Reisejahr 2017
Khartoum – Kassala – Khartoum – Ägypten
Ohne Visum, nur mit einem Travel Permit des sudanesischen Tourismusministeriums ausgestattet, lande ich in Khartoum. Marc und unsere Gastgeberin Sawsan warten bereits an der Passkontrolle. Während ich mich verschlafen – es ist 3 Uhr morgens – dazusetze, kümmert sich Sawsan um die Einreiseformalitäten.
Sawsans Wohnung liegt unweit des Flughafens, und obwohl es mitten in der Nacht ist und alles schläft, erhalte ich eine Führung durch die hell erleuchteten Räume, bei der mir jeder Schlafende vorgestellt wird.
Während wir noch schlummern, ist Sawsan bereits auf Behördentour. Ich muss angemeldet werden und für eine Reise nach Kassala, einer Stadt an der Grenze zu Eritrea, braucht es, wie für jede Unternehmung außerhalb Khartoums, eine Reisegenehmigung.
Für Kassala haben wir uns kurzfristig entschieden. Unser eigentliches Reiseziel im Sudan sind die Nuba Berge im Bundesstaat Süd-Kordofan. Bis kurz vor unserer Abreise aus Deutschland wäre eine Fahrt dorthin kein Problem gewesen. Aktuell (2017) fliegt die sudanesische Armee jedoch wieder Luftangriffe auf das Gebirge, das geografisch zwar im Süden des Sudan liegt, aber zum Hoheitsgebiet des Nordens gehört. Die Bewohner fühlen sich jedoch kulturell dem seit dem Jahr 2011 vom Sudan unabhängigen Südsudan zugehörig.
Der Duft von Weihrauch und Kaffee strömt in unser Zimmer. Im Wohnraum findet die tägliche Kaffeezeremonie statt: Die Frauen rösten Kaffeebohnen in einer Pfanne, zermahlen sie zu Pulver, während in einem Öfchen ein kleines, offenes Holzkohlenfeuer entfacht wird. Später backen die über 90-jährige Großmutter, Tante und Cousinen noch Pfannkuchen, die, mit einer scharfen Soße serviert, ein leckeres Frühstück sind.
Nach vier Stunden Behördengang kommt Sawsan mit dem Travel Permit. Wir besorgen die Bustickets, dann ist es auch schon Zeit für das Abendessen. Die Entscheidung fällt für eine Metzgerei, in der wir eine Auswahl aus verschiedenen Fleischsorten treffen, die in einem Garten im hinteren Teil des Ladens gegrillt werden.
Kassala: Kreuzungspunkt alter Pilgerwege
Fahrkarten für Ausländer brauchen natürlich auch einen offiziellen Stempel. Den gibt es problemlos am Busbahnhof. Sawsans Mutter reist ebenfalls nach Kassala. Damit unser Geld nicht an den diversen Checkpoints schlecht gelaunten Polizisten in die Hände fällt, nimmt sie es vorsichtshalber an sich.
Kassala liegt im Osten des Sudan, rund 400 Kilometer von Khartoum entfernt, nahe der Grenze zu Eritrea. Obwohl der Busfahrer die Tachonadel teilweise bis auf Tempo 140 treibt und es nur eine kurze Kaffeepause nach vier Stunden Fahrt gibt, sind wir acht Stunden unterwegs. In der Zwischenzeit läuft ununterbrochen ein ohrenbetäubendes Entertainmentprogramm auf einem Bildschirm: zwei Stunden Predigt, eine tränenreiche Wiedersehensshow, ein Bollywoodfilm und sudanesische Musik. Fast taub steigen wir in Kassala aus. Jamal, ein Bruder Sawsans erwartet uns bereits.
Für heute bummeln wir nur noch durch das geschäftige Marktviertel und setzen uns zum Abendessen an einen Imbissstand, an dem es auf heißen Steinen gegrilltes Lammfleisch gibt. Ein Mann spricht uns an: „Ich freue mich, hier hellhäutige Menschen zu sehen.“
Kassala liegt am Fuß der 1390 Meter hohen Taka-Berge, dem Wahrzeichen der Stadt. Nach einem Begrüßungstee am Morgen mit Jamal fahren wir zu den weithin sichtbaren, runden Granitkuppen.
Am Fuß der Berge liegt das religiöse Zentrum des Khatmiyya-Ordens, eines islamischen Ordens innerhalb des Sufismus. Die Moschee beherbergt das Mausoleum Sidi Hasans, dem Sohn des Ordengründers, der den Ruf eines Wundertäters hatte. Zusammen mit der heiligen Quelle, die er mit einem Stock in den Felsen geschlagen haben soll und die heute noch als gesundheitsfördernd geschätzt wird, gilt sie als beliebtes Pilgerziel.
Ich nehme einen Schluck aus der heiligen Quelle und versuche mich anschließend beim Besteigen des Berges Totil. Marc beschließt dagegen, im kühlen Schatten der in den Stein gebauten Cafés zu rasten. Lange muss er nicht auf mich warten. Die Hitze zwingt mich schnell zur Umkehr.
Für den Abend haben wir uns mit Tarek, einem Taxifahrer, verabredet. Wir sind uns sicher, dass er uns wie abgesprochen für die viel gelobte Aussicht auf den Sonnenuntergang in die Taka-Berge bringen wird.
Die Berge rauschen vorbei, die Sonne ist bereits am Untergehen. „Wohin fährst du?“ fragen wir Tarek. „Lasst euch überraschen“, antwortet er lächelnd.
Ein Riesenrad taucht in der Dämmerung auf, ahnungsvoll blicken wir uns an. Tatsächlich hält Tarek vor dem Bustan Family Park. Verdutzt und amüsiert steigen wir aus. „Ich hole euch in zwei Stunden wieder ab“, ruft er und fährt wieder. So haben wir uns den Abend nicht vorgestellt.
Im Park sind kaum Leute unterwegs. Die Fahrgeschäfte stammen aus chinesischer Produktion und sind nicht höher und schneller, sondern eher gemütlich. Das weithin sichtbare Riesenrad zieht uns an. „Warum steht das Riesenrad still?“, fragt Marc am Ticketschalter nach. „Sieben Personen müssen mitfahren“, ist die Antwort. Drei junge Männer kommen hinzu. Marc will gerade für sieben Leute bezahlen (15 Cent/Person), da schlendern weitere vier Männer heran und er wird zur Fahrt eingeladen. In der Zwischenzeit schüttele ich viele Hände.
Das einzige Fahrgeschäft, an dem es eine kurze Warteschlange gibt, ist der Autoscooter. Kaum haben wir uns angestellt, werden wir auch schon aus der Reihe der Wartenden herausgewunken. Wir sollen uns ungestört jeder ein Auto aussuchen, bevor alle anderen einsteigen. Als beliebte Rammziele bekommen wir gleich noch eine zweite Runde gratis dazu. Ein Heidenspaß.
Langsam füllt sich das Areal und auch die bisher still stehenden Fahrgeschäfte nehmen ihren Betrieb auf. Nach zwei Stunden haben wir annähernd auf jedem Karussell gesessen, mal mit, mal ohne Ticket. Vergnügt und glücklich über den gelungenen Abend verlassen wir den Park.
In Kassala soll es das preiswerteste Silber Afrikas geben. Es wird nach Gewicht und ohne Feilschen und Touristen-Aufpreis verkauft. Einmal mehr sind wir überrascht von der Ehrlichkeit der Leute, der wir allerorts begegnen. Selbst liegengelassenes Wechselgeld wird uns von Kindern hinterhergetragen.
Nachmittags treffen wir Jamal, der uns Bustickets für die Rückfahrt nach Khartoum besorgt hat. Gemeinsam fahren wir zum Fluss Gasch, von dem zwischen Oktober und Juni nur das breite, sandige Flussbett zu sehen ist, in dem Fußball gespielt oder gepicknickt wird. Trotzdem gehört das Gebiet um Kassala zu den fruchtbarsten Regionen des Sudan.
Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Bus wieder zurück nach Khartoum. Leider erwarten uns auch wieder acht Stunden ohrenbetäubendes Entertainment, bestehend aus dem uns bereits bekannten Programm.
Khartoum, wo der Weiße Nil und der Blaue Nil zusammenfließen
In Khartoum sollen wir von einem Bruder Sawsans abgeholt werden. Wir kommen jedoch früher als erwartet an und irren auf der Suche nach dem Bruder über das Gelände des Busbahnhofs. Mehrere Leute versuchen uns zu helfen und fragen uns nach der Adresse oder der Telefonnummer von Sawsan. Wir haben jedoch nur eine vage Richtung: „Irgendwo hinter der Afra Shopping Mall.“
Der Ehrgeiz eines Taxifahrers ist geweckt: „Steigt ein. In der Nähe der Mall ist ein Hotel. Dort fragen wir nach.“ Zweifelnd steigen wir ins Auto. Aber es funktioniert. An der Rezeption erkundigen wir uns nach einem Gebäude, das unweit der Wohnung liegt, und bekommen tatsächlich dessen Adresse. Wobei Adressen in Khartoum nur Anhaltspunkte sind.
Der Fahrer düst los und lenkt das Auto als Geisterfahrer durch den fließenden Verkehr: „Ich will jetzt nicht auf die andere Fahrbahnseite wechseln. Das spart Zeit.“ Immerhin findet er das richtige Haus.
Für den heutigen Silvesterabend haben unsere Gastgeber einen Tisch in einem Klub reserviert, in dem ein bekannter sudanesischer Sänger, der ein Cousin Sawsans ist, auftreten soll. Wie im Land üblich sind die Verstärker auch hier so stark aufgedreht, dass wir – noch lautstärkegeschädigt von der Busfahrt – nur kurz bleiben. Zu unserer Überraschung sehen wir auf dem Rückweg noch ein kleines Feuerwerk am Himmel.
Der 1. Januar ist der Unabhängigkeitstag des Sudan, der mit einer Militärparade und Aufmärschen in den Stadtteilen gefeiert wird. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen. Aber in diesem Jahr finden die Feierlichkeiten hinter den Mauern des Präsidentenpalastes statt.
Wir müssen uns ohnehin noch Gedanken über unsere geplante Weiterreise nach Eritrea machen. Wie sich herausgestellt hat, sind unsere Informationen zum Erhalt eines Visums falsch. Wir wollen es trotzdem in der Botschaft Eritreas versuchen, planen aber als Ersatz eine Reise nach Ägypten.
In der Botschaft bekommen wir von einem Angestellten sofort ein „Geht nicht“ entgegengerufen. Ein kurzer Wortwechsel folgt und unserem Verlangen, den Botschafter zu sprechen, wird nachgegeben. Nachdem wir eine Stunde lang geduldig gewartet haben, fragt Marc bei der Sekretärin nach. Sie telefoniert und schickt uns zur deutschen Botschaft, um ein wichtiges Unterstützungsschreiben zu holen.
Die deutsche Botschaft ist auch für einen Ortskundigen nicht einfach zu finden. Am Grundstück gibt es kein Hinweisschild und keine wehende Fahne. Seitdem im Jahr 2012 aufgebrachte Männer das Gelände gestürmt und das Gebäude in Brand gesteckt hatten, ist sie für den Publikumsverkehr geschlossen: Auslöser waren das Zeigen von Mohammed-Karikaturen deutscher Islamgegner sowie die von Angela Merkel gehaltene Laudatio, als Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard den Potsdamer Medienpreis erhielt.
Unser Gastgeber hat das richtige Gespür. Ein Sicherheitsmann begrüßt ihn und verschwindet mit unseren Pässen. Wenig später öffnen sich die Türen und wir erhalten das gewünschte Schreiben.
Zurück in der eritreischen Botschaft heißt es wieder warten. Es ist 12 Uhr und die zuständige Konsulin gerade beim Frühstück. Die Sekretärin versucht wieder uns abzuwimmeln. Wir hätten sie falsch verstanden, das Schreiben wäre nutzlos.
Wir lassen nicht locker und schaffen es ins Büro der Gesandtin. Auch sie erwidert unsere Bitte nach Ausstellung eines Visums mit „Nein.“ Wir erläutern das Problem, sie telefoniert, und wir können doch noch die Visa beantragen. „Hier ist die Telefonnummer der Botschaft. In einer Woche könnt ihr dort nachfragen, ob ein Visum ausgestellt wird.“ Das ist uns zu unsicher und wir gehen unverrichteter Dinge wieder.
Mittlerweile ist es 16.00 Uhr und wir sind entschlossen, Plan B, die Reise nach Ägypten, sofort umzusetzen. Sawsan beauftragt ihren Bruder, der in der Nähe eines Reisebüros wohnt, mit dem Kauf von Tickets für den nächstmöglichen Flug nach Kairo. In der Zwischenzeit essen wir eine Kleinigkeit, dann kommt auch schon der Anruf: „Um 18.30 Uhr fliegt ihr.“
Zwischen dem Packen des Rucksacks und der Abfahrt zum Flughafen liegen nur wenige Minuten. Sawsan begleitet uns für eine schnellere Abfertigung durch die Sicherheitskontrollen. Mehr oder weniger fluchtartig verlassen wir das Land in Richtung Ägypten.