Eine lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
(Aus China)
Reisejahr 2011
Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau – Festland-China: Shanghai und Tongli
Dunst liegt über den zu Hongkong gehörenden Inseln an der Mündung des Perlflusses. Auch nach der Landung auf den durch einen Wall verbundenen Flughafeninseln wird die Sicht nicht besser.
Schildermeer, Wolkenkratzer und kleine Restaurants für die schnell aufgetischte Nudelsuppe umgeben uns, als wir in Kowloon aus dem Airport-Express aussteigen. In der achten Etage eines der Hochhäuser beziehen wir ein mit Rauchmeldern und Brandsicherungseinrichtungen gespicktes vier Quadratmeter kleines Zimmer. Abgetrennt davon steht in einem winzigen Verschlag ein Dusch-WC. Schon nach wenigen Atemzügen wird es stickig im Raum. Gut, dass es ein Fenster gibt. Es lässt sich tatsächlich öffnen: Wir blicken irritiert in das Zimmer nebenan.
Abends bummeln wir zum unweit des Hostels gelegenen Hafen. Entlang der Landestellen verwandelt die „Symphonie of Lights“ mit Laser, LED-Bildschirmen, Musik und einem abschließenden Feuerwerk den Blick auf die Skyline in ein Fest für Augen und Ohren.
Glücksspielinsel Macau
Am Morgen besteigen wir eine der im 15-Minuten-Takt ablegenden Fähren nach Macau. Eine Stunde schippert der Katamaran an einigen zum Teil bewohnten Inseln entlang, ehe er an der Glücksspielinsel anlegt.
Die ehemalige portugiesische Kolonie Macau ist der einzige Ort in China, an dem Spielcasinos betrieben werden dürfen.
Neben gigantischen Casinokomplexen, pompösen Hotels und gepflegten, an die portugiesische Vergangenheit erinnernden Fassaden ducken sich heruntergekommene Wohnhäuser hinter Bauzäunen. Wegweiser auf Chinesisch, englisch und portugiesisch zeigen den Weg zu den Sehenswürdigkeiten. Alles ist künstlich, langweilig und trostlos.
Ein Nachmittag in Hongkong
Nach vier Stunden Aufenthalt fahren wir zurück nach Hongkong und nutzen die Zeit für einen Bummel zur längsten Außenrolltreppe der Welt in den Stadtteilen Central und SoHo.
Ohne Pause überwindet das aus vielen Rolltreppen bestehende 800 Meter lange Laufband 135 Höhenmeter. Bis 10 Uhr am Morgen bringt es hoch bezahlte Angestellte von ihren teuren am Hang gelegenen Apartmenttürmen zu den Bürokomplexen in der Innenstadt. Dann wird die Richtung gewechselt und das Laufband rollt bis Mitternacht bergauf.
Als wir am Nachmittag an der Rolltreppe ankommen, hat sie ihren Lauf aufwärts. Bars, Cafés, Kneipen und Restaurants flankieren die Gasse entlang des Bandes. Wir nutzen diese bequeme Gelegenheit, um uns einen Überblick über das Angebot an Mahlzeiten zu verschaffen. Auf dem Fußweg bergab kehren wir in das auf der Fahrt auserkorene Restaurant ein.
Später am Abend stürzen wir uns noch in das Getümmel auf dem Nachtmarkt im Stadtteil Mong Kok, sind jedoch schnell genervt von dem Gewusel und dem blinkenden bonbonfarbenen Kitsch und Ramsch um uns herum.
Der nächste Tag
Wieder haben wir eine schlaflose Nacht hinter uns. Die Klimaanlage nervt überlaut, aber ohne sie ist es in dem winzigen Zimmer nicht auszuhalten. Müde laufen wir zum Bäcker, um ein Frühstück zu kaufen.
Verschlafen stehen wir vor den Auslagen und – im Weg. In einem Irrsinnstempo nehmen die Leute die Ware aus den Vitrinen, bezahlen und hetzen weiter. Wir greifen wahllos in die Auslage und gehen in einen McDonald, wo wir bei einem Kaffee das gekaufte Frühstück an einem Tisch sitzend essen können.
Eine Oase der Entspannung
Trotz aller Geschäftigkeit und Enge gibt es in Hongkong durchaus Oasen zum Entspannen. Wir flanieren durch den menschenleeren Hongkong-Park und gondeln später mit der Standseilbahn auf den Victoria Peak, dem höchsten Punkt auf Hongkong Island.
Angenehm kühle Luft umgibt uns auf dem Berg. Die Augen schweifen über Hochhäuser mit 50 bis 60 Etagen, den Victoria Harbour und das unüberschaubare Häusermeer vor einer grünen Bergkulisse.
Lantau
In der Hoffnung, dass es so geruhsam bleibt, machen wir uns auf den Weg zum „Big Buddha“ auf der Insel Lantau. Ein Irrtum. Auf den 268 Stufen, die zur Statue führen, wimmelt es von Touristen. Dafür gibt es von der Plattform einen hervorragenden Blick auf die Berge und das Meer.
Ruhiger wird es in den Klostergärten des in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Po Lin Klosters. Seine Tempel beeindrucken mit warmen Farben, unzähligen goldenen Statuen, steinernen Löwen und Weihrauchgefäßen.
Shanghai: Stadt ohne Sonne
Am nächsten Morgen stehen wir sehr früh auf. Der Bäcker öffnet gerade; wir holen uns Proviant und eilen zur Metro, um den Zug nach Guangzhou auf dem Festland zu erreichen. Im Tunnellabyrinth der Metrostation erwischen wir jedoch den falschen Abzweig. Die Zeit verrinnt. In letzter Minute erreichen wir den Fernbahnhof, wo der Zug nach Guangzhou bereits gebordet wird.
Vor dem Zugfenster ziehen unendliche Reihen an Hochhäusern vorbei, mal sind sie heruntergekommen, mal sind die neuen Fassaden nett anzusehen. Nach zwei langweiligen Stunden Fahrt erreichen wir das chinesische Festland.
In Guangzhou eilen wir gleich weiter zum Flughafen und landen am Abend in Shanghai. Im Astor House Hotel, dem ältesten Hotel Chinas, in dem unter anderem schon Albert Einstein und Charlie Chaplin zu Gast waren, beziehen wir ein Zimmer. Die mit originalen Möbeln und Holzdielen ausgestatteten Räume sind geräumig, die Löcher im Dielenboden historisch und auch die alten Türklinken und Wasserhähne vermitteln das Flair aus vergangener Kolonialzeit.
Shanghai in zwei Tagen
Im Gegensatz zu Hongkong ist es in Shanghai schwierig, ein Frühstückscafé zu finden. Unsere Mägen knurren. Nach etwas Suchen entdecken wir versteckt in einer Ecke ein Hipster-Café. Immerhin gibt es Croissants und verschiedene Kaffeevariationen.
Gestärkt starten wir zum Abbummeln der Sehenswürdigkeiten der Stadt. Auf unserem Weg besuchen wir den Longhua-Tempel aus dem Jahr 977, die längsten Hängebrücken der Welt, Nampu Bridge und Lupu Bridge und fahren eine Runde mit der Magnetschwebebahn.
Es ist ein Wochentag und so haben wir wieder einmal viel Ruhe in den Attraktionen: In der sehr schönen Longhua Tempelanlage beten lediglich ein paar Gläubige. An der Lupu Bridge, die die Ufer des Flusses Huangpo miteinander verbindet, fährt ein Lift 13 Etagen hoch auf die Brücke. Kalter Wind bläst uns beim Aussteigen entgegen. Der mit Treppenstufen versehene Brückenbogen wölbt sich in den grauen Himmel. Mit weichen Knien gehe ich die Stufen hinauf. Es hat sich gelohnt. Trotz des trüben Wetters ist die Aussicht über die Stadt beeindruckend.
Abschließend bummeln wir die Uferpromenade am Huangpu Fluss entlang, vorbei an historischen Gebäuden aus der Kolonialzeit und blicken auf die Skyline an der gegenüberliegenden Flussseite, auf imposante Gebäude wie den Fernsehturm Oriental Perl Tower, das an einen Flaschenöffner erinnernde Shanghai World Finance Center, den 88 Stockwerke zählenden Jin-Mao-Tower und weitere Wolkenkratzer.
Den kommenden Tag verbringen wir in einem Touristen-Hotspot: Von Bauwut und Abrissbirne verschont, steht inmitten der Hochhäuser ein kleiner Fleck originales Shanghai. Wir sind früh genug da, um den Touristenströmen zu entgehen, schlendern durch die engen Gassen, probieren uns durch die Gerichte der verschiedenen Garküchen und lassen uns durch das Marktgeschehen treiben.
Direkt neben der Altstadt liegt der Garten Yu Yuan, eine sehr schöne große Anlage mit verwinkelten Wegen, kleinen Grotten, Teichen, Teehäusern und dem God Tempel. Hier genießen wir noch einmal das gemächliche Shanghai.
Aus der modernen Metropole zieht es uns in die 1000 Jahre alte Wasserstadt Tongli. Am Shanghaier Busbahnhof stehen lange Warteschlangen vor den Fahrkartenschaltern. Wir reihen uns ein. Und obwohl wir die chinesischen Schriftzeichen nicht entziffern können und niemand englisch spricht, erhalten wir problemlos die Fahrkarten. Zum Glück ist die Aussprache von Tongli im Deutschen wie im Chinesischen recht ähnlich.
Spektakuläre Landschaften gibt es unterwegs nicht zu sehen. Vor lauter Eintönigkeit schlafen wir ein. Ein sanftes Rütteln weckt uns. „Tongli“, meint der Fahrer.
Tongli: Venedig in China
Verdattert stehen wir auf einer Straße im Nirgendwo. Mit einer Geste erklärt der Fahrer den Weg. Wir waren in einen Bus eingestiegen, der Tongli umfährt.
Etwas unschlüssig laufen wir in die gezeigte Richtung auf ein paar Bäume zu. Dahinter verbirgt sich tatsächlich der Busbahnhof. Von dort fahren Busse zur Altstadt, in der wir ein Zimmer gemietet haben.
Der alte Stadtkern ist eine Fußgängerzone. Der Zutritt ist nur mit einer Einlasskarte gestattet. Wie kommen wir jetzt zu unserem Quartier? Nach mehreren Anläufen finden wir einen jungen Mann, der ein paar Brocken englisch spricht.
„Der Eintritt in die Wasserstadt kostet zehn Euro pro Person, auch wenn man dort ein Zimmer gemietet hat“, klärt er uns auf. Er telefoniert mit unserem Gastgeber. Zehn Minuten später kommt Cheng, der Vermieter, angeradelt, um uns abzuholen.
Das Gästehaus liegt hinter schattigen Bäumen an einem der Kanäle, die die Altstadt durchziehen. Wie alle Häuser in Tongli ist es ein zweistöckiges Steinhaus mit geschwungenem Dach. Rote Lampions hängen vom Giebel herab.
Cheng ist ein warmherziger Gastgeber. Die wenigen Zimmer in seinem traditionellen Wohnhaus hat er liebevoll eingerichtet. „Abends gehen die Touristen und es wird ruhig“, versichert er uns. Er spricht nur Chinesisch und jede Information wird mit Google Translator übersetzt, was in einem schwer verständlichen Deutsch endet. Andersherum ist es nicht besser.
„Wo kann man eine Nudelsuppe, die nicht mit Instant-Nudeln gekocht wurde, essen?“, fragen wir ihn. Was so selbstverständlich wirkt, ist es nicht. Die meisten Suppen in den Garküchen werden nämlich mit Instant-Nudeln zubereitet.
20 Minuten dauert es, bis Google die Frage übersetzt hat. Cheng drückt uns ein Papier mit Übersetzung und Restaurantempfehlung in die Hand. Wir ziehen los.
Als wir ein paar Meter entfernt stehen bleiben, um uns zu orientieren, steht Cheng schon hinter uns und zeigt den Weg. An den Kanälen reiht sich Restaurant an Restaurant. Immer wieder zeigen wir unseren Zettel vor und werden weitergeschickt. Obwohl die Restaurantbesitzer um Kunden werben, schicken Sie uns zum gesuchten Lokal.
Die Altstadt von Tongli ist abends ein erholsamer, ruhiger Ort. Steinbogenbrücken spannen sich über die verzweigten Kanäle, alte Hausboote liegen am Kai, Männer sitzen auf dem Gehweg und spielen Ma-Jongg, die Gartenanlagen sind Klassiker des traditionellen chinesischen Gartenbaus. Und da die Horden von Touristen nur wenige Stunden am Tag in Tongli einfallen, haben wir genügend Zeit, den Ort in Ruhe zu genießen, bevor es für eine letzte Nacht vor der Heimreise zurück ins heiße, laute Schanghai geht.