Die Sprache ist schöner als alles.
(Sprichwort aus Kurdistan)
Reisejahr 2022
Erbil – Halabja – Sulaimaniya – Erbil – Klöster und Tempel (Mar Mattai – Lalisch -Rabban-Hormizd-Kloster) – Dohuk (Zoragvan-Tal – Shanidar-Höhle) – Soran (Rawanduz-Tal – Gomi Felaw) -Erbil
Wir verlassen Mossul (Irak) im Jahr 2022 und kommen anderthalb Stunden später in Erbil im Jahr 2722 an. Erbil ist die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Die Kurden nutzen ihre eigene Zeitrechnung, die mit der Gründung des medischen Reiches um ca. 700 v. Chr. beginnt.
Am Abend schlendern wir zum Sha Garden Square, einem beliebten Treffpunkt der Besucher und Bewohner von Erbil. Nargile-Cafés, ein Uhrenturm, der dem Londoner Big Ben nachempfunden ist, der Qaisary-Basar und Arkaden aus Backstein säumen den Platz. Die Fontänen der Springbrunnen kühlen die Luft; über allem thront die Zitadelle.
An diversen Imbissständen werden Kebabspieße und Salate für das abendliche Fastenbrechen vorbereitet. Uns steht der Sinn aber nach Masgouf (Fischbarbecue) und so gehen wir in ein Restaurant. Während die Lokale auf unserer bisherigen Reise durch den Irak abends voll mit Gästen waren, herrscht hier gähnende Leere.
Halabja: an der Grenze zum Iran
Bereits um 3:57 Uhr weckt uns der Ruf des Muezzins. Richtig einschlafen können wir danach nicht mehr und starten müde in den Tag.
Damit wir Kurdistan auch während des Ramadans optimal bereisen können, haben wir uns Sarkan (Guide) und Raman (Fahrer) organisiert. Mit ihnen verlassen wir Erbil und fahren in Richtung der iranischen Grenze. Die Landschaft ist hügelig und von einem grünen, mit gelben Rapsblüten gesprenkelten Teppich überzogen. Später weichen die Höhenzüge einer landwirtschaftlich genutzten Ebene. Die Häuschen eines Flüchtlingscamps stehen im Grün. „Dort leben Iraker aus der Gegend von Mossul“, erzählt Sarkan.
Am Straßenrand stauen sich die Autos. „Am Ende der Warteschlange ist eine Tankstelle, an der der Liter Benzin 50 Cent kostet. Wer Zeit hat, stellt sich an und spart 20 Cent pro Liter Sprit“, meint Raman. Er biegt auf einen Feldweg ab. Gemütlich rumpeln wir durch die weite Ebene, vorbei an Feldern und Granatapfelbäumen nach Halabja.
Halabja ist eine Kleinstadt in der Nähe zum Iran. Im März 1988, in der Spätphase des Iran-Irak-Krieges (1980-1988), wurde sie das Ziel einer Giftgasattacke, bei der innerhalb kurzer Zeit 5000 Menschen ermordet wurden. Der Angriff war Teil der Operation „Anfal“, mit der die damalige Regierung unter Saddam Hussein gegen die im Norden Iraks lebenden Kurden und andere nicht arabische Minderheiten (Assyrer, Jesiden) vorging.
Die Gedenkstätte für die Opfer des Giftgasanschlags symbolisiert eine explodierende Bombe. Spärlich leuchten verschiedenfarbige Spots den Innenbereich des Monuments aus. Während in einigen Bereichen Dutzende Fotos an den Wänden hängen, die iranische Kriegsberichterstatter, die zufällig vor Ort waren, aufnahmen, wird in anderen das Grauen auf sehr eindrückliche Weise durch szenische Darstellungen dokumentiert. In einem düsteren, mit schwarzem Marmor eingefassten Raum stehen die Namen der Opfer in goldenen Lettern an der Wand.
Bevor wir Halabja verlassen, halten wir noch an einer Imbissbude. Damit die Leute während des Fastens nicht zum Essen verführt werden, hängt vor dem Eingang ein großes Tuch, das die Sicht in den Laden versperrt. Dahinter herrscht munteres Treiben. Wir reihen uns ein in die Schar der Hungrigen. Anschließend gehen wir noch in einem Café einen Tee trinken. Auch diese Lokalität ist gut besucht. Männer sitzen auf hufeisenförmig angeordneten Bänken, Zigarettenqualm wabert durch die Luft. Als wir uns dazu gesellen, nicken sie freundlich und laden uns ein.
„Habt ihr Lust, zur iranischen Grenze zu fahren?“, fragt Sarkan. „Wenn ihr Glück habt, könnt ihr mit einem Bein im Irak und mit dem anderen im Iran stehen.“ Die Grenze im Dorf Biyara ist nur wenige Kilometer entfernt. Als wir den letzten Checkpoint vor dem Ziel passieren, wendet sich der Soldat lachend mit einer Bitte an Sarkan: „Bring die beiden wieder mit.“
Biyara ist ein kleines Dorf, das idyllisch im Gebirge liegt. Die Häuser überragend leuchtet die hellblaue Kuppel der Moschee in der Sonne. Ihr Inneres hat jedoch den Charme eines Klassenzimmers in einer renovierungsbedürftigen Schule.
Den vielen Läden nach zu urteilen lebt der Ort vom Grenzverkehr. Eine Treppe führt in die Berge und endet an einem in Beton eingefassten Bächlein: der Grenzfluss. Nirgendwo gibt es einen Hinweis auf den Übergang von einem Land ins andere. Wir „überwinden“ die Grenze mit einem kleinen Schritt. Auf iranischer Seite kommt ein Mann den Bergpfad entlang, von Biyara erklimmen Frauen vollbepackt mit Waren die Treppe. „Das sind Iraner. Die Leute sind hier bekannt und können ungehindert die Grenze passieren“, erklärt Sarkan. „Aber wir müssen wieder gehen. Das Gebiet wird überwacht und jeden Moment kann ein Soldat kommen“, fügt er an.
Sulaimaniya: Stadt der Kultur
Unser nächstes Ziel ist Sulaimaniya. Die Stadt gilt als Heimat der kurdischen Kultur und des größten Basars in der Region Kurdistan. Da wir aber mittlerweile basarmüde sind, streifen wir ihn nur kurz und gehen erst am Abend auf einen der Street Food Märkte.
Straßenküchen und Imbissstände säumen den Gehweg. Die Auswahl an frischen und leckeren Speisen ist groß und wir essen, bis wir uns nicht mehr bewegen können. Auf den Abendtee wollen wir jedoch nicht verzichten. An einem mobilen Teestand gibt es die Möglichkeit, aus verschiedenen Zuckervariationen zu wählen. Wir probieren uns durch das Angebot und legen uns nacheinander Zuckerstückchen aus Sesam und Zimt auf die Zunge und lassen den Tee darüber laufen.
An einem Kiosk gibt es kurdischen Kaffee, ein koffeinfreies Getränk aus Pistazien, den wir auch noch probieren. Während wir den Kaffee schlürfen und das abendliche Gewusel beobachten, kommen drei Studentinnen an unseren Tisch. Sie wollen ein Interview über Gerechtigkeit führen und drücken uns ein Blatt mit den Hintergründen des Projektes in die Hand.
Nachdem die Umfrage beendet ist, tritt plötzlich ein Mädchen an den Tisch, lässt sich von Sarkan erklären, was auf dem Zettel steht, nickt, nimmt sich die Pistazienkerne von meinem Teller und geht. Wahrscheinlich war das ihre Interpretation von Gerechtigkeit.
Sulaimaniyas Amna Suraka
Amna Suraka (Rotes Gefängnis) ist das ehemalige Hauptquartier von Saddam Husseins Baath-Partei in Kurdistan. Das vormalige Foltergefängnis beherbergt ein beeindruckendes Museum über die Brutalität, mit der der Diktator im Rahmen der Anfal-Kampagne gegen die nicht arabische Bevölkerung vorging. In ihrem Verlauf zerstörte das irakische Militär kurdische Siedlungen und massakrierte Männer, Frauen und Kinder. Für jeden der 182.000 getöteten Kurden gibt es in der Spiegelhalle ein Mosaikteil, 4500 Lichter an der Decke symbolisieren die zerstörten kurdischen Dörfer. Skizzen und Bilder an den Wänden ehemaliger Zellen, Skulpturen und Fotografien der Gefangenen zeigen die Opfer und das Leben im Gefängnis.
Auf dem Weg nach Erbil
Sulaimaniya ist von mehreren Gebirgszügen umgeben. An einem Hang prangt der Schriftzug Slemani (Sulaimaniya). Raman hält, damit ich ihn fotografieren kann. Prompt stoppt ein Militärfahrzeug neben uns. „Das Fotografieren der Berge ist verboten. Wir haben dort Stützpunkte“, erklärt ein Soldat. „Macht von uns ein paar Fotos.“
„Ihr habt euch nicht verhört“, meint Sarkan, als er unsere verdutzten Gesichter sieht. Derweil rudern die Soldaten mit den Armen und wollen endlich aufs Bild. Wir lassen uns nicht lange bitten und fotografieren sie.
Nach dem Ausflug in die Berge mit dem viel gepriesenen Ausblick über die Stadt geht es zurück nach Erbil. Einige Sehenswürdigkeiten befinden sich an der Strecke und so legen wir eine Pause am Dukan-Stausee, der in die karge Landschaft des Zagros-Gebirges eingebettet ist ein und fahren über das Gebirge weiter in das Örtchen Koya.
Verlassen liegt das Dorf in der Mittagshitze. Auch die Türen der alles überragenden Festung sind verschlossen. Erst nach langem Klopfen öffnet ein verschlafener Wachmann und lässt uns mit mürrischem Blick ein. Als wir gehen, liegt der Posten längst wieder auf seiner Matte und schläft.
Zurück in Erbil nehmen wir uns den Wachmann als Vorbild und gehen nach der Ankunft im Hotel schlummern. Erst am frühen Abend machen wir uns auf den Weg zur Iskanstraße. Dort soll es wie in Sulaimaniya viele gute Lokale und Imbissstände geben.
Noch gleicht die City einer Geisterstadt. Die Straßen sind autofrei und menschenleer. Aber die Imbissbetreiber sind bereits für den Ansturm nach dem Gebet gerüstet; die Spieße sind gerichtet, der Salat geschnitten, die Holzkohle glüht auf dem Grill.
Hungrig eilen wir in die Iskanstraße und werden sehr enttäuscht. Es gibt zwar viele Lokale, aber mit wenig überzeugender Menükarte und die spärlichen Imbissstände kommen an das Angebot und die Qualität der Speisen von Sulaimaniya nicht heran.
Nachdem wir den größten Hunger gestillt haben, laufen wir zur Zitadelle. Auf dem unterhalb der Festung liegenden Shar Garden Square steppt der Bär. Eine Band hat eine kleine Bühne aufgebaut, um den Platz herum wird gebrutzelt und gekocht. Männer sitzen Wasserpfeife rauchend wie auf eine Perlenkette gefädelt vor den Teewagen.
Den Abendtee wollen wir im traditionellen Teehaus Mam Khalil im Qaysari-Basar, dem ältesten Markt von Erbil, trinken. Im Labyrinth der schmalen Marktgassen herrscht vor allem vor den unzähligen Läden für Stoffe und Kleidung, Honig, Joghurt und Käse dichtes Gedränge. Plötzlich endet das Gewusel. Golden glitzert es in den Auslagen der gut gesicherten Juwelierläden. Hierher verirrt sich nur, wer vor einer Hochzeit Schmuck für die Braut kauft.
Das Teehaus finden wir jedoch nicht. Wir fragen bei einem Händler nach dem Weg. Der springt sofort auf und bringt uns hin. Als wir ankommen, sind alle Plätze besetzt. Während wir überlegen, ob wir warten sollen, wird ein Tisch frei und wir kommen doch noch in den Genuss eines Tees in dem mit Bildern berühmter Kurden dekorierten Laden.
Klöster und Tempel
Am Morgen verlassen wir Erbil wieder. Die Landschaft ist karg und hügelig, Schafherden ziehen über den trockenen, steinigen Boden. Auf einem Berg steht eines der ältesten christlichen Klöster der Welt – Mar Mattai. Hierhin flüchteten die Christen aus den umliegenden Dörfern und aus Mossul vor der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS).
Ein Weg schlängelt sich die Felsen hinauf zum syrisch-orthodoxen Konvent. Das helle Backsteingebäude thront mächtig auf dem Berg Alfaf. Leise Musik erklingt in den Klostermauern. Mönche in schwarzen Kutten und mit einem weiß bestickten Tuch auf dem Kopf beten in der Kirche. Als wir diese betreten, blicken sie kurz auf, nicken zu uns herüber und beobachten uns während des Rundgangs aus den Augenwinkeln.
Lalisch: heiligste Stätte der Jesiden
„Heute feiern die Jesiden ihren Neujahrstag. Am Tempel wird es dichtes Gedränge geben“, stimmt uns Sarkan auf der Fahrt nach Lalisch ein. Der Lalisch-Tempel ist die heiligste Stätte der Jesiden. Sie glauben, dass dort die Arche Noah nach der großen Flut anlandete. Einige der wichtigsten Persönlichkeiten wie der Heilige Scheich Adi haben ihre letzte Ruhestätte in den geweihten Mauern.
Das jesidische Neujahrsfest, der „Rote Mittwoch“, wird am ersten Mittwoch im April eines jeden Jahres gefeiert. Kilometerweit vor dem Tempel stauen sich bereits die Fahrzeuge. Raman schafft es bis auf ein paar hundert Meter an das Heiligtum heranzufahren. Dann muss er endgültig aufgeben. „Die Schuhe dürfen im Tempel nicht getragen werden und müssen im Auto bleiben“, eröffnet uns Sarkan, als wir aussteigen.
Nur mit den Socken an den Füßen laufen wir im Strom festlich gekleideter Jesiden über den steinigen Weg. Hier und da legen Männer und Frauen spontan eine Tanzeinlage bei Musik aus dem Rekorder ein. Auf den Anhöhen, die den Tempel umgeben, sitzen Jung und Alt beim Picknick.
Innerhalb der Tempelmauern ist das Gedränge besonders groß. Auf dem Boden, auf Geländern und auf Dächern sitzen Gläubige. Auf Schritt und Tritt werden wir um Selfies gebeten. Im Gegenzug lassen sich die Männer zwar gerne ablichten, die Frauen aber eher nicht.
Bevor wir das Allerheiligste betreten, fragt ein Mann energisch nach dem Inhalt meines Rucksackes. Er vermutet, dass ich meine Schuhe darin habe, wird aber von Sarkan beruhigt. „Tretet nicht auf die Türschwellen“, fordert der Alte uns noch auf.
Das Allerheiligste besteht aus mehreren in den Felsen gehauenen dunklen Arealen, die untereinander durch eine niedrige Öffnung miteinander verbunden sind. Während in einem der Bereiche Frauen Tücher, die auf einem Sarg liegen, verknoten, versuchen im darauffolgenden Raum Männer mit geschlossenen Augen ein Tuch auf einen drei Meter hohen Felsvorsprung zu werfen.
Marc wird angesprochen, ob er für das kurdische Fernsehen ein Interview über die Koexistenz der Religionen und den Weltfrieden geben würde. Er wehrt ab, aber die Fernsehleute geben nicht auf und bekommen ihr Gespräch.
Durch die Menge der Selfiejäger drängen wir zum Ausgang. Raman konnte zwischenzeitlich mit dem Auto bis auf 300 Meter an den Tempel heranfahren. Das ist uns sehr recht, denn ein wenig schmerzen die Fußsohlen schon.
Mit rasantem Tempo geht es weiter zum Rabban-Hormizd-Kloster in der Nähe von Al-Qosch. Trotz der schnellen Fahrt schließt es jedoch direkt vor uns die Tore, sodass wir uns nur noch auf dem Außengelände umsehen können. Das an einem Berghang erbaute Kloster ist über 150 Stufen zu erreichen. Das etwas atemraubende Unterfangen wird mit einem herrlichen Blick über die Niniveh-Ebene und die zahlreichen Höhlen, in denen bis zu 600 Mönche lebten, belohnt.
Handelsstadt Dohuk
Unser Nachtquartier schlagen wir in Dohuk auf. Die Stadt liegt in einem breiten Tal, das reich an verschiedenen Früchten und Gemüsen ist. Einen Imbissstand, der nicht ausschließlich Kebab anbietet, entdecken wir jedoch nicht. Nach einiger Suche finden wir ein Lokal, in dem Hühnchen auf der Speisekarte steht und kehren ein.
Eine Gelegenheit zum Frühstücken gibt es wegen des Ramadans ebenfalls nicht, sodass wir zeitig weiterreisen. An einer langen, mit Graffitis bemalten Mauer hält Raman: „Die Bilder erzählen über die jahrzehntelangen Kämpfe der Peschmerga um kurdische Selbstbestimmung. Hinter der Begrenzung befindet sich ein Palast Saddams mit Privatsee, der jetzt von der Peschmerga genutzt wird.“ (Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan im Irak)
An der Ruine eines Gästehauses von Saddam Hussein halten wir. Das Gebäude wurde bis auf das letzte Kabel geplündert; wir klettern auf die Dachterrasse und haben einen sehr schönen Blick auf die Stadt Amedi.
Amedi ist ein 4000 Jahre alter Ort auf einem 1000 Meter langen und 550 Meter breiten Felsplateau. Muslime, Christen und Juden lebten in der Stadt jahrhundertelang zusammen. Von der alten Geschichte übrig geblieben ist außer der Stadtmauer und einem Stadttor nur das Minarett der Amadiya-Moschee.
Nach der Besichtigung von Moschee und Stadtmauer reisen wir dem Fluss Zab folgend weiter. In den Dörfern am Flussufer stehen niedrige Häuser mit blauen Planen auf den Flachdächern, die Berge sind grün, das Wasser des Zab schlammig-grau.
„Ihr wandert doch gern“, Raman hält auf einem Parkplatz am Zoragvan-Tal. Wir sind etwas überrumpelt, denken aber an einen Spaziergang am Wasser entlang und machen uns keine Gedanken über fehlende Getränke und unpassendes Schuhwerk.
In kleinen Kaskaden sprudelt der Fluss durch sein Bett, uralte Bäume stehen am Ufer und spenden viel Schatten. Ein Hund gesellt sich zu uns, später noch ein älterer Mann. Die Landschaft ist wunderschön, aber wir werden mit der Zeit immer durstiger und wollen umkehren.
Unser Begleiter zeigt auf eine kleine Quelle: „Davon könnt ihr trinken.“ Wir verzichten. Zu viel Müll liegt im Fluss und am Ufer. „Der Dreck stammt von den Russen. Kurden hinterlassen keinen Müll“, klärt uns der alte Mann auf. Wir fragen uns trotzdem, wer außer den Bewohnern hier Kühlschränke ins Wasser legt und Picknick-Abfall zuhauf hinterlässt.
Obwohl es schon Nachmittag ist und er einen Umweg fahren muss, düst Raman noch zur Shanidar-Höhle, die am Großen Zab liegt. Der Schlenker ist nötig, da es in der Zab-Region Stellungen der als Terrororganisation gelisteten PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) gibt, die seit Kurzem im Einvernehmen mit Präsident Barzani Ziel türkischer Luftangriffe sind.
An der Höhle sind wir die einzigen Besucher. Bekannt wurde sie, als Skelettteile von Neandertalern bei Ausgrabungen gefunden wurden. Etwas müde erklimmen wir die Stufen zur Grotte. Gelb leuchtet der Raps im satten Grün vor dem Höhleneingang. Rußgeschwärzt von unzähligen Feuern ist dagegen das Gewölbe des acht Meter hohen Innenraums.
Der Tag endet in Soran. Das Fastenbrechen ist längst vorbei, einige Restaurants sind bereits geschlossen und die Essensauswahl in den wenigen geöffneten Lokalen ist sehr dürftig. Wir haben nur noch die Wahl zwischen Reis mit gekochtem Hammelfleisch und ein paar Gurken und Tomaten. Wir belassen es bei etwas Gemüse und gehen hungrig ins Bett.
Rawanduz-Tal: der Grand Canyon Kurdistans
Nur fünf Kilometer von Soran entfernt liegt das Rawanduz-Tal, die tiefste Schlucht im Nahen Osten. Am Eingang zum Canyon stehen vier kleine Häuser, die an die Felswand geklebt scheinen. Hühner rennen herum. Jedes Fleckchen Erde ist mit Mist bedeckt. Auf dem Weg zum Wanderpfad am Fluss versuchen wir den größten Dreckhaufen auszuweichen.
Am Ufer angekommen, müssen wir auch gleich die Flussseite wechseln. Während die Männer von Stein zu Stein hüpfen, wate ich durch das angenehm temperierte Wasser.
Majestätisch und schroff erheben sich die Felsen über uns. Wasser rauscht einen steilen Hang hinab in die Tiefe. Als wir uns nähern, fängt es an, übel zu riechen. „Das ist kein natürlicher Wasserfall“, meint Sarkan. „Das ist das Abwasser aus dem Dorf, das an der Bergkante steht.“
Mir vergeht vorerst das Durchwaten des Flusses. Zum Glück laufen wir jedoch gegen die Fließrichtung und lassen die braune Brühe hinter uns. Das Wasser ist wieder klar, ab und an liegen ungiftige Schlangen im Nass.
Aber nicht nur das Abwasser schadet der Idylle, der feste Müll wird ebenfalls ins Tal gekippt und hängt an den Felsvorsprüngen und liegt verstreut in der Natur. Dazwischen blüht rot der Klatschmohn im grünen Gras.
Plötzlich ertönt ein lauter, harter Knall. „Das war eine Bombe. Der Einschlag war ungefähr 10 bis 15 Kilometer entfernt in den Kandil-Bergen. Dort hat die PKK ihr Hauptquartier“, lächelt Sarkan uns an. Unbeirrt laufen wir weiter, bis wir am Ende des Tales auf eine Straße stoßen. Still liegt sie in der Mittagshitze.
Das Auto steht weit weg und zurücklaufen möchten wir nicht mehr. Als wir uns noch fragen, wie lange wir wohl auf eine Mitfahrgelegenheit warten müssen, hält bereits ein Pick-up. Wir klettern zu den Zementsäcken auf die Ladefläche und lassen uns den angenehm kühlenden Fahrtwind um die Ohren wehen. Immerhin kommen wir so bis ins nächste Dorf. Von dort geht es nach einem kurzen Abstecher zur anderen Talhälfte mit dem Taxi zu unserem Auto zurück.
Auf der legendären Hamilton Road, die den Irak mit dem Iran verbindet, fahren wir in den Rawanduz-Canyon hinein bis zum Gali Ali Beg-Wasserfall. Er ist ein beliebtes Ausflugsziel und hat es wegen seiner Schönheit bis auf den 5000-Dirham-Schein geschafft. Wir finden ihn und den im Becken schwimmenden Müll dagegen nicht so bemerkenswert.
In unseren Augen eindrucksvoller ist der Bekhal-Wasserfall. Imposant stürzt er breit und über mehrere Kaskaden in die Tiefe. Allerdings wurden wegen der Lage Hotels und Restaurants dicht um ihn herum gebaut und schmälern dadurch den Eindruck.
Ausflug in die Gebirgswelt
Bevor wir nach Erbil zurückkehren, fährt Raman noch ins Zagros-Gebirge. Er hat von der für ihn ungewohnt langen Wanderung durch das Rawanduz-Tal die Nase voll und quält das Auto auf der zerfurchten Schotterpiste bis an ihr Ende. Von dort sind es nur wenige Schritte zum Gomi Felaw. Der Bergsee liegt in einer Senke, schneebedeckte Gipfel spiegeln sich im blauen Wasser, steil geht ein Weg einen Hang hinauf. Während Raman und Sarkan lieber am Seeufer bleiben, klettern wir in die Höhe und genießen die wunderschöne Landschaft.
Nach dem Ausflug wähnen wir uns auf dem direkten Weg nach Erbil. Plötzlich biegt Raman wieder auf eine schmale Geröllpiste ab und kurvt in die Berge. Erst ein breiter Bach stoppt ihn. Wir stolpern ein wenig durch die Landschaft und entdecken zwei Schildkröten, die gut getarnt unter einem Busch liegen. Warum wir den Abstecher hierher gefahren sind, erschließt sich uns jedoch nicht.
Zu unserem Erstaunen fährt Raman mit dem nicht geländegängigen Auto über Schlamm und Geröll noch tiefer in die Berge: „Ich will wissen, was hinter den Kurven kommt.“ Irgendwann ist der Morast jedoch so tief, dass er aufgibt. Wir stehen inmitten der kargen Gebirgswelt. Auf einer satt-grünen Wiese leuchten hell die orangefarbenen Blüten einer endemischen Pflanze. Während Raman das Auto wendet, genießen wir bei einem kurzen Spaziergang die idyllische Landschaft.
Überzeugt davon, dass es jetzt nach Erbil geht, steigen wir wieder ein. Wieder biegt Raman von der Hauptstraße ab und folgt der Piste in das Gebirge. Oberhalb der Rawanduz-Schlucht parkt er in einem Ferienressort. „Es gibt hier einen versteckten Aussichtspunkt auf den Bekhan-Wasserfall und das Rawanduz-Tal“, locken unsere Begleiter. Um dorthin zu gelangen, müssen wir einen kleinen Zaun überwinden und an einer Art Achterbahn vorbeilaufen, die auch gleich unser Interesse weckt. „Können wir mit der Bahn fahren?“, fragen wir Sarkan.
Er macht sich auf die Suche nach dem Betreiber. „Die Anlage steht still, aber für 10 USD wird sie nur für euch gestartet“, kommt er freudestrahlend zurück. Den Preis zahlen wir gerne und steigen ein. Gemütlich rumpelt der Wagen über die staubigen Schienen. Nach ein paar Kurven „schwebt“ er klappernd über dem Abgrund des Tales und ich frage mich, ob die Bahn jemals gewartet wurde. Aber alles geht gut und jetzt fahren wir auch ohne Stopp nach Erbil weiter.
Der letzte Tag in Erbil
Der Flieger nach Deutschland geht erst am Nachmittag und wir nutzen den Tag noch für den Besuch der Zitadelle. Die Festungsmauern umspannen eine historische Siedlung. Bis zum Jahr 2006 standen noch 600 Häuser auf dem Gelände. Heute verbergen sich hinter den imposanten Mauern Läden und Museen, während an der alten Moschee Restaurierungsarbeiten stattfinden. Mit dem beeindruckenden Blick vom Festungshügel auf die Stadt beenden wir die Reise „Durchs wilde Kurdistan“.