Bangladeschreise: Allein sein zu müssen, ist schwer – allein sein zu können, ist schön.
(Rabindranath Tagore, Philosoph aus Bangladesch)
Reisejahr 2015
Indien – Dhaka – Fahrt mit dem Raddampfer – Kuakata – Khulna – Faridpur – Dhaka
Drängelnd und schubsend stürmen die Leute zur Grenze. In einer großen Halle werden Deschis und andere Nationen getrennt abgefertigt. Am Schalter für Ausländer stehen nur wenige Leute. Als mich der Beamte nach vorne winkt, machen sie ohne zu murren Platz.
An der Echtheit von Pass und Visum zweifelnd, wenden die Beamten das Dokument hin und her. Nach einigem Zögern bekomme ich jedoch noch den Einreisestempel.
Alle sitzen wieder im Zug und die Fahrt geht weiter. Über Lautsprecher bedankt sich eine Frauenstimme für Ruhe und Gelassenheit, dann erklingt entspannende Musik. Im selben Moment wird es laut. Alle reden durcheinander, Wasserflaschen, Verpackungen und weiterer Müll fliegen aus den Fenstern: Willkommen in Bangladesch.
Mit einer Stunde Verspätung, was für bengalische Verhältnisse überpünktlich ist, erreicht der Zug nach 13 Stunden Fahrt Dhaka. Holger erwartet mich am Bahnhof. Wir gehen noch etwas essen, erobern anschließend die Dachterrasse des Wohnhauses und sehen den startenden und landenden Flugzeugen zu.
Mit dem Raddampfer nach Hularhat
Am Nachmittag des nächsten Tages machen wir uns auf den Weg zum Hafen, um mit dem Rocket „Tern“ nach Hularhat zu fahren. Die Rocketflotte (vier Schiffe) sind Raddampfer, die zwischen 1912 und 1938 gebaut wurden und die ihren Namen ihrer Form und der Geschwindigkeit wegen, die zumindest in der Vergangenheit nichts Vergleichbares kannte, erhielten.
Wir haben 1. Klasse Tickets mit einer Klimaanlage in der Kabine. Dieser Komfort und die Antriebsart sind die einzigen Veränderungen seit dem Bau des Schiffes: Das Schaufelrad wird nicht mehr mit Dampf angetrieben. Ein Dieselmotor in Form, Größe und Lautstärke einer Lokomotive hat die Aufgabe übernommen. Das Ruder wird aber nach wie vor von Ketten gezogen und auch die Einrichtung ist im originalen Zustand. Mitten im Motorenlärm liegen Passagiere dicht gedrängt auf dem Holzboden im untersten Deck.
Tiefste Dunkelheit umgibt uns. Die Schiffe sind zwar mit einem Scheinwerfer ausgestattet, der aber nur sporadisch genutzt wird. Etwas unheimlich ist es schon. Schließlich verlassen alle Schiffe ihre Häfen abends. Nur die Windlichter an den Netzen der Fischer leuchten in der Dunkelheit.
Gegen 23 Uhr legt das Schiff in Chandpur an. Die Bretter, die die Gangway werden sollen, sind noch nicht richtig gelegt, da drängeln die ersten bereits auf das Boot. Die sehr gedämpfte Beleuchtung im Hafen gibt der Umgebung eine mittelalterliche Nuance.
Am Morgen ist das Wasser nicht mehr die schwarze, faulig riechende Brühe von Dhaka. Am Ufer stehen kleine Dörfer, Fischerboote kreuzen unser Fahrwasser. Früher als erwartet erreichen wir Hularhat. Ein Auto erwartet uns bereits und bringt uns via vier Fährpassagen nach Kuakata.
Kuakata an der Bengalischen Bucht
Kuakata liegt an der Bengalischen Bucht und soll zu einem zweiten Cox’s Bazar (Touristenbadeort) ausgebaut werden. Der Bau einer Schnellstraße ist schon weit fortgeschritten, die Brücken über die Flüsse sind fast fertig gestellt.
Wir genießen noch das Kuakata mit seinen 1,50 Meter hohen Fischerhütten, die inmitten der Dünen stehen, die im Hafen liegenden Fischerkähne, die mit ihrem Aufbau an Piratenboote erinnern, und nehmen ein Bad im badewannenwarmen Meer an einem menschenleeren Strand.
Das Strandleben spielt sich ein paar Hundert Meter weiter ab. Dort trifft man sich am Abend. Autos und Mopeds kurven durch den Sand. Während Holger und Al-Amin etwas essen, laufe ich ein Stück am Wasser entlang. Sofort habe ich einen Typen an meiner Seite, der eine Freundin sucht und mir mehrfach versichert, dass er ein ausgezeichneter Liebhaber sei. Ich ziehe es vor, zu Holger und Al-Amin zurückzukehren. Gemeinsam laufen wir dem Sonnenuntergang entgegen und beenden den Tag auf der Hotelterrasse mit Blick aufs Meer.
Um 6 Uhr in der Früh treffen wir uns auf der Terrasse wieder, trinken einen Tee, dann stehen auch schon die georderten Mopeds bereit.
Wir brausen über den menschenleeren kilomterlangen Strand. Nur ein paar Fischer sitzen vor bunten Schüsseln und sortieren Fischbabys zum Verkauf an Fischfarmen aus, andere ziehen in Ufernähe ihre blauen Netze durch das Wasser, rote Krabben flitzen über den hellen Sand.
Eine Wasserader versperrt den Weg. Mit einem der Fischerboote werden die Mopeds und wir übergesetzt. Weiter geht die Fahrt vorbei an Feldern und einer von einem dicken Pflanzenteppich überzogenen Pagode.
Zum Frühstücken halten wir in einem Dorf, in dem die Häuser nicht im landestypischen Stil gebaut sind. Sie haben zwei Etagen mit Balkon, teilweise sind sie aus Holz und mit Schnitzereien verziert.
Bei der Brücke über den Fluss ist der Kommune wohl das Geld ausgegangen, ohne Ab- und Aufgang überspannt sie den Wasserweg. Zusammengenagelte Bretter, die steil an der Brücke lehnen, ersetzen die fehlenden Treppen.
Für den Rückweg nutzen wir die Straße. An einem Fluss liegen mittelalterlich wirkende Fischerboote; Fisch trocknet am Ufer; von einem Kleinlaster wird Eis zum Kühlen des Fanges herunter geschippt.
An einer Baustelle mit „Reihenhäusern“ aus Wellblech, die auf Pfählen stehen, halten wir an. Die Wohnanlage ist ein Projekt für Rohingya, eine vom Staat Myanmar verfolgte muslimische Volksgruppe.
Weiter düsen wir über die Dörfer zum Meer. An einer Garküche am Strand, in der Fischer den Tagesfang zubereiten, wählen wir unter verschiedenen Fischen zwei aus, lassen sie zubereiten und genießen ein herrliches Abendessen.
Khulna, die Industriestadt
Der Bus, in den wir am nächsten Tag steigen, erinnert ein wenig an Omas gute Stube. An der Frontscheibe hängen rote Gardinen mit Quasten, der Motorblock ist mit weichem Stoff im Fischmusterdesign bedeckt. Nur die Sitzreihen sind sehr eng. Holger kauft für jeden von uns zwei Plätze in der ersten Reihe. So haben wir ausreichend Beinfreiheit.
In Barisal steigen wir um. Der Bus ist weit weniger komfortabel, die Deckenventilatoren arbeiten nur, solange er fährt. An einer Fährpassage müssen wir längere Zeit warten. Sofort wird es unerträglich heiß und wir flüchten in den Schatten eines Baumes.
In Khulna springen wir dann auch als erstes in den Hotelpool und durchstreifen nur noch kurz die Stadt.
Die letzten Otterfischer
Wir steigen auf ein Auto als Transportmittel um. Ziel ist ein Dorf in Faridpur und ein Besuch bei Otterfischern. Beide Orte sind nur sehr schwer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
Die Fischer erwarten uns bereits auf einem Boot, rudern ein Stück weit auf den Fluss hinaus und lassen die Otter aus ihren Holzkäfigen ins Wasser. Angeleint treiben sie nach einer kurzen Spielphase kleine Fische in das Netz, welches immer wieder aus dem Wasser gezogen und abgesammelt wird. Die großen Fische haben sie bereits am frühen Morgen gejagt und so wird der Fang zu ihrer großen Freude an sie verfüttert.
Dorfleben in Faridpur
Auf dem Weg zum Homestay kaufen wir noch Obst und ein lebendes Huhn zum Abendessen. An einer Ziegelei, aus deren Schornstein trotz Regenzeit Dampf quillt, halten wir und besichtigen sie. In der Monsunzeit wird die Arbeit normalerweise eingestellt. Aber die Brennkammer ist gut gefüllt. Freudig erklärt uns der Vorarbeiter die Arbeitsabläufe.
In Faridpur werden wir von unseren Gastgebern mit Mango, Litschis und Bananen empfangen. Das massiv gebaute Haus besteht aus einer Dreizimmerflucht. Zum Schlafen bekomme ich den hintersten der Räume.
Da ich gesundheitlich etwas ramponiert bin, lege ich mich beizeiten hin. Für die Nacht versuche ich, mein Shirt gegen ein dünnes Hemd zu tauschen. Der vierte Versuch glückt. Bis dahin ist immer wieder jemand aus der Familie im Zimmer, der an den Kühlschrank geht, einen Teller holt …
Als ich morgens aufwache, stehen die Frauen neben meinem Bett, kämmen ihre Haare und cremen sich ein. Im ersten Moment bin ich perplex. Dabei leben sie ihren ganz normalen Alltag und ich freue mich, mittendrin zu sein.
Das Dorf liegt inmitten von Bambuswäldern. Im Schatten sind die Temperaturen gut auszuhalten, in der Sonne wird es sofort unerträglich heiß. Die Gastfreundschaft ist enorm. Einladung folgt auf Einladung. Kaum lassen wir uns bei einer Familie nieder, ist augenblicklich jemand zur Stelle und wedelt mit einem runden Fächer gegen die Hitze an.
Zurück nach Dhaka
Mit meinem Wohlbefinden geht es stetig bergab. Nachmittags steht fest, dass wir zurück nach Dhaka fahren müssen. Eine Motorrikscha bringt uns nach Faridpur. Am Busbahnhof erfahren wir, dass die Gewerkschaft der Überlandbusfahrer zum Streik aufgerufen hat: Eine Busbesatzung soll überfallen worden sein, die Polizei verdächtigt sie jedoch, gemeinsame Sache mit den Tätern gemacht zu haben und hat die Fahrer vorerst in Gewahrsam genommen.
Die ebenfalls übers Land fahrenden klapprigen lokalen Busse sind davon nicht betroffen. Die auf dem Weg befindliche Fährpassage über den Padma verläuft ohne jegliche Wartezeit und am späten Abend ist Dhaka erreicht.
Die letzten zwei Tage verlasse ich die Wohnung nicht mehr. Holger versorgt mich ausgezeichnet, und am Abflugtag bin ich wieder fit.