„In Kappadokien sprechen die Steine.“
Reisejahr 2022
Mustafapasa (Ihlara-Schlucht, Derinkuyu und Kaymakli, Pancarlik-Tal) – Göreme (Burgfelsen von Uchisar und Ortahisar, Taubental und Pasabagi-Tal) – Ankara
„Kappadokien, das ist eine Reise von der Erde zum Mars“, erzählt der Typ von der Autovermietung in Ankara, als er uns die Schlüssel für einen Kleinwagen übergibt.
Nach einer dreistündigen Fahrt durch landwirtschaftlich genutzte Täler, über grüne Hügel und entlang bizarrer Felslandschaften erreichen wir Mustafapasa.
Der Ort, der bis 1923 Sinasos hieß und vorwiegend von Griechen bewohnt wurde, ist für seine kunstvollen Steinmetzarbeiten bekannt. Viele in den Tuffstein gebaute Häuser haben mit Ornamenten verzierte Fassaden und verschmelzen mit der felsigen Umgebung. Das griechische Flair hat das Dorf bis heute beibehalten.
Stilecht beziehen wir ein Höhlenzimmer. Gemusterte Teppiche liegen auf dem Boden, die Wände sind naturbelassen mit Einbuchtungen und Nischen, durch ein kleines Fenster kommt etwas Luft herein.
Ihlara Schlucht: der Grand Canyon der Türkei
Eine Autostunde von Mustafapasa entfernt ist die Ihlara-Schlucht. Auf einer unebenen Landstraße fahren wir vorbei an grünen Feldern und skurrilen Tuffsteinformationen. Ein alter Renault kommt uns im Schritttempo entgegen. Der Beifahrer hat zwei Hunde an der Leine, die neben dem Auto hertrotten.
Auf dem Dorfparklatz von Ihlara stellen wir das Auto ab und laufen zwei weitere Kilometer bis zum Abstieg in die Schlucht. Das Tal gilt als der „Grand Canyon der Türkei“. Zehn Kilometer folgen wir dem Fluss Melendiz, der sich bis zu 150 Meter tief in das Gestein geschnitten hat. Über 100 Höhlenkirchen und Kapellen werden in den Felswänden vermutet, rund 15 davon wurden bisher entdeckt. Während viele Besucher dem Gewässer folgen, ist es an den Höhlen ruhig. Nur wenige Wanderer gehen über die steilen Treppen und ausgetretenen Stufen zu den Felsenkirchen, die zum Teil noch gut erhaltene Fresken haben, hinauf.
Obwohl am Wasserlauf viel schattenspendendes Grün wächst, ist der Weg schweißtreibend. In einem Teehaus rasten wir bei frisch gepresstem Saft und türkischem Kaffee auf einer orientalischen Sitzecke (Podest mit Kissen).
In Belisirma beenden wir die Wanderung. Dort sollen immer Taxis bereitstehen, die einen zum Ausgangspunkt zurückbringen. Als wir ankommen, stehen jedoch nur Reisebusse dort. Ein junger Mann mit zwei Fahrgästen im uralten Toyota winkt uns zu: „Wartet, ich bin gleich wieder zurück und hole euch ab.“
Er hält sein Wort und bringt uns für den halben Preis einer Taxifahrt zu unserem Auto zurück.
Von Ihlara ist es nur ein Katzensprung bis zur Selime-Kathedrale. Die Anlage verteilt sich über mehrere Felskegel und ist eindrucksvoll in eine Star Wars-Landschaft eingebettet. Die Höhlen mit Kloster, Kirche, Kathedrale und einer Kapelle sind teilweise untereinander verbunden; es gibt eine Weinkelterei und eine große Küche mit einem alles überdeckenden hohen Kamin.
Derinkuyu und Kaymakli: unterirdische Städte
Durch die bunt gefärbte Felsenlandschaft geht es auf holprigen Straßen zu den unterirdischen Städten Derinkuyu und Kaymakli. Zahlreiche solcher Siedlungen werden in Kappadokien vermutet, zwischen 30 bis 40 wurden bisher entdeckt, aber nur wenige sind begehbar. Sie dienten vor allem als Zufluchtsort kappadokischer Christen vor der Verfolgung durch die Römer und später der Araber. Bis zu sechs Monate harrten die Bewohner in der Unterwelt aus.
In Derinkuyu wurden bisher acht von achtzehn Etagen der unterirdischen Stadt frei gelegt. Während die oberen Stockwerke als Wohn- und Schlafräume, Weinpresse und Ställe dienten, befanden sich in den unteren Geschossen Versammlungs- und Lagerräume sowie ein Kerker.
In gebeugter Haltung kraxeln wir durch ein Labyrinth aus niedrigen Tunneln, schmalen Durchgängen mit ausgetretenen Stufen und Löchern. Ringsum gibt es in Stein gehauene Gefäße zum Lagern von Wein, Wasser und Öl, vom Ruß geschwärzte Küchen und eine kleine Kirche. 500 Kilogramm schwere Rollsteine konnten bei Gefahr von innen vor die Eingänge geschoben werden.
Für die Luftzirkulation sorgte ein imposantes Belüftungssystem. Tausende senkrecht in den Stein getriebene Stollen sollen nach oben geführt haben. An einem der Schächte blicken wir in die unendliche Tiefe, spüren den Luftzug und wünschen uns diese Frischluftzufuhr auch im gemieteten Höhlenzimmer, denn dort sind durch die fehlende Ventilation Bettzeug und Sachen unangenehm klamm.
Während Derinkuyu schroff und sehr ursprünglich wirkt, ist das schon länger erschlossene Kaymakli stimmungsvoller. Vor allem die als Wohnzimmer ausgewiesenen Räume sind in ein rötlich-gelbes, romantisches Licht getaucht. Außerdem haben die Stuben „Fenster“, die die Höhlen luftig erscheinen lassen.
Nach dem Ausflug in die beiden Städte verzichten wir mit Rücksicht auf Knie und Rücken auf die Besichtigung weiterer Unterwelten und klettern zwischen einer Ansammlung kleinerer Felsnadeln, die auch in Schlumpfhausen stehen könnten, herum. Manche der Tuffsteinkegel beherbergen kleine Höhlen mit aus der Wand gehauenen Doppelstockliegen und dienten wohl nur als Schlafräume.
Auch das Kloster Keslik wurde in mehrere hoch aufragende Felsen gebaut. Das Areal mit zwei Kirchen, die früher von den Bauern als Stall genutzt wurden, ist restauriert. Ein älteres Ehepaar wacht über die Anlage. Stolz zeigt der Wächter über den dazugehörigen Garten: „Wir bewirtschaften das alles alleine. Nach der Besichtigung könnt ihr noch einen Tee trinken.“
Unweit vom Kloster entfernt befindet sich das Terrassendorf Cemil. Schmale, steile Gassen, gesäumt von alten Häusern winden sich durch den Ort. Sofort haben wir einen Hund an unserer Seite. Ob wir stehen oder gehen; er bleibt immer einige Zentimeter von uns entfernt.
Neben seiner spektakulären Lage bietet der Ort noch eine frei stehende orthodoxe Kirche. Ein altes Ehepaar besitzt die Schlüssel. Laut zankend stehen sie vor ihrem Grundstück. Als wir in Sichtweite kommen, ist sofort Ruhe; der Schlüssel wird geholt und die Hand unmissverständlich aufgehalten. Als wir die Kirche wieder verlassen, stehen die Alten bereits wieder keifend im Garten.
Stille und eine herrliche Aussicht auf die bunt gefärbten Tuffsteinformationen (Feenkamine) genießen wir am Pancarlik-Tal. Nach einer Pause bei Tee und Saft steigen wir zur Pancarlik-Kirche hinab, besichtigen die farbenfrohen Fresken und klettern anschließend zu zwei weiteren geweihten Höhlen noch tiefer in die Schlucht.
Göreme und Umgebung
Von Mustafapasa ziehen wir weiter nach Göreme, das Touristen-Dorf Kappadokiens. Ein Wirrwarr an steilen Gassen und Treppen umrundet Tuffkegel und Hotels mit Höhlenzimmern. Der Ort ist aber nicht nur touristischer Mittelpunkt, sondern eignet sich durch seine Lage zur Wanderung in den Tälern der Umgebung.
Ünal, unser Gastgeber, bringt uns mit dem Auto zum Burgfelsen nach Uchisar. 60 Meter hoch und zerlöchert von teilweise unpassierbaren Gängen und Räumen überragt er weithin sichtbar den Ort. Nach einem kurzen, in der prallen Sonne jedoch mühsamen Aufstieg werden wir mit einem fantastischen weiten Blick über Täler und Dörfer belohnt.
Um nach Göreme zurückzukehren, wollen wir durch das Taubental wandern. Während wir auf der Suche nach dem Einstieg durch die Gassen laufen und uns fragend umsehen, hält ein Auto: „Was sucht ihr?“, fragt der Fahrer. „Wir wollen ins Taubental, um nach Göreme zu wandern“, antworten wir. „Steigt ein, ich nehme euch ein Stück mit.“
An der Hauptstraße setzt er uns ab und zeigt in eine Richtung, die vom Burgberg wegweist. Nach unseren Informationen soll der Wanderweg aber unterhalb des Felsens beginnen. Zweimal fragen wir noch nach dem Einstieg und bekommen wahlweise den Weg zur Bushaltestelle oder einem Taxistand gezeigt. Erst eine Kaffeehausbesitzerin versteht, dass wir wandern wollen und zeigt uns den richtigen Pfad.
Das Tal hat seinen Namen den Taubenschlägen in den Felsen zu verdanken, die seit jeher zur Düngergewinnung genutzt werden. Ein Pfad für Ziegenhirten schlängelt sich abwechselnd durch grüne, von kleinen Bäumen und Sträuchern gesäumte Abschnitte und staubigen Strecken, die umgeben sind von Felswänden, die an rosa Baisers und kleine Pilzhüte erinnern.
Auf einem Höhlenplateau befindet sich ein Teehaus mit einer durch alte Landwirtschaftsgeräte geschmückten Terrasse. Wir rasten in der schattigen Kühle, ehe wir den letzten Kilometer in Angriff nehmen.
In Göreme halten wir uns jedoch nicht lange auf und ziehen weiter zum nahe gelegenen Open-Air-Museum. Bekannt ist es wegen der vielen in den Tuff geschlagenen Kirchen aus der frühen Zeit des Christentums. In einigen gibt es noch sehr gut erhaltene Fresken mit biblischen Szenen zu sehen.
Der letzte Tag in der kappadokischen Märchenwelt
Ein lautes Fauchen weckt uns in aller Frühe. Über einhundert Heißluftballone steigen gerade mit der aufgehenden Sonne in den Himmel. Während die bunten Ballone über Göreme und die Hügelkuppen schweben, posieren junge Frauen in weißen Sommerkleidern auf den Hotelterrassen für das perfekte Instagram-Foto.
Wir erkunden die Landschaft weiter am Boden, durchstreifen das Görkundere-Tal mit seinen phallusartigen Feenkaminen und fahren zum Burgberg in Ortahisar. Der 90 Meter hohe Felsen steht wie ein Solitär in der Landschaft. Zu seiner Besteigung haben wir jedoch keine Lust und sehen ihn uns in Ruhe von einem Aussichtspunkt aus an.
Die hügelige Landschaft ist von Tuffsteinhöhlen geprägt, aus denen unzählige Belüftungsrohre ragen. In den Grotten liegen die Temperaturen bei gleichbleibenden 10 Grad Celsius und sind natürliche Kühlräume für die vor Ort geernteten Zitronen und Orangen, aber auch für Kartoffeln, Äpfel und Zwiebeln vor ihrem Weitertransport innerhalb des Landes und nach Europa.
Ein Wegweiser zeigt zur Aynali-Kirche. Wir biegen ab, nicht ahnend, dass zu ihrer Besichtigung wieder durch enge, niedrige Tunnel gekrabbelt und über steile ausgetretene Stufen geklettert werden muss. „Hier ist eine Taschenlampe. Folgt dem Jungen“, wird uns am Eingang kundgetan und schon beginnt das Sportprogramm. Zum Glück kann man jedoch nur die erste Etage besichtigen und nach zehn Minuten stehen wir wohlbehalten wieder am Fuße des Felsens.
Zwei kurze Wanderungen durch das Rote Tal sowie das Pasabagi-Tal bilden den Abschluss der Reise durch die einmalige Landschaft. Während im roten Tal rosafarbene Tuffkegel dominieren, stehen im Pasabagi-Tal die höchsten und imposantesten Feenkamine. Wir wandeln entlang der Felsriesen, auf dessen Gipfeln pilzförmige Spitzen stehen. In einem frei stehenden Kegel hat sich die Gendarmerie einquartiert.
Ankara: Stadt vom Reißbrett
Nach einem Stopp in Hacibektas und dem Besuch des Mausoleums von Haci bektas veli, dem Gründer des Bektasi-Ordens (Derwischorden), fahren wir weiter nach Ankara und geben das Auto zurück.
Das neue Ankara wurde am Reißbrett entworfen und kann nicht mit übermäßig vielen Sehenswürdigkeiten dienen. Auf einem Hügel thront das Mausoleum von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk. Das Gebäude ist eine große, schnörkellose Halle, in der ein leerer Sarkophag steht. Das eigentliche Grab liegt gut bewacht im Keller unterhalb des Saales. Arkaden umgeben den Platz vor dem Mausoleum. In einem Teil von ihnen ist eine interessante Ausstellung über Leben und Wirken von Atatürk zu finden. Als wir das Museum verlassen, ertönt ein kurzes Trompetensolo. Augenblicklich erstirbt jede Bewegung und verstummt jeder Laut. Erst als der letzte Ton verklungen ist, geht das Leben auf dem Platz weiter.
Weithin sichtbar steht die Zitadelle von Ankara auf einem Hügel. Innerhalb ihrer Mauern befindet sich ein altes, teilweise bereits saniertes Wohnviertel. Wir schlendern durch die engen Gassen, vorbei an den leuchtend weißen Fassaden der im Fachwerkstil erbauten Häuser, gehen hinauf zur Burgmauer und genießen dort den 360 Grad Panoramablick über Ankara und in ein Gecekondu-Viertel. Dort stehen „über Nacht gebaute“ (Gecekondu) Häuser, die bisher nach islamischem Gewohnheitsrecht nicht abgerissen werden dürfen. Aber die Gesetze wurden geändert und sie werden nach und nach der modernen Stadt weichen müssen.
Ein Taxi soll uns zurück ins Hotel bringen. In Ankara wird aber im Gegensatz zu Kappadokien nur selten Englisch gesprochen. Der erste Taxifahrer versteht immer nur Flughafen und möchte mein Handy, der zweite findet in seinem Handy zwar das Hotel, kurvt aber irgendwo herum, weil Google den Weg doch nicht findet. Erst als er in einer Sackgasse landet, fragt er einen Kollegen. Der ist so clever und ruft im Hotel an und nach einer unfreiwilligen Stadtrundfahrt kommen wir tatsächlich ans Ziel.