Hundert Wege – Tausend Irrwege.
(Sprichwort aus Vietnam)
Reisejahr 2007
Ho-Chi-Minh-Stadt– Mekongdelta – Dalat – Na Thrang – Palmeninsel – Na Thrang – Hoi An – Hué – Hanoi – Halong-Bucht – Hanoi – Sapa – Dien-Bien-Phu – Son La – Mai Chau – Hanoi
Monsunregen durchdringt das löchrige Dach des Flughafengebäudes von Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) und bildet große Pfützen auf dem Boden. Nach einem Wasserlachen-Slalom und der Klärung einiger Unstimmigkeiten an der Passkontrolle betreten wir die Ankunftshalle. Dort warten Flughafenmitarbeiter auf Hilfe suchende Fluggäste, Hotelangestellte halten Namensschilder hoch, Taxifahrer blicken sich nach Fahrgästen um.
Unsere Verabredung ist nicht unter den Wartenden. Ein Mann in der Uniform der Flughafenmitarbeiter bietet höflich seine Hilfe an. Uns ist die Freundlichkeit unangenehm und wir winken ab.
Eine halbe Stunde später beschließen wir, Geld zu tauschen und mit dem Taxi zu fahren. Als ich in Richtung Geldautomat gehe, ist der Mitarbeiter sofort zur Stelle. „Der ATM ist defekt. Dong sind nur in der Wechselstube zu erhalten“, erzählt er und lotst mich zu einem Geldwechsler.
Kaum habe ich den Laden verlassen, fängt der Typ an zu drängeln: „Schnell schnell, es sind nur noch sehr wenige Taxifahrer da.“ Tatsächlich ist die Halle mittlerweile menschenleer.
„Nehmt das Taxi hier“, der Typ zeigt auf ein schwarzes Auto. Wir sehen genauer hin: Das Taxischild ist auf dem Dach montiert, am Armaturenbrett sind gut sichtbar Foto und Lizenznummer des Fahrers angebracht. Beruhigt legen wir die Rucksäcke in den Kofferraum.
Das Auto rollt los. Plötzlich wird die Beifahrertür aufgerissen und der Mitarbeiter springt auf den Sitz. Im aggressiven Ton gibt er dem Fahrer eine kurze Anweisung.
Statt Lichter einer Großstadt umgibt uns tiefste Dunkelheit. Stille. Abrupt stoppt der Wagen.
Der Mitarbeiter dreht sich um – „Money!“
Wir zucken mit den Schultern.
„Money, oder“ – er macht eine kurze Handbewegung am Hals entlang.
Wir kramen nach unseren Geldbörsen. Drei 10-Dollarnoten wechseln ihren Besitzer.
„Money!“
Zwei 5-Dollarscheine wandern nach vorne.
„Money!“
Die Geldbeutel sind leer. Wütend springt der Typ aus dem Auto und verschwindet in der Dunkelheit. Der Taxifahrer bringt uns nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Den Umweg, den er gefahren ist, möchte er bezahlt haben. Wortlos zeige ich auf seine Lizenznummer. Er versteht die Geste und fährt.
Am nächsten Morgen sind wir wieder fit. Ein Boot bringt uns zu den 60 Kilometer von Saigon entfernten Cu-Chi-Tunneln: In dem Tunnelsystem versteckten sich vietnamesische Partisanen während des Vietnamkrieges (1960-1975). Auf drei Ebenen befinden sich Wohnräume, Waffenlager, Krankenhäuser und Kommandozentralen. 80 Zentimeter hohe und 60 Zentimeter breite Tunnel verbinden die einzelnen Bereiche. Mit Laub getarnte Klapptüren dienen als Eingänge. Einige Öffnungen sind durch Fallen, wie Bambusspieße, gesichert. Auf allen vieren kriechen wir durch ein Teilstück eines Tunnels, das extra für Touristen auf 1,20 Meter Höhe und 0,80 Meter Breite vergrößert wurde.
Mit Boot, Fahrrad und zu Fuß durch das Mekongdelta
Wir verlassen vorerst die quirlige Stadt in Richtung Mekongdelta, besteigen dort ein Boot und lassen uns den Fluss hinabfahren.
Am dicht bebauten Ufer stehen einfache Häuser neben Villen, dazwischen liegen Reste von Hütten, die der Regen weggerissen hat. Vor allem mit Obst und Gemüse beladene Holzboote liegen dicht beieinander im schlammigen Wasser: ein schwimmender Markt. Dazwischen kreuzen kleine Fährboote, die Käufer zu den Händlern und wieder zurück an Land bringen. Bei einem Ananasverkäufer legen wir an und erwerben eine Ananas, die er sofort mit schnellen Buschmesserschnitten mundgerecht zerlegt.
Vom größeren motorgetriebenen Boot steigen wir für eine Tour durch kleine Kanäle in ein Ruderboot um. An einem Steg legen wir an, steigen auf typisch vietnamesische Fahrräder und radeln auf gut ausgebauten Wegen durch riesige Papayaplantagen.
Vom Fahrrad wechseln wir wieder auf ein kleines Motorboot, mit dem wir bis zum späten Nachmittag das Delta durchqueren und besichtigen eine Süßwarenmanufaktur, in der wir uns Kaffee und Süßes aus Reis schmecken lassen. In einem weiteren Dorf gehen wir von Bord, um in einem kleinen Hotel zu übernachten.
Mit dem Boot und zu Fuß durchqueren wir am folgenden Tag weiter das Delta. Bei einer Wanderung an einem Kanal entlang kommen wir an einer Farm vorbei, auf der man sein Essen selber fischt oder fängt und es sich von der Hausherrin anschließend zubereiten lässt. Da wir nicht so fit sind im Fischen und Hühner fangen, entscheiden wir uns für ein Abendbrot im Hotel in Ho-Chi-Minh-Stadt.
Dalat im zentralen Bergland
Ein Linienbus bringt uns am nächsten Tag nach Dalat im zentralen Bergland. Der etwas klapprige Bus quält sich langsam die Berge hoch und fährt sie rasant herunter. Trotz der zügigen Talfahrten braucht er bis zur Ankunft statt der geplanten fünf Stunden sieben Stunden. Dadurch erreichen wir Dalat erst am späten Nachmittag. So bleibt nur noch Zeit für einen kurzen Spaziergang am See.
Nach dem Frühstück haben wir noch nicht entschieden, was wir unternehmen wollen. Ein Schritt aus dem Hotel reicht jedoch und schon sitzen wir auf Mopeds. „Wo wollt ihr hin?“, fragen die Fahrer. Wir zucken mit den Schultern. „Gut, dann fahren wir einfach los und zeigen euch alles Sehenswerte.“
Bis zum Nachmittag sind wir unterwegs, fahren zum Sommerpalast des letzten vietnamesischen Kaisers, besichtigen das „Verrückte Haus“, atmen tief durch an den Wasserfällen in den Bergen, bummeln über eine Plantage, auf der alles angebaut wird, was in Vietnam auf den Tisch kommt und durchqueren den großen Blumengarten, in dem nicht eine Blüte zu sehen ist.
Mit dem Bus aus dem Gebirge ans Meer
Vom Bergland reisen wir weiter nach Na Thrang am Meer. An der Bushaltestelle in Dalat herrscht großes Gedränge. Wer nicht mit dem Bus mitfahren kann, muss sein Glück am nächsten Tag erneut versuchen. Wir sind dank eines Tipps rechtzeitig losgegangen und können einsteigen.
Die Straße durch das Gebirge ist zum Teil noch im Bau; Regen hat die Piste aufgeweicht. An manchen Abschnitten ist der Schlamm so tief, dass alle Männer aus dem Bus aussteigen müssen, um zu Fuß die Baustelle zu durchqueren. Um ein paar Kilo leichter kommt der Bus dann an diesen Straßenabschnitten weiter.
Na Thrang: Nizza des Ostens
Na Thrang, das die französischen Kolonialherren als das „Nizza des Ostens“ bezeichneten, ist eine Tourismushochburg und hat außer einer erstaunlich großen Rattenpopulation an ihren Müllecken nicht viel zum Ansehen. Wir vertreiben uns den Nachmittag auf dem Markt und beobachten im Fischerhafen die Fischer, wie sie mit geflochtenen Körben, die einen Durchmesser von zwei Metern haben, zwischen ihren Booten und ihren Pfahlbauten aus Wellblech hin und her paddeln.
Relaxen auf einer Insel im Südchinesischen Meer
Die Inseln, die vor Na Thrang im Südchinesischen Meer liegen, locken uns. Zwei Stunden Autofahrt und 15 Minuten Bootsfahrt später liegen wir auf einer der Inseln im warmen, klaren Meer und im weißen Sand vor unserer Hütte.
In der morgendlichen Wärme des nächsten Tages machen wir uns auf den Weg quer über die kleine Insel. Trotz der Regenzeit sind die Sträucher nur trockenes Gestrüpp. Sonnenverbrand sind wir mittags zurück und bleiben zur Abkühlung den Rest des Tages im Wasser.
Dort verbringen wir auch den nächsten Morgen. Ein Boot fährt uns zum Schnorcheln in Richtung offenes Meer. Bis zum Mittag schwimmen wir mit den Fischen zwischen den bunten Korallenriffen.
Relaxt kehren wir nach Na Thrang zurück, beschließen aber noch am selben Tag nach Hoi An weiter zu reisen. Der Bus fährt allerdings erst am Abend. Die Sonne scheint jedoch so heiß, dass wir die Stunden am Strand und im Wasser verbringen. Dort begegnen uns Schwärme Fliegender Fische, die in einem beeindruckenden Tempo auf uns zukommen. Bemerkenswert ist aber auch der Müll, den die stärker werdenden Wellen am Nachmittag anspülen.
Kaiserstädte Hoi An und Hue
Die Kaiserstadt Hoi An gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO. In den schmalen Gassen mit den Cafés, in denen die Zeit stehen geblieben ist, fühlen wir uns in eine vergangene Epoche zurückversetzt. Wir bummeln über den Markt, lassen uns in einer der zahlreichen Schneidereien ein paar Blusen nähen und besichtigen das japanische und das chinesische Viertel.
Eine kurze Busfahrt von Hoi An entfernt ist die Kaiserstadt Hue. Dort steht, umgeben von einer zehn Kilometer langen und zwei Meter dicken Mauer, die Zitadelle mit der Verbotenen Stadt. Vorbild bei ihrem Aufbau war die Verbotene Stadt in Peking. Durch die kriegerische Vergangenheit Vietnams – Erster Indochinakrieg (1946 bis 1954) sowie Zweiter Indochinakrieg (Vietnamkrieg 1955 bis 1975) – wurde jedoch ein großer Teil des Gebäudekomplexes zerstört.
Rikschafahrer warten am Eingang zur Zitadelle und radeln uns nach deren Besichtigung durch Hue zum Parfümfluss. Ungefähr 400 kleine, mit Wellblech abgedeckte Boote schaukeln im Wasser. Sie sind das zu Hause der Ärmsten der Armen. Neun bis zehn Menschen leben auf einem Boot, ohne Aussicht auf Bildung und die Chance auf einen Verdienst.
Ein Stück flussaufwärts liegen Passagierboote, auf denen 50 Leute Platz haben, am Ufer. Der Fahrer hält und vermittelt uns seinen Bruder, dem eines der Boote gehört, für eine Flussfahrt am nächsten Tag.
Überpünktlich steht der Rikschafahrer am nächsten Morgen vor unserem Hotel. Am Ufer warten bereits der Bootsbesitzer und seine Frau und begrüßen uns herzlich. Wir sind die einzigen Gäste.
Mit vielen Gesten werden wir gefragt, was wir essen möchten. Mit ebenso vielen Handbewegungen antworten wir. Eine wirkliche Verständigung kommt nicht zustande und so kauft die Frau des Bootsbesitzers während eines kurzen Halts an der Markthalle frisches Gemüse, Fisch, Reis und Nudeln.
Ruhig gleitet das Boot über den kaum befahrenen Fluss. Am Ufer taucht das Wahrzeichen der Thien Mu Pagode, der achteckige über sieben Etagen reichende Phuoc Duyen Turm, auf. In einer Garage in der Nähe der Mönchsunterkünfte steht ein blauer Austin Sedan. Hinter seiner Windschutzscheibe ist ein Foto zu sehen, das 1963 durch die internationale Presse ging: Der Mönch Thich Quang Duc hatte sich neben diesem Auto am 11. Juni 1963 aus Protest gegen anti-buddhistische Angriffe des damaligen Diktators Ngo Dình Diem in Saigon mit Benzin übergießen und anzünden lassen.
Später legen wir für einen Besuch der alten Königsgräber aus der Nguyen-Dynastie am Ufer an. Mopedfahrer warten bereits auf Kundschaft und bringen uns zum Grabmal von Minh Mang, weiter zum Grabmal des letzten unabhängig regierenden Kaiser Vietnams Tu Duc und zum Grabmal von Khai Dinh, das mit einer Bauzeit von 11 Jahren die am aufwendigsten gestaltete der Ruhestätten ist.
Bei unserer Rückkehr steht bereits ein herrliches Mehrgänge-Menü auf dem Tisch, das die Bootsbesitzerin auf einer kleinen offenen Feuerstelle im hinteren Teil des Bootes zubereitet hat.
Zurück in Hue holen wir unser Gepäck und steigen in den Nachtbus nach Hanoi.
Hanoi ist das Gegenteil des modernen Saigon. Die Stadt hat ihre Traditionen bewahrt und ist weit weniger verwestlicht. Ihre Einwohner praktizieren einen speziellen vietnamesischen Stil des Taoismus und Buddhismus vermischt mit etwas Ahnenkult, während die Einwohner Saigons überwiegend katholischen Glaubens sind.
Bucht der zweitausend Inseln
Mit einem Auto reisen wir weiter in die Halong-Bucht. Auf dem Weg legt Dang, der Fahrer, einen kleinen Umweg ein. Er bringt uns in ein Dorf, in dem es nur eines zu kaufen gibt – braune Flaschen mit gelben Verschlüssen. „Was ist das?“, wollen wir wissen. „Die Bewohner des Dorfes stellen aus Reis und Mais einen Ersatz für die teure Fischsoße her, die zu jedem Essen serviert wird“ erklärt Dang.
Im Hafen der Halong-Bucht wartet bereits eine Dschunke. Das Boot, auf dem bis zu 40 Gäste mitfahren können, haben wir für uns alleine. Fünf Stunden kreuzen wir durch die herrliche Landschaft, die aus 3000 Kalksteininseln und vom Meer geformten Grotten besteht. An einer Insel legen wir zur Besichtigung einer Grotte an. Ihr Eingang liegt verborgen im Grün. Von oben scheint etwas Licht hinein und bricht sich in Stalaktiten und Stalagmiten mit außergewöhnlichen Formen: ein fantastisches Schauspiel.
Auf der Insel Cat Ba gehen wir abends von Bord. Am Morgen starten wir zu einem Dschungeltrip. Da es nachts geregnet hat, haben sich die Wege in schlammige Pisten verwandelt. Nach einem etwas mühseligen Anstieg durch den rutschigen Matsch kommen wir an einem völlig verrosteten Aussichtsturm an. Damit wir den Weg nicht umsonst gelaufen sind, holen wir einmal tief Luft und klettern auf den Turm. Der Blick von oben über die Insel entschädigt für die Mühen.
Den Nachmittag über halten wir uns auf dem Wasser auf. Eine Dschunke bringt uns zu einem der schwimmenden Dörfer, die von Wassernomaden und den Nachfahren ehemaliger Seeräuber bewohnt werden. Wir steigen auf Kajaks um und erkunden auf sportliche Art die Gegend.
Hanoi und Umgebung
Zurück in Hanoi starten wir zu einem Stadtrundgang: Altstadt, Stadttore, Literaturtempel, Hoan-Kiem-See, Zitadelle. Vor dem Ho-Chi-Minh-Mausoleum reihen wir uns ein in die Warteschlange und besuchen den einbalsamierten Leichnam des ersten Präsidenten (1945–1969) der Demokratischen Republik Vietnam.
Von Hanoi aus unternehmen wir noch zwei Tagesausflüge in die Umgebung. Der Erste führt uns zur alten Hauptstadt Vietnams Ninh Binh in die trockene Halong-Bucht. Anders als bei der „nassen“ Halong-Bucht sind zwischen den Felsformationen Reisfelder, in denen sich eine Vielzahl alter Gräber befindet. Unterwegs besichtigen wir von den Königen Hoa Lu und Le errichtete Tempel, steigen anschließend in ein traditionelles Holzboot, lassen uns durch die trockene Halong-Bucht rudern und beobachten die Einheimischen, die ihre Boote mit den Füßen „paddeln“.
Der zweite Ausflug soll uns zur Parfümpagode bringen. Nach zwei Stunden Autofahrt, umsteigen in ein Paddelboot und einer Stunde Fußmarsch bergauf, stehen wir vor der – ein offenes Drachenmaul darstellenden – Parfümpagode, einer der wichtigsten spirituellen Orte Vietnams.
Für den Abend haben wir Karten für das Wasserpuppentheater in Hanoi gekauft. Die Vorstellungen sind eine Touristenattraktion, entsprechend früh muss man sich Tickets besorgen. Der Theaterraum ist nicht groß. Während das Publikum im Trockenen sitzt, stehen die Bühne und die Marionettenspieler im Wasser. Ein Orchester begleitet das Spiel mit traditioneller vietnamesischer Musik, was nicht jedermanns Sache ist.
Durch die Dörfer
Mit Hung, einem Guide, machen wir uns am nächsten Morgen auf nach Sapa. Unterwegs biegen wir für einen kurzen Umweg von der Straße ab und fahren in sein Heimatdorf, einem kleinen Ort inmitten von unendlichen Reisfeldern. Im einfach eingerichteten Haus der Familie werden wir bereits erwartet. Der Vater, ein Architekt, lädt uns zu Tee und Obst ein. Die Familie bewirtschaftet ein Reisfeld und baut Gemüse an. Trotzdem reicht das Geld nicht für die Ausbildung ihrer drei Kinder. Hung muss als ältester Sohn der Familie, wie in Vietnam üblich, zum Unterhalt der Geschwister beitragen.
Eine Nachbarin schickt eines ihrer Kinder, das fragen soll, ob wir auch bei ihr vorbeikommen würden. Aufgeregt vor uns ausweichend und wieder auf uns zukommend, werden wir von ihr begrüßt. Sie hat Ausländer bisher nur im Fernsehen gesehen.
Nach der Gastfreundschaft im Dorf erleben wir den Stopp zum Mittagessen in einer der Touristenabfütterungsstationen als kaum erträglich.
Mittlerweile ist der Rote Fluss zu unserem ständigen Begleiter geworden. Der erste Halt ist in einem Dorf der Blumen-H’Mong, die zum Volk der H’Mong gehören, einer der ethnischen Minderheiten, die in den Bergen leben. Ihren Namen verdanken sie der bunten Kleidung, die sie tragen.
Bei den Bergstämmen im Norden
Am Abend erreichen wir Sapa. Die Stadt liegt unweit der chinesischen Grenze. Für die Bergstämme der Region ist der Ort ein großer Marktplatz für den Verkauf von Chili, Stoffen oder Metallschmuck.
Den nächsten Tag verbringen wir im Umland von Sapa. Irgendwo an der Straße in die Berge werden wir abgesetzt. Schwarze H’Mong, die uns bereits erwarten, führen uns in ihr Dorf. Eine der Frauen kratzt immer wieder leicht an meinen Armen: Sie testet die Echtheit meiner blassen Hautfarbe.
Das Dorf ist eine Ansammlung kleiner Hütten, vor denen offene Fässer zum Färben von Stoffen stehen. Sie sind mit Indigoextrakt gefüllt, der neben den Textilien auch die Haut der Frauen blau färbt. Ihre Hände betasten vorsichtig meine Arme. „Bist du wirklich so hell?“, bekomme ich übersetzt.
Wir wandern weiter durch ein Dorf der Red Dzao und sehen in einem weiteren Dorf dem Handwerk der Färber und Garnspinner zu. An einem Dorftreffpunkt halten wir für eine Teepause. Plötzlich strömen kleine und große Kinder herein und versammeln sich vor einem Fernseher, der in einer Ecke steht und täglich um 18 Uhr eingeschaltet wird. Um sich die besten Plätze zu sichern, kommen sie anderthalb Stunden vorher und setzen sich geduldig und leise wartend vor die Mattscheibe.
Das Ende der französischen Kolonialherrschaft
Wir reisen ab nach Dien Bien Phu. Die Straße durch das Gebirge ist nicht ausgebaut, aber auch nicht weggespült oder gesprengt und wir benötigen den ganzen Tag bis zur Ankunft.
Dien Bien Phu war im Ersten Indochinakrieg ein militärischer Stützpunkt der Franzosen. Dort wurde 1954 die entscheidende Schlacht zwischen den Streitkräften Frankreichs und den Truppen der vietnamesischen Unabhängigkeitsbewegung Viet Minh geschlagen, die das Ende des Kolonialreiches Französisch-Indochina (heute Vietnam, Laos und Kambodscha) besiegelte. Ein großes Mahnmal sowie ein französischer Soldatenfriedhof erinnern an die bedeutungsvolle Schlacht.
Über die höchste Passstraße im Nordwesten Vietnams fahren wir nach Son La. Unterwegs bieten sich uns herrliche Blicke ins Tal und auf Dörfer, in denen H’Mong und Thai, die Mais und Trockenreis anbauen, leben.
Son La ist Provinzhauptstadt, besitzt ein ehemaliges französisches Gefängnis und ist Ausgangspunkt für eine Fahrt nach Mai Chau, unserem Ziel.
Bei den weißen Thai
Mai Chau liegt in einem von Hügeln gesäumten Tal, das von Angehörigen der weißen Thai bewohnt wird. Die Häuser im Dorf stehen auf hohen Pfählen unter denen gewebt, gesponnen, genäht und verkauft wird. Seidenraupen leuchten gelb in der Sonne.
In einem Pfahlhaus beziehen wir ein Zimmer. Zum Empfang gibt es frisch gebrühten Tee; anschließend wandern wir durch das Tal und erleben ein letztes Mal vietnamesische Gastfreundschaft.
Von der Idylle um Mai Chau kehren wir zurück ins hektische Hanoi und fliegen noch am Abend zurück nach Deutschland.