Es ist leicht, einen leeren Kopf hoch zu tragen.
(Aus dem Libanon)
Reisejahr 2018
Beirut – Anjar – Baalbek – Byblos – Bcharre – Sidon – Mleeta – Katar
Zügig und komfortabel verläuft die Einreise in den Libanon. Das Visa on Arrival gibt es ohne Anstehen an der Passkontrolle, der Beamte füllt das Visaformular aus, kontrolliert meinen Pass auf Hinweise nach einem Aufenthalt in Israel, blickt etwas länger auf das Iran-Visum und drückt den Einreisestempel in den Pass. Der Rucksack dreht bereits auf dem Gepäckband seine Runden. Zwanzig Minuten nach der Landung stehe ich bereits vor dem Flughafengelände, fahre mit einem Taxi in das nahe gelegene Beirut und reiße Marc ungeahnt früh aus dem Schlaf.
Nach ein paar Stunden Erholung wollen wir uns am Büfett die Fitness für einen Bummel durch die Stadt holen. Obwohl die Frühstückszeit noch längst nicht vorbei ist, finden wir nur ein paar Oliven, Käse und etwas Weißbrot vor. Auch der viel gepriesene libanesische Wachmacher entpuppt sich als überdosierter löslicher Kaffee.
Stadt der Gegensätze
Das Beiruter Stadtzentrum ist nahezu komplett neu wiederaufgebaut: Von 1975 bis 1990 tobte ein heftiger Bürgerkrieg zwischen verschiedenen religiösen Kräften mit wechselnden Koalitionen im Land. Heute hat der Libanon die einzige Verfassung in der arabischen Welt, die keine Staatsreligion vorschreibt und Religionsfreiheit garantiert. Stabilität soll dem Land eine Regierung der nationalen Einheit geben, in der das Staatsoberhaupt maronitischer Christ, der Parlamentspräsident schiitischer Muslim und der Regierungschef sunnitischer Muslim sein muss.
In einer Seitenstraße stehen getarnte Panzer am Gehweg, Mauersegmente bilden einen Schutzwall vor einem schmucken Gebäude, Soldaten patrouillieren davor. Auf Nachfragen erfahren wir, dass es die Botschaft Saudi-Arabiens ist. Ob sie erst seit November 2017 so stark bewacht wird, als der libanesische Regierungschef Saad Hariri unter ungeklärten Umständen von Saudi-Arabien aus seinen Rücktritt erklärt hat, erfahren wir nicht.
Wohnviertel, manche mit interessanter Architektur, wachsen auf jedem freien Fleckchen in den Himmel. Dazwischen werden kleine Moscheen und Kirchen fast zerquetscht. Vor den größeren frei stehenden Gotteshäusern wachen Soldaten in massiven Unterständen. Betonsperren stehen großzügig verteilt in allen Straßen der Innenstadt.
Beim Streifzug durch die Stadt finden wir sämtliche Ruinen aus der Römerzeit. Eine großflächige Ausgrabung befindet sich zwischen den wichtigsten, in friedlicher Nachbarschaft stehenden sakralen Gebäuden Beiruts: die Mohammed-al-Amin-Moschee, die maronitische St.-Georgs-Kathedrale und die griechisch-orthodoxe St.-Georgs-Kathedrale.
Beirut nutzen wir als Ausgangspunkt für verschiedene Tagestouren in das Umland. Kulturbeflissen beginnen wir mit einer UNESCO-Welterbestätten-Tour zu den Ruinen der Umayyaden-Stadt Anjar und den Ruinen in Baalbek und beenden den Trip bei einer Weinprobe auf dem Weingut Château Ksara.
Eindrücke aus der Bekaa-Ebene
Anjar liegt zwischen den Gebirgszügen des Libanongebirges und dem Anti-Libanon rund zehn Kilometer vor der Grenze zu Syrien. Bewohnt wird die Stadt hauptsächlich von Armeniern, die den Völkermord durch die Türken im Osmanischen Reich überlebt haben. Einige von ihnen sind als Archäologen an der Restaurierung der Ruinen von Anjar beteiligt. Hilfsarbeiten, wie das Reinigen der Mauern, erledigen syrische Flüchtlinge.
Einer der Archäologen ist unser Guide. Nach einer etwas langatmigen Einführung, die uns Langeweile-Kopfschmerz bereitet, wird die Führung jedoch so interessant, dass selbst bei uns Altertümer-Muffeln die Aufmerksamkeit geweckt ist. Abends werden wir feststellen, dass Anjar der Höhepunkt des Tages war.
Durch die fruchtbare Bekaa-Ebene fahren wir weiter nach Baalbek. Am Rand von grünen Feldern stehen kleine Camps, in denen Flüchtlinge aus Syrien leben. Um die innere Sicherheit zu gewährleisten, zeigt die Regierung Militärpräsenz auf den Straßen und hat Checkpoints eingerichtet.
Wir kommen ins Gespräch mit unserem Fahrer. Mit Verwunderung erfahren wir, dass die Wehrpflicht im Libanon bereits 2008 abgeschafft wurde. In zwei Monaten (2018) sind Wahlen und „natürlich versuchen Saudi-Arabien, der Iran und der Westen Einfluss zu nehmen.“ Zu den Waffenverkäufen des Westens an Saudi-Arabien hat er eine eigene Meinung: „Das ganze Kriegsgerät dient den Saudis nur als Statussymbol. Die Armee kann nicht damit umgehen.“
Durch die Ruinen von Baalbek begleitet uns wieder ein Guide, der viel erzählt und nervt, da er immer genau zu wissen glaubt, wo wir wie gemeinsam fotografiert werden wollen. Dem Kaffee, den er ganz unverbindlich mit uns im Laden eines Freundes trinken möchte, können wir gerade so entkommen.
Dafür probieren wir ein paar Kilometer weiter im Château Ksara libanesischen Wein. Château Ksara ist das älteste und größte Weingut des Landes. In kilometerlangen natürlichen unterirdischen Kalksteintunneln und –höhlen lagern Weinfässer und Flaschen. Die Weine haben einen Alkoholgrad zwischen 13 und 18 Volumenprozent. Gut, dass wir einen Fahrer haben. Leicht beschwingt verlassen wir den Weinkeller.
Zurück in Beirut
Bevor wir uns in den Nachmittagstrubel Beiruts stürzen, legen wir eine kurze Pause im Hotel ein. Als wir gehen, funktioniert das Türschloss vom Zimmer nicht mehr. „Keine Sorge. Wir haben Kameras auf allen Fluren“, versichert uns der Rezeptionist. Die Tür bleibt auch bis zur Abreise am nächsten Tag unverschließbar.
Ein Bummel auf der Corniche (Uferpromenade) soll den Tag abrunden. Auf einer Landzunge mit Blick auf die Taubenfelsen – zwei dicht beieinander im Meer stehende Felsen und Wahrzeichen Beiruts – wehen Fahnen mit dem Konterfei von Abdullah Öcalan. Junge Leute in Kurdistan-T-Shirts sitzen ausgelassen feiernd an der Bucht.
Die älteste Stadt, das Heilige Tal und der „Wald Gottes“
Libanon hat eine 225 Kilometer lange Küstenlinie. Regelmäßig fahrende Busse verbinden die Hauptstadt mit den Küstenstädten. Wir nutzen die gute Anbindung für eine Fahrt nach Byblos, der ältesten Stadt im Libanon.
Der Busfahrer setzt uns in der Nähe der Ruinen von Byblos ab: „Nehmt kein Taxi. Es sind nur drei Minuten zu Fuß.“ Wir wollen zwar nicht zu den Ruinen, aber sie stehen am Wasser und unsere Unterkunft kann nicht weit entfernt sein.
Die Ruinen besichtigen wir auch später nicht, bummeln nur durch die überschaubare Altstadt, organisieren ein Auto mit Fahrer für unsere morgigen Pläne und relaxen am Mittelmeerstrand.
Im klapprigen Toyota geht es am nächsten Tag in das lange als Rückzugsort gläubiger Christen genutzte Qadischa-Tal. Die Moscheendichte in den Dörfern nimmt ab, neben alten Kirchen stehen neu erbaute Gotteshäuser mit schmucken hellen Sandsteinfassaden. In ihrem Innern sind die etwas kitschigen Heiligenbilder wohldosiert an den Wänden angebracht und geben den Kirchen eine schlichte Schönheit.
Die tiefe Schlucht des Qadischa-Tales ist von Terrassenfeldern umrahmt, zwischen denen Höhlen, Dörfer und maronitische Klöster verstreut liegen. Zwei von ihnen erwandern wir uns auf einem fünf Kilometer langen Weg. Die Ruhe der in den Felsen gebauten Konvente genießen wir für uns alleine. Erst auf dem Rückweg kommen uns Wanderer entgegen.
Serpentinen winden sich vom Qadisha-Tal hoch nach Bcharre im Libanongebirge. Schnee liegt an den Berghängen. Mitten in der kahlen Landschaft steht der „Wald Gottes“, eine Baumgruppe aus zum Teil 50 Meter hohen und über 1.000 Jahre alten Zedern, dem Nationalsymbol des Libanon.
Nach Zahlung einer Pflichtspende dürfen wir den Wald betreten, drehen eine kurze Runde zwischen den wenigen Bäumen, besuchen die kleine Kirche mit einem Altar aus Zedernholz und kehren zu Pool und Mittelmeerstrand zurück.
Wunderwelt Jeita Grotte
Auf dem Rückweg von Byblos nach Beirut legen wir einen Abstecher zu einem der weltweit schönsten Höhlensysteme der Jeita-Grotte ein. Gebilde wie Säulen, Pilze, Vorhänge und der längste Stalaktit der Welt – er hängt 8,20 Meter von der Decke herab – machen den Spaziergang durch die bis zu 118 Meter hohen Kammern der oberen Grotte zu einem wahren Augenschmaus.
In der kleineren unteren Grotte, in der im libanesischen Bürgerkrieg Munition gelagert wurde, fließt der Nahr al-Kalb, auf dem kleine Boote zu einem unterirdischen See fahren.
In einem metallicroten „Ponton-Mercedes“ Typ 180 (W 120) aus dem Jahr 1953 chauffiert uns ein ebenso betagter Fahrer nach Beirut. Immer wieder wendet er sich stolz und lachend an uns: „Das Auto gefällt euch, stimmts?“
Hisbollahs Freilichtmuseum
An unserem letzten Tag im Libanon mieten wir für eine Fahrt Richtung Süden und ins Landesinnere ein Auto mit Fahrer.
Landwirtschaftlich genutzte Flächen durchbrechen die sonst komplette Wohnbebauung der Küstenlinie. Hinter Sidon biegt die Straße nach Mleeta im Landesinneren ab. In den von kahler Berglandschaft umgebenen Dörfern wehen Fahnen der Hisbollah. Plakate und Wände mit Bildern von Märtyrern flankieren die Straße. Beim Fotografieren soll ich vorsichtig sein und aufpassen keine Leute aufs Bild zu bekommen.
Aus dem Nebel der immer dichter wird je mehr sich die Straße den Berggipfeln nähert, taucht Mleeta auf. Von 1986-2000 war der Ort ein Stützpunkt im Kampf der zur politischen Partei gewordenen libanesischen Hisbollah gegen den Staat Israel.
Heute ist Mleeta ein Mix aus Gedenkstätte, Museum und Themenpark. Zu Schrott geschossenes Kriegsgerät liegt in einem „Abgrund“ genannten Rondell. Auf einem durch Tarnnetze abgeschirmten Pfad – teilweise markiert er die ehemalige Feuerlinie – durchstreifen wir den niedrigen Wald, in dem verstreut Waffen, Ausrüstung und medizinische Versorgungsplätze, Tunnel, Bunker und Gebetsräume zu besichtigen sind.
Am Roten Meer
Von Mleeta fahren wir zum Marien-Wallfahrtsort Magdouche. Dort wartete der Legende nach Maria in einer Grotte auf die Rückkehr ihres Sohnes von seinen apostolischen Wanderungen. In der Kapelle knien russischsprachige Pilger vor dem Gnadenbild Unserer Lieben Frau und beten. Es riecht nach Bohnerwachs.
Unterhalb des christlichen Heiligtums liegt am Meer die konservativ sunnitisch geprägte Stadt Sidon, unschwer erkennbar an Kleidung und Verhalten der Bewohner. In der mittelalterlich schönen Altstadt schlendern wir im geheimnisvollen Halbdunkel des überwölbten Marktes an Handwerkern vorbei, die nach uralter Tradition Waren anfertigen.
Eine Brücke verbindet die Stadt mit einer alten Seefestung. Wir streifen durch die von Kreuzrittern erbaute Anlage und lassen von ihren Mauern den Blick weit über den Hafen, die Altstadt und die Berge schweifen.
Die Ausreise aus dem Libanon ist ungleich zeitaufwendiger als die Einreise. Ob vor dem Check-in, am Sicherheitscheck, der Taschenkontrolle unmittelbar vor dem Einstieg in das Flugzeug, überall gibt es lange Warteschlangen. Frauen müssen sich nach Betreten des Fliegers noch einmal abtasten lassen. Verspätet startet der Flug auf die Arabische Halbinsel.