Es hat sich gelohnt zu leben, wenn man ein Haus gebaut, einen Sohn groß gezogen, einen Baum gepflanzt und einen Brunnen gegraben hat.
(Sprichwort aus Moldawien)
Reisejahr 2009
Rumänien – Chisinau – Milesti Mici – Trebujeni – Chisinau
Der Zug von Bukarest nach Chisinau ist schon arg in die Jahre gekommen. Am Fenster hängen verblichene Gardinen; im Gang liegt ein ehemals roter, muffig riechender Läufer; die Männer, die in den Zug einsteigen, tragen meist nur Badehose oder Shorts.
Dennoch verbringen wir eine angenehme Fahrt und kommen ausgeschlafen am nächsten Morgen in Chisinau an. Während wir uns noch orientieren, spricht uns ein Student an: „Wo wollt ihr hin? Ich helfe euch sehr gerne. Ich bin froh, wenn ich meine Englischkenntnisse ausprobieren kann.“
Chisinau: viel Grün und Kultur
Nachdem wir nur das Gepäck in der Unterkunft abgelegt haben, starten wir zu einem Stadtbummel. Unser Quartier liegt jedoch dezentral und einen Stadtplan besitzen wir nicht. Also setzen wir uns in einen Bus, der in Richtung Zentrum fährt. Nachdem wir umgerechnet 2 Cent Fahrgeld bezahlt haben, bekommen wir von der Busbegleiterin alles Sehenswerte, das am Fenster vorbeizieht, erklärt.
In der City gibt es nur wenige repräsentative Gebäude, dafür viele Kultureinrichtungen und noch mehr Grün. Große Bäume säumen die Straßen, die vielen Parkanlagen sind gepflegt. Auf den Gehwegen handeln Bauern mit ihren Produkten, Künstler stellen ihre Werke aus, Taxifahrer liegen schlafend in ihren Autos.
Milesti Mici: Im unterirdischen Labyrinth der Weinstadt
Moldawien ist durch einen regen Busverkehr gut erschlossen. Eine Verbindung zum 20 Kilometer von Chisinau entfernten Weingut Milesti Mici gibt es jedoch nicht. Noch während wir darüber nachdenken, ein Auto zu mieten, bietet ein Mitarbeiter vom Hostel seine Hilfe und sein Auto an.
Bei unserer Ankunft am Weinkeller sprudelt Wasser aus Weinflaschen in rot und hell gefärbte Gläser. Zwischen dem Rotwein- und dem Weißweinbrunnen liegt ein sechs Tonnen schweres, mit Cabernet gefülltes Eichenfass. Eine Straße führt 60 Meter tief in das Labyrinth der Weinstadt Milesti Mici. Die Straßen haben eine Gesamtlänge von 200 Kilometern, von denen 55 Kilometer genutzt werden können. Der Rest ist vom Klima her ungeeignet oder hat Pilzbefall.
Das Elektroauto, das Besucher in die unterirdische Stadt bringt, ist nicht fahrbereit. Enttäuschung. Worte gehen hin und her, bis der Fahrer, der uns hergebracht hat, sein eigenes Auto nutzen darf. Durch einen großen Tunnel fahren wir in das ehemalige Kalkbergwerk. Schnell wird es kühl: Im Berg liegt die Temperatur bei 12 bis 14 Grad Celsius.
Nach einer langen Kurve taucht die im Dämmerlicht liegende Stadt auf. Die Straßen sind schwach beleuchtet. Sie tragen Namen bekannter Weine wie Cabernet, Malbec, Merlot, Thurgau, Muskat, Pinot Gris. Rechts und links stehen riesige Holzfässer aus dunkler moldawischer Eiche.
Von der Straße Cabernet biegen wir ab auf den Boulevard Merlot und halten an einem Felsen, über den glasklares Wasser strömt. Der kleine Wasserfall kühlt die Umgebung so stark, dass ich zu frieren beginne. Über Straßen mit Namen wie Chardonnay, Aligote und Feteasca geht es tiefer in das Labyrinth. An einem Parkplatz wird das Auto abgestellt. Ab hier geht es zu Fuß weiter.
Das Licht ist schummrig. Die Geister alter Zeiten füllen die Sträßchen, die sich in den dunklen Weiten des Labyrinths verlieren. Von den Straßen zweigen Gassen ab, namenlos, jedoch voller „Häuser“ mit Wein. In jedem Haus lagern ca. 1000 Flaschen zu Stückpreisen von 100 bis 300 US-Dollar. Insgesamt sind es 1,5 Millionen, mit einer dicken Staubschicht bedeckte Behältnisse.
Rund um einen Platz gruppieren sich mehrere Häuser. Darin liegen Flaschen, die regelmäßig von Hand gerüttelt und dabei um 45 Grad gedreht werden. Später soll aus ihnen ein nach der Méthode champenoise hergesteller Schaumwein fließen.
Der Weg durch die Stadt macht durstig. In einem Probierraum, in dem sich das handwerkliche Geschick von Schnitzern und Schlossern widerspiegelt, warten Weinproben. Vergnügt verlassen wir nach ein paar Verkostungen die unterirdische Stadt und ihren Zauber.
Trebujeni: Wiege der moldauischen Zivilisation
Unweit von Chisinau kann man die Wiege der moldauischen Zivilisation entdecken. Erst einmal heißt es jedoch, den Busbahnhof zu finden. An der nächstgelegenen Haltestelle quetschen wir uns mit den Rucksäcken und sehr zur Freude des Fahrers in einen überfüllten Minibus, der zum zentralen Busbahnhof fährt.
Dort steht das Auto, das uns nach Trebujeni bringen soll, schon bereit. 75 Minuten später steigen wir in einem idyllischen moldawischen Dorf aus. Im Schatten großer Bäume stehen gepflegte Bauernhäuser; in einem tief im Garten liegenden Haus werden wir sehr herzlich mit selbst gemachtem Landwein empfangen.
In der Abenddämmerung unternehmen wir noch einen Spaziergang am Fluss entlang und durch das Dorf. Da es keine Wasserversorgung gibt, stehen unzählige Brunnen im Ort. Eine Ausnahme bilden Pensionen, die zum Teil über fließend Wasser verfügen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück wandern wir mehrere Stunden den Fluss Raut entlang. In den Hügeln am Fluss gibt es viele geräumige Höhlen, die heute gerne als Liebesnester genutzt werden. In einem Höhlenkloster laden uns Mönche zu Kartoffelpuffer und Wasser ein. Die Verständigung mit Händen und Füßen geht sehr gut und so bekommen wir einen Einblick in ihr Leben.
Kaum haben wir bei der Rückkehr die Terrasse unseres Feriendomizils betreten, steht das Essen auf dem Tisch. „Ihr müsst sehr hungrig sein“, meint unsere Gastgeberin. Bewegungsunfähig fallen wir nach dem köstlichen Mahl auf das Bett, halten es jedoch nicht lange dort aus. Ein kurzer Spaziergang bringt dem vollen Bauch doch mehr Linderung und das Auenhaus, ein Lehmhaus aus dem Mittelalter, ist nicht weit. Leider kann es gerade nicht besichtigt werden und so kehren wir wieder um.
Gehaltvoll geht es zum Frühstück weiter. Wenn das Essen nur nicht so gut wäre und zur Völlerei verleiten würde. Uns fällt es mit jedem Tag schwerer, nach den opulenten Mahlzeiten wandern zu gehen. Allerdings locken uns die in der Sonne leuchtenden blauen Zwiebeltürme eines benachbarten Klosters.
Den Abend verbringen wir am Flussufer, sehen den Frauen beim Wäschewaschen zu, lauschen einem Volkslieder singendem Mädchenchor und lassen die Seele baumeln.
Umgebung von Chisinau: Kloster Hincu
60 Kilometer von Chisinau entfernt steht das Kloster Hincu. Eine direkte Busverbindung dorthin gibt es nicht. Ein Minibus setzt uns an einer Kreuzung ab; die restlichen zwei Kilometer zum Kloster wandern wir.
Das Kloster ist ein Nationalheiligtum und bei Brautpaaren sehr beliebt. Obwohl die Trauungen im fliegenden Wechsel stattfinden, können wir es besichtigen. Neben dem Gotteshaus stehen die Glocken und der Rohbau einer orthodoxen Kirche.
Zurück nach Chisinau wollen wir per Anhalter fahren. Das ist in Moldawien kein Problem. Da jedoch Sonntag ist, sind alle Autos mit Familien besetzt. Völlig unverhofft kommt doch noch ein Minibus, der bis zum Zentralmarkt fährt, und wir können einsteigen.
Auf dem Markt herrscht hektisches Treiben. Käse aus Holland und der Ukraine, Süßes aus Russland, Fleisch, Milch und Sauerrahm von Bauern aus den umliegenden Dörfern werden zum Verkauf angeboten. Wir decken uns ein letztes Mal mit frischen Leckereien ein und lassen den Tag und den Urlaub auf der Dachterrasse des Hostels ausklingen.