„Nur die Geister der Lüfte wissen, auf was ich hinter den Bergen treffe, aber ich treibe meine Hunde weiter vorwärts, weiter vorwärts, weiter vorwärts.”
(Knud Rasmussen, Polarforscher, Ethnologe und Buchautor aus Groenland)
Reisejahr 2022
Nuuk – Qeqertarsuaq (Diskoinsel) – Ilulissat – Fahrt mit dem Küstenschiff – Qaqortoq – Narsarsuaq – Island (Reykjavik-Landmannalaugar)
„Wegen des dichten Nebels können wir nicht in Nuuk landen und fliegen zum Auftanken nach Kangerlussuaq“, meldet sich der Pilot aus dem Cockpit. Innerlich stöhnen wir auf. Nach zwei verregneten Tagen in Reykjavik hatten wir gehofft, dass es das Wetter auf Grönland besser mit uns meint.
Der Flughafen von Kangerlussuaq ist ein ehemaliger US-Militärstützpunkt und liegt am Langen Fjord. Breit fließt sein milchiges Wasser durch die karge Felslandschaft. Der Flieger wird am Ende des Flugplatzes geparkt und hebt auch gleich nach dem Auftanken wieder ab. Tatsächlich ist die Wolkendecke nicht mehr so geschlossen. Hier und da blitzen Schnee und Eis von den Bergen gen Himmel.
Über Nuuk hängen die Wolken aber wieder tief. Die Maschine scheint in der Luft zu stehen und ich befürchte, dass wir wieder ausweichen müssen. Dann setzt der Pilot doch noch zum Anflug an und landet.
Im Terminal sehen wir uns die Flugpläne an. Viele Reisen mit Air Greenland sind gestrichen; unser morgiger Flug nach Ilulissat gehört bisher nicht dazu.
Nuuk: das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum
Nuuk ist die größte Stadt auf der Insel. Das Hotel liegt zwar etwas außerhalb in einem Gewerbegebiet, aber das Zentrum ist fußläufig erreichbar. Uns zieht es in das älteste Viertel rund um den ehemaligen Kolonialhafen. Das kleine Gebiet mit bunten Häusern, blühenden Gärten und der roten Unser-Erlöser-Kirche ist der schönste Teil von Nuuk. Umgeben ist das Viertel von großen Wohnblocks und gewöhnlichen Appartementhäusern. Auch das Parlament ist in einem schlichten Gebäude untergebracht. Allerdings soll die Ausstattung des Plenarsaals mit Fellen, Kajaks und Kunstwerken sehr sehenswert sein. Da wir ohnehin gerade die Fußgängerzone, in der das Haus steht, entlang bummeln, fragen wir beim Pförtner nach, ob wir den Saal besichtigen können. „Leider geht das nicht. Führungen sind um 13 Uhr und im Moment sind alle sehr beschäftigt“, wird uns beschieden.
Abreise mit Hindernissen
Der Flug nach Ilulissat startet bereits um 7 Uhr. An der Hotelrezeption haben wir am Vorabend ein Taxi geordert. „Das Taxi wird bestellt und im Kühlschrank wird ein Frühstückspaket bereitliegen“, hatte die Rezeptionistin versprochen. Am Morgen ist von beidem keine Spur. Wir eilen los in Richtung Stadtmitte. Nur dort besteht die Chance, ein Taxi zu bekommen. Es klappt und wir erreichen den Flieger.
Die Diskoinsel
Nach einer – diesmal regulären – Zwischenlandung in Kangerlussuaq erreichen wir Ilulissat. Für heute ist die Stadt nur ein Zwischenstopp, um auf die Diskoinsel zu gelangen und so lassen wir uns von einem Taxi direkt zum Hafen bringen.
Der Landungssteg befindet sich direkt neben der Heilbuttfabrik. Drei Stunden verbringen wir dort, beobachten die Eisberge, die auf dem Wasser treiben und erlegen unzählige der uns umschwärmenden Mücken.
Die Fähre ist ein kleines Boot für 12 Passagiere. Im Slalom umkurvt die Kapitänin zum Greifen nahe große und kleine Eisberge. Es rumpelt unterm Kiel. Im offenen Wasser werden die Brocken weniger und das Boot nimmt Fahrt auf.
Nach zwei Stunden landen wir in Qeqertarsuaq auf der Diskoinsel an. In dem noch sehr kolonial geprägten Ort gibt es als Übernachtungsmöglichkeiten nur ein kleines Hotel in einem roten Kolonialhaus und eine Jugendherberge. Im Buchungssystem des Hotels sind wir nicht zu finden. Nach einigem hin und her stellt sich heraus, dass wir bei der Reservierung den falschen Monat angegeben haben. „Wir sind ausgebucht. Heute wurde aber ein Zimmer im Hostel frei, dass ihr haben könnt. Die zweite Nacht könnt ihr in ein Hotelzimmer mit Gemeinschaftsbad umziehen“, bekommen wir an der Rezeption angeboten. Glück gehabt! Wären wir einen Tag eher gekommen, hätten wir im Zelt schlafen müssen.
Nach einem Bummel am schwarzen Strand vor blauem Wasser und strahlend weißen Eisbergen gehen wir noch ins Restaurant. Mittlerweile sind wir die hohen Preise ja gewöhnt, aber hier werden sie noch in Form von sehr kleinen Portionen getoppt. Morgen werden wir uns im Supermarkt mit Lebensmitteln versorgen. Das ist kein Problem, da das Hotel auch für Selbstversorger ausgestattet ist.
Erstaunlich ruhig war die Nacht in der Jugendherberge. Trotzdem haben wir schlecht geschlafen, da die Fenster nicht zu verdunkeln sind. Zu unserem Bedauern ist der Nachthimmel immer wolkenfrei und strahlend blau, während am Morgen graue Nebelschwaden über das Land ziehen.
Wandern auf der Diskoinsel
Im Gegensatz zum Abendessen wird man vom Morgenbüfett satt. Gestärkt wandern wir vorbei an der Arktisk-Station (1906 als wissenschaftliche Forschungsstation gegründet) und weiter an der Küstenlinie entlang zu den Basaltformationen von Kuannit. Auf und Ab zieht sich ein meist kaum sichtbarer Pfad durch die üppige Vegetation. Engelwurz, in unterschiedlichen Grüntönen leuchtende Moose und Weidenbüsche bedecken die Felsen. In Kuannit sind die Basaltfelder besonders beeindruckend und regen die Fantasie an. In Bögen, Adlerschwingen und Rosetten oder einfach nur steil abfallend umgeben sie das intensive Grün.
Bevor wir ins Hotel zurückkehren, legen wir noch einen Abstecher zu einem Wasserfall ein. Blumen blühen auf schwarzem Sand, Tafelberge erheben sich an beiden Seiten des Tales. Ein wild rauschender Fluss hat sich tief in die Felsen gegraben und stürzt über Basaltgestein in ein Becken, aus dem er ruhig strömend ins Meer fließt. Dort stürzt gerade donnernd von einem Eisberg ein Teil seiner meterhohen Wand ins Wasser.
Am nächsten Tag geht es zurück nach Ilulissat. Eigentlich wollten wir die Zeit bis zur Abfahrt der Fähre am Nachmittag nutzen, um in Richtung Lyngmarksbran-Gletscher zu wandern. Aber die Wolken hängen zu tief. Als der Himmel doch noch aufklart, machen wir uns auf den Weg zu einem Ausguck, von dem noch heute Jäger im April und Mai nach Walen Ausschau halten.
Da es keine Wegbeschreibungen oder Markierungen gibt, landen wir zunächst auf der Müllkippe. In Sichtweite stehen zwei Bänke erhöht auf einem Felsen. Querfeldein suchen wir einen Weg über das schwarze Lavagestein dorthin. Als wir ankommen, stellen wir jedoch fest, dass es nicht der Ausguck ist. Dieser ist in einiger Entfernung auf einem höheren Felsen zu sehen. Wieder suchen wir den Weg über Lava und Seen aus geschmolzenem Eis.
Kurz vor dem Ziel zieht plötzlich dichter Nebel vom Meer aufs Land. Als wir die Hütte auf dem Aussichtspunkt erreichen, ist vom Wasser nichts mehr zu sehen. Nur das Donnern der ins Wasser stürzenden Eiswände ist zu hören. Nach einer Weile vergeblichen Wartens auf klare Sicht kehren wir zurück ins Dorf. Noch bevor wir es erreichen, hat sich der Nebel wieder verzogen.
Dafür ist die See so rau, dass die Fähre mit anderthalb Stunden Verspätung eintrifft. Das Boot schlingert über die Wellen. Um die Passagiere nicht allzu sehr leiden zu lassen, navigiert der Kapitän so lange wie möglich an der Küste entlang und umrundet meterhohe Eisberge, bis er auf dem kürzesten Weg nach Ilulissat übers Meer fährt.
Ilulissat: die Touristenhochburg am Eisfjord
In Ilulissat beziehen wir in einem typischen Holzhaus eine Dachwohnung mit fantastischem Blick über die Eiskolosse in der Bucht und weiter zur Diskoinsel. Bis um 1 Uhr in der Frühe sitzen wir auf dem Balkon und sehen dem Lauf der nicht untergehenden Sonne zu, wie sie dem Meer einen Schimmer von Metall und dem Eis eine rosa Farbe verleiht.
Am Morgen hat der Wind einen Großteil der Giganten aus der Bucht getrieben. Der Blick auf das tiefblaue Wasser und die verbliebenen weißen Riesen ist aber immer noch wunderschön und wir genießen das Panorama bei einem sehr ausgedehnten Frühstück auf dem Balkon. Zur sechsstündigen Wanderung am Eisfjord Kangia können wir ja dank der Mitternachtssonne unabhängig von der Uhrzeit starten.
Am frühen Nachmittag lösen wir uns von der herrlichen Aussicht und gehen los. Dort, wo die letzten Häuser stehen, befinden sich städtische Hundeplätze, auf denen es recht laut zugeht. Während einige Schlittenhunde in der Sonne dösen, rennen andere im Kreis, springen auf ihre Hütten und bellen. Danach wird es ruhig. Nur das Summen und Stechen unzähliger Mücken auf dem Bohlenweg zum Kangia ist etwas lästig.
Der Fjord ist schon von Weitem zu sehen: ein sieben Kilometer breites Gebirge aus gezacktem Eis und blau schimmernden Seen. Parallel zum Fjord laufen wir in Richtung Inlandeis weiter. Irgendwo in den Eismassen knackt und kracht es; wo, sieht man erst, wenn sich die Oberfläche bewegt.
An einem Fluss verlassen wir die fantastische Landschaft und laufen landeinwärts, bis wir am Ende des Pfades in ein Tal abbiegen. Schroff und hoch umgeben die Felsen ein großes Geröllfeld. Die Markierung ist teilweise verschüttet und wir krabbeln langsam über den wegrutschenden Untergrund. Der Wanderweg endet, wie er begann: in einem Mückenbrutgebiet.
Als wir in der Ferienwohnung ankommen, sehen wir zu unserer Freude, dass wieder Eiskolosse auf dem Meer schwimmen. Aber kaum sitzen wir auf dem Balkon, verhindert Nebel die Sicht.
Auch am nächsten Morgen ist es noch neblig. Das Meer ist voller weißer Giganten und würde nicht dazwischen tiefblaues Wasser schimmern, würden wir uns am Kangia mit seiner geschlossenen Eisdecke wähnen.
Am Nachmittag zieht der Nebel ab und das Eis treibt hinaus aufs Meer. Fasziniert beobachten wir, wie sich die Wasserlandschaft ständig verändert und wie schnell auch sehr voluminöse Eisberge driften. Kleinere Exemplare hat es dagegen bis tief in den Hafen getrieben. Aber wir sind zuversichtlich, dass das Küstenschiff, mit dem wir morgen bis nach Südgrönland schippern wollen, auch fährt.
Eine Seefahrt mit dem Küstenschiff Sarfak Ittuk
Das Eis hat sich über Nacht etwas zurückgezogen, bildet aber immer noch eine traumhafte Kulisse. Ein Kreuzfahrtschiff ankert in gewisser Entfernung vor dem Hafen.
Fahrplanmäßig schiebt sich das rote Küstenschiff, die Sarfak Ittuk, zwischen den blendend weißen Eisriesen hindurch. 238 Passagiere finden auf der einzigen Fähre Platz, die den Westen Grönlands in vier Tagen mit dem Süden verbindet. Für die lange Fahrt haben wir uns schon vor neun Monaten eine der wenigen Kabinen mit Dusche reserviert.
Pünktlich – und das wird sie auch auf der ganzen Reise in jedem Hafen bleiben – legt die Fähre ab. Ein letzter Blick schweift über imposante Eisberge, die wie Landmassen wirken und hinüber zum Kangia-Fjord mit der steilen Eiswand, von der die Brocken ins offene Meer treiben.Je weiter wir uns von Ilulissat entfernen, desto weniger der Giganten begleiten die Fahrt.
Tag 2
In der Nacht schaukelt das Schiff ordentlich. Im Liegen ist es zwar auszuhalten, aber als wir aufstehen, setzt mir das Schwanken doch zu. Nach dem Frühstück legt das Schiff für zwei Stunden in Sisimiut an. Die Zeit reicht für einen Erholungsspaziergang an Land. Die Stadt wurde, wie schon Rom, auf sieben Hügeln erbaut. Bunte Häuser stehen auf dem felsigen Grund; am Ortsrand überragen architektonisch weniger gelungene Neubaublöcke die farbenfrohen Domizile. Auffallend ist vor allem die Bethel-Kirche: Walknochen bilden einen torbogenförmigen Eingang, hinter dem sich die blaufarbene Kirche und ein Museumsgelände mit einem Grassodenhaus befinden. Der Bummel durch die Siedlung macht allerdings nur wenig Spaß. Wie in allen bisher auf der Insel bereisten Orten gibt es viel Autoverkehr und keine Gehwege.
Als wir Sisimiut verlassen, sind auch die Eisberge verschwunden, dafür ragen eisbedeckte Berge aus den Wolken. Trotz der landschaftlichen Schönheit habe ich nur einen Gedanken: Die See möge ruhiger werden. Als ob mein Wunsch erhört wurde, fährt das Boot in einen Fjord und das Schaukeln lässt nach.
Malerisch schmiegen sich die bunten Häuser der Siedlung Kangaamiut an die Felsen im Fjord. Allerdings kann die Fähre nicht direkt am Ort anlegen, da die Mündung zu schmal ist. Ein Beiboot wird zu Wasser gelassen und bringt die Passagiere zum Anleger und neue von dort aufs Schiff.
Zu meiner Freude durchfahren wir erst einmal weiter die Fjordlandschaft. Als eine für mich unverständliche Durchsage auf Dänisch kommt, gehe ich intuitiv aufs Oberdeck. Dort stehen bereits einige Leute und blicken angestrengt aufs Meer. „Seht!“ Ein Passagier zeigt ins Grau. In dem Moment taucht ein Wal auf und wieder unter, sprüht eine Fontäne in den Himmel und erscheint nur wenige Meter vom Boot entfernt erneut.
Der letzte Stopp für heute ist um 23:59 Uhr im von schneebedeckten Bergen umrahmten Maniitsoq. Ab jetzt geht es zurück aufs Meer. Die Küste bleibt zwar in Sichtweite, aber das Schiff schwankt wieder ordentlich. Da es Zeit für die Nachtruhe ist, lasse ich mich von den Wellen in den Schlaf schaukeln.
Tag 3
Am Morgen liegt das Schiff bereits in Nuuk vor Anker. Einen Stadtbummel sparen wir uns, da wir bereits hier waren. Der nächste Halt ist acht Stunden später in Qeqertarsuatsiaat. Auch dieses Dorf steht auf felsigem Untergrund vor einer herrlichen Bergkulisse. Der Anleger ist jedoch so klein, dass das Boot nur mit dem Heck am Pier festmachen kann. Von Bord gehen einige Passagiere, die Freunde und Verwandte begrüßen, Handyfotos werden gemacht und als die Schiffshupe erklingt, kehren alle wieder zurück aufs Boot.
Tag 4
Nach einem nächtlichen Halt in Paamiut erreichen wir um 7 Uhr Arsuk. Regen tropft aus den tiefhängenden Wolken und verhindert jede Sicht. Nachmittags klart es auf, große und kleine Eisberge ziehen vorbei. Vor der Hafenbucht von Qaqortoq, unserem Ziel, schwimmt ein besonders schöner Koloss.
Qaqortoq: die größte Stadt Südgrönlands
In der Touristeninformation fragen wir nach einer Wanderkarte. „Wir haben nur diese hier von ganz Grönland für 25 Euro“, bekommen wir als Auskunft. Der Preis erscheint uns für eine Karte, die wir in dem Umfang nicht benötigen, etwas hoch. Unser Wunsch, an einer Führung durch die Robbenfellverarbeitungsfabrik teilzunehmen, bekommt auch einen Dämpfer: „Morgen findet aus Mangel an Interessenten keine Führung statt und an den darauffolgenden drei Tagen legen Kreuzfahrtschiffe an und die Touren sind ausgebucht.“
Wanderung um den See Tasersuaq
Da wir uns zutrauen, die nicht markierten Wanderpfade auch ohne Karte zu finden, machen wir uns auf zur ersten Tour. Der Weg um den See Tasersuaq ist zehn Kilometer lang. Das tiefblaue Wasser ist von schroffen Felsen umgeben, die an der Ostseite des Sees mit Moosen und Flechten der arktischen Tundra bewachsen sind. Eben schlängelt sich der Weg durch die dichte, von blau, weiß und gelb blühenden Pflanzen gesprenkelte Vegetation am Ufer entlang.
Nach der entspannten Wanderung an der Ostseite ändert sich der Weg am gegenüberliegenden Ufer schlagartig. Zum Teil unsichtbar windet sich der Pfad über Geröll und Felsen am kahlen Berghang entlang. Statt wärmender Sonnenstrahlen weht uns ein eisiger Wind um die Ohren.
Wanderung auf den Saqqaarsik
Morgens reißt uns die Hupe eines Kreuzfahrtschiffes aus dem Schlaf. Trotzdem machen wir uns erst mittags auf den Weg, um den 410 Meter hohen Hausberg Saqqaarsik zu besteigen. Die Wanderung sollte locker in zwei bis drei Stunden zu machen sein. Den Einstieg hinter der Volkshochschule finden wir; dann verliert sich der Pfad sehr schnell zwischen den Felsen. Wir laufen auf gut Glück weiter und stehen vor einer breiten Kluft. Als wir sie endlich überwinden können, sind wir bereits oberhalb eines Fjordkomplexes angekommen. Türkisfarben umfließt das Wasser kleine, von einem grünen Teppich überwachsene Felseninseln; Eisberge runden das fantastische Bild ab.
Über vermeintliche Trampelpfade klettern wir immer höher; die Felsen erheben sich senkrecht über uns. Das Ziel, der Bergkamm ist zum Greifen nah. Ein Wanderweg ist dagegen nicht mal andeutungsweise in Sicht. Mittlerweile sind wir jedoch so weit hochgekraxelt, dass wir nicht mehr zurückkönnen: Zu steil geht es abwärts. Über uns rennt ein Polarfuchsbaby laut schreiend auf einem Felsen hin und her. Wir hoffen, dass jetzt nicht auch noch eine wütende Polarfuchsmutter auftaucht.
Vorsichtig klettern wir über das Geröll eines trockenen, steil abfallenden Wasserfalls. Sah es eben noch so aus, als würden wir an seinem Ende auf dem Bergkamm ankommen, stehen wir nun vor einer unbezwingbaren, schroffen Felswand. Die einzige Alternative ist die seitliche Querung des abschüssigen Geländes, um auf einen Weg, der in einiger Entfernung zu sehen ist, zu gelangen.
Als wir den Pfad erreichen, trennen uns tatsächlich nur noch wenige, gut zu laufende Meter vom Bergkamm und dem Gipfel des Saqqaarsik. Der Ausblick ist atemberaubend: Auf der einen Seite der Fjord, auf der anderen Seite der See Tasersuaq und in der Ferne glänzt das Inlandeis in der Sonne.
Über ein Plateau mit kleinen Seen und viel Bewuchs steigen wir bequem auf der anderen Seite des Berges ab. Sechs Stunden haben wir für die unverhofft mühevolle Wanderung benötigt.
Und täglich grüßt das Murmeltier
Am Morgen weckt uns das Hupen des nächsten Kreuzfahrtschiffes. Unsichtbar liegt es im dichten Nebel vor Anker. Für heute haben wir beschlossen, uns die Privilegien der Kreuzfahrer zunutze zu machen. Es ist Wochenende, die Sehenswürdigkeiten haben eigens für die Passagiere geöffnet und wir schließen uns den Grüppchen an, die Kirche und Museum besichtigen.
Den Abend runden wir bei einem Essen in einem Thai-Restaurant in einem Lagerhaus am Hafen mit einer gelungenen Kombination aus grönländischen Zutaten und thailändischer Würze ab.
Den letzten Tag in Qaqortoq gehen wir in aller Ruhe an. Zu schön ist der Blick über Bucht und Eisberge. Nur eine – diesmal wirklich – kurze Wanderung quer durchs Dorf und über viele Treppen auf den Alleruusannguit mit einem schönen Rundumblick über Fjord und Siedlung unterbricht den Müßiggang.
Mit der Fähre in die Fjordlandschaft
Am nächsten Tag brechen wir auf nach Narsarsuaq. Der ehemalige US-Militärstützpunkt liegt an einem Fjord und hat den einzigen internationalen Flughafen (Flüge nach Island und Kopenhagen) in Südgrönland.
Die Fahrt durch die Fjorde ist ein schöner Abschluss der Reise. Je tiefer wir in das Landesinnere kommen, desto höher werden die Eisriesen auf dem Wasser und die mit Gletschern bedeckten Berge. Dazwischen leuchten weiß die verpackten Heuballen, die auf den grünen, frisch gemähten Wiesen liegen.
Narsarsuaq: das Tor zum Süden
Narsarsuaq wurde 1941 von den Amerikanern gegründet, die hier die Militärbasis Bluie West One errichteten. Die Gebäude – die meisten sind Containerbauten – stehen verstreut in der Gegend. In zwei ehemaligen Kasernen wurde das Hotel untergebracht.
Drei kurze Wanderwege gibt es in der Umgebung: auf den Signal Hill (rund 4 Kilometer, 1-1,5 Stunden), The Ridge (rund 8 Kilometer, 3-4 Stunden) und eine Tageswanderung zum Inlandeis Narsarsuaq Glacier (rund 16 Kilometer, 5-7 Stunden).
Wegen der fortgeschrittenen Zeit bleibt uns nur die Wanderung auf den Signalhügel. Auf einem schmalen Pfad und durch ein Arboretum voll dichtem Grün, Fichten – einige der Nadelgewächse werden als Weihnachtsbäume gezogen – und Mücken laufen wir steil bergauf. Von der Bergspitze kann man immerhin bis zum Inlandeis blicken. Ein kleiner Trost für die Tageswanderung dorthin, die wir aufgrund der fehlenden Fährverbindung am Vortag und dem nur zweimal wöchentlich stattfindenden Flug nach Reykjavik nicht machen können.
Der Abflugtag
Unverhofft kommen wir doch noch zur Wanderung zum Inlandeis. Der Flug nach Reykjavik wird wegen schlechten Wetters auf Island um einen Tag verschoben. Allerdings ist die Verlegung für uns äußerst ärgerlich. Morgen wollen wir für drei Tage nach Thorsmörk im isländischen Hochland aufbrechen. Wir telefonieren mit dem Anbieter, ob wir den Aufenthalt um einen Tag verschieben können. Der Bus nach Thorsmörk ist jedoch ausgebucht und wir müssen den Trip komplett stornieren.
Wanderung zum Inlandeis
Die ersten Kilometer auf der asphaltierten Straße sind eher langweilig. Im Hospital Valley steht einsam ein Schornstein aus der Zeit, als sich hier noch die Krankenbaracken befanden. Rostige Nägel liegen verstreut um den mythenumrankten Kamin. Es wird erzählt, dass die Amerikaner die Schwerstverwundeten aus dem Korea-Krieg hierher transportiert hätten, um der amerikanischen Bevölkerung den Anblick zu ersparen.
Als wir das Flower Valley erreichen, kommen wir doch wieder von der markierten Route ab, springen über einen Fluss, laufen durch hohes Gras, versuchen der Mückenplage zu entrinnen und finden zurück auf den richtigen Weg. Nun geht es steil bergauf. Am Ende des Anstiegs liegt auf einem Plateau ein See, den es zu umrunden gilt und dann stehen wir endlich oberhalb des Gletschers. Schwarz schimmert Vulkanasche durch das Eis; auf den Bergspitzen hängen graue Wolken.
Auf dem Rückweg verfehlen wir den Pfad zwar nicht, sind aber heilfroh, als wir auf den letzten asphaltierten Kilometern von dem Fahrer eines VW T3 gefragt werden, ob wir mitfahren wollen.
Abends surfen wir nach einer Unterkunft in Reykjavik. Die Stadt ist quasi ausgebucht. Da unser Trip nach Thorsmörk ohnehin Geschichte ist, wünschen wir uns jetzt, dass der Flieger morgen auch nicht geht. Hier haben wir wenigstens Kost und Logis frei und können wandern. In Reykjavik dagegen waren wir im Laufe der Zeit schon so oft, dass wir keine Lust mehr auf die Stadt haben.
Unser Wunsch erfüllt sich nicht. Der Flug wird zwar zweimal verschoben, aber er geht. Die Zeit bis zum Abflug nutzen wir noch für den Besuch des Museums im ehemaligen US-Hauptquartier. Immerhin, Marlene Dietrich war seinerzeit auch schon da.
Reykjavik
Mit den Reisevorhaben auf Island haben wir kein Glück. Bereits vor dem Flug nach Grönland waren wir zwei Tage in Reykjavik und der in diesem Zeitraum geplante, wegen des schlechten Wetters verschobene Trip nach Landmannalaugar ist nun wieder abgesagt. Wir gehen zur Touristeninformation in der Hoffnung, noch eine Unternehmung in den drei Tagen, die wir in der Stadt sind, arrangieren zu können.
„Am Samstag gibt es noch zwei freie Plätze in einem Superjeep nach Landmannalaugar. Kostenpunkt sind 300 Euro pro Person“, erfahren wir dort. Der Preis ist happig. Aber der Gedanke, in Reykjavik festzusitzen, ist schmerzhafter. Wir buchen den Trip, auch wenn dieser vom Zeitpunkt her ungünstig ist: Es ist eine zehnstündige Tour und wir fliegen am Folgetag in aller Frühe nach Deutschland.
Landmannalaugar
Nach zwei verbummelten Tagen starten wir nach Landmannalaugar. Als wir am Fuße des Vulkans Hekla halten, erreicht mich eine SMS vom Zivilschutz: „Sie befinden sich in der Nähe von Hekla, einem aktiven Vulkan, der ohne Vorwarnung ausbrechen kann. Aufpassen!“
Der rund 6600 Jahre alte, zu den aktivsten Vulkanen Islands zählende Hekla bricht seit der Mitte
des 20. Jahrhunderts mit ziemlicher Regelmäßigkeit etwa alle zehn Jahre aus. Der letzte Ausbruch war im Jahr 2000, und da er trotz aller Messungen als unberechenbar gilt, wird sein Ausbrechen jederzeit erwartet.
Wir biegen ab auf eine F-Piste (nur mit 4×4 befahrbar). Grauer Schotter und Sand überziehen die Landschaft, die Berge dagegen sind mit einem grünen Teppich bezogen. Nach 25 Kilometern Fahrt und der Querung von drei Flüssen kommen wir in Landmannalaugar an. Etliche Reisebusse und viele Pkw stehen auf den Parkplätzen; Gletscherabflüsse schlängeln sich durch das weite Tal.
Leider haben wir nur drei Stunden Zeit und so können wir nur dem orange markierten Pfad folgen. Nach einem sehr steilen, schmalen Anstieg windet sich der Weg durch ein imposantes Lavafeld. Von Mineralien bunt gefärbte Berge und dampfende Erdlöcher säumen den Steig, der die ersten 2,5 Kilometer identisch ist mit dem Laugavegur-Wanderweg (Landmannalaugar-Thorsmörk). Teilweise geht es nur im Gänsemarsch voran. Mütter mit Babys in Tragegurten und Hunde, die Gassi geführt werden, gehören ebenso zu den Wanderern wie eine alte Frau mit schickem Hut, Halskette und Krückstock, die von einem jungen Mann die steilen Passagen hochgezogen wird.
Aber nicht nur wegen der Massen überzeugt uns der Weg nicht. Orte wie Kerlingarfjöll im Hochland (2019) fanden wir weitaus atemberaubender und auch eine Wanderung auf dem Fimmvördurhals ist landschaftlich reizvoller.
Für die Rückfahrt schlägt der Fahrer einen anderen Weg ein, stoppt an einem schönen Kratersee und an einer tiefen, imposanten Schlucht, aus deren Felswand wild tosend Wasser in einen Fluss sprudelt. Aber auch hier ist viel los. „Island ist in diesem Jahr faktisch ausgebucht. Wir erwarten in der kurzen Saison 4,7 Millionen Besucher. 2019 waren es noch 2,2 Millionen. Und es fehlt überall an Personal“, erklärt der Fahrer. Der Massentourismus ist also endgültig auf Island angekommen.