heiratsantrag, den diese jedoch ablehnte. Die Absage verarbeitete Goethe später in seiner „Marienbader Elegie“.
Eger und Wallensteins Tod
Ebenfalls einen festen Platz in der Weltliteratur hat das Städtchen Eger. 1791 besuchte der Dichter Friedrich Schiller den Ort und schuf daraufhin die Trilogie „Wallenstein“ über den böhmischen Feldherrn Albrecht von Wallenstein, der hier 1634 ermordet wurde. Sein originales Sterbezimmer nebst seinem ausgestopften Pferd kann im Pachelbelhaus (Stadtmuseum) besichtigt werden.
Gleichfalls sehenswert ist der aus dem 13. Jahrhundert stammende Marktplatz. Gesäumt wird er von restaurierten Bürgerhäusern in charakteristischer Egerländer Fachwerkarchitektur, deren Fensterläden mit Schutz- und Glückssymbolen bemalt sind. Das Wahrzeichen des Platzes ist das historische Häuserensemble Stöckl. Es besteht aus zwei Reihen von drei- bis vierstöckigen Häusern, die durch die lediglich 160 Zentimeter breite Krämergasse voneinander getrennt sind.
Und da es sich am Marktplatz auch gut einkehren lässt, beenden wir die Reise mit zünftiger böhmischer Kost und einem Bier aus der hauseigenen Brauerei.